30.12.55

Alibi (Alfred Weidenmann, 1955)

Herbert Reinecker, der sich seine journalistischen Sporen als Schriftleiter bei HJ-Blättern und als Kriegsberichter der Waffen-SS verdiente, singt ein Hohelied auf die hehre Mission der freien Presse in der offenen Gesellschaft … O. E. Hasse spielt die Edelfeder Peter Hansen, einen rasenden Reporter, der, ohne Herzblut zu vergießen, von Knüller zu Knüller eilt und dabei langsam aber sicher den Kontakt zur Wirklichkeit verliert. Als Geschworener in einem scheinbar klarliegenden Mordprozeß (Hardy Krüger verkörpert den zornigen jungen Mann, der angeklagt ist, seine verheiratete Geliebte getötet zu haben) wird er zurück auf den Teppich der widersprüchlichen Realität gebracht: Der überhebliche Welterklärer fühlt Zweifel am Augenschein in sich aufsteigen, verspürt Mißtrauen gegen (vor-)schnelle Folgerungen, und plötzlich steht die Möglichkeit des Herstellens von Gerechtigkeit als solches in Frage. Die Moralkeule schwingt hin und wieder hörbar durch den Film, etwa anläßlich der Taufe einer Druckmaschine: »Wenn einer nirgendwo mehr recht bekommt, dann bleibt immer noch ein Ausweg: ›Ich schreib an meine Zeitung!‹ Und wenn er das nicht mehr kann, dann machen wir die Zeitung bloß, daß die Leute was zum Einwicken haben oder zum …« Alles in allem gelingt Reinecker (der mit »Alibi« wohl auch über eigene schuldhafte Verfehlungen und ihre Beurteilung sinniert) eine clevere Mischung aus Whodunit, Gerichtsfilm und Gewissensdrama, die von Alfred Weidenmann mit visuellen Noir-Anklängen stringent in Szene gesetzt wird.

R Alfred Weidenmann B Herbert Reinecker K Helmuth Ashley M Hans-Martin Majewski A Rolf Zehetbauer, Albrecht Hennings S Carl Otto Bartning P Friedrich A. Mainz D O. E. Hasse, Martin Held, Hardy Krüger, Peer Schmidt, Siegfried Schürenberg | BRD | 109 min | 1:1,37 | sw | 30. Dezember 1955

29.12.55

Ich denke oft an Piroschka (Kurt Hoffmann, 1955)

Piroschkas unvergeßliches »Geh’, Andi, mach Signal!« ist das »Baise-moi!« der deutschen 1950er Jahre: Jungs und Mädchen fallen (noch) nicht übereinander her, bevor sie ihre Namen kennen; vielmehr scharwenzeln sie einen unendlichen Sommerurlaub lang umeinander herum, bevor es zum Letzten kommt – so wie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zwischen der reizenden Tochter des Stationsvorstehers aus dem kleinen Puszta-Kaff und dem netten deutschen Austauschstudenten (Gunnar Möller). Natürlich nicht vor dem Auge der diskreten Kamera (Richard Angst), sondern gut versteckt im hohen Gras des Bahndamms. So idyllisch-verträumt wie in Kurt Hoffmanns ungarischer Romanze wird es wohl nie wieder. Das ist – verdammt nochmal! – schade. Und auch wenn Lilo Pulvers barfüßige Piri zu keinem Zeitpunkt aussieht wie süße 17: Hódmezövásárhelykutaspuszta forever!

R Kurt Hoffmann B Per Schwenzen, Hugo Hartung V Hugo Hartung K Richard Angst M Franz Grothe A Ludwig Reiber S Claus von Boro P Georg Witt D Liselotte Pulver, Gunnar Möller, Wera Frydtberg, Gustav Knuth, Rudolf Vogel | BRD | 96 min | 1:1,37 | f | 29. Dezember 1955

26.12.55

Sommarnattens leende (Ingmar Bergman, 1955)

Das Lächeln einer Sommernacht 

»Where are the clowns? / Send in the clowns.« Ein Bergman-Film ohne Grübelei, Düsternis, Weltschmerz oder Seelennot. Obwohl… da sind der alternde Advokat, der vor den großen Fragen des Lebens (und der Liebe) in die Ironie flüchtet (Gunnar Björnstrand), seine blutjunge, verunsicherte, immer noch unberührte Frau, die vor Sehnsucht vergeht (Ulla Jacobsen), und sein Sohn aus erster Ehe, ein angehender Theologe, in dessen Haupthaar die Vögel des Kummers ihre Nester bauen (Björn Bjelfvenstam); da ist die gefeierte Schauspielerin, der die Männer zwar zu Füßen (und anderswo) liegen, aber deren Hand sie nicht ergreifen wollen (Eva Dahlbeck); außerdem der eitle, eifersuchtsblinde Militär (Jarl Kulle) und seine vernachlässigte Gemahlin (Margit Carlquist) – es könnte böse ausgehen mit ihnen. Aber Gott (?) sei Dank gibt es da auch eine alte, lebenskluge Dame (Naima Wifstrand), die es einfach ignoriert, wenn die Leute reden, weil sie weiß, daß anderen zuzuhören nur unglücklich macht. Auf ihrem Anwesen wendet sich in einer lächelnden Sommernacht alles zum Guten… Ingmar Bergman konstruiert mit viel Zartgefühl eine kinematographische Spieluhr, zu deren feiner Melodie sich die füreinander Bestimmten tatsächlich finden. Man könnte es auch so sagen: Der Abgrund ist da, aber keiner stürzt sich hinab – alle stehen sie neben einander am Rand der Schlucht, halten sich fest bei den Händen und spucken hinunter.

R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Gunnar Björnstrand, Ulla Jacobsson, Björn Bjelfvenstam, Eva Dahlbeck, Jarl Kulle, Harriet Andersson | S | 108 min | 1:1,37 | sw | 26. Dezember 1955

22.12.55

Lola Montès (Max Ophüls, 1955)

Lola Montez

»La vie, c’est pour moi le mouvement«, sagt Lola Montez (Martine Carol) mit wehmütig-lüsternem Unterton zu einem Liebhaber, dem sie in allernächster Zukunft den Laufpaß geben wird. »Le cinéma, c’est pour moi le mouvement«, könnte Max Ophüls gesagt haben, ein Regisseur, der auch in diesem (seinem letzten) Film der Kamera kaum einen Moment des Innehaltens gestattet, der mit den äußeren Bewegungen des Apparates den inneren Bewegungen der Figuren nachzuspüren sucht. Ironischerweise läßt Ophüls die Titelfigur seiner biographischen Phantasie, die zu ihrer Zeit skandalumwittertste Frau der Welt (Ballerina, Kurtisane, Libertinerin), wie ein kostbares Denkmal ihrer selbst fast unbewegt im Drehpunkt eines buntschillernden kinematographischen Karussells Platz nehmen. So wird Lola, die im Rahmen eines extravaganten Zirkusprogramms (mit reichlich Zwergen und Artisten, Musikern und Clowns) allabendlich vor schaulustigem Publikum ihr bewegtes Leben Revue passieren läßt, zum Spiegel von Illusionen, zur Projektionsfläche von Wünschen, zur Katalysatorin, die vielfältige emotionale Reaktionen bei ihren schnell wechselnden Partnern auslöst: die unsentimetale Genußfreude eines illustren Klavierstars (Will Quadflieg als Franz Liszt), die machohafte Zudringlichkeit eines versoffenen Offiziers (Ivan Desny), die hitzige Schwärmerei eines jungen Studenten (Oskar Werner), das erotische Heimweh eines alternden Monarchen (Adolf Wohlbrück als Bayernkönig Ludwig I.) und nicht zuletzt die ausbeuterische Zuneigung des (von Peter Ustinov gespielten) peitscheschwingenden Conférenciers. Im nonchalanten Hin und Her zwischen Manegennummern und Rückblenden, im freien Spiel der Bildausschnitte erfindet Ophüls ein opulentes Spektakel der (kurzlebigen) Liebe und des (flüchtigen) Geldes, der (zerfallenden) Macht und des (vergänglichen) Ruhms, einen intimes Panorama von Aufstieg (»Plus haut, Lola, plus haut!«) und schließlichem Fall einer öffentlichen Person. Der letzte Auftritt zeigt Lola, die gewesene machine à scandale, zwischen den anderen wilden Tieren der Menagerie in einem Käfig thronend, für jedermann gegen kleines Geld zu begaffen und betatschen: »Venez, venez, venez! Un dollar seulement!«

R Max Ophüls B Annette Wademant, Max Ophüls, Jacques Natanson V Cécil Saint Laurent K Christian Matras M Georges Auric A Jean d’Eaubonne S Madeleine Gug P Albert Caraco D Martine Carol, Peter Ustinov, Adolf Wohlbrück, Oskar Werner, Ivan Desny, Will Quadflieg | F & BRD | 115 min | 1:2,35 | f | 22. Dezember 1955

# 1098 | 1. März 2018

8.12.55

The Ladykillers (Alexander Mackendrick, 1955)

Ladykillers

Nein, Verbrechen lohnt sich auch in diesem schwarzkomödiantischen Fall nicht – die fünf (bunt zusammengewürfelten) Kriminellen, die unter Führung des originell-verrückten »Professor« Marcus (Alec Guinness) 60.000 Pfund rauben, dürfen die Früchte ihrer Tat nicht genießen. Scheinbar widerstrebende Nutznießer der Gesetzlosigkeit sind (einmal mehr) Anstand und Tugend, die in guter Absicht ihr ganz eigenes Chaos entfalten … In Gestalt einer penetrant reizenden älteren Dame (Katie Johnson als verwitwete Mrs. Wilberforce – ihr Gatte, Kapitän der Handelsmarine, versank vor einem Menschenalter mit seinem Schiff, nicht ohne zuvor drei befreundeten Papageien das Leben gerettet zu haben), in deren viktorianischem, direkt oberhalb der Einfahrt eines Eisenbahntunnels (!) gelegenen Häuschen der Überfall (unter musikalischer Tarnung) geplant und später die Sore verteilt wird – läßt Alexander Mackendrick liebenswürdige Vernageltheit über Ehrgeiz und Ingenium triumphieren. Die erwartungsvolle Gegenwart muß sich angesichts der Übermacht einer unerschütterlichen Vergangenheit (einmal mehr) restlos geschlagen geben: »We’ll never be able to kill her. She’ll always be with us, forever and ever and ever. And there’s nothing we can do.«

