29.12.47

Secret Beyond the Door (Fritz Lang, 1947)

Geheimnis hinter der Tür

Schwarzes Märchen, psychoanalytisches Melodram, romantischer Thriller … In Mexico begegnet die verwöhnte Erbin Celia (Joan Bennett) dem charmanten Mark (Michael Redgrave). Auf eine leidenschaftlichen Affäre folgt die überstürzte Hochzeit. Schon bald nach der Trauung erweist sich der attraktive Architekt jedoch als launisch-neurotischer Sonderling: Er sammelt Räume, in denen Männer ihre Frauen umbrachten … Fritz Lang schickt seine Protagonistin auf eine Expedition ins Unbewußte, das sich als unheimliches Haus manifestiert, als verwinkelter Bau, bevölkert von Gespenstern der Vergangenheit, mit verbotenem Zimmer und einem schrecklichen Geheimnis hinter Tür Nr. 7. Anders als Alfred Hitchcock in »Spellbound« inszeniert Lang keine fantastischen Traumsequenzen, er gestaltet den ganzen Film als bizarre Traumfantasie. Auch wenn die psychologischen Theorien simpel-mechanisch begriffen werden, gerät die moderne Blaubart-Paraphrase vor allem Dank der überkandidelten Spannungsmusik von Miklós Rózsa und der expressiv-irrealen Bildgestaltung von Stanley Cortez zur abenteuerlichen Erkundung dunkler Seelenräume.

R Fritz Lang B Silvia Richards, Rufus King K Stanley Cortez M Miklós Rózsa A Max Parker S Arthur Hilton P Fritz Lang D Joan Bennett, Michael Redgrave, Ann Revere, Barbara O’Neil, Natalie Schafer | USA | 99 min | 1:1,37 | sw | 29. Dezember 1947

The Paradine Case (Alfred Hitchcock, 1947)

Der Fall Paradin

Der Londoner Anwalt Anthony Keane (gipsern: Gregory Peck), verheiratet mit einer gefügigen Blondine (wächsern: Ann Todd), verfällt mit Haut und Perücke einer fatalen Brünetten, deren Verteidigung in einem Mordfall er übernimmt. Ob Maddalena Paradine (stählern: Alida Valli) ihren blinden Gatten durch Beimischung von Gift in ein abendliches Glas Burgunder um die Ecke gebracht hat, oder ob dessen ergebener Bursche (marmorn: Louis Jourdan) seinem Herrn beim Suizid zur Hand ging, oder ob es vielleicht ganz anders war, machen Autorenproduzent David O. Selznick und sein ausführender Regisseur Alfred Hitchcock zum Untersuchungsgegenstand einer zähen Gerichtsverhandlung; als einzig unterhaltsames Moment erweist sich dabei der misanthropische Sarkasmus des Vorsitzenden Lord Horfield (steinern: Charles Laughton), der Strafe für einen wesentlichen Faktor unserer Weltordnung hält. »Doesn’t life punish us enough?« fragt die etwas tüdelige Ehefrau des Richters ihren strengen Mann nach dem Ende des Prozesses, und es scheint, als hätte sie mit ihrer Überlegung auch die Zuschauer dieses (delikat fotografierten, großzügig ausgestatteten und haltlos geschwätzigen) Justizfilmes im Sinn, der weder als Thriller noch als Melodram und ebensowenig als Traktat über Schuld und Sühne überzeugt.

R Alfred Hitchcock B David O. Selznick, Alma Reville V Robert Hichens K Lee Garmes M Franz Waxman A J. McMillan Johnson Ko Travis Banton S John Faure P David O. Selznick D Gregory Peck, Alida Valli, Ann Todd, Charles Laughton, Louis Jourdan, Charles Coburn | USA | 125 min | 1:1,37 | sw | 29. Dezember 1947

# 1039 | 20. Dezember 2016

24.12.47

The Lady from Shanghai (Orson Welles, 1947)

Die Lady von Shanghai

»Everybody is somebody’s fool.« Der in New York gestrandete irische Matrose Mike O'Hara (Orson Welles) gerät in die Fänge der geheimnisvollen Elsa Bannister (Rita Hayworth – platinerblondet), die den schnell entflammten Seemann zur Mitfahrt auf der Luxusyacht ›Circe‹ (!) ihres Gatten, eines brillanten aber gehbehinderten Strafverteidigers (Everett Sloane), anheuert und langsam aber sicher in eine (reichlich komplizierte) Mordintrige verwickelt. »Either me or the rest of the whole world is absolutely insane«, muß Mike, der sich irrigerweise für frei und unabhängig hielt, unterwegs feststellen. Welles’ befremdliche, teilweise an Originalschauplätzen gedrehte Noir-Odyssee, ein Zwischending aus surrealem Reisebericht und schriller Justizgroteske, Metamelodram um Liebe und Lüge und Schauermärchen von Haien und Menschen, führt von der amerikanischen Ostküste durch die Karibik über Acapulco nach San Francisco, wo sich die Protagonisten im Spiegelkabinett eines chinesischen Vergnügungsparks zur Sch(l)ußabrechung treffen. Die caligareske Szene – furioser Höhepunkt einer Folge visueller Kapriolen (weitwinkelverzerrte Großaufnahmen, schräge Perspektiven, immer wieder angereichert mit Glamourportraits der fatalen Titelheldin) – schleudert den verliebten Narren, aller Illusionen beraubt, in eine zerborstene Wirklichkeit: »Maybe I’ll live so long that I’ll forget her. Maybe I’ll die trying.«

R Orson Welles B Orson Welles V Sherwood King K Charles Lawton Jr., Rudolph Maté M Heinz Roemheld A Stephen Goosson, Sturges Carne S Viola Lawrence P Orson Welles D Rita Hayworth, Orson Welles, Everett Sloane, Glenn Anders, Erskine Sanford | USA | 87 min | 1:1,37 | sw | 24. Dezember 1947

# 1139 | 22. Dezember 2018

19.12.47

Les jeux sont faits (Jean Delannoy, 1947)

