28.2.63

Liebe will gelernt sein (Kurt Hoffmann, 1963)

Besorgte Mutter (Fita Benkhoff) gibt ihren erwachsenen Sohn (Götz George), einen Studenten, der sich so gar nicht für die Freuden des Lebens und die Vertreterinnen des anderen Geschlechts zu interessieren scheint, in die erzieherische Obhut ihres lebemännischen Bruders (Martin Held), eines umschwärmt-erfolgreichen Schriftstellers; der Jüngling entpuppt sich als nicht ganz so unerfahren wie gedacht, und die Mutter steht plötzlich als Großmutter da … Kurt Hoffmann inszeniert Erich Kästners wenig pointierte Boulevard-Komödie ohne große innere Beteiligung und weiß auch mit dem ansehnlichen Ensemble (darunter die stupsnäsige Grit Böttcher als liebestolle Tippse und die aparte Barbara Rütting als männer­verstehender Filmstar) kaum etwas anzufangen. Die Jungen sind in »Liebe will gelernt sein« noch konservativer als die Alten – das will 1963 etwas heißen. Ein Film wie angebranntes Gulasch. PS: Daß Sven Nykvist, der Magier des natürlichen Lichts, der intensive Erforscher von Gesichtslandschaften, die Kamera führt, ist dem umständlichen Stück (leider) in keiner Weise anzumerken.

R Kurt Hoffmann B Erich Kästner V Erich Kästner K Sven Nykvist M Hans-Martin Majewski A Hans-Jürgen Kiebach, Ernst Schomer S Ursula Kahlbaum P Heinz Angermeyer D Martin Held, Götz George, Loni von Friedel, Fita Benkhoff, Grit Böttcher | BRD | 93 min | 1:1,66 | sw | 28. Februar 1963

22.2.63

Der Fluch der gelben Schlange (Franz Josef Gottlieb, 1963)

Die »Gelbe Gefahr« – eine unverwüstliche Angstfantasie der abendländischen Zivilisation. Schon Napoleon Bonaparte mahnt: »Laßt China schlafen. Wenn es erwacht, wird die Welt es bedauern.« Während des Kalten Krieges kursiert im Westen das Scherzwort: »Der Optimist lernt Russisch, der Pessimist Chinesisch.« Hergé-Schüler Edgar P. Jacobs eröffnet seine grandiose Comic-Serie »Blake und Mortimer« mit einem Angriff des »gelben Reiches« auf die »freie Welt«. Und auch der Berliner Produzent Artur Brauner warnt eindringlich vor der asiatischen Bedrohung: In der CCC-Edgar-Wallace-Adaption »Der Fluch der gelben Schlange« formiert sich unter Führung des spinnerten britisch-chinesischen Halbblutes Fing-Su (Pinkas Braun mit künstlichen Schlitzaugen) eine Untergrundarmee, die dem Reich der Mitte wieder alte Geltung verschaffen will; mit Goebbels-Timbre schwört der Eiferer seine Jünger auf das blutige Endspiel um die Weltherrschaft ein. (Joachim Fuchsberger und Eddi Arent machen dem bösen Chink freilich einen Strich durch die Rechnung.) … In den besseren Momenten des reichlich zerfahren erzählten Films transzendiert Regisseur Franz Josef Gottlieb den rabiaten Rassismus des Drehbuchs in kryptopolitisches Paranoiakino zwischen Fritz-Lang-Papp-Exotismus und dämonisch-parodistischer »Fantômas«-Maskerade.

R Franz Josef Gottlieb B Janne Furch, Franz Josef Gottlieb V Edgar Wallace K Siegfried Hold M Oskar Sala A Hans-Jürgen Kiebach, Ernst Schomer S Walter Wischniewsky P Artur Brauner D Joachim Fuchsberger, Pinkas Braun, Brigitte Grothum, Eddi Arent, Werner Peters | BRD | 98 min | 1:1,66 | sw | 22. Februar 1963

14.2.63

8 ½ (Federico Fellini, 1963)

Achteinhalb

Vordergründig die Seelenschau eines Filmregisseurs in der Schaffenskrise – Guido Anselmi (Marcello Mastroianni mit Fellini-Hütchen): »Ich hab’ halt einfach nichts zu sagen ... Und doch will ich etwas sagen!« –, weitet sich »8 ½« zur großen Ich-(= (Innen-) Welt-)Erzählung, die Realität nicht nur als greifbares Hier und Jetzt versteht, sondern als In-, Durch- und Miteinander von Erleben, Erinnerung und Traum, von Diesseits und Jenseits, von Gestern, Heute und (vielleicht) Morgen. Federico Fellini, der große Zampanò des modernen Kinos, handelt dies alles (natürlich) nicht theoretisch ab – ganz im Gegenteil: Er fabuliert dem Teufel das Ohrläppchen ab, greift ins pralle (eigene) Leben, läßt einprägsame Charaktere aufmarschieren: das hysterische Starlet und den altersgeilen Narren, die bittere Ehefrau und die aufgeschminkte Geliebte, die ätherische Muse und den verkniffenen Intellektuellen, das mystische Superweib und den heuschreckenhaften Parapsychologen – Dämonen, Spiegelungen, Korrelate seines filmischen (Alter) Ego. In Bildern von traumhafter Klarheit (Gianni di Venanzo) und zu einer Musik von sentimentalem Überschwang (Nino Rota) zeigt »8 ½« einen (= den?) Menschen als Kosmonauten auf der Reise durch das Universum seiner selbst, als Clown im Zirkus der eigenen Existenz.