R Alexander Mackendrick B Willam Rose K Otto Heller M Tristram Cary A Jim Morahan S Jack Harris P Michael Balcon D Katie Johnson, Alec Guinness, Herbert Lom, Peter Sellers, Cecil Parker | UK | 91 min | 1:1,66 | f | 8. Dezember 1955

7.11.55

Artists and Models (Frank Tashlin, 1955)

Maler und Mädchen | Der Agentenschreck

Rick Todd (Dean Martin) und Eugene Fullstack (Jerry Lewis) träumen davon, in New York als Künstler zu reüssieren – Rick als Maler, Eugene als Autor von Kinderbüchern –, doch bis zu ihrem Durchbruch müssen die Freunde allerlei zweitklassige Jobs annehmen. Eugene fantasiert sich über die Durststrecke ganz einfach hinweg (»Just wish and see!«), oder er flieht in die brutal-aufregenden Welten seiner heißgeliebten comic books, deren Bewohner ihn bis in den Schlaf verfolgen … Am Beispiel des Hardcore-Fans persifliert Frank Tashlin die blutrünstige Trivialität der gezeichneten Pulp- und Horror-Stories sowie die Folgen ihres maßlosen Konsums und macht sich zugleich über den Kampf selbsterklärter Sittenwächter gegen die »Verführung der Unschuldigen« lustig. Weil dem aggressiven Stumpfsinn der kommerziellen Populärkultur mit herkömmlichen Mitteln der Zivilisationskritik nicht mehr beizukommen ist, verlegt sich Tashlin auf ihre Übersteigerung zur knallbunten Groteske: Eugene verliebt sich in die leibhaftige Erscheinung seiner Heftchen-Heldin (Shirley MacLaine als ›Bat Lady‹), Rick hat den ersehnten Erfolg ausgerechtet in dem Moment, als er die Nachtgesichte seines Kumpels von ›Vincent the Vulture‹ (»half-boy, half-man, half-bird«) und dessen rotäugiger Erzfeindin ›Zuba the Magnificent‹ in eine Bildergeschichte verwandelt – Wirklichkeit und Fiktion fließen zusammen wie die Farben auf einer Palette. Dazu paßt, daß schließlich Vertreter rivalisierender Geheimdienste auftauchen, weil der naive Träumer auch eine revolutionäre Raketenformel träumte. Für die Kinder von Wonder Woman und Coca-Cola geht es natürlich gut aus: »And life is filled with happy endings / When you pretend!«

R Frank Tashlin B Frank Tashlin, Herbert Baker, Hal Kanter, Don McGuire K Daniel L. Fapp M diverse A Hal Pereira, Tambi Larsen S Warren Low P Hal B. Wallis D Jerry Lewis, Dean Martin, Dorothy Malone, Shirley MacLaine, Eva Gabor | USA | 109 min | 1:1,66 | f | 7. November 1955

# 784 | 23. Oktober 2013

27.10.55

Die Barrings (Rolf Thiele, 1955)

Rolf Thieles Lore-Version der Buddenbrooks. Ostpreußen, Mitte des 19. Jahrhunderts: Eine locker-flockige Frau (ganz weltläufig: Nadja Tiller), die für große Gesellschaften, schicke Kleider, Marmortreppen und Wintergärten schwärmt, zerrüttet ihren ehrpusselig-antriebsarmen Gatten (knöchern: Dieter Borsche) sowie dessen stattliches Vermögen. Als sie damit fertig und Witwe ist, reist sie ab – wohin auch immer. »Die Barrings« haben einige Größe. Aber eben nur einige.

R Rolf Thiele B Felix Lützkendorf, Rolf Thiele V William von Simpson K Günther Anders M Friedrich Meyer A Walter Haag, Hans Kutzner S Alexandra Anatra P Luggi Waldleitner D Dieter Borsche, Nadja Tiller, Paul Hartmann, Lil Dagover, Sonja Sutter | BRD | 107 min | 1:1,37 | sw | 27. Oktober 1955

Rebel Without a Cause (Nicholas Ray, 1955)

… denn sie wissen nicht, was sie tun

Pathetisches Jugend(melo)drama, das den Generationenkonflikt zwischen idealistischem (oder auch nihilistischem) Aufbegehren und indolenter (oder auch zynischer) Abgefucktheit zu zwei Nächten und einem Tag voller Klang und Wut verdichtet und dabei die ewige Problematik der Identitätsfindung Heranwachsender formuliert: »How can I grow up in a circus like that?« Es gibt einen Jungen (»You’re tearing me apart!«), der von seinem Vater keine Antworten bekommt, ein Mädchen (»Who lives?«), das von seinem Vater kein Küßchen mehr kriegt, einen anderen Jungen (»Do you think the end of the world will come at night time?«), der von seinem Vater verlassen wurde, noch mehr Jungen (»You’ve gotta do something. Don’t you?«), die mit den Autos ihrer Väter über die Klippen rasen, einen wohlmeinenden juvenile officer (»You don’t kid me, pal!«), der sich als jedermanns Vater gebärdet, und Väter (»This is all going too fast for me, son.«), die nicht wissen, was sie tun (sollen). Vielleicht aber benutzt Nicholas Ray dies alles nur als Folie, um einen popkulturellen Modemythos zu schaffen und – ganz und gar antinaturalistisch in emotional-ausdrucksvollen CinemaScope-Bildern – die Abenteuer einer knallroten Windjacke (begleitet von einem weißen T-Shirt, einem Paar Blue Jeans und einem Typen namens James Dean) zu erzählen: ein Wagenrennen, das wie eine Broadwayshow illuminiert ist, eine verkantete innerfamiliäre Kollision, ein Vater-Mutter-Kind-Spiel in einem verlassenen Palast, eine Grand Tour zu sich selbst und weiter bis zum Ende der Welt. PS: Getty Mansion hat in »Rebel Without a Cause« seinen zweiten großen Auftritt als (Alp-)Traumhaus nach »Sunset Blvd.«

R Nicholas Ray B Stewart Stern, Irving Shulman K Ernest Haller M Leonard Rosenman A Malcolm C. Bert S William H. Ziegler, James Moore P David Weisbart D James Dean, Natalie Wood, Sal Mineo, Jim Backus, Corey Allen | USA | 111 min | 1:2,55 | f | 27. Oktober 1955

26.10.55

Les grandes monœuvres (René Clair, 1955)

Das große Manöver

Eine ›comédie dramatique‹ annonciert der Vorspann des Films, und René Clair löst dieses Versprechen formvollendet ein: »Les grandes manœuvres«, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielende Geschichte des sorglos-charmanten Dragonerleutnants Armand (Gérard Philipe), eines Don Juan, der sich – ausgerechnet auf Grund einer Wette! – zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt, beginnt als bissige Marivaudage und verdüstert sich peu à peu zum resignativen Melodram. Des notorischen Schwerenöters Angebete, die geschiedene Modistin Marie-Louise (Michèle Morgan), traut, trotz ihrer Faszination für den bedenklichen Kavalier, dessen abgewetzten Treueschwüren nicht über den Weg: Viel zu oft hat der Frauenheld (mit immer den gleichen Worten, Blicken und Ge­sten) Zuneigung vorgegaukelt, als daß die Echtheit seiner Empfindungen ohne Arg für wahr gehalten werden könnte … In kurzen, fein beobachteten Szenen läßt Clair ein farbenfrohes Marionettentheater der falschen Gefühle und des enttäuschtes Vertrauens, der trügerischen Hoffnung und der unausweichlichen Desillusionierung ablaufen – nicht ohne ironische Seitenblicke auf eine erstarrt-doppelzüngige, an sich selbst ermüdete Gesellschaft zu werfen, die weder an den (zugegebenermaßen: späten) Willen zur Selbstreform noch an die Möglichkeit der wahren Liebe glauben kann (oder glauben will).

R René Clair B René Clair, Jérôme Géronimi, Jean Marsan K Robert Lefebvre M Georges Van Parys A Léon Barsacq S Louisette Hautecœur P René Clair, André Daven D Michèle Morgan, Gérard Philipe, Jean Desailly, Pierre Dux, Yves Robert | F & I | 106 min | 1:1,37 | sw | 26. Oktober 1955

25.10.55

The Big Knife (Robert Aldrich, 1955)

Hollywood-Story

»Life’s a queer little man, kiddie.« Ein Mitarbeiter der Firma will aussteigen, aber sein Boss, der sich den Verlust des besten Mannes nicht erlauben kann, läßt ihn nicht … »The Big Knife«, ein merkwürdiger Zwitter aus Seelendrama und film noir, ist indes kein gangster movie sondern ein Stück aus dem Filmgeschäft – gewerbsmäßiges Verbrechen und Kino scheinen nach denselben Regeln zu funktionieren. Das große Gefecht über Themen wie Integrität und Gewinn liefern sich Jack Palance (unterdrückt explosiv) als Star und Rod Steiger (gnadenlos outriert) als Produzent. Robert Aldrich ist sich (wie üblich) nicht zu schade dafür, die Gegenstände seiner Kritik gleichzeitig filmisch nutzbringend zu exploitieren.

