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19.10.75

Inside Out (Peter Duffell, 1975)

Ein genialer Bluff

Es war einmal im Zweiten Weltkrieg, da hat ein ranghoher Nazi Gold versteckt, viel Gold, sehr viel Gold, und zwar im Bunker seines Landhauses, irgendwo nördlich von Berlin. 30 Jahre später gehen ein in London residierender Ex-US-Major (glücksritterlich: Telly Savalas), ein Ex-Juwelendieb (berufsjugendlich: Robert Culp), ein Ex-Wehrmachtsoffizier (verkniffen: James Mason) und ein Ex-Landser (verschreckt: Günter Meisner) daran, den Schatz nach allen Regeln der Heist-Kunst zu bergen. Peter Duffell hält sich nicht länger als unbedingt nötig mit historischen, narrativen oder technischen Wahrscheinlichkeiten auf, macht großzügig Gebrauch von glücklichen Zufällen, billiger Trickserei und surrealer Erfindungsgabe – grandiose Klimax: Reinhardt Holtz (Wolfgang Lukschy als Rudolf-Heß-Korrelat) wird für ein paar Stunden aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis (»Siegfried prison«!) entführt, um vollgedrogt in nächtlicher Hakenkreuzkulisse mit einem bellenden Hitler-Wiedergänger konfrontiert zu werden, der ihm, dem verschwitzt dienstfertigen Ex-Bonzen, das güldene Geheimnis entlockt –, damit seine schrägen Helden den ehrgeizigen Plan (diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs) erfolgreich über die Bühne bringen können; so gelingt dem furchtlosen Regisseur, trotz haarsträubender Abschreibungsästhetik und unpassend dudeliger Musikuntermalung, eine Räuberpistole von souveräner Abstrusität

R Peter Duffell B Judd Bernard K John Coquillon M Konrad Elfers A Peter Lamont S Thom Noble P Judd Bernard D Telly Savalas, James Mason, Robert Culp, Günter Meisner, Aldo Ray, Adrian Hoven | UK & BRD & USA | 97 min | 1:1,85 | f | 19. Oktober 1975

# 1079 | 11. Oktober 2017

18.2.75

Professione: reporter (Michelangelo Antonioni, 1975)

Beruf: Reporter

»People disappear every day.« – »Every time they leave the room.« Die Handlung des Thrillers, behauptet Georg Seeßlen, sei eine umgekehrte Form der Befreiung, eine Befreiung, die erzwungen wird. Michelangelo Antonioni verfolgt in seiner Polit- und Paranoia-Thriller-Variation einen anderen Ansatz: nicht die Befreiung des Protagonisten wird erzwungen, sondern die Unmöglichkeit der Befreiung konstatiert. Der britische Journalist David Locke (Jack Nicholson), in der Sahara auf der glücklosen Jagd nach einer Story über den Kampf zwischen Rebellen und Regierungstruppen, nutzt die Gelegenheit, seiner ungeliebten Existenz zu entfliehen, indem er die Identität eines plötzlich verstorbenen Hotelnachbarn annimmt und Hinweisen im Taschenkalender des Mannes folgt, der, wie sich alsbald zeigt, als Waffenhändler im Auftrag der Freischärler tätig war. Antonioni und sein Autor Mark Peploe verarbeiten, freilich in beklemmender Zerdehnung, die klassischen Zutaten des Genres – illegale Geschäfte, verschwörerische Machenschaften, konspirative Treffen, heimliche Verfolgung –, und der Hauch einer Erinnerung an Alfred Hitchcocks »North by Northwest« schwebt über Lockes Nachforschung, Flucht, Passage, die ihn, in Begleitung einer mysteriösen Frau ohne Namen (Maria Schneider), aus der nordafrikanischen Wüste, über London, München und Barcelona, in ein karstiges Andalusien führt, das dem Ausgangspunkt dieser Reise ans Ende des Tages auf blendend-unheimliche Weise ähnelt. Weglaufen endet im Nichts, ein anderes Selbst bietet keine anderen Möglichkeiten, die Lösung eines Rätsel liegt jederzeit und allerorts in gleich weiter Ferne, so aussichtslos wie Befreiung erscheinen Erkenntnis und Verständigung: »Your question are much more revealing about yourself than my answer would be about me.«

R Michelangelo Antonioni B Mark Peploe, Michelangelo Antonioni, Peter Wollen K Luciano Tovoli A Piero Poletto S Michelangelo Antonioni, Franco Arcalli P Carlo Ponti D Jack Nicholson, Maria Schneider, Jenny Runacre, Ian Hendry, Stephen Berkoff | I & F & E | 126 min | 1:1,85 | f | 18. Februar 1975

# 1155 | 10. April 2019

17.5.74

The Black Windmill (Don Siegel, 1974)

