18.2.82

Die Sehnsucht der Veronika Voss (Rainer Werner Fassbinder, 1982)

»Memories are made of this.« Nach Maria Braun und Lola, deren Blicke starr in die Zukunft gerichtet sind, stellt das zuletzt gedrehte Mittelstück von Rainer Werner Fassbinders BRD-Trilogie, angelehnt an das Schicksal des Ufa-Stars Sybille Schmitz, eine Frau ins Zentrum, die von der Vergangenheit beherrscht wird. München, 1955: Eine gewesene Filmgröße kauft sich die künstlichen Paradiese von Flucht (ins strahlende Gestern) und Vergessen (der tristen Gegenwart) bei einer alles Unglück sorgfältig berechnenden Nervenärztin. Ein Sportreporter verliebt sich in die strahlend-kaputte Diva, will sie retten, scheitert, verliert alles, macht irgendwie weiter. Mehr als die anderen Teile der Reihe ist »Die Sehnsucht der Veronika Voss« ein grandioser Schauspielerfilm: Rosel Zech (in der Titelrolle): wunderschön, depressiv, hysterisch; Hilmar Thate (als Journalist Robert Krohn): zerknautscht, alkoholisch, verunsichert; Cornelia Froboess (als Roberts Freundin Henriette): ironisch, klug, abgekämpft; Annemarie Düringer (als Veronikas Ärztin Dr. Katz): kalt, lächelnd, tödlich. Die Zeit, in der diese Menschen leben, ist friedlich, verlogen, sentimental. Das Land, das sie bevölkern, ist geschunden, grausam, verstört. Erinnerungen an früher sind nicht totzukriegen, nur mit Morphium zu ertragen. Die einen denken zurück an Babelsberg, die anderen an Treblinka. Massenkunst und Massenvernichtung – Traumfabrik und industrielle Tötung erscheinen als zwei Seiten einer Medaille, und den Überlebenden ist in beiden Fällen nur Aufschub gewährt: »You can't beat the me­mo­ries you gave-a me.« Das Werk ähnelt einer Frottage: die Schrecken der vierziger Jahre durchgerieben auf die Oberfläche der fünfziger. Fassbinder bedient sich, um Traditionslinien kenntlich zu machen, offensiv traditioneller kinematographischr Mittel: Trickblenden und Sternchenfilter, artifizielle Bauten und dramatische Beleuchtungseffekte. Sein Film ist überdeutlich »gemacht«, ausdrücklich »hergestellt«: ein giftiges Melodram, ein weißlackierter Film noir, eine Erzählung über Licht und Schatten, Schmerz und Rausch, über den Irrglauben an den Sieg und die Realität der Niederlage.

R Rainer Werner Fassbinder B Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich, Rainer Werner Fassbinder K Xaver Schwarzenberger M Peer Raben A Rolf Zehetbauer Ko Barbara Baum S Juliane Lorenz P Thomas Schühly D Rosel Zech, Hilmar Thate, Annemarie Düringer, Cornelia Froboess, Doris Schade | BRD | 104 min | 1:1,66 | sw | 18. Februar 1982

# 1116 | 29. Mai 2018

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