Das Spiel ist aus

»Nous sommes seuls au monde. Il FAUT nous aimer. C’est notre seule chance.« Eine feine Dame (Micheline Presle) wird von ihrem habsüchtigen Gatten vergiftet. Ein revolutionärer Arbeiter (Marcello Pagliero) stirbt durch die Kugel eines Verräters. Im Jenseits (das von einer nicht unsympathischen älteren Amtsträgerin beaufsichtigt wird und aussieht wie das Diesseits, abgesehen davon, daß sich neben den Lebenden auch die Toten dort tummeln) treffen die beiden Hingeschiedenen aufeinander und verlieben sich – man könnte beinahe sagen: unsterblich – ineinander. Aufgrund einer bürokratischen Ausnahmeregelung erhalten sie die Gelegenheit, für 24 Stunden in ihre irdischen Existenzen zurückzukehren, um die Kraft ihrer Liebe zu beweisen und so das Leben wiederzugewinnen … Jean Delannoys kühle Verfilmung eines Drehbuchs von Jean-Paul Sartre verschmilzt mondänes Salonstück, neoveristische Zitate, leise gesellschaftskritische Ironie und vages politisches Engagement zu einem, gestalterisch delikaten, transzendenten Melodram, zu einer Allegorie auf die unüberwindliche Isolation des Individuums in einer Welt divergierender Interessen. »Les jeux sont faits« = Das Spiel ist aus, und zwar noch bevor es begonnen hat: Die Chance auf gegenseitiges Vertrauen bleibt – angesichts der ganz persönlichen Verstrickungen jedes Einzelnen – rein theoretisch. Daß der Versuch, die Utopie zu realisieren, trotzdem immer wieder unternommen wird, spricht zwar nicht für die Intelligenz des Menschen, aber vielleicht für die Schönheit seiner Seele.

R Jean Delannoy B Jean-Paul Sartre, Jean Delannoy, Pierre Bost K Christian Matras M Georges Auric A Serge Pimenoff S Henri Taverna P Louis Wipf D Micheline Presle, Marcello Pagliero, Marguerite Moreno, Fernand Fabre, Charles Dullin | F | 91 min | 1:1,37 | sw | 19. Dezember 1947

11.12.47

Zwischen gestern und morgen (Harald Braun, 1947)

Menschen im Hotel in Trümmern. München, 1947: Ein Mann (Viktor de Kowa) kehrt zurück. Fast zehn Jahre war er nicht mehr zu Hause. »Es hat sich viel verändert«, meint ein alter Bekannter zu ihm – die Untertreibung des Jahrhunderts. Die Stadt, das Land, das Leben liegen in Schutt und Asche. Harald Braun webt ein heikles Geflecht von Beziehungen, schiebt Erinnerung und Gegenwart ineinander, er erzählt eine Romanze und ein Melodram und, ganz vorsichtig, so etwas wie einen deutschen film noir, er wirft die großen Themen auf: Schuld und Verantwortung, Liebe und Tod. Verhängnis liegt in der Luft, aber auch Hoffnung – denn: »Es muß doch weitergehen.« Die Vergangenheit lastet wie ein Schatten auf den Menschen, die Zukunft liegt als vages Versprechen vor ihnen, das Heute erscheint als Provisorium, Zwischenstation, Transitzone. Vor allem die Schauspielerinnen sind es, die diesem Film, der durch die Kolportage zum Zeitbild findet, seine Stärke verleihen: Sybille Schmitz (der Fassbinder als »Veronika Voss« ein posthumes Denkmal setzen wird) bringt die Tragik ihrer eigenen, dunkel umflorten Existenz in die Darstellung der Jüdin Nelly Dreyfuss ein; Hildegard Knef als traurig-aufgewecktes Flüchtlingsmädchen Kat wirkt wie die aus einem Bombentrichter gezogene Wiedergängerin des Ufa-Stars, der sie nie war; Winnie Markus spielt eine Zurückgelassene, die sich mit Tapferkeit gegen die Schwermut panzert – nicht nur im Krieg, auch im Nachkrieg ist Leben vor allem Überstehen.

R Harald Braun B Harald Braun, Herbert Witt K Günther Anders M Werner Eisbrenner A Robert Herlth S Adolf Schlyßleder P Walter Bolz D Viktor de Kowa, Winnie Markus, Willy Birgel, Sybille Schmitz, Hildegard Knef | D (W) | 109 min | 1:1,37 | sw | 11. Dezember 1947

9.12.47

… und über uns der Himmel (Josef von Báky, 1947)

»Was soll denn werden? / Es muß doch weitergeh’n!« Mit einem Rucksack voller Lebensmittel (= Schieberware) kehrt Hans Richter (Hans ›Hoppla, jetzt komm’ ich!‹ Albers) aus dem Weltkrieg zurück ins zertrümmerte Berlin. Zunächst nutzt der ehemalige Kranführer das Schwarzhandelsgut, um die eigene Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen (»Ein Griff, ein Pfiff, ein Kniff – und fertig ist die Laube.«) und um die verwitwete Studienratsgattin von nebenan zu beeindrucken (»Heute paßt vieles zusammen, was früher keine Garnitur abgegeben hätte.«) – dann findet er Geschmack am leichtverdienten Geld, infolgedessen er der Rückkehr in den Brot(los)beruf eine Karriere als Geschäftemacher vorzieht. Richters (zunächst kriegsblinder, dann wieder klarsehender) Sohn bläst dem losen Alten schließlich den Marsch der Lauterkeit, und am Ende kommt alles wieder ins kleinbürgerliche Lot … Der erste deutsche Nachkriegsfilm unter amerikanischer Lizenz: eine Mischung aus Studiokünstlichkeit und Ruinenrealismus, aus zeitkritischem Durchhalteroman und lehrhafter Standpauke. Daß der »blonde Hans« lediglich vorübergehend auf Abwege geraten kann (und dann auch nur aus väterlicher Sorge um seine Liebsten), versteht sich dabei im Grunde von selbst. Wie in alten Ufa-Zeiten erhellt ein schimmernder Lichtreflex Albers’ vertrauenswürdige Augen, und Josef von Báky inszeniert den sympathischen Filou als eine Art Münchhausen im Schutt: immer kregel, immer patent, nie um eine Ausrede verlegen und noch im Zwielicht lebensmutig strahlend. Ein Lied darf er auch singen, zur besinnlich-optimistischen Dreigroschenmusik von Theo Mackeben: »Der Wind weht von allen Seiten. / Na, laß den Wind doch weh’n. / Denn über uns der Himmel, / Läßt uns nicht untergeh’n.«

R Josef von Báky B Gerhard Grindel K Werner Krien M Theo Mackeben A Emil Hasler, Walter Kutz S Wolfgang Becker P Richard König D Hans Albers, Lotte Koch, Paul Edwin Roth, Heidi Scharf, Otto Gebühr | D (W) | 103 min | 1:1,37 | sw | 9. Dezember 1947

25.11.47

It Always Rains on Sunday (Robert Hamer, 1947)

