29.6.67

Alle Jahre wieder (Ulrich Schamoni, 1967)

»Entweder regnet’s hier, oder die Glocken läuten, oder es wird mal wieder ’ne Kneipe eröffnet.« ›Hier‹, das ist Münster, wohin alljährlich zu Weihnachten Hannes Lücke (Hans Dieter Schwarze) zurückkehrt, der schon seit Jahren als erfolgreicher Werbetexter in Frankfurt lebt, um mit Frau Lore (Ulla Jacobsson) und Kindern die Feiertage zu verbringen – und um sich im Kreise alter Saufkumpane einen (oder zwei oder drei) hinter die Binde zu gießen. Erstmals kommt Hannes nicht allein, sondern in Begleitung seiner jungen Freundin Inge (Sabine Sinjen); ihre hellhörig-kritische Außenseiterperspektive auf Sitten und Bräuche der westfälischen Kapitale machen sich auch die Erzähler zu eigen, die gleichwohl über eine intime Kennerschaft des geschilderten Milieus verfügen: Ulrich Schamoni (Regie) und Michael Lentz (Buch) wuchsen in Münster auf, sind der Stadt und ihren Bewohnern in zärtlich-bissiger Haßliebe verbunden. »Alle Jahre wieder« beschreibt, in scheinbar beiläufigen Beobachtungen, eine Gesellschaft, deren moralische Normen und überkommene Etiketteregeln nur mehr als historische Fassade aufrecht erhalten werden, zugleich zeichnet der Film das ironisch-trostlose Bild einer arrivierten und doch verlorenen (Männer-)Generation. »Wir sind vierzig geworden« lautet der Titel eines melancholischen Gedichts, das einer von Hannes’ Zechbrüdern vorträgt: »Ihr habt recht, wenn ihr denkt / der Rest unserer Träume / schmücke die Weihnachtsbäume. / Ja, alle Hoffnungen trügen. / Warum sollen wir lügen?« Die antibürgerlichen Sehnsüchte der ehemaligen Flakhelfer, aus denen Notare oder Bauunternehmer oder Steuerberater wurden (sie erinnern trotz ihrer gehobenen sozialen Stellung an Fellinis desorientierte »Vitelloni«), ertrinken im ritualisierten Rausch. »Jetzt singen sie wieder«, spottet eine ernüchterte Ehefrau, »da kann’s nicht mehr lange dauern.« Ein Jahr später wird in Berlin das Springer-Hochhaus brennen. In Münster bleibt es weitgehend ruhig.

R Ulrich Schamoni B Michael Lentz, Ulrich Schamoni K Wolfgang Treu M Hans Posegga S Heidi Genée P Peter Schamoni D Hans Dieter Schwarze, Sabine Sinjen, Ulla Jacobsson, Johannes Schaaf, Hans Posegga | BRD | 91 min | 1:1,66 | sw | 29. Juni 1967

15.6.67

Koroshi no rakuin (Seijun Suzuki, 1967)

Branded to Kill

Goro Hanada alias Killer No. 3 – eiskalter Hitman mit Fetisch für den Geruch von kochendem Reis – vergeigt einen Job, fällt in Ungnade und wird zum Hatzobjekt des legendären Killer No. 1 … Seijun Suzuki zerschlägt das Yakuza-Genre, um die Bruchstücke in eine dadaistische Collage aus Brutalität und Slapstick, Desorientierung und Sex zu verwandeln. Surreale Nikkatsuscope-Bilder phantasieren über Wasserstrahlen und Professionalität, über Schmetterlinge und Todessehnsucht. Ein filmisches objet trouvé in knallhartem Schwarzweiß.

