31.10.47

Antoine et Antoinette (Jacques Becker, 1947)

Zwei in Paris

Paris-Nordwest, Métro La Fourche, avenue de Saint-Ouen, quartier de gens de peu. Eine Mietskaserne, mit Leben vollgestopft bis unters Dach, man haust dicht an dicht, jeder kennt jeden … In der ersten Hälfte des Films malt Jacques Becker die (Alltags-) Atmospähre, skizziert das Milieu, studiert Gesten und Blicke, belauscht Zärtlichkeiten und Zänkereien, macht mit den Menschen seiner Kleine-Leute-Welt bekannt. Antoine und Antoinette, jung und verliebt, bewohnen ein Appartement im obersten Stockwerk mit Blick über die Stadt, was idyllischer klingt, als es ist: zwei winzige Zimmer, kein Bad, nicht einmal ein Spülstein. Er verdient sein Geld als Arbeiter in einer Druckerei, sie ist Angestellte in einem Kaufhaus an den Champs-Elysées. Er träumt von einem Motorrad, sie wünscht sich eine Wohnung mit Waschbecken. Die Nachbarn: eine schwatzhafte Fahrkartenverkäuferin und ihr Mann; ein mißtrauischer Nachtwächter und seine Frau; ein tatendurstiger Boxer und seine Eltern; schließlich: Monsieur Roland, der Lebensmittelhändler von vis-à-vis, Herr über die (noch) rationierten Güter, ein Lustmolch, der Antoinette eine »Ausnahmestellung« in seinem Geschäft anbietet … In der zweiten Hälfte der unsentimentalen Romanze folgt die Andeutung einer Geschichte, ein luftiges, bisweilen böiges Dramolett um ein verlorenes Gewinnlos der Blindenlotterie, ein liebevoll-kluger Schwank um Hoffnung, Enttäuschung, Belohnung: Becker, der Poet, rühmt den Wert des Glücks, Becker, der Realist, weiß um den Zauber des Geldes.

R Jacques Becker B Jacques Becker, Maurice Griffe, Françoise Giroud K Pierre Montazel M Jean-Jacques Grünenwald A Robert Jules-Garnier S Marguerite Renoir P Georges André D Roger Pigaut, Claire Mafféi, Noël Roquevert, Annette Poivre, Pierre Trabaud | F | 85 min | 1:1,37 | sw | 31. Oktober 1947

# 813 | 12. Dezember 2013

3.10.47

Ehe im Schatten (Kurt Maetzig, 1947)

»Es wird schon nicht so schlimm ...« Eine Schauspielerehe in der Nazizeit: Elisabeth (Ilse Steppat) ist Jüdin; ihr Mann Hans (Paul Klinger) wird gedrängt, sich von ihr scheiden zu lassen – das Paar begeht gemeinsam Selbstmord. Basierend auf dem Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner Frau, liefert Kurt Maetzig mit seinem Debüt einen hoch-melodramatischen, tief-menschelnden Tränenzieher: Defa à la Ufa. (Die Musik schrieb »Jud Süß«-Komponist Wolfgang Zeller.) Bertolt Brecht lehnte den Film wegen fehlender Verfremdungseffekte rundheraus ab – doch vielleicht bleibt gerade infolge der schmalzigen Direktheit (trotz formaler Holprigkeiten) eine gewisse Erschütterung nicht aus.

R Kurt Maetzig B Kurt Maetzig V Hans Schweikart K Friedl Behn-Grund M Wolfgang Zeller A Otto Erdmann, Franz F. Fürst, Kurt Herlth S Alice Ludwig, Hermann Ludwig P Herbert Uhlich D Paul Klinger, Ilse Steppat, Alfred Balthoff, Claus Holm, Hans Leibelt | (O) | 104 min | 1:1,37 | sw | 3. Oktober 1947

Quai des Orfèvres (Henri-Georges Clouzot, 1947)

Unter falschem Verdacht

Die Wahrheit oder Wie man sie herausbekommt. Um einen vorweihnachtlichen Mordfall herum entwickelt Henri-Georges Clouzot eine verzwickte dramatische Sittenkomödie voller komplexer Charakterstudien. Es treten auf: die leichtfertig-ehrgeizige Sängerin (Suzy Delair), die für ihre Karriere nicht alles, aber sehr viel tun würde; ihr eifersüchtiger Ehemann (Bernard Blier), der sich sehr viel, aber nicht alles bieten läßt; eine gemeinsame Freundin, die ihre wahre Liebe nicht gestehen kann, aber für sie durchs Feuer geht; ein alter Lustmolch, der den Duft von frischem Fleisch liebt; ein fürsorglich-unnachgiebiger Inspektor (Louis Jouvet), der die Menschen kennt und ihnen darum hin und wieder weh tun muß. Angesiedelt im lockeren, aber nur scheinbar heiteren Milieu der Music Halls und Hinterbühnen, der Agenturen und Ateliers, leuchtet »Quai des Orfèvres« hinab in die dunklen Abgründe der Oberflächlichkeit. Gegen Ende fließt noch einmal (Künstler-)Blut, aber dann läßt Clouzot weißen Schnee auf seine schwarze Welt rieseln, und alles wird gut. Für den Moment jedenfalls.

R Henri-Georges Clouzot B Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry V Stanislas-André Steeman K Armand Thirard M Francis López A Max Douy S Charles Bretoneiche P Louis Wipf, Roger De Venloo D Louis Jouvet, Simone Renant, Bernard Blier, Suzy Delair, Pierre Larquey | F | 106 min | 1:1,37 | sw | 3. Oktober 1947