Die Flucht vor Scotland Yard

»What's wrong with the East End, anyway?« — »It smells.« Sonntag in einer Londoner Arme-Leute-Gegend. Dämmrige Straßen, enge Behausungen, bleierne Wolken und Regen, Regen, Regen, von morgens bis spät in die Nacht … Tommy Swann (John McCallum) ist aus dem Gefängnis ausgebrochen; er sucht Unterschlupf bei seiner ehemaligen Geliebten Rose Sandigate (Googie Withers), einer schroffen Schönheit, die mittlerweile einen phlegmatisch-achtbaren Kleinbürger aus Bethnal Green geehelicht hat. Um die zentrale Storyline von Flucht und Verstecken und wieder Flucht komponiert Regisseur Robert Hamer eine ganze Reihe intensiver Milieu- und Charakterstudien – es riecht förmlich aus diesem poetisch-realistischen (Studio-)Film: nach ungelüfteten Zimmern und unterdrückten Gefühlen, nach feuchten Klamotten und verlorenen Illusionen. Über »It Always Rains on Sunday« hängen, zwischen Ruinenstaub und Mangel der Nachkriegszeit, die verblassende Erinnerung an ein glückverheißendes Gestern und die trügerische Hoffnung, daß sich irgendwann einmal etwas ändern könnte. Emotionen haben in diesem tristen, geordneten Kosmos den zweifelhaften Ruch (und den verzweifelten Reiz) des Verbotenen; Auswege gibt es nicht – nicht einmal Selbstmord: Jenseits des Gasofens und der Schienen liegt das unvermeidliche Grau des nächsten Morgens.

R Robert Hamer B Angus MacPhail, Robert Hamer, Henry Cornelius V Arthur La Bern K Douglas Slocombe M George Auric A Duncan Sutherland S Michael Truman P Michael Balcon, Henry Cornelius D Googie Withers, John McCallum, Edward Chapman, Susan Shaw, Jack Warner | UK | 92 min | 1:1,37 | sw | 25. November 1947

13.11.47

Out of the Past (Jacques Tourneur, 1947)

Goldenes Gift

Sie: »I don't want to die.« Er: »Neither do I, Baby, but if I have to, I'm going to die last.« Jacques Tourneur bringt einen (vielleicht sogar: den) archetypischen film noir an den Start: hard-boiled Melodram und romantischer Thriller, unübersichtlich-geschickt konstruiert (Buch: Daniel Mainwaring), finster-leuchtend fotografiert (Kamera: Nicholas Musuraca) – ein tödliches Schicksalsspiel voller sentimentaler Reminiszenen und knochentrockener Dialoge. Falsche Liebe und echte Treulosigkeit, grelle Nächte und dunkle Tage, doppelte Whiskys und dreifacher Betrug – in der nur oberflächlich betrachtet komplizierten Handlung treiben sich herum: ein tough guy auf der Flucht vor seinem früheren Leben (Robert Mitchum), eine femme fatale mit unberührbarem Gewissen (Jane Greer), ein gefährlich grinsender mobster ohne falsche Skrupel (Kirk Douglas), eine einfache Frau, die alles versteht (Rhonda Fleming), ein taubstummer Junge, der alles weiß (Dickie Moore). Die Gespenster der Vergangenheit geben sich ein melancholisches Stelldichein, die Lebenden formieren sich zum Totentanz, der Mut der Verzweiflung ist nichts anders als noble Resignation: Es gibt kein Entrinnen, nicht vor den anderen, nicht vor sich selbst. »Out of the Past« – into the doom …

R Jacques Tourneur B Daniel Mainwaring V Daniel Mainwaring K Nicholas Musuraca M Roy Webb A Albert S. D’Agostino S Samuel E. Beetley P Warren Duff D Robert Mitchum, Jane Greer, Kirk Douglas, Rhonda Fleming, Richard Webb | USA | 97 min | 1:1,37 | sw | 13. November 1947

31.10.47

Antoine et Antoinette (Jacques Becker, 1947)

Zwei in Paris

Paris-Nordwest, Métro La Fourche, avenue de Saint-Ouen, quartier de gens de peu. Eine Mietskaserne, mit Leben vollgestopft bis unters Dach, man haust dicht an dicht, jeder kennt jeden … In der ersten Hälfte des Films malt Jacques Becker die (Alltags-) Atmospähre, skizziert das Milieu, studiert Gesten und Blicke, belauscht Zärtlichkeiten und Zänkereien, macht mit den Menschen seiner Kleine-Leute-Welt bekannt. Antoine und Antoinette, jung und verliebt, bewohnen ein Appartement im obersten Stockwerk mit Blick über die Stadt, was idyllischer klingt, als es ist: zwei winzige Zimmer, kein Bad, nicht einmal ein Spülstein. Er verdient sein Geld als Arbeiter in einer Druckerei, sie ist Angestellte in einem Kaufhaus an den Champs-Elysées. Er träumt von einem Motorrad, sie wünscht sich eine Wohnung mit Waschbecken. Die Nachbarn: eine schwatzhafte Fahrkartenverkäuferin und ihr Mann; ein mißtrauischer Nachtwächter und seine Frau; ein tatendurstiger Boxer und seine Eltern; schließlich: Monsieur Roland, der Lebensmittelhändler von vis-à-vis, Herr über die (noch) rationierten Güter, ein Lustmolch, der Antoinette eine »Ausnahmestellung« in seinem Geschäft anbietet … In der zweiten Hälfte der unsentimentalen Romanze folgt die Andeutung einer Geschichte, ein luftiges, bisweilen böiges Dramolett um ein verlorenes Gewinnlos der Blindenlotterie, ein liebevoll-kluger Schwank um Hoffnung, Enttäuschung, Belohnung: Becker, der Poet, rühmt den Wert des Glücks, Becker, der Realist, weiß um den Zauber des Geldes.

R Jacques Becker B Jacques Becker, Maurice Griffe, Françoise Giroud K Pierre Montazel M Jean-Jacques Grünenwald A Robert Jules-Garnier S Marguerite Renoir P Georges André D Roger Pigaut, Claire Mafféi, Noël Roquevert, Annette Poivre, Pierre Trabaud | F | 85 min | 1:1,37 | sw | 31. Oktober 1947

# 813 | 12. Dezember 2013

3.10.47

Ehe im Schatten (Kurt Maetzig, 1947)

»Es wird schon nicht so schlimm ...« Eine Schauspielerehe in der Nazizeit: Elisabeth (Ilse Steppat) ist Jüdin; ihr Mann Hans (Paul Klinger) wird gedrängt, sich von ihr scheiden zu lassen – das Paar begeht gemeinsam Selbstmord. Basierend auf dem Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner Frau, liefert Kurt Maetzig mit seinem Debüt einen hoch-melodramatischen, tief-menschelnden Tränenzieher: Defa à la Ufa. (Die Musik schrieb »Jud Süß«-Komponist Wolfgang Zeller.) Bertolt Brecht lehnte den Film wegen fehlender Verfremdungseffekte rundheraus ab – doch vielleicht bleibt gerade infolge der schmalzigen Direktheit (trotz formaler Holprigkeiten) eine gewisse Erschütterung nicht aus.