R Federico Fellini B Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli, Brunello Rondi K Gianni Di Venanzo M Nino Rota A Piero Gherardi S Leo Cattozzo P Angelo Rizzoli D Marcello Mastroianni, Claudia Cardinale, Anouk Aimée, Sandra Milo, Rossella Falk | I & F | 138 min | 1:1,85 | sw | 14. Februar 1963

11.2.63

Nattvardsgästerna (Ingmar Bergman, 1963)

Licht im Winter 

»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Ein dunkler Sonntag im November: Pastor Tomas (!) Ericsson (Gunnar Björnstrand) zelebriert die Messe in einer fast leeren Kirche. Nach dem Abendmahl wird in kargen Szenen das Drama entrollt: Der Geistliche, vom Tod seiner Frau nachhaltig erschüttert, fühlt sich von Gott verlassen, ist außerstande, einem am ›Zeitalter der Angst‹ verzweifelnden Fischer (Max von Sydow) seelischen Beistand zu leisten, klagt stattdessen über die eigene Glaubenskrise, weist angeekelt die opferbereite Zuneigung seiner ehemaligen Geliebten, einer altjüngferlichen Lehrerin (Ingrid Thulin), zurück. Mit »Nattvardsgästerna« (= Abendmahlsgäste – der Originaltitel weiß nichts von einem »Licht im Winter«), einem unfaßbar (und unnahbar) präzise exekutierten Thesenstück, beginnen Bergman und sein Kameramann Sven Nykvist ihre Erkundungsfahrten in die menschliche Physiognomie: Insistierende Großaufnahmen dringen in psychologische Tiefen vor, die mit Dialogen kaum zu ergründen wären. (Überhaupt Nykvist: Was wären Bergmans Filme ohne sein unendlich fein moduliertes Licht, ohne seinen Mut zur Leere, ohne seinen durchdringenden Blick, der Gedanken in Bilder verwandelt?) Das eisige Endspiel mündet (nach wenigen Stunden erzählter Zeit) in einen niederschmetternden Zirkelschluß: Wieder steht der Pastor vor einer »Gemeinde«; die Bänke sind nun (bis auf eine nicht zu beirrende Ungläubige) vollkommen verwaist. Doch der Dienst an einem schweigenden Gott geht weiter… Wie es bei Beckett heißt: »Man muß weitermachen, ich kann nicht weitermachen, man muß weitermachen, ich werde also weitermachen.«

R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Ulla Ryghe P Allan Ekelund D Gunnar Björnstrand, Ingrid Thulin, Gunnel Lindblom, Max von Sydow, Allan Edwall | S | 81 min | 1:1,37 | sw | 11. Februar 1963

1.2.63

Machorka-Muff (Jean-Marie Straub & Danièle Huillet, 1963)

»Wird die Öffentlichkeit … wird sie es schlucken?« – »Sie wird es schlucken. Sie schluckt alles.« Bonn, in den Jahren der Wiederaufrüstung: Der einst unfreiwillig retirierte Oberst Erich von Machorka-Muff (»Hin und wieder habe ich Appetit auf die derbe Erotik der niederen Klassen.« – Erich Kuby), standesbewußter Offizier aus altem katholischen Adel, kehrt als General zur neuformierten Truppe zurück, um zum Zwecke der Traditionspflege in der Hauptstadt die »Akademie für militärische Erinnerungen« zu begründen: Gestern und Heute, Krieg und Verteidigung, Gewaltherrschaft und Demokratie in jeweils trauter Zweisamkeit. 17 lächerlich spröde inszenierte, ergreifend schlicht kadrierte, schnarrend laienhaft gespielte Minuten von satirischer Vollendung. Jean-Marie Straub und Danièle Huillet verfeinern die launige Böllsche Stichelei (mit schlichten Namenswitzen à la »Murcks-Maloche« und »von Zaster-Pehnunz«) durch bildhaft-abstrakten Zugriff zur lakonisch entlarvenden Travestie bundesrepublikanischer Verhältnisse: »Opposition – was ist das? Haben wir die Mehrheit, oder haben wir sie nicht?«

R Jean-Marie Straub, Danièle Huillet B Jean-Marie Straub, Danièle Huillet V Heinrich Böll K Wendelin Sachtler M François Louis S P. C. Lemmer P Walter Krüttner D Erich Kuby, Renate Langsdorff, Rolf Thiede, Guenther Strupp | BRD | 17 min | 1:1,37 | sw | 1. Februar 1963