29.5.54

Dial M for Murder (Alfred Hitchcock, 1954)

Bei Anruf Mord

Dial M for Meisterstück. Mit seiner konzentrierten Verfilmung eines gutgebauten Bühnenthrillers will Alfred Hitchcock offenbar weder sich noch dem Publikum etwas beweisen: Eine straffe Regie ohne visuelle Pirouetten und ein erstklassiges Ensemble (Ray Milland als tödlicher Ehemann, Grace Kelly als wehrlose wife in distress, Robert Cummings als verliebter Amateurdetektiv, John Williams als erzkorrekter Chief Inspector, Anthony Dawson als verhinderter Täter und nützliches Opfer) variieren (mit viel Sinn für boulevardeske Pointierung) das Hitchcock’sche Lieblingsthema der Übertragung von Schuld – diesmal erzählt aus der Perspektive des kultivierten Schurken, verdichtet auf einen einzigen Set, dessen inszenatorische Möglichkeiten klug ausgeschöpft werden. Dazu ein Telefon, ein Paar Strümpfe, ein Brief, eine Schere, zwei Schlüssel – und fertig ist das (fast) perfekte Film-Verbrechen: »In stories things usually turn out the way the author wants them to; and in real life they don't … always.«

R Alfred Hitchcock B Frederick Knott V Frederick Knott K Robert Burks M Dimitri Tiomkin A Edward Carrere Ko Moss Mabry S Rudi Fehr P Alfred Hitchcock D Ray Milland, Grace Kelly, Robert Cummings, John Williams, Anthony Dawson | USA | 105 min | 1:1,37 | f | 29. Mai 1954

26.5.54

Johnny Guitar (Nicholas Ray, 1954)

Wenn Frauen hassen

Eine Westernlandschaft. Ein Mann reitet ins Bild. Im Hintergrund explodiert ein Berg – später ist zu erfahren, daß die Trasse der Eisenbahn durchs Terrain gesprengt wird. »Johnny Guitar« erzählt von existenzieller (aber auch selbstgewählter) Einsamkeit (»I’m a stranger here myself.«) in einer Welt des unaufhaltsamen Umbruchs. Nicholas Ray malt die Geschichte von Vienna, die dem Abenteuer der Zukunft die Türen ihres Saloons öffnet, und von Emma Small, deren Ängste und Verletzungen zu titanischem Haß komprimiert sind, als große Oper in fiebrigen Farben – Joan Crawford läßt dabei Hollywood weit hinter sich und gibt eine Vorahnung von Maria Callas bei Pasolini, Mercedes McCambridge reduziert sich wirkungsvoll auf eine irre lachende Fratze des Zorns. Männer (der von Sterling Hayden (nicht ohne Grund etwas lustlos) verkörperte Titelheld des Films inbegriffen) dienen hier bestenfalls als Auslöser der Raserei und stellen lediglich die Hilfstruppen eines von Frauen angezettelten und ausgefochtenen Gefühlskrieges – bei dessen Inszenierung Ray im übrigen keinerlei Scheu vor exaltierter Überdeutlichkeit zeigt. Die Szene, in der Vienna, in einem üppigen weißen Kleid vor einer roten Felswand sitzend, Klavier spielt, während sie die, an Totenvögel gemahnenden, schwarzgekleideten Häscher um Emma erwartet, mag dafür ein Beispiel geben: »I'm going to kill you.« – »I know. If I don't kill you first.«

R Nicholas Ray B Philip Yordan V Roy Chanslor K Harry Stradling M Victor Young A James Sullivan S Richard L. Van Enger P Herbert J. Yates D Joan Crawford, Sterling Hayden, Mercedes McCambridge, Ward Bond, Ernest Borgnine | USA | 110 min | 1:1,37 | f | 26. Mai 1954

20.5.54

Three Coins in the Fountain (Jean Negulesco, 1954)

Drei Münzen im Brunnen

»Three coins in the fountain / Each one seeking happiness.« Sentimentale Komödie um drei amerikanische Tippfräulein in Rom, die sich ihre Traumprinzen an den Haaren einer hauchdünnen Story herbeiziehen: Die eine liebt einen misanthropischen Schriftsteller, die zweite einen armen italienischen Schlucker, die dritte einen waschechten principe mit steinaltem palazzo und eigenem Flugzeug. Jean Negulesco inszeniert eine bonfortionöse CinemaScope-Sightseeing-Tour durch die ewige Stadt (inklusive Tagestrip nach Venedig, der Perle der Adria), präsentiert jede Menge stolze antike Ruinen, lustig sprudelnde Brunnen (in denen – fünf Jahre vor »La dolce vita« – auch schon mal jemand baden geht) sowie fotogene Pärchen vor malerischen Kulissen (Kamera: Milton Krasner). Ein kon­servativ-selbstüberzeugter Kitsch-as-kitsch-can-Film (fast) ohne doppelten ironischen Boden.