R Kurt Maetzig B Kurt Maetzig V Hans Schweikart K Friedl Behn-Grund M Wolfgang Zeller A Otto Erdmann, Franz F. Fürst, Kurt Herlth S Alice Ludwig, Hermann Ludwig P Herbert Uhlich D Paul Klinger, Ilse Steppat, Alfred Balthoff, Claus Holm, Hans Leibelt | (O) | 104 min | 1:1,37 | sw | 3. Oktober 1947

Quai des Orfèvres (Henri-Georges Clouzot, 1947)

Unter falschem Verdacht

Die Wahrheit oder Wie man sie herausbekommt. Um einen vorweihnachtlichen Mordfall herum entwickelt Henri-Georges Clouzot eine verzwickte dramatische Sittenkomödie voller komplexer Charakterstudien. Es treten auf: die leichtfertig-ehrgeizige Sängerin (Suzy Delair), die für ihre Karriere nicht alles, aber sehr viel tun würde; ihr eifersüchtiger Ehemann (Bernard Blier), der sich sehr viel, aber nicht alles bieten läßt; eine gemeinsame Freundin, die ihre wahre Liebe nicht gestehen kann, aber für sie durchs Feuer geht; ein alter Lustmolch, der den Duft von frischem Fleisch liebt; ein fürsorglich-unnachgiebiger Inspektor (Louis Jouvet), der die Menschen kennt und ihnen darum hin und wieder weh tun muß. Angesiedelt im lockeren, aber nur scheinbar heiteren Milieu der Music Halls und Hinterbühnen, der Agenturen und Ateliers, leuchtet »Quai des Orfèvres« hinab in die dunklen Abgründe der Oberflächlichkeit. Gegen Ende fließt noch einmal (Künstler-)Blut, aber dann läßt Clouzot weißen Schnee auf seine schwarze Welt rieseln, und alles wird gut. Für den Moment jedenfalls.

R Henri-Georges Clouzot B Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry V Stanislas-André Steeman K Armand Thirard M Francis López A Max Douy S Charles Bretoneiche P Louis Wipf, Roger De Venloo D Louis Jouvet, Simone Renant, Bernard Blier, Suzy Delair, Pierre Larquey | F | 106 min | 1:1,37 | sw | 3. Oktober 1947

12.9.47

Le diable au corps (Claude Autant-Lara, 1947)

Stürmische Jugend

Eine Liebe in den Zeiten des (Ersten Welt-)Krieges: Der Gymnasiast François (Gérard Philipe) und die nur wenig ältere Marthe (Micheline Presle), deren Mann im Felde steht, entbrennen füreinander (immer wieder läßt Regisseur Claude Autant-Lara die Flammen des Kaminfeuers durchs Bild züngeln) und ignorieren in ihrer bedingungslosen gegenseitigen Hingabe nicht nur – vollkommen auf sich fixiert – das große Völkersterben, sondern auch – offen und direkt – die Gesetze des bürgerlichen Anstands. Das Ende des Krieges bedeutet zugleich das Ende dieses moralischen (und körperlichen) Freiraums: In einer der stärksten Szenen des Films spielt, nachdem in einer Kneipe unter großem Jubel der Waffenstillstand verkündet wurde, ein schwarzer Pianist die Marseillaise; die anwesenden Soldaten und Zivilisten gefrieren in Ergriffenheit – die Kamera gleitet in einer langsamen Fahrt an diesen Wachsfiguren vorbei und endet in einer Nahaufnahme des versteinerten Liebespaares: »Voilà, c’est fini pour nous deux.« Selten scheint die Sonne in »Le diable au corps«, meist regnet es, fast immer ist Nacht – Autant-Lara erzählt (nach einem Drehbuch von Aurenche und Bost, basierend auf dem Roman des 17jährigen Raymond Radiguet) keine heitere, keine empfindsame Romanze, er schildert eine harte, eine bisweilen bittere Beziehung. Nicht nur das gesellschaftliche (und familiäre) Umfeld der Liebenden erfährt dabei eine Betrachtung von galligster Ironie, auch dem Paar selbst wird – bei aller Sympathie für die jugendliche Absolutheit ihrer Gefühle – die Seligsprechung verweigert: Oft genug kippen ihre Zärtlichkeit und ihr Ungestüm in (nach außen wie nach innen gerichtete) Herzlosigkeit und Brutalität. PS: »L'amour, qui est l'égoïsme à deux, sacrifie tout à soi, et vit de mensonges.«

R Claude Autant-Lara B Jean Aurenche, Pierre Bost, Claude Autant-Lara V Raymond Radiguet K Michel Kelber M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Louis Wipf D Micheline Presle, Gérard Philip, Jean Debucourt, Denise Grey, Pierre Palau | F | 110 min | 1:1,37 | sw | 12. September 1947

5.9.47

Dark Passage (Delmer Daves, 1947)

Die schwarze Natter

Humphrey Bogart als unschuldig verurteilter Mörder, der aus dem Knast entflieht, sich einer Gesichtsoperation unterzieht, um sodann, mit neuer Identität (und unterstützt von Lauren Bacall), den wahren Täter zu suchen. Ein sehr uneinheitlicher Film – im ersten Drittel wird (nicht ganz konsequent) aus Bogeys subjektiver Perspektive erzählt, dann verschwindet sein Gesicht unter einer Bandage, erst im Schlußakt ist er endlich zu sehen. Die Kamera schwankt zwischen realistischer On-location-Fotografie und typischer Noir-Stilisierung, wobei Delmer Daves durch die formale Sprunghaftigkeit seiner Inszenierung der Erzählung einiges an emotionaler Kraft nimmt. Zu einer Stärke des Werkes entwickeln sich die präzise gezeichneten Nebenfiguren: der »Veteran-Cab«-Driver, der kleine Erpresser, der die große Chance wittert, Agnes Moorehead als böse Frau, deren pathologischer Haß gegen alles und jeden in gewisser Weise am Ende triumphiert. Einen melancholischen Schlüsselsatz spricht der plastische Chirurg: »So etwas wie Mut gibt es nicht. Es gibt nur Angst: Angst vor Schmerzen, Angst vor dem Tod. Deshalb leben die Menschen ja so lange.«