Die schwarze Windmühle

Der kleine Sohn des britischen Abwehragenten John Tarrant (hard-boiled: Michael Caine) wird entführt. Die Kidnapper kennen sich in den Interna des Geheimdienstes erstaunlich gut aus, und Tarrant, hinter dessen professionellem Pokerface die Rachegefühle nur so brodeln, muß zwischen London, Paris und Sussex eine fiese Intrige aufdröseln, um seinen Sprößling lebend wiederzufinden – zumal sein Vorgesetzter sich strikt weigert, die Forderungen der Geiselnehmer (517.075 Pfund in Rohdiamanten) zu erfüllen. Don Siegels Spionagethriller hat weder einen sonderlich raffinierten Plot noch dramatische Spannungsmomente zu bieten, die Vorzüge des Werks liegen in der straffen, von Roy Budds minimalistisch-funkigem Score wirksam akzentuierten Inszenierung und in der hochkarätigen Besetzung: Neben Caine spielen Janet Suzman (als Tarrants entfremdete Ehefrau), Donald Pleasence (als aasiger MI6-Sesselfurzer und Pflanzenfreund), Joss Ackland (als schlapphütiger Kriminalkommissar) sowie Delphine Seyrig (!) und John Vernon als niederträchtige Kinderquäler.

R Don Siegel B Leigh Vance V Clive Egleton K Ousama Rawi M Roy Budd A Peter Murton S Antony Gibbs P Don Siegel D Michael Caine, Donald Pleasence, Delphine Seyrig, John Vernon, Janet Suzman, Joss Ackland | UK | 106 min | 1:2,35 | f | 17. Mai 1974

# 982 | 29. Dezember 2015

16.5.73

The Day of the Jackal (Fred Zinnemann, 1973)

Der Schakal

Ein Film über zwei Profis. Der eine (Edward Fox) will den französischen Präsidenten Charles de Gaulle töten. Der andere (Michael Lonsdale) will dieses Vorhaben verhindern. Und noch ein dritter Profi ist dabei: der Regisseur. Fred Zinnemann beobachtet die beiden Kontrahenten mit jeweils dem gleichen Interesse an ihrer Arbeit und der gleichen Hochachtung vor ihrem Einfallsreichtum. Wenn er am Ende seines knochentrockenen Polit-Thrillers das sogenannte Gute gewinnen läßt, dann 1. weil es der historischen Wirklichkeit entspricht (de Gaulle starb, wie man weiß, friedlich im Bett) und 2. weil das Gute nicht besser sondern einfach einen Tick ausgebuffter, ein kleines bißchen zäher war.

R Fred Zinnemann B Kenneth Ross V Frederick Forsyth K Jean Tournier M Georges Delerue A Willy Holt, Ernest Archer S Ralph Kemplen P John Woolf D Edward Fox, Michael Lonsdale, Derek Jacobi, Alan Badel, Delphie Seyrig | UK & F | 143 min | 1:1,85 | f | 16. Mai 1973

5.4.73

Theatre of Blood (Douglas Hickox, 1973)

Theater des Grauens

»Will you ever again ruin the reputation of an honest man?« Jeder, der schon einmal schlechte Kritiken bekam, hat sich vermutlich ausgemalt, wie er die feindlichen Rezensenten genüßlich meucheln könnte. Der oft und boshaft verrissene Shakespeare-Mime Edward Lionheart (somewhere over the top: Vincent Price) tut sich keinen Zwang an, er schreitet zur Tat. Kritiker, so heißt es, sind keine Besserkönner sondern Besserwisser. Lionheart (»He can never be destroyed, never!«) beweist, daß Angehörige dieses völlig überflüssigen Berufsstandes (mit ätzender Häme persifliert von Jack Hawkins, Robert Morley, Coral Browne, Harry Andrews, Michael Hordern) zumindest eines besser können: sterben.

R Douglas Hickox B Anthony Greville-Bell K Wolfgang Suchitzky M Michael J. Lewis A Michael Seymour S Malcolm Cooke P John Kohn, Stanley Mann D Vincent Price, Diana Rigg, Ian Hendry, Harry Andrews, Coral Browne | UK | 104 min | 1:1,66 | f | 5. April 1973

9.11.72

Der Todesrächer von Soho (Jess Franco, 1972)

