23.6.44

The Mask of Dimitrios (Jean Negulesco, 1944)

Die Maske des Dimitrios 

»There is not enough kindness in the world.« 1938 wird in Istanbul die Leiche eines Mannes an den Strand gespült. Dimitrios Makropoulos war ein in vielen Ländern gesuchter skrupelloser Verbrecher. Der Kriminalschriftsteller Cornelius Leyden (Peter Lorre), vom Chef der türkischen Militärpolizei auf den interessanten Fall aufmerksam gemacht, unternimmt eine Recherchereise, um die Biographie des Toten zu ergründen, eine Reise, die kreuz und quer durch Europa führt: vom Bosporus in Richtung Athen, weiter nach Sofia, Genf (mit einer Reminiszenz an Belgrad) und Paris. Diverse Zeugen (ein ehemaliger Drogenschmuggler, ein Nachrichtenhändler im Ruhestand, eine verblühte Nachtclubbesitzerin) berichten von ihren Begegnungen mit Dimitrios (Zachary Scott), und aus diesen erinnernden Rückblenden entsteht eine Erzählung von Mord und Verrat, Spionage und Erpressung, Geld und Politik … Eric Ambler, Autor der epochalen, multiperspektivischen Romanvorlage (deren Konstruktion Einfluß auf Orson Welles’ »Citizen Kane« und »Mr. Arkadin« gehabt haben mag), entwickelte das niederschmetternde Panorama der Zeit zwischen den Kriegen, indem er seine mysteriöse Titelfigur zum allgegenwärtigen Profiteur von Haß und Gewalt, zum Totengräber einer Welt am Abgrund stilisierte. Jean Negulescos Adaption enthält sich bei aller äußeren Werktreue jeder konkreten Gesellschaftskritik: Zwar offenbart auch die noirische Düsternis der eleganten Inszenierung ein Leben ohne Güte, ohne Freundlichkeit, ohne Miteinander – doch die dargestellte Inhumanität erscheint gleichsam privatisiert, ihrer historischen Beispielhaftigkeit entkleidet.

R Jean Negulesco B Frank Gruber V Eric Ambler K Arthur Edeson M Adolph Deutsch A Ted Smith S Frederick Richards P Henry Blanke D Peter Lorre, Sidney Greenstreet, Zachary Scott, Victor Francen, Faye Emerson | USA | 95 min | 1:1,37 | sw | 23. Juni 1944

# 792 | 6. November 2013

1.6.44

This Happy Breed (David Lean, 1944)

Wunderbare Zeiten

»This happy breed of men, this little world, / This precious stone set in the silver sea …« Das visionäre Bild eines sterbenden englischen Aristokraten von seiner Heimat (aus Shakespeares Königsdrama »Richard II«) schwebt als Motto über Noël Cowards Familiendramödie, die das Tun und Trachten einer Londoner Durchschnittssippschaft zwischen den Weltkriegen nachzeichnet: mum, dad, granny, aunt, two girls, one boy in einer x-beliebigen Reihenscheibe, dazu die Nachbarn und, little by little, die Schwiegerkinder und Enkel. Es ist die Welt der kleinen Angestellten, der Hausfrauen, der common men und women, die »This Happy Breed« mit (bisweilen garstiger) Liebe zum Detail und einigem Sinn für (mitunter schrille) Zwischentöne ausmalt: viel Grau, viel Beige, ein wenig Rosa und ein Quäntchen Schwarz. David Leans akkurate Leinwandadaption des Stücks zielt – mal heiter, mal bitter – auf das Leben im Allgemeinen und im Besonderen: Liebe und Gewohnheit, Aufregung und Langeweile, Hochzeiten und Todesfälle, arroganter Höhenfurz und Ergebung ins Schicksal, kleinmütiges appeasement und stolze Britishness. Der Film erscheint zwar gelegentlich wie die Kurzfassung einer (patriotischen) soap opera – doch die glänzenden Darsteller formen aus theatralen Scherenschnitten greifbare Charaktere, mit denen man seufzen und lächeln, die Zähne zusammenbeißen und auf bessere Zeiten hoffen darf. »… This blessed plot, this earth, this realm, this England.«

R David Lean B David Lean, Ronald Neame, Anthony Havelock-Allan V Noël Coward K Ronald Neame M Muir Mathieson A C. P. Norman S Jack Harris P Noël Coward D Robert Newton, Celia Johnson, Kay Walsh, Stanley Holloway, John Mills | UK | 114 min | 1:1,37 | f | 1. Juni 1944