R Robert Aldrich B James Poe V Clifford Odets K Ernest Laszlo M Frank De Vol A William Glasgow S Michael Luciano P Robert Aldrich D Jack Palance, Ida Lupino, Wendell Corey, Jean Hagen, Rod Steiger | USA | 111 min | 1:1,37 | sw | 25. Oktober 1955

14.10.55

Himmel ohne Sterne (Helmut Käutner, 1955)

»Hier und drüben, das ist so wie Amerika und Asien, nur ein bißchen weiter auseinander.« Eine Liebe in Deutschland: Anna (Eva Kotthaus), Fabrikarbeiterin aus dem Osten, die ihren sechsjährigen Sohn Jochen zu sich holen will, trifft Karl (Erik Schumann), einen Grenzpolizisten aus dem Westen, der ihr bei der interzonalen Kindesentziehung behilflich ist. Die traurige Romanze, die sich aus der zufälligen Begegnung entwickelt, spielt diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, zwischen Broditz in Thüringen und Oberfeldkirch in Franken. Helmut Käutner weigert sich, beinahe demonstrativ, einer Seite den Vorzug vor der anderen zu geben: Der Westen genießt gedankenlos die wiedererwachte Kaufkraft, im Osten herrschen systemischer Mangel und ideologische Schurigelei; keiner, so wird überall scheinfromm herausposaunt, hat die Grenze gemacht, und alle tun natürlich immer nur ihre Pflicht. Im Niemandsland, in der Ruine eines aufgelassenen Bahnhofs, kommt die Zärtlichkeit zu ihrem Recht, doch ihre Gegenwart ist nicht von Dauer: Trennende Schranken liegen längst über Schienen, die verbinden sollten. »Himmel ohne Sterne« ist nicht frei von augenfälligen Symbolismen, doch es überwiegt die nüchterne Beobachtung einer anormalen Normalität. Die Schizophrenie der Verhältnisse wird insbesondere sichtbar an den beiden Großelternpaaren des kleinen Jochen, der vom historischen Dilemma (noch) nichts weiß: Im Westen Annas Schwiegereltern, deren Sohn im Krieg gefallen ist, die geschäftstüchtigen Kaufleute Friese (Gustav Knuth und Camilla Spira), sentimental und selbstsüchtig; im Osten die greisen Kaminskis (Erich Ponto und Lucie Höflich), grundanständig doch alptraumverloren aus der Zeit gefallen. Gegenseitig hat man sich abgeschrieben. »Laß die Dinge, wie sie sind. Wie sie sind, sind sie gut«, sagt der alte Friese zu Anna, während Großvater Kaminski ihr kundtut: »Es gibt eine Grenze. Auch für dich.« »Und das mitten in Deutschland!« ruft hilflos ein Wachposten, nachdem er vorschriftsgemäß die Schäferhunde von der Leine gelassen hat.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner K Kurt Hasse M Bernhard Eichhorn A Hans Berthel, Robert Stratil S Anneliese Schönnenbeck P Harald Braun D Eva Kotthaus, Erik Schumann, Erich Ponto, Lucie Höflich, Gustav Knuth, Camilla Spira, Horst Buchholz | BRD | 108 min | 1:1,37 | sw | 14. Oktober 1955

# 880 | 13. Juni 2014

7.10.55

Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse (Kurt Maetzig, 1955)

»Thälmann ist niemals gefallen!« Kurt Maetzigs zweites Hohelied des kommunistischen Führerkultes schiebt das titelgebende Denkmal durch die reichsdeutschen 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts – von der parlamentarischen Quatschbude in spätrepublikanische Grabenkämpfe und weiter hinter die festverriegelte Tür der Zuchthauszelle. Eine über weite Strecken der Handlung weggesperrte Hauptfigur wirft dramaturgische Probleme auf, zumal in einer biographischen Lobeshymne – so wird der immobile Protagonist zum guten Geist, der die internationalistischen Getreuen beseelt (während er seine faschistischen Kontrahenten zur Verzweiflung bringt). Eine bruchstückhafte Geschichts(klitter)stunde zwischen Widerstand und Weltkrieg, abenteuerreichem Agitprop und politischem Melodram: Wiederum ringt die rote Tugend mit einem Konglomerat aus schwachköpfiger Sozialdemokratie und schuftigem Raubtierkapitalismus, ein paar groteske Nazi-Chargen ziehen Fratzen (allen voran Fritz Diez, der Zonen-Hitler vom Dienst), während Günther Simon in seiner Rolle als »Stimme und Faust der Nation« alias »Deutschlands unsterblicher Sohn« sich redlich (wenn auch vergeblich) müht, dem ideologischen Standbild eine Spur von Leben einzuhauchen.

R Kurt Maetzig B Willi Bredel, Michael Tschesno-Hell, Kurt Maetzig K Karl Plintzner, Horst E. Brandt M Wilhelm Neef A Willi Schiller, Otto Erdmann S Lena Neumann P Adolf Fischer D Günther Simon, Hans-Peter Minnetti, Karla Runkehl, Paul R. Henker, Hans Wehrl, Michel Piccoli | DDR | 140 min | 1:1,37 | f | 7. Oktober 1955

29.9.55

Rosen im Herbst (Rudolf Jugert, 1955)

Warum eigentlich trägt die Adaption nicht den Titel der Romanvorlage? Vielleicht hat es zu tun mit der Wahl der Hauptdarstellerin: Ruth Leuwerik, das damenhaft-distanzierte Anti-Seelchen des bundesdeutschen Nachkriegsfilms, liebenswürdig, aber immer ein bißchen etepetete, ist in der Rolle der Effi Briest im Grunde genommen eine glatte Fehlbesetzung; abgesehen von ihrem tatsächlichen Alter – mit 31 spielt sie eine (zu Beginn der Erzählung) 17jährige –, fehlt Leuwerik nahezu gänzlich das Naturkindliche der Figur, und wenn sich jemand in ein strenges Sittenkorsett einpassen könnte, dann wohl am ehesten ein so beherrschter (Leinwand-)Typus wie sie. Auch Theodor Fontanes kritischer Blick auf die wilhelminische Zeit, das heißt auf die versteiften gesellschaftlichen Umstände des melodramatischen Geschehens – ehrpusseliger Gatte erschießt, nachdem er zufällig einen mehrere Jahre zurückliegenden Ehebruch entdeckte, den Rivalen und verstößt seine Frau –, bleibt in der Verfilmung weitgehend außen vor. Unbeschadet dieser Mankos beweist Rudolf Jugerts geschmackvolle, naheliegenden Kitsch zumeist elegant umschiffende Inszenierung durchaus Qualitäten: Werner Kriens Eastmancolor-Kamera malt ausdrucksvoll die beklemmend-unheimliche Atmosphäre im Hause von Effis verkrampftem Mann, Baron von Instetten, der in Bernhard Wickis differenzierter Darstellung (eher noch als die Protagonistin selbst) wie ein Gefangener des hartherzigen moralischen Reglements erscheint. So überzeugt »Rosen im Herbst« zwar nicht als gelungene Bearbeitung eines großen literarischen Kunstwerks, aber immerhin als gediegen eingerichteter, tragisch endender Liebesfilm ohne Liebe.

R Rudolf Jugert B Horst Budjuhn V Theodor Fontane K Werner Krien M Franz Grothe A Walter Haag S Elisabeth Neumann P Utz Utermann D Ruth Leuwerik, Bernhard Wicki, Carl Raddatz, Lil Dagover, Paul Hartmann, Günther Lüders | BRD | 107 min | 1:1,37 | f | 29. September 1955

# 873 | 3. Juni 2014

9.9.55

Il bidone (Federico Fellini, 1955)

Die Schwindler

Im Leben, sagte einst ein erfolgreicher Pessimist, »you’ve got to take the bitter with the sour.« In »Il bidone« (was soviel bedeutet wie »Der Beschiß«) erzählt Federico Fellini in locker (manchmal auch ziemlich fahrig) aneinandergefügten Episoden die bitter-saure Geschichte vom bauernfängerischen Treiben dreier Gauner, die (mal in der Maske von Geistlichen, mal verkleidet als Beamte der Wohnungsbehörde) den Ärmsten der Armen das letzte Hemd vom Leibe ziehen. Der brotlose Künstler ›Picasso‹ (Richard Basehart), der liederliche Schönling Roberto (Franco Fabrizi) und (im Mittelpunkt) der altgewordene Profischwindler Augusto (Broderick Crawford) bilden das schäbige Trio – Halunken, die nicht allein andere Leute um ihr Geld sondern vor allem sich selbst um die Wahrhaftigkeit des Lebens und das Heil ihrer Seelen bescheißen. »Lupus est homo homini«, wußte schon der römische Komödiendichter Plautus. Fellini legt noch einen drauf: Der Mensch ist auch sich selbst ein Wolf. In einer quälenden Schlußsequenz hält der Film für seinen tragischen Helden Augusto (dessen plötzliche moralische Ein- und Umkehr sich als weiteres (verzweifeltes) Betrugsmanöver erwiesen hat) einen trostlos-staubigen Abgang bereit: »Aspettate … venga con voi«, sind seine letzten Worte – aber da ist keiner, der auf ihn warten würde.