Das Kino wurde erfunden, um A) akklamierten Genies wie Fellini, Hitchcock oder Ophüls eine große Bühne respektive eine silberne Leinwand zu bieten und um B) immer wieder wundervoll konfusen, grandios kindischen, unentbehrlich überflüssigen Zelluloid-Tinnef, der sich, wie etwa »Der Todesrächer von Soho«, als staunenswert surreale cinématographie automatique entpuppt, in die Annalen der Kulturgeschichte zu schummeln. Handlung? Irgendwie schon. Form? So könnte man es auch nennen. Ist es ein Krimi? Ist es ein Drogentrip? Ist es London? Ist es Barcelona? Ist es nicht völlig egal? Schon die erste Einstellung, in der ein (natürlich!) blinder Drehorgelmann in einer (natürlich!) dunklen Gasse seinem Instrument einen leiernden marche funèbre entlockt und damit (natürlich!) einen unmittelbar bevorstehenden gewaltsamen Tod annonciert, setzt Maßstäbe für das Kommende, das in exaltierten Weitwinkelbildern und willkürlicher Psychedelik um Rauschgift und Rache kreist. Es gibt kaum ein »Was«, kein nachvollziehbares »Wie« in dieser benebelt-hispanischen Bryan-Edgar-Wallace–Phantasie (einem ausgetickten Remake des »seriösen« Groschenfilms »Das Geheimnis der schwarzen Koffer« von 1962) – dazu paßt, daß der einmalige Jess Franco den gestandenen Darstellern (Horst Tappert, Barbara Rütting, Wolfgang Kieling, Siegfried Schürenberg) gestattet, alle Seriosität fahren zu lassen, daß er ihnen erlaubt, zu spielen wie Kinder. Wie Kinder, die schon viel gesehen haben.

R Jess Frank (= Jess Franco) B Jess Frank, Art Bernd (= Artur Brauner) V Bryan Edgar Wallace K Manuel Merino M Rolf Kühn A Hans-Jürgen Kiebach S Renate Engelmann P Artur Brauner, Arturo Marcos D Horst Tappert, Fred Williams, Elisa Montés, Barbara Rütting, Siegfried Schürenberg | BRD & E | 87 min | 1:1,66 | f | 9. November 1972

25.5.72

Frenzy (Alfred Hitchcock, 1972)

Frenzy

»Just thinking about the lusts of men makes me want to heave.« Unter den Fanfarenklängen des Titelvorspanns rühmlich heimgekehrt in die Vaterstadt London, erzählt Alfred Hitchcock mit »Frenzy« die ultimative Version seiner immer wieder variierten Lieblingsgeschichte: Der unschuldig in Verdacht Geratene ist in diesem Fall der abgehalfterte, stets mißgelaunte Ex-Offizier Richard Blaney (»Do I look like a sex murderer to you?« – Jon Finch), der fälschlicherweise für einen Serienkiller gehalten wird; als wahrer Mörder (der seine weiblichen Opfer mit Krawatten stranguliert) entpuppt sich schon bald dessen bester Freund Bob Rusk (»Don't forget, Bob's your uncle.« – Barry Foster), ein leutseliger, allseits geschätzter Obst- und Gemüsegroßhändler in Covent Garden – R. B., B. R. … die spiegelbildliche Symmetrie der Initialen gibt einen Hinweis auf Nähe (und Austauschbarkeit) von Verbrechen und Lauterkeit, von Reinheit und Sünde. Hitchcock – der mit kulinarischer Lust das Schreckbild geschlechtlicher Entartung malt und sich mit sinnenhafter Wonne den Freuden (und Alpträumen) des Essens ergibt – schwelgt in nostalgischen Heimatgefühlen, während er zugleich eine beklemmende (und weitsichtige) Studie des Zerfalls gesellschaftlicher Zusammenhänge auftischt: »Frenzy« schildert nicht einfach den schockierenden Einzelfall eines wahnsinnigen Sexualwürgers, sondern stellt die Untaten in den Zusammenhang von antisozialen Phänomenen wie krankhafter Ichbezogenheit und latenter Gewaltbereitschaft, Beziehungslosigkeit und Kontaktunfähigkeit. Das auffallend bieder gezeichnete Milieu der Handlung und die betonte Humorigkeit des Tonfalls wirken dabei so zweischneidig wie doppelbödig: Einerseits verschleiern sie konsumentenfreundlich die allumfassende Tristesse, andererseits lassen sie die detailliert geschilderten Brutalitäten um so greller (und vielsagender) aufscheinen. PS: »Dear Jesus, help me. Help me!«

R Alfred Hitchcock B Anthony Shaffer V Arthur La Bern K Gil Taylor M Ron Goodwin A Syd Cain Ko Julie Harris S John Jympson P Alfred Hitchcock D Jon Finch, Barry Foster, Anna Massey, Barbara Leigh-Hunt, Alex McCowen | UK | 116 min | 1:1,85 | f | 25. Mai 1972

9.3.72

Cosa avete fatto a Solange? (Massimo Dallamano, 1972)

