27.10.55

Die Barrings (Rolf Thiele, 1955)

Rolf Thieles Lore-Version der Buddenbrooks. Ostpreußen, Mitte des 19. Jahrhunderts: Eine locker-flockige Frau (ganz weltläufig: Nadja Tiller), die für große Gesellschaften, schicke Kleider, Marmortreppen und Wintergärten schwärmt, zerrüttet ihren ehrpusselig-antriebsarmen Gatten (knöchern: Dieter Borsche) sowie dessen stattliches Vermögen. Als sie damit fertig und Witwe ist, reist sie ab – wohin auch immer. »Die Barrings« haben einige Größe. Aber eben nur einige.

R Rolf Thiele B Felix Lützkendorf, Rolf Thiele V William von Simpson K Günther Anders M Friedrich Meyer A Walter Haag, Hans Kutzner S Alexandra Anatra P Luggi Waldleitner D Dieter Borsche, Nadja Tiller, Paul Hartmann, Lil Dagover, Sonja Sutter | BRD | 107 min | 1:1,37 | sw | 27. Oktober 1955

Rebel Without a Cause (Nicholas Ray, 1955)

… denn sie wissen nicht, was sie tun

Pathetisches Jugend(melo)drama, das den Generationenkonflikt zwischen idealistischem (oder auch nihilistischem) Aufbegehren und indolenter (oder auch zynischer) Abgefucktheit zu zwei Nächten und einem Tag voller Klang und Wut verdichtet und dabei die ewige Problematik der Identitätsfindung Heranwachsender formuliert: »How can I grow up in a circus like that?« Es gibt einen Jungen (»You’re tearing me apart!«), der von seinem Vater keine Antworten bekommt, ein Mädchen (»Who lives?«), das von seinem Vater kein Küßchen mehr kriegt, einen anderen Jungen (»Do you think the end of the world will come at night time?«), der von seinem Vater verlassen wurde, noch mehr Jungen (»You’ve gotta do something. Don’t you?«), die mit den Autos ihrer Väter über die Klippen rasen, einen wohlmeinenden juvenile officer (»You don’t kid me, pal!«), der sich als jedermanns Vater gebärdet, und Väter (»This is all going too fast for me, son.«), die nicht wissen, was sie tun (sollen). Vielleicht aber benutzt Nicholas Ray dies alles nur als Folie, um einen popkulturellen Modemythos zu schaffen und – ganz und gar antinaturalistisch in emotional-ausdrucksvollen CinemaScope-Bildern – die Abenteuer einer knallroten Windjacke (begleitet von einem weißen T-Shirt, einem Paar Blue Jeans und einem Typen namens James Dean) zu erzählen: ein Wagenrennen, das wie eine Broadwayshow illuminiert ist, eine verkantete innerfamiliäre Kollision, ein Vater-Mutter-Kind-Spiel in einem verlassenen Palast, eine Grand Tour zu sich selbst und weiter bis zum Ende der Welt. PS: Getty Mansion hat in »Rebel Without a Cause« seinen zweiten großen Auftritt als (Alp-)Traumhaus nach »Sunset Blvd.«

R Nicholas Ray B Stewart Stern, Irving Shulman K Ernest Haller M Leonard Rosenman A Malcolm C. Bert S William H. Ziegler, James Moore P David Weisbart D James Dean, Natalie Wood, Sal Mineo, Jim Backus, Corey Allen | USA | 111 min | 1:2,55 | f | 27. Oktober 1955

26.10.55

Les grandes monœuvres (René Clair, 1955)

Das große Manöver

Eine ›comédie dramatique‹ annonciert der Vorspann des Films, und René Clair löst dieses Versprechen formvollendet ein: »Les grandes manœuvres«, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielende Geschichte des sorglos-charmanten Dragonerleutnants Armand (Gérard Philipe), eines Don Juan, der sich – ausgerechnet auf Grund einer Wette! – zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt, beginnt als bissige Marivaudage und verdüstert sich peu à peu zum resignativen Melodram. Des notorischen Schwerenöters Angebete, die geschiedene Modistin Marie-Louise (Michèle Morgan), traut, trotz ihrer Faszination für den bedenklichen Kavalier, dessen abgewetzten Treueschwüren nicht über den Weg: Viel zu oft hat der Frauenheld (mit immer den gleichen Worten, Blicken und Ge­sten) Zuneigung vorgegaukelt, als daß die Echtheit seiner Empfindungen ohne Arg für wahr gehalten werden könnte … In kurzen, fein beobachteten Szenen läßt Clair ein farbenfrohes Marionettentheater der falschen Gefühle und des enttäuschtes Vertrauens, der trügerischen Hoffnung und der unausweichlichen Desillusionierung ablaufen – nicht ohne ironische Seitenblicke auf eine erstarrt-doppelzüngige, an sich selbst ermüdete Gesellschaft zu werfen, die weder an den (zugegebenermaßen: späten) Willen zur Selbstreform noch an die Möglichkeit der wahren Liebe glauben kann (oder glauben will).

R René Clair B René Clair, Jérôme Géronimi, Jean Marsan K Robert Lefebvre M Georges Van Parys A Léon Barsacq S Louisette Hautecœur P René Clair, André Daven D Michèle Morgan, Gérard Philipe, Jean Desailly, Pierre Dux, Yves Robert | F & I | 106 min | 1:1,37 | sw | 26. Oktober 1955

25.10.55

The Big Knife (Robert Aldrich, 1955)

Hollywood-Story

»Life’s a queer little man, kiddie.« Ein Mitarbeiter der Firma will aussteigen, aber sein Boss, der sich den Verlust des besten Mannes nicht erlauben kann, läßt ihn nicht … »The Big Knife«, ein merkwürdiger Zwitter aus Seelendrama und film noir, ist indes kein gangster movie sondern ein Stück aus dem Filmgeschäft – gewerbsmäßiges Verbrechen und Kino scheinen nach denselben Regeln zu funktionieren. Das große Gefecht über Themen wie Integrität und Gewinn liefern sich Jack Palance (unterdrückt explosiv) als Star und Rod Steiger (gnadenlos outriert) als Produzent. Robert Aldrich ist sich (wie üblich) nicht zu schade dafür, die Gegenstände seiner Kritik gleichzeitig filmisch nutzbringend zu exploitieren.