R Federico Fellini B Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli K Otello Martelli M Nino Rota A Dario Cecchi S Mario Serandrei, Giuseppe Vari P Mario Derecchi D Broderick Crawford, Giulietta Masina, Richard Basehart, Franco Fabrizi, Sue Ellen Blake | I & F | 112 min | 1:1,37 | sw | 9. September 1955

6.9.55

Le amiche (Michelangelo Antonioni, 1955)

Die Freundinnen

Die Geschichte einer Rückkehr: Clelia (Eleonora Rossi Drago), leitende Mitarbeiterin eines römischen Modehauses, kommt nach vielen Jahren der Abwesenheit in ihre Heimat(?)stadt Turin, um eine Dependance des eleganten Couture-Salons zu etablieren. Ebenso geradewegs wie zufällig wird sie in die Amüsements und Rivalitäten, die Affären und Kabale eines bohèmistisch-bourgeoisen Freundinnen(?)kreises verstrickt: da sind eine zynische Salonlöwin (Yvonne Furnaux) und ein sorgloses Flittchen (Anna Maria Pancani), eine schmerzensmütterliche Künstlerin (Valentina Cortese) und eine niedergeschlagene höhere Tochter (Madeleine Fischer). Die Männer erscheinen in Michelangelo Antonionis Gruppenbild mit Damen als vom Leben lädierte Randfiguren: großmäulig, spätpubertär, verunsichert. Einzig der Bauleiter Carlo ruht souverän in sich und seiner proletarischen Abkunft, doch Clelia, selbst Aufsteigerin aus kleinsten Verhältnissen, sieht keine Möglichkeit für eine gemeinsame Zukunft mit ihm. Antonioni erkundet (basierend auf dem Roman »Tra donne sole« von Cesare Pavese) eine exklusive Welt der Langeweile, der Illusionen, der Nutzlosigkeit, eine Welt, in der viel geredet und wenig gesagt wird, eine Welt, die so etwas wie Erfüllung nur den Eremit(inn)en der Arbeit bietet. Mithin erzählt »Le amiche« auch die Geschichte eines Abschieds: von Nähe, von Vertrauen, von Liebe.

R Michelangelo Antonioni B Michelangelo Antonioni, Suso Cecchi D’Amico, Alba De Cespedes V Cesare Pavese K Gianni Di Venanzo M Giovanni Fusco A Gianni Polidori S Eraldo Da Roma P Giovanni Addessi D Eleonora Rossi Drago, Valentina Cortese, Yvonne Furneaux, Ettore Manni, Gabriele Ferzetti, Franco Fabrizi | I | 104 min | 1:1,37 | sw | 6. September 1955

# 1189 | 11. Januar 2020

1.9.55

It’s Always Fair Weather (Stanley Donen & Gene Kelly, 1955)

Vorwiegend heiter 

»Most friendship ist feigning / Most loving mere folly.« Das dritte und letzte Teamwork von Stanley Donen und Gene Kelly bringt drei Kriegskameraden zehn Jahre nach ihrer Entlassung aus der Armee noch einmal zusammen. Die Euphorie des Wiedersehens (in einer kleinen New Yorker Bar) weicht unversehens der Ernüchterung: Die für ewig gehaltene Freundschaft scheint erloschen, die Flausen einer bleibenden Verbundenheit wurden vom Wind des Lebens verweht: »Can these be the guys I once thought / I Could never live with out?« Trotz verspielter Choreographien – Kelly steppt mit Rollschuhen / die drei Kumpels tanzen ausgelassen mit Mülleimerdeckeln an den Füßen – und ungeachtet der Beschwingtheit von André Prévins Kompositionen schlägt »It’s Always Fair Weather« für ein Musical erstaunlich bittere, stellenweise sogar zynische Töne an. Comden und Green (die für Donen und Kelly schon »On the Town« und »Singin’ in the Rain« schrieben) thematisieren nicht nur die zerstörerische Wirkung der Zeit, sie schütten auch kübelweise Hohn und Spott über einige mentale Geschwüre des american way of life wie Werbung, Fernsehen und zwanghaften Optimismus. Zu guter Letzt huldigen sie dann (natürlich) doch der alles überwindenden Kraft menschlicher Zuneigung: »Although the years may come between us / We will never feel alone.« PS: Bitter-ironischerweise zerstreiten sich die Co-Regisseure über diesen Film und werden nie wieder zusammenarbeiten.

R Stanley Donen, Gene Kelly B Betty Comden, Adolph Green K Robert Bronner M André Prévin A Cedric Gibbons, Arthur Lonergan S Adrienne Fazan P Arthur Freed D Gene Kelly, Dan Dailey, Michael Kidd, Cyd Charisse, Dolores Gray | USA | 101 min | 1:2,55 | f | 1. September 1955

25.8.55

All That Heaven Allows (Douglas Sirk, 1955)

Was der Himmel erlaubt 

»Things do not change; we change.« Douglas Sirks süffige Technicolor-Romanze löst (gegen allerhand ex- und interne Widerstände) die appetitliche Witwe Cary (Jane Wyman) aus den Fesseln, die sie an die Konventionen ihrer kleinstädtischen, gehoben-mittelklassigen Welt binden, und legt sie dem selbstbestimmten Naturburschen Ron (Rock Hudson) in die fürsorglich-muskulösen Arme … »All That Heaven Allows« zeichnet in starken Farben (Kamera: Milton Krasner) und mit fetten Symbolen (glühendes Herbstlaub, zerdepperte Wedgwood-Kannen, zutrauliches Damwild, spiegelnde Mattscheiben) das Bild einer formierten Gesellschaft, die ihren Mitgliedern das ureigene Glück neidet, ihnen mit bigotter Freude die Chancen auf persönliche Erfüllung vermasselt und die solchermaßen Zurechtgestutzen für den Verlust der inneren Freiheit mit Geld, Cocktailpartys und Fernsehgeräten (»Life's parade at your fingertips.«) entschädigt; das Allerschlimmste aber ist, daß der äußere Zwang schließlich zur inneren Zwangsvorstellung wird, das Unglück dem Einzelnen mithin gar nicht mehr frei Haus geliefert werden muß, sondern artig selbst produziert wird. Sirk indes verwandelt die Tragödie der sozialen Zurichtung in das Drama einer individuellen Bewußtwerdung: Er läßt seine bürgerliche Heldin an der Herausforderung, die ihre unpassende Liebe darstellt, wachsen und erlaubt ihr den Befreiungsschlag, der die ägyptische Grabkammer eines falschen Lebens schließlich in Trümmer fallen läßt.

R Douglas Sirk B Peg Fenwick K Russell Metty M Frank Skinner A Alexander Golitzen, Eric Orborm S Frank Gross P Ross Hunter D Jane Wyman, Rock Hudson, Agnes Moorehead, Conrad Nagel, Virginia Grey | USA | 89 min | 1:1,77 | f | 25. August 1955

11.8.55

Die Mädels vom Immenhof (Wolfgang Schleif, 1955)

»Trippetrab und klippeklapp / So geht’s im Ponytrab.« Sommer in der Holsteinischen Schweiz: Wiesen und Seen, Pferde und Backfische, erste Liebe und andere Sorgen. Dick und Dalli leben mit ihrer erwachsenen Schwester Angela bei Oma Jantzen auf dem Ponygestüt Immenhof. Die Eltern sind schon lange tot, die Mädchen kamen vor Jahren zu Fuß aus dem Osten. Die Familie könnte trotz ihrer Unvollständigkeit eigentlich recht zufrieden sein, wäre da nicht der Kummer ums liebe Geld: Niemand will mehr Ponys kaufen. Über dem Idyll kreist der Kuckuck. Oma weiß sich keinen Rat – hundert Jahre lang ist doch (fast) alles gutgegangen. Nachbar Jochen von Roth, von den Zeiten (auf unbestimmte Art) ebenfalls schwer gebeutelt, steckt seine Energie in den Aufbau einer Vollblutzucht – und rettet nebenbei (nicht ohne private Motivation) auch den Immenhof … Die Erschütterungen der Vergangenheit bleiben erzählerisch genauso namenlos-ungefähr wie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen der Gegenwart. Das Land ist zwar noch gut (≈ unverfälscht) genug, um den zivilisatorisch verkrüppelten Großstadtschnösel Ethelbert zum vollwertigen Menschen zu formen, doch die überkommene Sittlichkeit geht nachgerade koppheister. Die Dinge ändern sich – aber nicht, um die gleichen zu bleiben. Zum Schluß wird der Konkurs des Hofes mit Ach und Krach abgewendet. Allein zu welchem Ende?

R Wolfgang Schleif B Erich Ebermeyer, Peer Baedecker, Wolfgang Schleif, Hansi Kessler V Ursula Bruns K Oskar Schnirch M Norbert Schultze A Karl Weber, Hans Auffenberg S Hermann Ludwig P Gero Wecker D Heidi Brühl, Angelika Meissner, Matthias Fuchs, Margarete Haagen, Paul Klinger | BRD | 92 min | 1:1,37 | f | 11. August 1955

3.8.55

To Catch a Thief (Alfred Hitchcock, 1955)

Über den Dächern von Nizza

»It takes a thief to catch a thief.« Cary Grant als Dieb im Ruhestand, Grace Kelly als Fürstin im Wartestand – ein hübsches Paar. Dazu hochkarätige Juwelen, die illegal den Besitzer wechseln, und, nicht zu vergessen, Jessie Royce Landis als lustige Ölbaronenwitwe, die ihre Zigaretten in Spiegeleiern auszudrücken pflegt. Teure Hotels und pompöse Villen, idyllische Dörfer und üppige Kostümfeste, kurvige Straßen und steile Dächer liefern die Kulissen für die champagnereske Version von Alfred Hitchcocks immer wieder neu gefaßter Erzählung über den unschuldig in Verdacht Geratenen. Ohne großen Nervenkitzel und weitgehend frei von lästigen Überraschungen streicht der Film auf Samtpfötchen an der romantischen Riviera entlang – Kino wie ein schöner Tag am blauen Meer.

