Boulevard der Dämmerung
»Yes, this is Sunset Blvd., Los Angeles, California. It's about five o'clock in the morning …« 1950, gut ein halbes Jahrhundert, nachdem die Bilder laufen lernten – nach einer Epoche voller Glanz und Hysterie, nach einer Ära der strahlenden Erfolge und der ruinösen Abstürze, nach einem Zeitalter des gleißenden Lichtes und der tiefschwarzen Schatten –, zieht »Sunset Blvd.« eine, nein: die Bilanz des Systems ›Hollywood‹. Billy Wilder und Charles Brackett (deren letztes gemeinsames Werk dies sein sollte) verorten ihr höhnisch-selbstreferentielles Noir-Melodram sehr präzise und anschaulich beim eigenen Brötchengeber, den Paramount Pictures, wo sie drei archetypische Protagonisten zu-, mit- und gegeneinander in Stellung bringen: eine zeitlos-(selbst-)vergessene Diva of yesteryear (»I am big. It's the pictures that got small.« – Gloria Swanson), einen erfolglos-hungrigen Arbeiter im Weinberg der siebten Kunst (»He always wanted a pool.« – William Holden) und einen obsessiv-masochistischen Menschenschöpfer (»Madame is the greatest star of them all.« – Erich von Stroheim). Das kinematographische trio infernal wird vom schadenfrohen Schicksal im Spukhaus einer glorreichen filmischen Vergangenheit (10086 Sunset Blvd.) zusammengesperrt und verstrickt sich dortselbst in ein schäbig-prunkvolles Netz von Ehrgeiz und Verzweiflung, Ekel und Begehren, Ausbeutung und Korruption. Die Wände ihrer kleinen weiten Welt werden zur flickernden Projektionsfläche für Sehnsüchte (nach Erfolg, nach Bestätigung, nach Liebe) und Ängste (vor dem Fehlschlag, vor dem Vergessen, vor dem Alleinsein). Wirklichkeit, Traum und Lüge verschwimmen, und so schlittern die drei über die Fliesen, auf denen einst Valentino Tango tanzte, hinein in die Erfüllung ihrer Wünsche – denn zum ironisch-schaurigen Ende bekommen sie alle (in gnadenlosem Schwarzweiß und Academy ratio) das, was sie verdienen, und (schlimmer noch) das, was sie ersehnten: das letzte Kommando (»Action!«), das Bad im Pool, das definitive close-up: »There’s nothing else – just us and the cameras and those wonderful people out there in the dark …« Für »Sunset Blvd.«, soviel steht fest, wurde das Kino erfunden. PS: »Fabulous Hollywood / Celluloid Babylon / Bold and ambitious / And vicious and glamorous / Drama – a city full / Tragic and pitiful / Bunk, junk and genius …« (Don Blanding)
R Billy Wilder B Billy Wilder, Charles Brackett K John F. Seitz M Franz Waxman A Hans Dreier, John Meehan S Doane Harrison, Arthur P. Schmidt P Charles Brackett D William Holden, Gloria Swanson, Erich von Stroheim, Nancy Olsen, Jack Webb, Cecil B. DeMille | USA | 110 min | 1:1,37 | sw | 10. August 1950