R Robert Aldrich B James Poe V Clifford Odets K Ernest Laszlo M Frank De Vol A William Glasgow S Michael Luciano P Robert Aldrich D Jack Palance, Ida Lupino, Wendell Corey, Jean Hagen, Rod Steiger | USA | 111 min | 1:1,37 | sw | 25. Oktober 1955

14.10.55

Himmel ohne Sterne (Helmut Käutner, 1955)

»Hier und drüben, das ist so wie Amerika und Asien, nur ein bißchen weiter auseinander.« Eine Liebe in Deutschland: Anna (Eva Kotthaus), Fabrikarbeiterin aus dem Osten, die ihren sechsjährigen Sohn Jochen zu sich holen will, trifft Karl (Erik Schumann), einen Grenzpolizisten aus dem Westen, der ihr bei der interzonalen Kindesentziehung behilflich ist. Die traurige Romanze, die sich aus der zufälligen Begegnung entwickelt, spielt diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, zwischen Broditz in Thüringen und Oberfeldkirch in Franken. Helmut Käutner weigert sich, beinahe demonstrativ, einer Seite den Vorzug vor der anderen zu geben: Der Westen genießt gedankenlos die wiedererwachte Kaufkraft, im Osten herrschen systemischer Mangel und ideologische Schurigelei; keiner, so wird überall scheinfromm herausposaunt, hat die Grenze gemacht, und alle tun natürlich immer nur ihre Pflicht. Im Niemandsland, in der Ruine eines aufgelassenen Bahnhofs, kommt die Zärtlichkeit zu ihrem Recht, doch ihre Gegenwart ist nicht von Dauer: Trennende Schranken liegen längst über Schienen, die verbinden sollten. »Himmel ohne Sterne« ist nicht frei von augenfälligen Symbolismen, doch es überwiegt die nüchterne Beobachtung einer anormalen Normalität. Die Schizophrenie der Verhältnisse wird insbesondere sichtbar an den beiden Großelternpaaren des kleinen Jochen, der vom historischen Dilemma (noch) nichts weiß: Im Westen Annas Schwiegereltern, deren Sohn im Krieg gefallen ist, die geschäftstüchtigen Kaufleute Friese (Gustav Knuth und Camilla Spira), sentimental und selbstsüchtig; im Osten die greisen Kaminskis (Erich Ponto und Lucie Höflich), grundanständig doch alptraumverloren aus der Zeit gefallen. Gegenseitig hat man sich abgeschrieben. »Laß die Dinge, wie sie sind. Wie sie sind, sind sie gut«, sagt der alte Friese zu Anna, während Großvater Kaminski ihr kundtut: »Es gibt eine Grenze. Auch für dich.« »Und das mitten in Deutschland!« ruft hilflos ein Wachposten, nachdem er vorschriftsgemäß die Schäferhunde von der Leine gelassen hat.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner K Kurt Hasse M Bernhard Eichhorn A Hans Berthel, Robert Stratil S Anneliese Schönnenbeck P Harald Braun D Eva Kotthaus, Erik Schumann, Erich Ponto, Lucie Höflich, Gustav Knuth, Camilla Spira, Horst Buchholz | BRD | 108 min | 1:1,37 | sw | 14. Oktober 1955

# 880 | 13. Juni 2014

7.10.55

Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse (Kurt Maetzig, 1955)

»Thälmann ist niemals gefallen!« Kurt Maetzigs zweites Hohelied des kommunistischen Führerkultes schiebt das titelgebende Denkmal durch die reichsdeutschen 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts – von der parlamentarischen Quatschbude in spätrepublikanische Grabenkämpfe und weiter hinter die festverriegelte Tür der Zuchthauszelle. Eine über weite Strecken der Handlung weggesperrte Hauptfigur wirft dramaturgische Probleme auf, zumal in einer biographischen Lobeshymne – so wird der immobile Protagonist zum guten Geist, der die internationalistischen Getreuen beseelt (während er seine faschistischen Kontrahenten zur Verzweiflung bringt). Eine bruchstückhafte Geschichts(klitter)stunde zwischen Widerstand und Weltkrieg, abenteuerreichem Agitprop und politischem Melodram: Wiederum ringt die rote Tugend mit einem Konglomerat aus schwachköpfiger Sozialdemokratie und schuftigem Raubtierkapitalismus, ein paar groteske Nazi-Chargen ziehen Fratzen (allen voran Fritz Diez, der Zonen-Hitler vom Dienst), während Günther Simon in seiner Rolle als »Stimme und Faust der Nation« alias »Deutschlands unsterblicher Sohn« sich redlich (wenn auch vergeblich) müht, dem ideologischen Standbild eine Spur von Leben einzuhauchen.

R Kurt Maetzig B Willi Bredel, Michael Tschesno-Hell, Kurt Maetzig K Karl Plintzner, Horst E. Brandt M Wilhelm Neef A Willi Schiller, Otto Erdmann S Lena Neumann P Adolf Fischer D Günther Simon, Hans-Peter Minnetti, Karla Runkehl, Paul R. Henker, Hans Wehrl, Michel Piccoli | DDR | 140 min | 1:1,37 | f | 7. Oktober 1955