R Alfred Hitchcock B John Michael Hayes V David Dodge K Robert Burks M Lyn Murray A Hal Perreira, Joseph McMillan Johnson Ko Edith Head S George Tomasini P Alfred Hitchcock D Cary Grant, Grace Kelly, Jessie Royce Landis, John Williams, Charles Vanel | USA | 106 min | 1:1,85 | f | 3. August 1955

21.7.55

I Am a Camera (Henry Cornelius, 1955)

»I saw him in a café in Berlin, / The kind of place where love affairs begin.« Basierend auf John Van Drutens Theaterstück, das Teile aus Christopher Isherwoods autobiographisch inspiriertem Roman »Goodbye to Berlin« verarbeitet, beschreibt »I Am a Camera« – der Titel zitiert den ersten Satz des Buches – die innig-spannungsvolle Freundschaft zwischen dem zurückhaltend-selbstzweiflerischen Schriftsteller Chris (»Well, I’m sort of working on a general idea.«) und der naiv-übermütigen Bohemienne Sally Bowles (»I was a future film star but in present I’m singing in a night club, at least I was.«) im grauen Berlin des Jahres 1931 (»when the banks close down and the knackwurst is one mark and fifty«). Wirtschaftlicher Niedergang und Aufstieg der Nazis bilden den (unscharf gezeichneten) historischen Hintergrund für eine mehr oder weniger turbulente Beziehungsdramödie, die alleine vom furiosen Spiel der Hauptdarstellerin Julie Harris über atmosphärische Unstimmigkeiten und inszenatorische Schwächen getragen wird. Laurence Harveys pralle Haartolle paßt eher zu einem angry young man der Nachkriegsjahre als zum schüchternen (zudem sexuell desorientierten) Intellektuellen Chris, während Regisseur Henry Cornelius (der Anfang der 1930er selbst in Berlin lebte) erstaunlich wenig geistiges und visuelles Gespür für die Melange aus tiefer Erschütterung und hysterischer Vergnügungssucht zeigt, die das gesellschaftliche Klima der Zeit bestimmte (und die Bob Fosse in »Cabaret«, der Musical-Fassung des Stoffes, so brillant einfangen wird). Auch die gelungenen Momente, etwa eine phantastisch überkandidelte Party-Szene, stimmen weniger froh denn melancholisch, verweisen sie doch vor allem auf die verschenkten Möglichkeiten dieses durchaus ambitionierten Films. »I can’t forget him, I never met him, / I only saw him in a café in Berlin.«

R Henry Cornelius B John Collier V Christopher Isherwood, John Van Druten K Guy Green M Malcolm Arnold A William Kellner S Clive Donner P John Woolf D Julie Harris, Laurence Harvey, Anton Diffring, Shelley Winters, Ron Rendell, Lea Seidl | UK | 98 min | 1:1,37 | sw | 21. Juli 1955

# 910 | 14. September 2014

1.7.55

House of Bamboo (Samuel Fuller, 1955)

Tokio-Story

Japan, 1954: Das Land ist nicht nur militärisch vom ehemaligen Weltkriegsgegner besetzt, auch die Unterwelt wird US-amerikanisch dominiert. Sandy Dawson (Robert Ryan) kontrolliert das Glücksspiel in Tokio und unternimmt mit seinen Spießgesellen einträgliche Raubzüge. Zu einem Neuen, der vorwitzig ins kriminelle Geschäft drängt, faßt Sandy (zu seiner eigenen Irritation) freundschaftliches Zutrauen – doch der draufgängerische Gauner Eddy Spanier (Robert Stack) ist nicht der, der er vorgibt zu sein ... Im Gewand eines straight inszenierten Cinemascope-Action-Thrillers (mit stark romantischer Tönung) vermißt Samuel Fuller (vorwiegend on location) die Spannungsfelder von Ost und West, Vertrauen und Verrat, Schuld und Tugend, Sieg und Niederlage – unübersichtliche Landschaften ohne klargezogene Grenzen. Das Reich der aufgehenden Sonne, vom Fujiyama überragt, verwandelt sich eine Kolonie des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten – Schauplatz des finalen Entscheidungskampfes ist passenderweise der Dachgarten eines Kaufhauses, ein Vergnügungspark hoch über den Dächern der Stadt: Das kugelförmige Karussell, auf dem sich die Widersacher letztmalig begegnen, versinnbildlicht die um sich selbst kreisende Welt des Kapitalismus ebenso wie das immerfort rotierende Rad eines unentrinnbaren Schicksals.

R Samuel Fuller B Harry Kleiner, Samuel Fuller K Joseph MacDonald M Leigh Harline A Lyle R. Wheeler S James B. Clark P Buddy Adler D Robert Ryan, Robert Stack, Shirley Yamaguchi, Cameron Mitchell, Sessue Hayakawa | USA | 102 min | 1:2,35 | f | 1. Juli 1955

# 1038 | 16. Dezember 2016

Perwij eschelon (Michail Kalatosow, 1955)

Die erste Staffel 

Neuland unterm Pflug: Eine Gruppe begeisterter Komsomolzen macht sich auf, die fruchtbare sibirische Steppe zu entjungfern. Unter der Anleitung wohlwollender alter Füchse wachsen die übermütigen jungen Hunde an ihren Aufgaben und an ihrer Verantwortung … Zwei Jahre nach Stalins Tod entstanden, ist Michail Kalatosows »Perwij eschelon« weitgehend den schlichten Aussagen und der dogmatischen Ästhetik des sozialistischen Realismus verpflichtet: Immer wieder versammeln sich die angehenden Helden zu statischen Genrebildern, immer wieder richten sie ihre Blicke hochgestimmt (manchmal auch nachdenklich) in die, von Dmitri Schostakowitsch musikalisch antizipierte, rote Zukunft. Doch da sind diese überraschenden Bilder von Einsamkeit, ja Vergeblichkeit: einzelne Figuren, verloren in grenzenlosen Weiten. Die Herausforderungen scheinen plötzlich nicht zu be­wältigen, jede Anstrengung zum Scheitern verurteilt. Auch das Ende des Films stimmt nicht eben hoffnungsvoll: Die erste Ernte wird durch ein Feuer vernichtet, der Wettbewerb um die Bestleistung eines landwirtschaftlichen Aufbau-Kollektivs geht verloren. Aber wie sagte ein (amerikanischer) Philosoph: »Unser großer Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.«

R Michail Kalatosow B Nikolai Pogodin K Juri Jekeltschik, Sergei Urussewski M Dmitri Schostakowitsch A Michail Bogdanow, Gennadi Mjasnikow S Soja Werjowkina P Mosfilm D Wsewolod Sanajew, Sergei Romodanow, Oleg Efremow, Tatjana Doronina, Isolda Iswitskajka | SU | 114 min | 1:1,37 | f | 1. Juli 1955

28.6.55

Die Ratten (Robert Siodmak, 1955)

Remigrant Robert Siodmak verwandelt Gerhart Hauptmanns naturalistische Tragikomödie nicht ungeschickt in ein bühnenhaft-düsteres Nachkriegsmelodrama um Kinderwunsch, Käuflichkeit und kalte Herzen, das von einem hervorragenden Ensemble souverän über die eine oder andere inhaltliche Unwahrscheinlichkeit hinweggetragen wird: Heidemarie Hatheyer als berechnende Wäschereibesitzerin, Gustav Knuth als kumpelhafter Fuhrunternehmer, Curd Jürgens als verlotterter Tunichtgut, Maria Schell als herumgeschubstes Flüchtlingsmädchen. Die poetisch-realistische Kamera (Göran Strindberg) sowie das Hauptmotiv des Films, eine mit abgelegten Möbeln vollgestopfte Speditionshalle, veranschaulichen recht stimmig die gefühlsmäßige Unbehaustheit der Ära – und ihre traurige Sehnsucht nach Beständigkeit und Nestwärme.

R Robert Siodmak B Jochen Huth V Gerhart Hauptmann K Göran Strindberg M Werner Eisbrenner A Rolf Zehetbauer, Hans-Jürgen Kiebach S Ira Oberberg, Klaus M. Eckstein P Artur Brauner D Maria Schell, Curd Jürgens, Heidemarie Hatheyer, Gustav Knuth, Ilse Steppat | BRD | 97 min | 1:1,37 | sw | 28. Juni 1955

24.6.55

Moonfleet (Fritz Lang, 1955)

Das Schloß im Schatten

»Make your way to Moonfleet.« Ein märchenhafter (Abenteuer-)Film über Gräber und Geister, Unschuld und Niedertracht, Eigennützigkeit und Vertrauen, eine schwarzromantische (Kinder-)Geschichte von Schatzsuche und Einsamkeit, von alten Wunden und noch älteren Geheimnissen, vom falschen Glanz der Oberflächen und vom tiefen Brunnen der Wahrheit. England, 1757: der Waisenknabe John Mohune (Jon Whiteley) kommt in das entlegene Küstendorf Moonfleet, um bei Jeremy Fox (Stewart Granger), dem früheren Verehrer seiner Mutter, Aufnahme zu suchen. Fox, der das marode Anwesen der einstmals reichen Familie Mohune bewohnt, gibt sich alle Mühe, den Ankömmling auf Abstand zu halten, ist er doch keineswegs der Ehrenmann, den der anhängliche John in ihm sehen will, sondern, im Pakt mit einem schurkischen Aristokraten (George Sanders), heimlicher Anführer einer Schmugglerbande. Fritz Lang schickt seinen halbwüchsigen Protagonisten auf eine Initiationsreise durch düstere (Studio-)Landschaften, vorbei an toten Bäumen, glotzenden Statuen, justament Gehenkten, in brausende Stürme, konspirative Stuben, unheimliche Gewölbe. Am Ende des gefahrvollen Weges findet der innige Wunsch des Jungen nach ersatzväterlicher Freundschaft so etwas wie späte Erfüllung, wenn auch die ersehnte Gemeinschaft nur im Moment des unwiderruflichen Abschieds Wirklichkeit werden kann. »The exercise was beneficial.«

R Fritz Lang B Jan Lustig, Margaret Fitts V John Meade Falkner K Robert Planck M Miklós Rózsa A Cedric Gibbons, Hans Peters S Albert Akst P John Houseman D Jon Whiteley, Stewart Granger, George Sanders, Joan Greenwood, Viveca Lindfors | USA | 87 min | 1:2,35 | f | 24. Juni 1955

