31.8.67

Heißes Pflaster Köln (Ernst Hofbauer, 1967)

»Man ist nicht sehr fein im ›Chicago am Rhein‹.« Köln – das bedeutet Dom und ›4711‹, Karneval und Millowitsch. Aber die Stadt hat auch eine andere Seite: Klingelpütz und Bandenkriege, gewerbsmäßige Unzucht und sittliche Verrohung. Da erweisen sich gutkatholische Hausväter als regelmäßige Bordellgänger, da peitschen Ganoven hohnlachend ihre Rivalen zu Tode, da wird ein rechtschaffener Staatsanwalt von Halunken terrorisiert, da foltern sadistische Teenagerinnen ein armes, altes Tantchen mit dem Toaster … Zentralfigur der kriminalistischen Milieustudie ist der proletenhafte Zuhälter Paul Keil (Arthur Brauss), der einerseits mit allen Mitteln die Verurteilung seines unter Mordanklage stehenden Bruders verhindern will, sich andererseits zugewanderter Konkurrenz erwehren muß: Der geleckte Wiener Strizzi Poldi (Walter Kohut) wirbt ohne jede Scheu Straßendirnen für einen neu errichteten Luxuspuff: »Hier ist alles exklusiv und exquisit.« Geschickt verknüpft Ernst Hofbauer seinen Zug durch die Kölner Unterwelt mit Seitenblicken auf gefallene Mädchen und feige Bürgersöhne, in triste Hinterhöfe und tiefe Ausschnitte. Herbert Fux, Klaus Löwitsch und der fette Eric Pohlmann machen gute Figur in markanten Nebenrollen; Hans Jura, dessen filmpreisgekrönte Kameraarbeit schon Will Trempers ironischem Westberliner Sittenbild »Die endlose Nacht« den authentischen Schliff gab, verleiht auch Hofbauers Sex-and-Crime-Reißer einen kühlen dokumentarischen Anstrich. Zwar bringt der Showdown (wie zu erwarten war) die (vermutlich nur vorübergehende) Wiederherstellung von Recht und Ordnung, doch ein illustriertenmoralischer Schlußkommentar fordert den Zuschauer auf, sich damit nicht zufrieden zu geben: »Könnten wir alle nicht mehr, als wir es tun, dazu beitragen, Auswüchse zu bekämpfen, Verbrechen zu verhindern?«

R Ernst Hofbauer B Claus Tinney, Ernst Hofbauer K Hans Jura M Claudius Alzner A Karl Schneider S Ilse Wilken P Karl Spiehs D Richard Münch, Arthur Brauss, Beate Hasenau, Klaus Löwitsch, Monika Zinnenberg, Doris Kunstmann | BRD | 90 min | 1:1,66 | sw | 31. August 1967

# 917 | 13. November 2014

30.8.67

Point Blank (John Boorman, 1967)

Point Blank

»I want my money.« Ein abstrakter Pop-Noir-Thriller über Verrat und Vergeltung. Walker (als loner ohne Vornamen: Lee Marvin) beteiligt sich an einem Raubüberfall (im aufgelassenen Gefängnis Alcatraz), wird nach dem Coup von seinem Partner um den Anteil betrogen, verliert die Frau und beinahe das Leben. Der Partner kauft sich mit der Beute in das alles beherrschende Syndikat ein. Walker kehrt zurück, um die ihm zustehenden 93.000 Dollar zu holen: »I want my money.« Unterstützt von einem interessierten Hintermann, rollt Walker auf seinem Rachefeldzug die »organization«, die »corporation«, die »financial structure« von unten nach oben auf: der Einzelne gegen das System (und dabei – bewußt oder unbewußt – integraler Bestandteil desselben) … John Boorman inszeniert einen Film der kalten Oberflächen, der fragmentierten Erinnerungen, der gestorbenen Gefühle, ein American nightmare zwischen emotionaler Versteinerung und explosionsartigen Gewaltausbrüchen: »I want my money.« Walker zieht wie ein Geist, rastlos und unverwundbar, durch ein modern-menschenfeindliches Los Angeles, durch coole Luxusapartments, psychedelische Nachtclubs, ausgetrocknete Betonkanäle, ein entschlossener Todesengel, der Betten und Telefone erschießt, Werkzeug und Katalysator der (Selbst-)Zerstörung: »Walker is beautiful«, wird einem Mitglied des Syndikats höhnisch beschieden, »he’s just tearing you apart.«

R John Boorman B Alexander Jacobs, David Newhouse, Rafe Newhouse V Richard Stark (= Donald E. Westlake) K Philip H. Lathrop M Johnny Mandel A Albert Brenner, George W. Davis S Henry Berman P Robert Chartoff, Judd Bernard, Irwin Winkler D Lee Marvin, Angie Dickinson, Keenan Wynn, John Vernon, Lloyd Bochner | USA | 92 min | 1:2,35 | f | 30. August 1967

# 964 | 10. Juli 2015

11.8.67

Der Mönch mit der Peitsche (Alfred Vohrer, 1967)