R Delmer Daves B Delmer Daves V David Goodis K Sidney Hickox M Franz Waxman A Charles H. Clarke S David Weisbart P Jerry Wald D Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Bruce Bennett, Agnes Moorehead, Tom D’Andrea | USA | 106 min | 1:1,37 | sw | 5. September 1947

1.9.47

Der verzauberte Tag (Peter Pewas, 1944/1947)

Zwei Freundinnen, Verkäuferinnen an einem Bahnhofskiosk – die kess-brünette Anni (Eva Maria Meineke) und die schwärmerisch-blonde Christine (Winnie Markus) –, träumen von der großen Liebe. Während sich Anni ihren Märchenprinzen einfach erfindet (eine Fiktion, die überraschende (und enttäuschende) Realität wird), phantasiert sich Christine in die schicksalhafte Beziehung zu einem soignierten Kunstprofessor (Hans Stüwe) hinein… Peter Pewas, weniger an der sentimentalen Handlung als an den visuellen Möglichkeiten ihrer Umsetzung interessiert, nimmt sich in seinem Erstling die intimistischen Milieuskizzen und melancholischen Bildwelten des poetischen Realismus zum Vorbild. Sein Kameramann Georg Krause (der später u. a. für Kazan, Siodmak und Kubrick arbeiten wird), ein Meister sowohl des fein modulierten als auch des scharf kontrastierenden Schwarzweiß, zaubert (weitgehend in der Überwirklichkeit des Studios) die romantischen und fatalistischen Stimmungen, die es Pewas erlauben, seine bildkünstlerische Erfindungsgabe zu entfalten. Im Halb(welt)dunkel der Dachkammern, im Abenddunst der Junggesellenzimmer, in der Finsterkeit nächtlicher Straßen gelingen ihm zudem eine Reihe eindringlicher Portraits: etwa die aufgedrehte Zimmerwirtin (Kate Kühl), die sich viel darauf einbildet, früher beim Theater gewesen zu sein; oder der zackig-gehemmte Stationsvorsteher (Hans Brausewetter), der seine Gefühle hinter anonymen Blumengaben versteckt; vor allem aber Christines Verlobter, der pedantische Buchhalter Krummholz (Ernst Waldow), ein Mann, der keine Rose betrachten kann, ohne an ihren Preis zu denken: von seiner Braut zurückgewiesen, nimmt er für die Zerstörung seiner kleinbürgerlichen Illusionen bittere Rache. PS: 1944 gedreht, von der nationalsozialistischen Zensur verboten, erlebt der Film seine Uraufführung mit dreijähriger Verspätung in der Schweiz; in Deutschland wird er erstmals 1951 gezeigt.

R Peter Pewas B Renate Uhl, Peter Pewas V Franz Nabl K Georg Krause M Wolfgang Zeller A Erich Grave S Ira Oberberg P Viktor von Struve D Winnie Markus, Hans Stüwe, Ernst Waldow, Eva Maria Meineke, Hans Brausewetter | D (Überläufer) | 76 min | 1:1,37 | sw | September 1947

27.8.47

Kiss of Death (Henry Hathaway, 1947)

Der Todeskuß

Im Fokus steht ein »bad guy« mit dem Herz am rechten Fleck: Nachdem ihn seine Kumpels im Stich ließen, macht der tough-sensible Ganove Nick Bianco (!) (Victor Mature) einen Deal mit dem leutselig-kalkulierenden Staatsanwalt D’Angelo (!) (Brian Donlevy), der dem Familienvater gegen Preisgabe von Informationen und Aussage im Zeugenstand zur Freilassung auf Bewährung verhilft. Doch die Zukunft des Aussteigers (und seiner Liebsten) liegt im Schatten der Vergangenheit … »Kiss of Death« erzählt nicht ganz ohne Rührseligkeit von der Problematik, sich neu zu erfinden, schildert dabei präzise und nüchtern das rechtsstaatliche Geschacher mit der Wahrheit, das Straftäter und Ordnungshüter zu Komplizen macht und Nick desillusioniert feststellen läßt: »Your side of the fence ist almost as dirty as mine«. Die realen New Yorker Schauplätze, die Clubs und Straßen, die Mietskasernen und Geschäftshäuser, verleihen Henry Hathaways ungekünstelten Inszenierung authentischen Nachdruck, doch der Clou des Films ist der von Richard Widmark gespielte psychopathische Killer Tommy Udo: Sein dämonisch-irres Kichern klingt lange nach – es scheint, als verhöhne dieses Lachen nicht nur den Wunsch nach Normalität, sondern als bestreite es ganz generell die Möglichkeit, in Ruhe und Frieden leben zu können.

R Henry Hathaway B Ben Hecht, Charles Lederer V Eleazar Lipsky K Norbert Brodine M David Buttolph A Leland Fuller, Lyle Wheeler S J. Watson Webb Jr. P Fred Kohlmar D Victore Mature, Brian Donlevy, Coleen Gray, Richard Widmark, Karl Malden | USA | 98 min | 1:1,37 | sw | 27. August 1947

15.8.47

Desert Fury (Lewis Allen, 1947)

Desert Fury – Liebe gewinnt

Ein reizvoller Genrebastard: thrillereske Noir-Melodramatik in wüst-verlorenem Westernsetting und leuchtendem Technicolor. Der artifizielle Studiolook (der zeitweilig die traumhaft-synthetische Präzision von Douglas-Sirk-Welten zu antizipieren scheint) paßt zur klar erkennbaren Geometrie von Figurenkonstellation und Erzählstruktur: Da sind zwei Frauen, Mutter und Tochter – die wohlhabende Besitzerin eines Kleinstadt-Casinos (herb: Mary Astor) wünscht sich für ihr einziges Kind (gefährdet: Lizabeth Scott) eine Zukunft jenseits der Crabs-Tische; da sind zwei crooks, ein heißkalter Spieler (John Hodiak) und sein eifersüchtiger Ausputzer (Wendell Corey) – zusammengeschweißt in latenter Aggression und falscher Hoffnung; und da ist der aufrecht-angeknackste Cop (Burt Lancaster) – Fels in der Brandung, fünftes Rad am Wagen; allesamt sind sie miteinander verbunden durch dunkle Vergangenheit, getrieben von der fatalen Präsenz einer Verstorbenen. Lewis Allen (Regie) und Robert Rossen (Drehbuch) beginnen »Desert Fury« bei hellem Tageslicht an der Stelle, wo jene Frau einst zu Tode kam, und führen in einer großen Kreisbewegung zurück an denselben Ort, wo sich in tiefblauer Nacht ein weiteres Schicksal erfüllt … Zwei »Unfälle«, dazwischen ein Gespinst von verdoppelter, gespiegelter, zerrissener Liebe.