# 1140 | 3. Januar 2019

7.6.55

The Cobweb (Vincente Minnelli, 1955)

Die Verlorenen

Die Welt ist nicht nur eine Bühne, die Welt ist auch ein Irrenhaus. »The Cobweb«, Vincente Minnellis knallige tragicomedy of manners, spielt in einer Privatklinik für gehobene Verrückte, wo die Ärzte kaum von den Patienten zu unterscheiden sind. Scharf akzentuiert von Leonard Rosenmans dissonant-hysterischem Score, entwickelt sich aus einer Lappalie – einem Zwist über die Ausstattung des Salons mit neuen Vorhängen – peu à peu eine Krise der Beziehungen und Identitäten, die das empfindliche Gleichgewicht des menschlichen Miteinanders völlig aus den Fugen geraten läßt. Masken zerbrechen, beschädigte Seelen kommen zum Vorschein: Der helfersyndromatische Chefarzt (Richard Widmark) flüchtet vor seiner ihm entfremdeten Frau (Gloria Grahame) in besessene Arbeit, während sie, so quirlig wie einsam, ihr Heil in blindem (und beinahe todbringendem) Aktionismus sucht; die altgediente Verwaltungsleiterin (Lilian Gish) überspielt ihre Unsicherheit durch diktatorische Fürsorge; der kultivierte Ex-Klinikdirektor (Charles Boyer) versucht, seine latente Altersdepression mit Alkohol und Seitensprüngen zu kurieren. In diesem Grand Hotel der Neurosen haben die »Kranken« (unter ihnen Susan Strasberg, John Kerr und Oscar Levant) den »Gesunden« immerhin das Bewußtsein ihrer inneren Zwangslage voraus.

R Vincente Minnelli B John Paxton V William Gibson K George Folsey M Leonard Rosenman A Preston Ames, Cedric Gibbons S Harold F. Kress P John Houseman D Richard Widmark, Lauren Bacall, Gloria Grahame, Lilian Gish, Charles Boyer | USA | 134 min | 1:2,35 | f | 7. Juni 1955

1.6.55

The Seven Year Itch (Billy Wilder, 1955)

Das verflixte 7. Jahr

»What blond in the kitchen?« – »Oh, wouldn’t you like to know! Maybe it’s Marilyn Monroe!« Was macht der typische New Yorker im Hochsommer, wenn er Frau und Kind in den Urlaub nach Maine geschickt hat? Er versucht – bei brütender Hitze –, das girl next door flach­zulegen. Richard Sherman, Verlagslektor für Groschenromane (»I'm the most married man you'll ever know.« – Tom Ewell), und die namenlose Turboblondine, die im Fernsehen Wer­bung für Zahnpasta macht (»I keep my undies in the icebox!« – Marilyn Monroe), bilden das (verhinderte) Traumpaar in Billy Wilders mäßig prickelnder Verführungs-, Ehebruchs- und Sexkomödie, die, wie es sich für ein Hollywood-Erzeugnis in Zeiten des Production Code versteht, auf freien Umgang mit den Themen Verführung, Ehebruch und Sex weitgehend zu verzichten hat. So verlegt Wilder notgedrungen all das, was nicht passieren darf, in die bunte (gleichwohl recht gehemmte) Phantasiewelt des brünstigen Protagonisten (»Lately you’ve begun to imagine in CinemaScope ... with stereophonic sound.«) – dabei gelingt es ihm im­merhin, die Figur des begehrten Mädchens mit der Starpersona der prominenten Darstellerin so konsequent zur Deckung zu bringen, daß beide gleichermaßen als wunschbildhafte Pro­jektion erscheinen, die dem unterdrückten Verlangen des Durchschnittsmannes in mittleren Jahren entspringt.

R Billy Wilder B Billy Wilder, George Axelrod V George Axelrod K Milton Krasner M Alfred Newman, Sergei Rachmaninow A Lyle Wheeler, George W. Davis S Hugh S. Fowler P Billy Wilder, Charles K. Feldman D Marily Monroe, Tom Ewell, Evelyn Keyes, Sonny Tufts, Oscar Homolka | USA | 105 min | 1:2,35 | f | 1. Juni 1955

18.5.55

Kiss Me Deadly (Robert Aldrich, 1955)

Rattennest

»Don’t open the box!« Robert Aldrichs ins Surreale kippende farce noire um Sado-Detektiv Mike Hammer (Ralph Meeker) führt direkt ins Herz der Finsternis, die in diesem Fall ein stechender Lichtblitz ist. Ein halbes Dutzend schräger Vögel versucht, ein unbenanntes (nur bedrohlich umschriebenes: »Manhattan Project, Los Alamos, Trinity«) Geheimnis zu ergründen, ein anderes halbes Dutzend müht sich, es unter dem Deckel zu halten. Dabei hat irgendjemand die verhängnisvolle Box schon lange vor »Kiss Me Deadly« geöffnet: »Va-va-voom!«

R Robert Aldrich B A. I. Bezzerides V Mickey Spillane K Ernest Laszlo M Frank De Vol A William Glasgow S Michael Luciano P Robert Aldrich D Ralph Meeker, Albert Dekker, Paul Stewart, Wesley Addy, Cloris Leachman | USA | 104 min | 1:1,66 | sw | 18. Mai 1955

5.5.55

A Kid for Two Farthings (Carol Reed, 1955)

Voller Wunder ist das Leben

Sentimental-schrullige Fabel aus dem Londoner East End: In der betriebsamen Welt von Trödlern, Händlern und jüdischen Schneidern, wo ein jeder viel zu ersehnen und wenig zu hoffen hat, kauft der träumerische Knirps Joe ein verwachsenes, mageres Zicklein, in dem er das wundertätige Einhorn aus den Erzählungen des jüdischen Hosennähers Kandinsky zu erkennen glaubt. Die episodische Handlung dreht sich um die (mal gelingende, mal mißglückende) Erfüllung der diversen Wünsche in der Nachbarschaft: der Catcher-Sieg gegen die tumbe Kampfmaschine ›Python‹ für den bodybuildenden Schneidergesellen Sam; der Verlobungsring für das platinblonde Nähmädchen Sonia (Diana Dors); eine Dampfbügelmaschine für Kandinsky – und für Joe und seine liebevoll-wehmütige Mutter (Celia Johnson) die Rückkehr des schmerzlich vermißten Vaters aus Afrika. Carol Reed findet für seine Erzählung zwischen märchenhafter Überhöhung und fatalistischem Realismus keinen rechten Rhythmus, aber die knapp skizzierten Typen gewinnen persönliches Profil, und die Kamera (Edward Scaife) fängt das triste Nachkriegsgrau, -braun und -beige in stimmungsvollen Technicolor-Bildern ein.

R Carol Reed B Wolf Mankowitz V Wolf Mankowitz K Edward Scaife M Benjamin Frankel A Wilfred Shingleton S Bert Bates P Carol Reed D Celia Johnson, Diana Dors, David Kossoff, Jonathan Ashmore, Brenda De Banzie | UK | 96 min | 1:1,37 | f | 5. Mai 1955

4.5.55

Daddy Long Legs (Jean Negulesco, 1955)

Daddy Langbein 

»When an irresistible force such as you / Meets an old immovable object like me …« Der millionenschwere amerikanische Lebemann Jervis Pendleton III (Fred Astaire) finanziert anonym einem erblühenden französischen Waisenmädchen, das sein Herz rührte (Leslie Caron), Erziehung und Studium an einem idyllischen Neuengland-College. Das gute Kind schwärmt von ihrem unbekannten Gönner, der nur einmal als langbeiniger Schatten an ihr vorbeihuschte, während sich der Mäzen zunächst gar nicht weiter für seine Schutzbefohlene zu interessieren scheint. Nach allerhand betulichen Verwicklungen werden der alte Hirsch und das junge Reh von der klappernden Mechanik der Dramaturgie – die dazu unter anderem eine gute Fee in Gestalt von Pendeltons sympathisch-sentimentaler Sekretärin (Thelma Ritter) bemüht – fürs Leben zusammengenietet. Willkommene Ablenkung vom recht absehbaren Verlauf der antiquarischen Romanze verschaffen die klassischen Songs von Johnny Mercer (»Something’s Gotta Give«) und Roland Petits federleichte Choreographien in quietschbunt-leuchtenden, pappig-stilisierten Traumkulissen: »Things never are as bad as they seem / So dream, dream, dream.«

R Jean Negulesco B Phoebe Ephron, Henry Ephron V Jean Webster K Joseph MacDonald M Johnny Mercder, Alex North A John DeCuir, Lyle Wheeler S William Reynolds P Samuel J. Engel D Fred Astaire, Leslie Caron, Fred Clark, Thelma Ritter, Terry Moore | USA | 126 min | 1:2,35 | f | 4. Mai 1955

13.4.55

Du rififi chez les hommes (Jules Dassin, 1955)

Rififi

Ein Film über eine Gruppe von Profis (unter ihnen der scharf geschnittene Jean Servais und der kompakte Carl Möhner), die einen spektakulären Juwelenraub planen und durchführen. Ein Film von einer Gruppe von Profis: Jules Dassin (Regie), Auguste Le Breton (Buch), Philippe Agostini (Kamera), Alexandre Trauner (Bauten), Georges Auric (Musik) – allesamt Meister ihres Fachs. Ein Film über das graue Paris der Nachkriegsjahre, durch dessen Straßen die Gespenster des Existenzialismus streifen. Ein Film über das Verbrechen als Handwerk, über den Verrat, über die Vergeblichkeit. Ein Film über das Bild des Gangsters im Film. Vor allem aber ein Film über die Freundschaft – so wie Jean-Pierre Melville sie verstanden hat. Zitat: »Was ist Freundschaft? Nachts einen Freund anrufen, um ihm zu sagen: ›Sei so freundlich, nimm deinen Revolver und komm sofort!‹ und von ihm die Antwort zu hören: ›Gut, ich komme.‹«