Der »Mönch« des Titels sieht aus wie ein spanischer Spitzhaubenbüßer in blutroter Kutte; mit ihrer weißen Peitsche würgt die fotogene Spukgestalt diverse Opfer zu Tode. Andere Figuren dieser Edgar-Wallace-Scharteke sterben durch ein gasförmiges Gift, das den Betroffenen entweder direkt ins überraschte Gesicht geblasen wird oder aber unerwartet aus einem Gebetsbuch aufsteigt. So enthusiastisch er in ausgeklügelten Meucheltechniken und schreienden Farben (Kamera: Karl Löb) schwelgt, so virtuos er ein neogotisches Mädchenpensionat und ein modernes Hallenbad oder eine pompöse Villenruine und ein unterirdisches Aquarium samt Krokodilhalle zu surrealen Architekturbastarden verkreuzt, so energisch treibt Alfred Vohrer die Akteure – neben den üblichen Verdächtigen (Fuchsberger und Schürenberg, Glas und Böttcher) auch Tilly Lauenstein (als Heimleiterin mit verborgenen Talenten) und Günter Meisner (als diskreter Chauffeur des Todes) – durch die (geläufig-abstruse Erbschafts-)Fabel bis zur (lachhaften Kaninchen-aus-dem-Zylinder-)Auflösung. Style over substance? Eher chic without content. Mit anderen Worten: bloody charming.

R Alfred Vohrer B Axel Berg (= Herbert Reinecker) V Edgar Wallace K Karl Löb M Martin Böttcher A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Joachim Fuchsberger, Uschi Glas, Tilly Lauenstein, Konrad Georg, Siegfried Schürenberg | BRD | 88 min | 1:1,66 | f | 11. August 1967

10.8.67

Mister Dynamit – Morgen küßt Euch der Tod (Franz Josef Gottlieb, 1967)

»Stirb langsam, du hast mehr davon.« Bob Urban (Lex Barker), der »beste Mann des BND« (und ein hochbegabter Bauchredner), leistet der überforderten CIA Amtshilfe bei der Jagd auf einen infamen Erpresser, der die Regierung der Vereinigten Staaten mittels einer entwendeten Atombombe um eine Milliarde Dollar erleichtern will … Franz Josef Gottliebs launig-quatschiger Beitrag zum Eurospy-Genre ist der einzige Leinwandauftritt des langlebigen Pabel-Pulp-Protagonisten »Mister Dynamit« (dessen Schöpfer Karl-Heinz Günther auch den New Yorker Privatdetektiv »Kommissar X« erfand): Zu Armando Trovajolis prickelnden Easy-Listening-Klängen kämpft sich der bundesdeutsche Nachrichtendienstler durch allerlei gefahrvolle Abenteuer (und ein paar Schlafzimmer), um den Plan des öligen Erzschurken Bardo Baretti (Amedeo Nazzari), eines Exzentrikers, der leidenschaftlich gerne mit seiner Modelleisenbahn spielt und sich bisweilen in einen Perserteppich einrollt, zu vereiteln. Gottlieb dekliniert mit kindlicher Freude (und eingeschränkten Mitteln) die bekannten Motive des Agententhrillers Bond’scher Prägung durch: exotische Schauplätze und geschmackvolle Brutalität, fiese Schergen und widerspenstig-willige Frauen. Sogar ein veritables »Q«-Äquivalent tritt auf: Professor Strahlmann (Eddi Arent) stattet den Helden der westlichen Welt mit Nebelpillen, Minibandgerät, Tauchnuß und einem Schlauchboot im Aktenkoffer aus.

R Franz Josef Gottlieb B Franz Josef Gottlieb V C. H. Guenter (= Karl-Heinz Günther) K Siegfried Hold M Armando Trovajoli A Juan Alberto Soler S Gisa Radicilevi P Theo Maria Werner D Lex Barker, Amedeo Nazzari, Maria Perschy, Ullrich Haupt, Siegfried Rauch, Eddi Arent | BRD & E & I | 111 min | 1:1,66 | f | 10. August 1967

# 926 | 28. Dezember 2014

3.8.67

La chinoise (Jean-Luc Godard, 1967)

Die Chinesin

Ein Jahr vor 1968 nimmt Jean-Luc Godard in einem spröden Lehrstück Hoffnungen, Verzettelung und Scheitern der Revolte vorweg. Auf der Bühne eines gutbürgerlichen Pariser Appartements führt eine Clique von fünf Akteuren (neben Jean-Pierre Léaud und Juliette Berto auch Anne Wiazemsky, die zweite Mme Godard) das ewige Theater der Linken auf: ihr weltfernes Theoretisieren, ihre nervtötende Besserwisserei, ihre selbstzerstörerischen Fraktionsbildungen, ihren nonchalanten Umgang mit anderer Leute Leben, ihr uneinsichtiges Selbstmitleid am Morgen nach dem historischen Fehlschlag. »La chinoise«: ein prophetisches Zeitdokument.

R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard K Raoul Coutard S Agnès Guillemot, Delphine Desfons P Philippe Dussart D Anne Wiazemsky, Jean-Pierre Léaud, Juliette Berto, Michel Semeniako, Lex de Bruijn | F | 96 min | 1:1,37 | f | 3. August 1967