Lisztomania
Der Begriff ›Lisztomania‹ ist die (zeitgenössische) Beschreibung des entfesselten, stark erotisch aufgeladenen Fankults um den Pianisten Franz Liszt, der Mitte des 19. Jahrhunderts, lange vor den notorischen Zelebritäten der Pop- und Rockmusik, die Konzertsäle Europas zum Kochen brachte. Ken Russells »Lisztomania« synthetisiert aus historisch-biographischen Versatzstücken ein ausschweifend-anachronistisches Kitsch’n’Glam-Spektakel über den Künstler als mediale Skulptur, über die geilen Triebe der Kulturindustrie. Aus der Familiengeschichte des Tastenstars (Liszts Tochter Cosima heiratete den Komponisten Richard Wagner) leitet Russell – in kühner Verschmelzung der spezifischen Qualitäten von Leni Riefenstahl, Arthur Freed und Mel Brooks – zudem eine grellbunte Reflexion über die Verwandtschaft musikalischer und politischer Massenphänomene ab: Schwärmerei und Wollust, Ekstase und Hysterie, Sensation und Skandal, Mythos und Wahn bestimmen in beiden Fällen die Interaktion zwischen Bühne und Publikum. Auf dem Höhepunkt des Films exorziert der geschäftstüchtige Gefühlsmensch und lässige Weiberheld Liszt (›The Who‹-Frontmann Roger Daltrey) seinen fanatisch-dämonischen Schwiegersohn Wagner (Paul Nicholas), der mit Hilfe opiatischer Klänge einen teutonischen Übermenschen als Anführer der kommenden Herrenrasse kreiert – die Musik (= Politik) der (auch körperlichen) Liebe triumphiert über die Politik (= Musik) der (auch geistigen) Zerstörung: »I'm gonna live in peace at last, / Forgiven for my past … / Peace at last.«
R Ken Russell B Ken Russell K Peter Suschitzky M Rick Wakeman A Philip Harrison S Stuart Baird P Roy Baird, David Puttnam D Roger Daltrey, Sara Kestelman, Paul Nicholas, Fiona Lewis, Veronica Quilligan | UK | 103 min | 1:2,35 | f | 10. Oktober 1975
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