R Lewis Allen B Robert Rossen V Ramona Stewart K Charles Lang, Edward Cronjager M Miklós Rózsa A Perry Ferguson S Warren Low P Hal B. Wallis D John Hodiak, Lizabeth Scott, Burt Lancaster, Mary Astor, Wendell Corey | USA | 96 min | 1:1,37 | f | 15. August 1947

13.7.47

In jenen Tagen (Helmut Käutner, 1947)

Das Land ist eine Trümmerwüste. Kriegskrüppel durchwandern den Schutt. Zeit nach dem Ende der Zeit. Gibt es noch Menschen? Hat es je welche gegeben? Sinnlos erscheint es den Überlebenden, angesichts der totalen Katastrophe den Versuch zu unternehmen, äußere und innere Ordnung zu schaffen. Ein toter Gegenstand meldet sich zu Wort, ein schrottreifes Auto (es spricht mit der Stimme des Regisseurs Helmut Käutner) will berichten, nicht von großen Ereignissen, nicht von Helden, nur von ein paar Schicksalen, von ein paar Menschen, denen es begegnet ist, damals … Der Titel des ersten westdeutschen Nachkriegsfilms sagt viel, wenn nicht alles: Zwölf Jahre mörderischer Diktatur werden zu »jenen Tagen« – das klingt nach dämmerigem Mythos, nach ferner Vorgeschichte, nach geheimnisvollem Unglück. Käutner stellt sich denn auch nicht dem Bösen, der Schuld, dem konkreten Verbrechen, stattdessen spricht er vom Guten, von der Hilflosigkeit, von einer allgemeinen Menschlichkeit, die es auch (und gerade) in »dunkler Zeit« gegeben haben muß. In sieben Episoden, die zwischen dem 30. Januar 1933 und dem Zusammenbruch 1945 spielen, sucht der Film fast verzweifelt nach Bildern vom richtigen Leben im falschen, wühlt nach positiven Bruchstücken von Biographien wie nach nutzbaren Gegenständen im Scherbenhaufen: »Die Zeit war stärker als sie, aber ihre Menschlichkeit war stärker als die Zeit.« Das Schlußkapitel versammelt einen Mann namens Josef, eine Frau namens Marie und ein Kind in einer Scheune. In den Ruinen blühen die Sträucher. Die Hoffnung stirbt zuletzt … Der trotzige Glaube an eine ewige Humanitas und die kaum verhüllte Abgespanntheit der Schauspieler machen »In jenen Tagen« – bei allem aufdringlichen Symbolismus und aller Schlichtheit des historischen Denkens – zu einem erhellenden Zeitdokument der deutschen Befindlichkeit nach dem Sprung in den Abgrund.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner, Ernst Schnabel K Igor Oberberg M Bernhard Eichhorn A Herbert Kirchhoff S Wolfgang Wehrum P Helmut Käutner D Winnie Markus, Werner Hinz, Alice Treff, Ida Ehre, Carl Raddatz, Bettina Moissi | (W) | 98 min | 1:1,37 | sw | 13. Juni 1947

26.6.47

The Ghost and Mrs. Muir (Joseph L. Mankiewicz, 1947)

Ein Gespenst auf Freiersfüßen

»Was it a vision, or a waking dream?« England um die Jahrhundertwende: Eine junge Witwe erträgt die bucklige Schwiegerverwandtschaft nicht mehr und zieht – mit kleiner Tochter und patentem Hausmädchen – aus, das Leben zu lernen. Was sie findet, ist ein haunted house am Meer, ein märchenhaftes Gemäuer, in dem der Geist des vormaligen Besitzers umgeht, einen verwunschenen Ort abseits der Welt, der sofort ihr Wohlgefallen findet. Die unerschrockene Mrs. Muir (Gene Tierney) und der verewigte Captain Gregg (Rex Harrison) treten, nach einer kurzen Phase der transsphärischen Akklimatisierung (mit einigem poltergeistigem Zimmerspuk), alsbald in eine romantische Beziehung, die nicht nur auf ideeller Verbundenheit beruht (die beiden verfassen »gemeinsam« den »autobiographischen« Seefahrer-Roman »Blood and Swash«), sondern der auch eine deutlich erotische Komponente eignet: Die attraktive Lebende und ihr toter Vertrauter teilen das Schlafzimmer des idyllischen Anwesens … Joseph L. Mankiewicz verbindet mit seiner sentimentalen Komödie höchst stilvoll Elemente der phantastischen Burleske und des psychologischen Dramas: »The Ghost and Mrs. Muir« handelt vom Umgang mit Verlust und vom Ringen um Selbständigkeit, es geht um Wunschprojektionen und um Traumbilder, die sich eine Frau von einem Mann, ein Mann von einer Frau – generaliter: ein Mensch vom anderen – macht. Reizvolle Irritation erregt zudem die Besetzung: Während ein sehr irdischer, sehr vitaler Darsteller das Phantom verkörpert, wird die Rolle der Diesseitigen von der vielleicht ätherischsten Kinoschönheit ihrer Zeit beseelt. PS: »It's no crime to be alive!«

R Joseph L. Mankiewicz B Philip Dunne V R. A. Dick K Charles Lang Jr. M Bernard Herrmann A George W. Davis, Richard Day S Dorothy Spencer P Fred Kohlmar D Gene Tierney, Rex Harrison, George Sanders, Edna Best, Natalie Wood | USA | 104 min | 1:1,37 | sw | 26. Juni 1947

2.5.47

Razzia (Werner Klingler, 1947)

Im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit sind Kriminalkommissar Naumann (Paul Bildt) und seine Mitarbeiter (einer davon ist sein Schwiegersohn in spe) einer Schieberbande auf der Spur, die mit Alkoholika und Medikamenten auf dem Schwarzmarkt großen Reibach macht. Zentrum der professionellen Schmuggelei ist das Vergnügungsetablissement ›Alibaba‹, dessen zwielichtiger Chef auch über interne Informationen aus dem Polizeipräsidium verfügt … Weit entfernt von jedem Noir-Appeal, verbindet Werner Klinglers Defa-Krimi Impressionen von Originalschauplätzen des Schleichhandels (am zerstörten Reichstag, am Brandenburger Tor) mit einer nicht sonderlich komplexen Intrige (die auch zwischenmenschliche bzw. innerfamiliäre Komplikationen und den Tod des Chefermittlers einschließt) und etwas Tingeltangel zum braven Zeitbild. Der moralische Zeigefinger ragt allseits aus dem Trümmerschutt, aber immerhin sorgen originelle Nebendarsteller wie der nur scheinbar gemütliche Arno Paulsen (als fetter Spediteur) oder der quäkstimmige Walter Gross (als »flotter Willi«) für reichlich Berliner Hintertreppenflair.