R Jules Dassin B Auguste Le Breton, Jules Dassin V Auguste Le Breton K Philippe Agostini M Georges Auric A Alexandre Trauner S Roger Dwyre P René Bezard, Henri Bérard, Pierre Cabaud D Jean Servais, Carl Möhner, Robert Manuel, Jules Dassin, Magali Noël | F | 122 min | 1:1,37 | sw | 13. April 1955

7.4.55

Razzia sur la chnouf (Henri Decoin, 1955)

Razzia in Paris

Liski, Chef des Pariser Drogenkartells (Marcel Dalio), heuert den aus amerikanischem Exil heimkehrenden Henri ›le Nantais‹ (Jean Gabin) an, um seinen Laden auf Vordermann bringen zu lassen. Getarnt als Besitzer einer boîte de nuit à la mode sowie attachiert (und überwacht) von ›le Catalan‹ und Bibi (Lino Ventura und Albert Rémy als kriminelle Ausputzer und genießerische Gelegenheitskiller), verschafft Henri sich (und damit dem Publikum) ein genaues Bild der Produktions- und Vertriebsbedingungen des Syndikats. Mit kühl registrierendem Blick – ohne tiefere Anteilnahme, aber auch (fast) ohne kleinkarierte Ressentiments – beschreibt Henri Decoins »Razzia sur la chnouf« die Landschaften der Sucht als (weltflüchtiges) Jenseits im (nur scheinbar wohlgeordneten) Diesseits: Die filmische Reise führt durch Laboratorien in biederen Vorstadthäusern und vornehme Opiumhöhlen, durch illegale Spielclubs und marihuanaumnebelte Jazzkeller, zu schmuggelnden Eisenbahnern und schwulen Zwischenhändlern, zu koksdealenden Zigarettenfräuleins und heroinschnupfenden (ehemaligen) Damen der Gesellschaft. Was der bis zur Versteinerung einsilbige Gabin mit dem Handel von »chnouf« (= Stoff in jeder Form: Gras, Schnee, H) wirklich zu schaffen hat, fragt sich nicht nur seine kleine Freundin Lisette (zuckersüß: Magali Noël) – auch dem aufmerksamen Zuschauer bieten sich Hinweise darauf, daß der unnahbare Henri sein eigenes (ehrliches) Süppchen kocht.

R Henri Decoin B Henri Decoin, Maurice Griffe, Auguste Le Breton V Auguste Le Breton K Pierre Montazel M Marc Lejean A Raymon Gabutti S Denise Reiss P Paul Wagner, Alain Poiré, Louis Dubois D Jean Gabin, Marcel Dalio, Lino Ventura, Albert Rémy, Lila Kedrova | F | 105 min | 1:1,37 | sw | 7. April 1955

15.3.55

Mr. Arkadin (Orson Welles, 1955)

Herr Satan persönlich!
 
»Why’d you grow that awful beard?« – »To scare people with.« Gregory Arkadin (Orson Welles in genialer Bösewicht-Maske), mysteriös, omnipotent, irrsinnig reich, eine rabelaische Gestalt zwischen Sir Basil Zaharoff und König Faruk, ein Mythos des 20. Jahrhunderts, schickt einen allzu gewitzten jungen Mann auf die Suche nach der verlorenen Zeit: Guy van Stratten (hölzern: Robert Arden) soll gewisse Erinnerungslücken im Kopf des Magnaten mit biographischen Recherchen auffüllen, um das große Geheimnis seines sagenhaften Lebens zu lüften. Die Wahrheit, die schließlich ans Licht befördert wird, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Unheil, das ihre sukzessive Enthüllung anrichtet ... Welles’ kolportagehaft zusammengstückter Stationenthriller – eine absurde Hetzjagd durch die Ruinen des Weltbürgerkrieges der Ideologien und Interessen, eine turbulente Passage durch Freudenhäuser, Schaubuden, Trödelläden und (Alp-)Traumschlösser, eine plakative Studie modernen Glücksrittertums – atmet die Atmosphäre zerstörter Städte und verlorener Illusionen, gleicht einem Tanz auf den Trümmern einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. In zwielichtig schillernden erzählerischen Splittern reflektiert »Mr. Arkadin«, eine grelle Pulp-Version von »Citizen Kane«, die existenzielle Desolatesse seiner Zeit recht eindrücklich. 

R Orson Welles B Orson Welles K Jean Bourgoin M Paul Misraki A Orson Welles S Renzo Lucidi P Louis Dolivet, Orson Welles D Orson Welles, Robert Arden, Paola Mori, Michael Redgrave, Akim Tamiroff | F & E & CH | 95 min | 1:1,37 | sw | 15. März 1955

27.2.55

Murder is My Beat (Edgar G. Ulmer, 1955)

Mord ist mein Geschäft

»The only way I can wake up from this nightmare is to go to sleep.« Ein Cop (sentimental deadpan: Paul Langton) verknallt sich in eine verurteilte Mörderin (cheap bombshell: Barbara Payton), flüchtet mit ihr, um ihre Unschuld zu beweisen: »When a man begins to doubt what he represents is right, must be right, he’s coming apart at the seams.« Ein Mann im Irrgarten von Gewißheit und Zweifel, von Lüge und Wahrheit; die Frau, die er liebt, heißt Eden Lane: ein lockendes Versprechen, ein Kindertraum vom Weg (zurück) zur Reinheit. Edgar G. Ulmer erzählt seinen romantischen Thriller mit deutlichen Noir-Anklängen: Rückblende und Off-Kommentar, Identitätsdiffusion und Doppelspiel. Fast die ganze trübe Geschichte spielt zwischen flach beleuchteten Pappwänden, die mal ein Büro, mal eine Bar, mal ein Motelzimmer, mal eine Kirche repräsentieren. Gelegentlich läuft Ulmer (im Rahmen der budgetbegrenzten Möglichkeiten) zu gestalterischer Hochform auf, etwa wenn der Polizist die Spur der gesuchten Verbrecherin durch dichtes Schneetreiben verfolgt, oder wenn das Stampfen eines Zuges, das aufgeregte Tuten der Lokomotive, das Hin und Her der Pleuelstangen, das Dampfschnauben des Schornsteins die brodelnden Emotionen des verunsicherten Helden veranschaulicht. Ein plakatives happy ending wischt das Schwarz des irdischen Jammertals beiseite und eröffnet die Aussicht auf eine Hochzeit in Weiß, auf die Heimkehr ins Paradies.

R Edgar G. Ulmer B Aubrey Wisberg, Martin Field K Harold E. Wellman M Albert Glasser A James Sullivan S Fred R. Feitshans Jr. P Aubrey Wisberg D Paul Langton, Barbara Payton, Robert Shayne, Tracey Roberts, Roy Gordon | USA | 77 min | 1:1,37 | sw | 27. Februar 1955

# 782 | 15. Oktober 2013 

23.2.55

Des Teufels General (Helmut Käutner, 1955)

»Wer auf Erden des Teufels General war, muß ihm auch Quartier in der Hölle machen.« Nazi-Noir in Uniform: Curd Jürgens als polternder Luftwaffen-General Harras, Verantwortlicher für Entwicklung und Produktion von großdeutschen Kampfflugzeugen, der den verachteten Vertretern der Herrenrasse mit respektlosen Herrenwitzen Paroli zu bieten versucht: »Prost mit'm leeren Glas. Der Führer ist Abstinenzler.« Erst als Harras, nach zahlreichen Unglücksfällen und noch zahlreicheren Unbotmäßigkeiten, zu Abschreckungszwecken verhaftet und einer »psychologischen Behandlung« unterzogen wird, erkennt der alte Flieger die wirkliche Lage der Dinge … Jürgens verleiht dieser hochgradig ambivalenten, zwischen lukullischer Machtlust und sentimentaler Lebensfreude, soldatischer Überheblichkeit und verspäteter Erkenntnis pendelnden Figur (stellenweise übertrieben) saftig-kräftiges Leinwandleben. Die von Helmut Käutner zelebrierte grell-dunkle (Kriegs-)Stimmung – mani­scher Frohsinn, verzweifelter Idealismus, resignierte Romantik, lauernde Angst – überzeugt ebenso wie die süffisante Besetzung des schwarzledernen SS-Schurken Schmidt-Lausitz mit Viktor de Kowa, einem Sonnyboy der Ufa-Films und gelegentlichem Propagandaregisseur von Goebbels’ Gnaden; weniger treffend wirken hingegen einige kokette visuelle Chiffren (Görings dicker Schatten, Himmlers Zwicker) sowie Carl Zuckmayers (drehbuchmäßig entschärfte) Sabotage-Story um den widerständlerischen Konstrukteur Oderberg (Karl John): Gerade die sogenannten unpolitischen Techniker waren (und sind) es ja, die sich zumeist als kritiklos ergebene Helfer der Mächtigen erweisen.