R Seijun Suzuki B Hachiro Guryu, Takeo Kimura, Chusei Sone, Atsushi Yamatoya K Kazue Nagatsuka M Naozumi Yamamoto A Sukezo Kawahara S Matsuo Tanji P Kaneo Iwai, Takiko Mizunoe D Jo Shishido, Koji Nanbara, Isao Tamagawa, Anne Mari, Mariko Ogawa | JP | 98 min | 1:2,35 | sw | 15. Juni 1967

12.6.67

You Only Live Twice (Lewis Gilbert, 1967)

James Bond 007 – Man lebt nur zweimal

»Allow me to introduce myself: I am a man of wealth and taste.« Stop! – zurück: »Allow me to introduce myself: I am Ernst Stavro Blofeld.« Mit diesen Worten bekommt James Bonds katzenkraulende Nemesis erstmals ein Gesicht – und als reichte die psychopathische Fresse von Donald Pleasence nicht aus, wird ihm auch noch eine monokelartige Narbe ins Antlitz geschnitten: Erich von Stroheim meets Mao Tse-tung. Abgesehen von diesem bemerkenswerten Auftritt – und von Ken Adams todschicken, modern-byzantinischen Bauten – hat der, im Fernen Osten angesiedelte, fünfte »007«-Einsatz eher wenig zu bieten: Bond verwandelt sich aus Gründen der Tarnung in einen Japaner (der aussieht wie Sean Connery im Kimono), und vor dem Hintergrund des amerikanisch-sowjetischen space race konstruiert Roald Dahls umständliches Szenarium einen Konflikt zwischen den Supermächten, die von interessierten Kreisen gegeneinander ausgespielt werden, um einen Weltkrieg zu provozieren – alles schön und gut, aber so betriebsblind, wie sie in »You Only Live Twice« vorgeführt werden, waren die Herren in Washington und Moskau nicht einmal bei Kubrick. PS: Daß Karin Dor an die Fische verfüttert wird, liegt ebenso in der Natur des Genres wie die notorische Bereitwilligkeit aller anderen Damen in emotionaler (und sonstiger) Hinsicht – aber die penetranten weiberfeindlichen Sottisen von Bond & Co. verursachen bisweilen dezente Übelkeit.

R Lewis Gilbert B Roald Dahl V Ian Fleming K Freddie Young M John Barry A Ken Adam S Peter Hunt P Albert R. Broccoli, Harry Saltzman D Sean Connery, Akiko Wakabayashi, Karin Dor, Donald Pleasence, Bernard Lee | UK | 117 min | 1:2,35 | f | 12. Juni 1967

6.6.67

Das Rasthaus der grausamen Puppen (Rolf Olsen, 1967)

Daß Schmutz-und-Schund-Maestro Rolf Olsen seine Zuchthäuslerinnen-auf-der-Flucht-Ballade in Schottland ansiedelt und nicht dort, wo der Streifen gedreht wurde (in Triest und trister Umgebung), mag dem konstanten Erfolg bundesdeutscher Leinwand-Anglizismen geschuldet sein – der chauvinistische Trivialkosmos der wüsten Erzählung ist allemal zeitlos, ortlos, herzlos: So spart die knallige Blei-und-Busen-Geschichte der vom Geliebten (Erik Schumann als selten dämlicher Ganove Bob Fishman) schmählich im Stich gelassenen, von der Staatsgewalt (Ellen Schwiers als notgeile Gefängnisdirektorin Francis Nipple) emotional verhärteten Ausbrecherin Betty Williams (Schweden-Beauty Essy Persson), die am Ende ihres leichengepflasterten Weges konsequenterweise in die eigene Grube fährt, weder mit krokodilstränenseligem Wer-einmal-aus-dem-Blechnapf-frißt-Voyeurismus noch mit zeigefingerfertiger Unrecht-Gut-gedeihet-nicht-Moral. Zielstrebige Frauenpower kann bei dieser (unverblümt sensationslüsternen) Betrachtungsweise natürlich nur als psychische Störung begriffen werden.

R Rolf Olsen B Rolf Olsen K Karl Löb M Erwin Halletz A Nino Borghi S Lilo Krüger P Karl Spiehs D Essy Persson, Erik Schumann, Helga Anders, Margot Trooger, Ellen Schwiers | BRD & I | 96 min | 1:1,66 | sw | 6. Juni 1967

# 1134 | 21. Oktober 2018