R Werner Klingler B Harald G. Petersson K Friedl Behn-Grund, Eugen Klagemann M Werner Eisbrenner A Otto Hunte S Fritz Stapenhorst P Willy Herrmann D Paul Bildt, Elly Burgmer, Claus Holm, Walter Gross, Harry Frank | D (O) | 96 min | 1:1,37 | sw | 2. Mai 1947

24.4.47

Black Narcissus (Michael Powell & Emeric Pressburger, 1947)

Die schwarze Narzisse 

Ein Kloster hoch oben in der kristallklaren Luft des Himalaya – einst lebten in dem abgelegenen Kastell die Frauen eines indischen Fürsten, nun beginnen dort fünf Schwestern eines anglikanischen Ordens ihr tätiges Werk zur schulischen Erziehung und medizinischen Versorgung der örtlichen Jugend. Die Isolierung in majestätisch-abweisender Natur und exotisch-fremder Gesittung konfrontiert die europäischen Nonnen mit längst überwunden geglaubten Anfechtungen: Der Zusammenhalt der kleinen Gruppe zerfällt in individuelle Sinnkrisen, unterdrückte Leidenschaften brechen sich Bahn, selbst die so willensstark scheinende sister superior (Deborah Kerr) schaut schließlich hilflos-entsetzt in den Abgrund ihres eigenen tiefen Zwiespalts … Schauplatz ist eine jener grandiosen inneren Landschaften, die nur das Kino schaffen kann: Von Ausstatter Alfred Junge komplett im Studio errichtet, von Kameramann Jack Cardiff mit bald beherrscht-eisiger, bald sinnlich-lodernder Technicolor-Farbigkeit durchflutet, wird die ständig von einem schneidenden Wind durchwehte Gebirgseinsamkeit zum szenischen Abbild der dramatischen Konflikte zwischen (Selbst-)Kontrolle und (Fremd-)Erregung, zwischen (religiöser) Gefaßtheit und (körperlicher) Ekstase. Mit »Black Narcissus« gestalten Powell und Pressburger einen Film der expressiven (und existentiellen) Kontraste: reinweiße Nonnentracht gegen eine gebräunte Männerbrust, spirituelle Blässe gegen einen knallrot geschminkter Mund, Gemüse gegen Blumen, Zivilisation gegen Instinkte. Und über allem thront der alte heilige Mann, schweigt beharrlich, denkt sich seinen Teil – oder auch nicht.

R Michael Powell, Emeric Pressburger B Michael Powell, Emeric Pressburger V Rumer Godden K Jack Cardiff M Brian Easdale A Alfred Junge S Reginald Mills P Michael Powell, Emeric Pressburger D Deborah Kerr, Kathleen Byron, David Farrar, Flora Robson, Sabu | UK | 100 min | 1:1,37 | f | 24. April 1947

11.4.47

Monsieur Verdoux (Charles Chaplin, 1947)

Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris

»As a mass killer, I am an amateur.« In der letzten Einstellung entfernt sich Charlie Chaplin, mit dem Rücken zur Kamera, langsam vom Zuschauer, so wie er es in seinen früheren Filmen immer wieder getan hat. Aber in diesem Falle geht er nicht stöckchenschwingend mit kleinen Ausfallhüpfern, sondern schweren Schrittes mit auf den Rücken gefesselten Händen. Er ist nicht mehr der Tramp auf dem Weg ohne Ende, sondern ein verurteilter Frauenmörder, der zum Schafott geführt wird. Der Anfang des Films hatte über diesen Ausgang keinen Zweifel gelassen: »Monsieur Verdoux« beginnt mit dem Grabstein desselben und mit der Stimme des Toten, der anhebt, die eigene Geschichte zu erzählen … »Based on an idea by Orson Welles« heißt es im Vorspann, und vielleicht könnte diese »comedy of murders« auch den Titel »Citizen Verdoux« tragen, denn wie Charles Foster Kane, der berühmte (Anti-)Held einer amerikanischen »Erfolgs«story, ist Henri Verdoux ein Archetyp: ein guter Bürger, der aus materieller Not (und intellektueller Befähigung) zum Reisenden in Sachen Gewaltverbrechen wird. In schmucklos kalten Bildern entrollt Chaplin die (von den Taten des französischen Serienmörders Henri Désiré Landru inspirierte) Biographie eines Rosenzüchters und Philosophen, eines liebenden Familienvaters und Gelegenheitsmenschenfreunds, der dem Töten als Geschäft nachgeht, bis er erkennen muß, daß er, in Zeiten von Wirtschaftskrisen und sozialen Konflikten, von Weltkriegen und Massenvernichtungswaffen, sein Business in viel zu kleinem Maßstab betrieben hat: »One murder makes a villain; millions, a hero. Numbers sanctify.«

R Charles Chaplin B Charles Chaplin K Roland Totheroh M Charles Chaplin A John Beckman S Willard Nico P Charles Chaplin D Charles Chaplin, Martha Raye, Isobel Elsom, Marilyn Nash, Mady Correll, Robert Lewis | USA | 124 min | 1:1,37 | sw | 11. April 1947

# 957 | 29. Juni 2015

21.3.47

Le silence est d'or (René Clair, 1947)

Schweigen ist Gold

»Entrez, mesdames et messieurs! Le cinématographe, l’invention du siècle: une heure de jouir, une heure d’oubli!« Paris um 1910 – ein Filmstudio am Rande der Stadt: In wackeligen Kulissen aus Sperrholz, Leinwand und Pappe kurbelt Monsieur Émile (Maurice Chevalier) pseudoluxuriöse Melodramen, orientalische Abenteuer und amourösen Slapstick. Fast gegen seinen Willen verliebt sich der alte Schwerenöter (Fotos seiner Eroberungen bedecken eine ganze Wand seines Zimmers) in eine junge (reichlich naive) Schauspielerin aus der Provinz und findet sich plötzlich in liebschaftlicher Konkurrenz zu seinem ansonsten so schüchternen Assistenten (François Périer) wieder … René Clairs erstes französisches Werk nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil, verbindet die ironische Huldigung an die Pioniere des (Stumm-)Films, die pittoreske Verklärung der Jugendjahre des Mediums – als das Kino noch keine Kunstform war (jedenfalls nicht als solche begriffen wurde), sondern ein unschuldiges Rummelplatzvergnügen, eine bewegte Wundertüte, eine »boutique magique« – mit der (vielleicht autobiographisch grundierten) melancholischen Erkenntnis des Alterns, der (durchaus auch befreienden) Einsicht, daß irgendwann die Zeit kommt, das Feld zu räumen, um es den Nachfolgenden zu überlassen. Am Ende, nach vielen delikaten Bildern voller situativer Komik und lächelnder Tristesse, löst sich »Le silence est d’or« publikumsgerecht in (illusionäres?) Wohlgefallen auf: »Vous aimez quand ça finit bien, mademoiselle?« – »Ah oui, monsieur!« – »Moi aussi.«