R
 Helmut Käutner B Helmut Käutner, Georg Hurdalek V Carl Zuckmayer K Albert Benitz A Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker S Klaus Dudenhöfer P Walter Koppel D Curd Jürgens, Viktor de Kowa, Karl John, Eva-Ingeborg Scholz, Marianne Koch | BRD | 120 min | 1:1,37 | sw | 23. Februar 1955

13.2.55

The Big Combo (Joseph H. Lewis, 1955)

Geheimring 99

»Hate! Hate is the word.« Lieutenant Diamond (»a righteous man«: Cornel Wilde) setzt alles daran, den berüchtigten Gangsterboß Mr. Brown (»a ›very reasonable‹ man«: Richard Conte) zu Fall zu bringen. Trotz des Einsatzes beträchtlicher finanzieller Mittel und regelmäßiger umfangreicher Razzien bleiben seine Bemühungen erfolglos: Dem selbstüberzeugt-rücksichtslosen Schurken (»First is first, and second is nobody.«), der stets ein infames Grinsen zur Schau trägt, ist mit herkömmlicher Polizeiarbeit nicht beizukommen. Diamond nimmt Browns blonde Geliebte Susan Lowell (»a wayward girl«: Jean Wallace), der er selbst mit Haut und Haaren verfallen ist, ins Visier, um auf diesem Wege justiziable Informationen zu gewinnen ... Joseph H. Lewis entwickelt aus der brisanten Dreieckskonstallation ein finsteres Melodram, in dem alles (zumeist gewalttätige) Handeln triebgesteuert, zwanghaft, alternativlos erscheint: »I live in a maze, Mr. Diamond«, bekennt Susan, »a strange, blind and backward maze, and all the little twisting paths lead back to Mr. Brown.« Plastisch gezeichnete Nebenfiguren (ein entthronter Bandenchef, der seinem Nachfolger Handlangerdienste leisten muß; zwei Killer, die einander in liebevoller Freundschaft verbunden sind; eine abgelegte Ehefrau, die sich aus Angst in den Wahnsinn flüchtet), dazu David Raksins jazzig-urbaner Score und Philip Yordans pointierte Hard-boiled-Dialoge, vor allem aber John Altons virtuose Schwarzweißkamera, die in extrem reduzierten Szenerien mittels harter Schlaglichter und tiefer Schatten, scharfer Konturen und diffuser Nebelschleier einen (beinahe) unentrinnbaren Gefühls-und Großstadtdschungel erschafft, heben »The Big Combo« in den Rang eines schwarzen Meisterwerks.

R Joseph H. Lewis B Philip Yordan K John Alton M David Raksin A Rudi Feld S Robert Eisen P Sidney Harmon D Cornel Wilde, Richard Conte, Brian Donlevy, Jean Wallace, Lee van Cleef | USA | 88 min | 1:1,85 | sw | 13. Februar 1955

# 1084 | 5. Dezember 2017

29.1.55

Les diaboliques (Henri-Georges Clouzot, 1955)

Die Teuflischen

Die kalte, klaustrophobische Hölle, in der Henri-Georges Clouzot »Les diaboliques« ansiedelt, ist eine Privatschule in der Pariser Banlieue, ein verfluchter, grauer Kasten, wo ewiger November herrscht, wo den Zöglingen der stinkende Fisch von gestern serviert wird. Direktor Delassalle (Paul Meurisse) ist ein Sadist, der seine herzkranke Frau (Véra Clouzot) und seine aparte Geliebte (Simone Signoret) gleichermaßen lustvoll quält – bis die Frauen beschließen, das Scheusal zu töten: Delassalle wird sediert und sodann ersäuft wie eine Katze – doch wie eine Katze hat auch er mehr Leben als eins ... Der Horror des Films liegt weniger in Schock- oder Gruseleffekten, als vielmehr in der völligen Abwesenheit von Nächstenliebe sowie in der bodenlosen moralischen Schäbigkeit, von denen die beschriebene kleine, enge Welt (die wohl als Metapher der großen, weiten verstanden werden darf) beherrscht wird. Mit einem vorangestellten Motto beansprucht Clouzot für die schwarze Erzählung (nach einen Roman von Boileau und Narcejac) eine kathartische Wirkung, aber letztlich lassen seine boshafte Freude an genüßlich ausgebreiteten Gemeinheiten und sein diebische Vergnügen am kinematographischen Hakenschlagen das ethische Erkenntnisinteresse in den Hintergrund treten. Neben der zentralen Dreierkonstellation spielen Michel Serrault und Pierre Larquey (als armselige Schulmeister) sowie Charles Vanel (als insistierender Bulle im Ruhestand) prägnante Nebenrollen; Armand Thirard kleidet die Verkommenheit in vollkommene Bilder.

R Henri-Georges Clouzot B Henri-Georges Clouzot, Jérôme Géronimi V Pierre Boileau, Thomas Narcejac K Armand Thirard M Georges Van Parys A Léon Barsacq S Madeleine Gug P Henri-Georges Clouzot D Simone Signoret, Véra Clouzot, Paul Meurisse, Charles Vanel, Noël Roquevert | F | 114 min | 1:1,37 | sw | 29. Januar 1955

28.1.55

Ludwig II. – Glanz und Ende eines Königs (Helmut Käutner, 1955)


Fantastische Schlösser unter weißblauem Himmel, goldene Interieurs und samtrote Rosen: ein Technicolor-Märchen über einen Märchen-König. Ludwig (O. W. Fischer), impulsiv und voller Zuversicht, ein verspäteter absoluter Monarch, ein radikaler Romantiker, der in Bayern ein Reich der Musen errichten will, zerbricht an der schnöden Tagespolitik, die ihm einen Krieg abverlangt, wenn er ein Festspielhaus für Richard Wagner (Paul Bildt) plant, hadert mit Beamtenseelen, die ihn in einen Finanzrahmen pressen, wenn er die Ewigkeit der Kunst in den Blick nimmt. Oder verzweifelt Ludwig, weil er den einzigen Menschen, den er liebt, seine Cousine, die österreichische Kaiserin Elisabeth (Ruth Leuwerik), nicht haben kann? Vielleicht aber begehrt er dieses Wesen – so alleine, so unglücklich, wie er selbst – gerade deswegen so abgöttisch, da es als Objekt des Verlangens nie und nimmer in Frage kommt. Die Einsamkeit entpuppt sich als Ludwigs Schicksal, eine glanzvolle, eine elende Einsamkeit, in der es ihm, fernab von den Sachzwängen einer Zeit der militärischen Kraftmeierei und der Versachlichung aller Werte, bestimmt ist, das Gesamtkunstwerk eines jenseitigen Glücks, einer zweckfreien Schönheit zu träumen und, glorreich-traurig, zu leben … Helmut Käutner inszeniert eine farbenprächtige biographische Legende, eine opulente historische Fiktion, ein majestätisches Melodram der (Ohn-)Macht; Hein Heckroth, der schon fulminante Kinovisionen für Powell und Pressburger baute, gestaltet adäquate filmische Räume für eine Figur, die beinahe panisch in die Größe flieht, die ein ewiges Rätsel bleiben will – sich selbst und allen anderen.

R Helmut Käutner B Georg Hurdalek V Kadidja Wedekind K Douglas Slocombe M Richard Wagner A Hein Heckroth S Anneliese Schönnenbeck P Conrad von Molo, Wolfgang Reinhardt D O. W. Fischer, Ruth Leuwerik, Marianne Koch, Paul Bildt, Klaus Kinski, Robert Meyn | BRD | 114 min | 1:1,37 | f | 28. Januar 1955

# 870 | 29. Mai 2014

26.1.55

Pokolenie (Andrzej Wajda, 1955)

Eine Generation

Während Andrzej Wajda im volksdemokratischen Nachkriegspolen seinen Erstling dreht, liegt der ›Vater der Völker‹ gerade mal ein Jahr neben Lenin im Mausoleum auf dem Roten Platz – und so wehen denn durch »Pokolenie« noch dicke Schwaden stalinistischen Gesinnungsdampfes. Die Geschichte des hitzköpfigen Lumpenproletariers Stach aus den Slums von Warschau, der im Widerstand gegen die deutschen Besatzer zum vorbildlichen Kommunisten reift, wird mit viel heroischer Untersicht und schimmernden Glanzlichtern in den Augen erzählt. Alte Arbeiter dozieren über den Mann mit dem weißen Bart, der das Gesetz des Mehrwerts erkannt hat, und wenn ein Gerechter fällt, stehen fünf andere für ihn auf. Daß dieser Film aus der Polnischen (Vor-)Schule trotz gestanzter Charaktere und genormter Handlung über weite Strecken fesselt, verdankt er neben Wajdas inszenatorischer Prägnanz und den ruinösen Settings (die teils von der Wirklichkeit, teils vom Ausstatter Roman Mann geschaffen wurden) nicht zuletzt der Darstellungskraft von Tadeusz Łomnicki, der die zentrale Heldenfigur immer wieder zu brechen vermag und ihr mit seinem naiven Grinsen, seinen pubertären Posen, seiner jugendlichen Impulsivität etwas zutiefst Menschliches und Anrührendes verleiht.

R Andrzej Wajda B Bohdan Czesko V Bohdan Czesko K Jerzy Lipmann M Andrzej Markowski A Roman Mann S Czesław Raniszewski P Ignacy Taub D Tadeusz Łomnicki, Urszula Modrzyńska, Tadeusz Janczar, Janusz Paluszkiewicz, Roman Polański | PL | 83 min | 1:1,37 | sw | 26. Januar 1955

7.1.55

Bad Day at Black Rock (John Sturges, 1955)

Stadt in Angst

Moderner, sonnenheller Noir-Western in unwirtlichem CinemaScope und staubigem Eastmancolor: Spen­cer Tracy (als wortkarger einarmiger Kriegsveteran) kommt in eine gottverlassenes Kaff, wo die Züge seit Jahren nicht mehr nicht halten. Eigentlich will er nur die Tapferkeitsmedaille eines toten Kameraden an dessen Familie übergeben, aber der ungebetene Besuch des alten Mannes weckt schlafende Hunde (Robert Ryan, Lee Marvin, Ernest Borgnine), die schließlich im Rudel über den Fremden herfallen. Das Lüften ihres schmutzigen Geheimnisses können sie dennoch nicht verhindern – »denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werde.« Ein ranker, schlanker Wüstenthriller vom zuverlässigen John Sturges.

R John Sturges B Millard Kaufman, Don McGuire K William C. Mellor M André Previn A Malcolm Brown, Cedric Gibbons S Newell P. Kimlin P Dore Schary D Spencer Tracy, Robert Ryan, Anne Francis, Lee Marvin, Ernest Borgnine | USA | 81 min | 1:2,35 | f | 7. Januar 1955