R Jean Negulesco B John Patrick V John H. Secondari K Milton Krasner M Victor Young A John DeCuir, Lyle Wheeler S William Reynolds P Sol C. Siegel D Clifton Webb, Dorothy McGuire, Jean Peters, Louis Jordan, Maggie McNamara | USA | 102 min | 1:2,35 | f | 20. Mai 1954

5.5.54

Les femmes s’en balancent (Bernard Borderie, 1954)

Serenade für zwei Pistolen

Lemmy Caution ermittelt gewohnt salopp in einem Fall, der sowohl Geldfälschung als auch den (vermeintlichen) Selbstmord des Blütendruckers umfaßt; im Mittelpunkt von Lemmys investigativem (und libidinösem) Interesse stehen Ehefrau (Nadia Gray) und Geliebte (Dominique Wilms) des toten (?) Verbrechers. Schauplatz der kuddelmuddeligen Handlung ist die Pontinische Ebene bei Rom, ein unwirtliches Ödland, das an die kargen Szenerien Becketts erinnert und jene geisterhaften Zonen antizipiert, durch die Michelangelo Antonioni seine unbehausten Gestalten streifen lassen wird. Der G-Man kreuzt in seinem voluminösen Amischlitten durch diese tristen Gefilde – von antikisierenden Nachtlokalen (mit Spielhölle im ersten Stock) zu den hypermodernen Villen der nouveaux riches – wie ein kühner Seefahrer durch das gefahrvolle Meer. Eddie ›Pigez?‹ Constantine stellt mit seiner grinsend-abstrakten Interpretation des amerikanischen Hau-drauf-Ermittlers die karikierende Rollendistanz über (oder neben) die identifikatorische Einfühlung und schafft – begleitet vom nervösen Schlagzeug und der schrillen Trompete des jazzig-atonalen Soundtracks von Paul Misraki – so etwas wie knallharte Brechtsche Verfremdung in einem weichbirnigen Pulp-Universum.

R Bernard Borderie B Bernard Borderie, Jacques Vilfrid V Peter Cheney K Jacques Lemare M Paul Misraki A René Moulaert S Jean Feyte P Raymond Borderie, Robert Bossis D Eddie Constantine, Nadia Gray, Dominique Wilms, Jacques Castelot, Nicolas Vogel | F | 109 min | 1:1,37 | sw | 5. Mai 1954

4.5.54

Rosen-Resli (Harald Reinl, 1954)

»Hat man nicht manchmal den Wunsch, ganz neu zu beginnen?« (West-)Deutschland, ein knappes Jahrzehnt nach dem Krieg: emsige Geschäftigkeit und drückende Sorgen, zerrissene Bindungen und Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit, hinterhältige Spekulation und blindes Vertrauen in einen lieben Gott, der weiß, wozu es (= alles) gut ist. Harald Reinl verbindet die Widersprüche zu einem blühenden Kitsch-Film der konsequent falschen Töne, zu einem brennend süßen Kinder-Mütter-Rosen-Melodram, so atemberaubend unecht, so schmalzig, so künstlich, daß es auf schrille Weise wahrhaftig, entlarvend, ehrlich klingt. Das Personal der allegorischen Erzählung um eine herzige Kriegswaise (Christine Kaufmann), die zur Rettung ihrer herzkranken Pflegemutter (Käte Haack) Himmel, Menschen und Blumen in Bewegung setzt: patente Frauen, die ihren Mann stehen, aber (natürlich) viel lieber einen hätten, ein beschädigter Herr, dessen Unglück (natürlich) nicht aus eigenem Versagen sondern aus der edelmütigen Übernahme von fremder Schuld erwuchs, ein böser Verführer, der letzten Endes (natürlich) in seinem öligen Charme ertrinkt, ein guter, betagter Gärtner (Otto Gebühr, der ewige »Alte Fritz« des (reichs-)deutschen Films, »in der letzten Rolle seines Lebens«), der (natürlich) weiß, wie man den (immer noch) kostbaren Stock veredelt. Es ist das unschuldige, selbstlose Resli, das die wertvollen Kenntnisse des Vorvaters zu frischer, neuer Blüte treibt; die mittlere Generation nimmt das Wunder des sprießenden Rosenbuschs dankbar an.

R Harald Reinl B Maria Osten-Sacken, Harald Reinl V Johanna Spyri K Walter Riml M Bernhard Eichhorn A Heinrich Beisenherz S Gertrud Petermann P Paul Hans Fritsch D Christine Kaufmann, Josefin Kipper, Paul Klinger, Käte Haack, Arno Assmann, Otto Gebühr | BRD | 85 min | 1:1,37 | sw | 4. Mai 1954