25.1.63

Landru (Claude Chabrol, 1963)

Der Frauenmörder von Paris

Henri Désiré Landru war ein notorischer Betrüger und Heiratsschwindler. Aber war er auch ein Serienkiller? 1922 schlug man ihm wegen der Ermordung von zehn verschwunde­nen Frauen den Kopf ab. Die Leichen der mutmaßlichen Opfer wurden nie gefunden … Claude Chabrol und seine Szenaristin Françoise Sagan lassen die Affäre Landru in Form einer hochstilisierten Schwarzkomödie aus der nicht besonders guten alten Zeit Revue passieren; die an Zeitschriftenillustrationen erinnernden Dekors (Jacques Saulnier), die theatralen Dialoge, das distanzierte, oftmals outrierte, hin und wieder sogar slapstickhafte Spiel der Darsteller (allen voran Charles Denner in der diabolisch-spitzbärtigen Titelrolle) verwandeln den legendären Kriminalfall aus den Jahren des Ersten Weltkriegs in ein elegant-moritatenhaftes Schauerstück. Der unklaren Beweislage folgend, zeigt Chabrol keine einzige Bluttat, nur die einfrierenden Gesichter liebeshungriger Damen (darunter Michèle Morgan und Danielle Darrieux) und immer wieder einen rauchenden Schornstein. Kurze Einschübe historischen Bildmaterials setzen das politisch legitimierte Massensterben des Krieges ins Verhältnis zum inkriminierten zivilen Tötungsdelikt: »Quelle horreur, 10000 morts.« – »Et alors, la vie est faite de sang et de terreur, ma chère amie.« Denner gestaltet Landru als Phänotypen der Epoche: charmanter Bonhomme und gefühlloser Profiteur, sorgender Familienvater und zynischer Pedant, sanftes Monster und beschränktes Genie. Die Wahrheit über sich und seine Machenschaften mag der Mythos zu Lebzeiten auch angesichts des bevorstehenden Todes unter dem Fallbeil nicht preisgeben: »C’est mon petit bagage.«

R Claude Chabrol B Françoise Sagan K Jean Rabier M Pierre Jansen A Jacques Saulnier S Jacques Gaillard P Georges de Beauregard, Carlo Ponti D Charles Denner, Stéphane Audran, Danielle Darrieux, Michèle Morgan, Hildegard Knef | F & I | 115 min | 1:1,66 | f | 25. Januar 1963

Le petit soldat (Jean-Luc Godard, 1963)

Der kleine Soldat

»À bout de souffle« mit einer Art Handlung – erzählt in einer großen Rückblende vom tristen Ende her. Genf, während des Algerienkrieges: Bruno Forestier (sieht fast noch besser aus als Belmondo: Michel Subor), Fotograf und Agent der kryptofaschistischen französischen »Geheimarmee« OAS, soll einen algerienfreundlichen Journalisten abknallen. Er verliebt sich in Véronica Dreyer (!) (mit Wind in den Haaren: Anna Karina), die, wie sich herausstellt, für die andere Seite arbeitet. Als Bruno aussteigen will, kidnappen seine »Freunde« das Mädchen, um ihn zum Mord zu pressen … Intrigen, Folter, Tod, aber auch Liebe, Kunst, Reflexion und (wie anders bei JLG?) Spiel, Posen, Gerede. Neben Überlegungen zur Verwandtschaft von Kamera und Revolver formuliert Godard in »Le petit soldat« zudem seinen berühmten – in den Posiealben der Cinéasten mittlerweile mausetotzitierten – Film=24xWahrheit/Sekunde-Satz. Von Ex-Kriegsberichter Roaul Coutard gut ge­schossener Intello-Pulp, der wegen seiner vermeintlichen politischen Brisanz drei Jahre im französischen Giftschrank lag.

R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard K Raoul Coutard M Maurice Leroux S Agnès Guillemot, Lila Herman P Georges de Beauregard D Michel Subor, Anna Karina, Henri-Jacques Huet, Paul Beauvais, László Szabó | F | 88 min | 1:1,37 | sw | 25. Januar 1963

15.1.63

Beschreibung eines Sommers (Ralf Kirsten, 1963)

»Wir bauen hier den Sozialismus auf!« – »Wir bauen hier erstmal ein Chemiewerk.« Bewußtsein und Beton: die (rot-)glühende FDJlerin und der unsentimentale Ingenieur, die feingliedrige Grit und der massige Tom, Christel Bodenstein und Manfred Krug. Ralf Kirstens »Beschreibung eines Sommers« (nach dem Ankunftsroman von Karl-Heinz Jakobs) ist die Schilderung des Lebens und Arbeitens auf einer Großbaustelle irgendwo in der jungen DDR, die Geschichte einer unmöglichen und doch unausweichlichen Liebe, ein bald zarter, bald ruppiger Film, ein sensibles, neugieriges Abtasten von Gesichtern und Landschaften. Es ist viel euphorische Hoffnung in dieser Erzählung (»Wie lange wird’s wohl dauern, bis wir im Kommunismus leben?« – »Hundert Jahre …« – »Viel früher!«), viel linientreue Romantik (Lagerfeuer, Klampfenklänge, Umgestaltung von Natur und Mensch), aber auch eine große Offenheit des Blicks, ein selbstverständliches Zulassen von Zweifeln, Konflikten, Ängsten und, am Wichtigsten vielleicht: glaubwürdige Gefühle, aufrichtiges Empfinden. Ein intimes Meisterstück des nachdenklichen Optimismus.

R Ralf Kirsten B Karl-Heinz Jakobs, Ralf Kirsten V Karl-Heinz Jakobs K Hans Heinrich M Wolfgang Lesser A Hans Poppe, Jochen Keller S Christel Röhl P Werner Liebscher D Manfred Krug, Christel Bodenstein, Günther Grabbert, Marita Böhme, Johanna Clas | DDR | 80 min | 1:1,37 | sw | 15. Januar 1963