R René Clair B René Clair K Armand Thirard M Georges Van Parys A Léon Barsacq S Henri Taverna P René Clair D Maurice Chevalier, François Périer, Marcelle Darien, Dany Robin, Raymond Cordy | F | 100 min | 1:1,37 | sw | 21. Mai 1947

6.2.47

The Brasher Doubloon (John Brahm, 1947)

»How I hate to find a stiff.« Philip Marlowe wird nach Pasadena in das Haus der reichen Witwe Murdock gerufen und beauftragt, eine gestohlene Goldmünze wiederzubeschaffen. Die Suche nach der ›Brasher Doubloon‹, einem ebenso seltenen wie wertvollen Stück aus der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, das seinen zahlreichen Besitzern nichts anderes als Unglück brachte, konfrontiert den hartgesottenen Privatdetektiv, wie auch in anderen Raymond-Chandler-Erzählungen, mit einer Vielzahl zwielichtiger Existenzen, deren Handlungsmotive bis zur Auflösung der verwickelten Intrige weitgehend im Dunkeln liegen ... George Montgomery spielt den Protagonisten mit (ziemlich unpassendem) Menjoubärtchen und der (nicht unsympathischen) ironischen Lässigkeit eines Taschenspielers, der die Schwächen seiner Mitmenschen kennt und ertragreich auszunutzen weiß. John Brahm inszeniert die leichenreiche Familiensache um Schulden, Erpressung und Mord routiniert, jedoch ohne das visuelle und psychologische Furore seiner period noirs »The Lodger« und »Hangover Square«. Für schauspielerische Glanzpunkte sorgt immerhin Florence Bates als herrische alte Dame, die es mühelos mit der abgefeimtesten Hitchcock-Matrone aufnehmen könnte.

R John Brahm B Dorothy Hannah (= Dorothy Bennett), Leonard Praskins V Raymond Chandler K Lloyd Ahern M David Buttolph A James Basevi, Richard Irvine S Harry Reynolds P Robert Bassler D George Motgomery, Nacy Guild, Florence Bates, Conrad Janis, Fritz Kortner | USA | 72 min | 1:1,37 | sw | 6. Februar 1947

# 1088 | 5. Dezember 2017

30.1.47

Odd Man Out (Carol Reed, 1947)

Augestoßen

»Close the door when I’m gone… and forget me.« Acht Stunden in Belfast: Lagebesprechung um 4, Überfall um halb 5, ein toter Kassierer, ein Schuß in die Schulter, Flucht, Fieber, verstecken, weiterfliehen, Schnee, Matsch, Hoffnung, Verzweiflung, Trugbilder, Finale um Mitternacht – das alles unter dem unerbittlichen Viertelstundenschlag der großen Turmuhr. Carol Reed zeigt den letzten Weg des IRA-Mannes Johnny McQueen (James Mason als Toter auf Urlaub) zunächst in klaren Bildern und übersichtlichen Situationen, um die Schilderung zunehmend expressiv zu verdüstern, visuell und erzählerisch zu forcieren, ja zu surrealisieren. Kurze, grelle Episoden von Gleichgültigkeit, Verrat und Kälte folgen aufeinander – Höhepunkt ist zweifellos die Szene, die den halluzinierenden Johnny einem wahnsinnigen Maler (Robert Newton) als unfreiwilliges Modell ausliefert. Eine nur schenkt dem Schuldig-Verfolgten wahres Verständnis, opferbereite Liebe – und echtes, endgültiges Mitleid… Zusammengehalten wird das nordirische Stationendrama von unüberhörbaren katholischen Untertönen, von einem schicksalssinfonischen Score (William Alwyn) sowie vom unbedingten, poetisch-realistisch inspirierten Stilwillen des Regisseurs und seines virtousen Kameramanns Robert Krasker. PS: »There is neither good nor bad. There is innocence and guilt. That's all.«

R Carol Reed B F. L. Green, R. C. Sherriff K Robert Krasker M William Alwyn A Ralph Brinton S Fergus McDonell P Carol Reed D James Mason, Robert Newton, Cyril Cusack, Fay Compton, Denis O’Dea | UK | 116 min | 1:1,37 | sw | 30. Januar 1947

15.1.47

13 Rue Madeleine (Henry Hathaway, 1947)

Die zweite »semidocumentary« des Gespanns Louis de Rochemont (Produktion) und Henry Hathaway (Regie) folgt, anders als der Vorgänger »The House on 92nd Street«, sehr deutlich den Konventionen des klassischen Spionagefilms: Ein zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in den militärischen Nachrichtendienst der USA eingeschmuggelter deutscher Agent (entschlossen: Richard Conte) will die Pläne der Alliierten zur Errichtung einer zweiten Front auskundschaften; der Leiter der Einheit (kernig: James Cagney) setzt alles daran, die Mission seines Widersachers zu torpedieren. Der gnadenlose Kampf (»Fair play? That’s out!«) führt schließlich hinter die feindlichen Linien ins besetzte Frankreich … Zwar erhält in »13 Rue Madeleine« die Darstellung von geheimdienstlicher Ausbildung und Alltagsarbeit wiederum viel Raum, auch werden die tödlichen Risiken des zweitältesten Gewerbes der Welt nicht durch wundersame (Drehbuch-)Rettungen in letzter Minute beschönigt, doch die faktenorientierte Sachlichkeit tritt in den Hintergrund zugunsten herkömmlicher Mechanismen von Spannungsentwicklung, bis hin zum finalen Duell der Gegenspieler in einem schummrigen Folterkeller.

R Henry Hathaway B Sy Bartlett, John Monks Jr. K Norbert Brodine M David Buttolph A James Basevi, Maurice Ransford S Harmon Jones P Louis de Rochemont D James Cagney, Richard Conte, Annabella, Frank Latimore, Walter Abel | USA | 95 min | 1:1,37 | sw | 15. Januar 1947