Das Geheimnis der grünen Stecknadel

»Was habt ihr mit Solange gemacht?« Ein Rendezvous auf der Themse, ein Boot zwischen im Wasser hängenden Zweigen, ein schreiendes Mädchen im Ufergebüsch, ein aufgerissenes Auge, ein blitzendes Messer zwischen weiblichen Schenkeln. Später: das Röntgenbild eines Unterleibes, in dem die Mordwaffe steckt … Massimo Dallamano zeigt nichts und zeigt alles, zeigt die Beziehung von Rache und Verzweiflung, die Nähe von Sehen und Sterben, zeigt nackte Angst, hoffnungslose Gewalt, unumkehrbare Zerstörung: »Was habt ihr mit Solange gemacht?« Ein später Edgar-Wallace-Krimi, ein melancholischer Giallo – Klavierklänge, tröpfelnd wie Regen, schneidende Streicher, wehmütige Frauenstimmen (Musik: Ennio Morricone) … Im Zentrum des Verbrechens: eine katholische Mädchenschule – kindlicher Glauben und begieriges Wissenwollen und todbringende Erkenntnis. Ein geheimer Club und ein falscher Priester, ein Vater und seine Tochter, Genuß und Reue, Freundschaft und Panik, Liebe und Horror, die vergebliche Suche nach der verlorenen Unschuld und die brutale Wiederkehr des Verdrängten: »Was habt ihr mit Solange gemacht?«

R Massimo Dallamano B Massimo Dallamano, Bruno Di Geronimo, Peter M. Thouet V Edgar Wallace K Aristide Massaccesi (= Joe D’Amato) M Ennio Morricone A Gastone Carsetti S Antonio Siciliano, Clarissa Ambach P Leo Pescarolo, Horst Wendlandt D Fabio Testi, Joachim Fuchsberger, Christine Galbo, Karin Baal, Günther Stoll | I & BRD | 103 min | 1:2,35 | f | 9. März 1972

# 800 | 16. November 2013

19.12.71

A Clockwork Orange (Stanley Kubrick, 1971)

Uhrwerk Orange

»Viddy well, little brother, viddy well.« Nachdem er sich mit dem speziellen Angebot der Korova Milk Bar für »a bit of the old ultraviolence« in Stimmung gebracht hat, kommt Alex (»your humble narrator«: Malcolm McDowell) mit seinen droogs Pete, Georgie und Dim einmal mehr auf den ultimativen Trip: Gewalt und Sex und Musik – Tritte, Schläge, Stöße gegen, auf, in alles, was da geht, steht, liegt, dazu ein paar Takte vom alten Ludwig Van. Stanley Kubricks brutal-ironischer Zukunfts- und Entwicklungsroman (nach der Vorlage von Anthony Burgess) verfolgt Alex’ Weg von der lustvollen Enthemmung des soziopathischen Individuums, über die staatlicherseits verfügte Transformation des juvenilen Delinquenten (mittels »Ludovico technique«) in ein zwangsweise friedfertiges Wesen und dessen totale Erniedrigung, bis hin zum Wiedererwachen des freien Willens in allseitigem Einvernehmen: »real horrorshow« … In einer beklemmend präzise choreographierten Orgie aus plakativen Weitwinkel-Bildern und klirrenden Synthesizer-Klängen, aus quietschbuntem Carnaby-Street-Kitsch und bleierner New-Town-Tristesse pointiert »A Clockwork Orange« den Konflikt von gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien und irrationalem menschlichen Verhalten, von moralischer Wahlmöglichkeit und administrativer Bestimmung, zeigt die Erosion sozialer Einheiten, die Auflösung von männlicher Selbstgewißheit in zügellosen Exzeß, stotternde Feigheit, törichten Drill, aasige Berechnung. Für Alex, den attraktiv-sadistischen malchick mit Stock und Melone, mit Suspensorium und Springerstiefeln, mit weißem Overall und falschen Wimpern am rechten Auge, zugleich Protagonist und Opfer der modernen Zeit, geht Kubricks böse coming-of-age-story in jeder Beziehung gut aus: »I was cured, all right!«

R Stanley Kubrick B Stanley Kubrick V Anthony Burgess K John Alcott M diverse A John Barry S Bill Butler P Stanley Kubrick D Malcolm McDowell, Patrick Magee, Anthony Sharp, Michael Bates, Philip Stone | UK & USA | 136 min | 1:1,66 | f | 19. Dezember 1971

# 968 | 9. August 2015

1.7.71

Sunday Bloody Sunday (John Schlesinger, 1971)

Sunday Bloody Sunday

»Weht leise, ihr Winde, / Sanft schaukle die Welle, / Seid freundlich und linde / Ihr wogenden Fluten, / Seid hold ihrer Fahrt!« – London. Herbst. Zehn Tage. Drei Menschen. Alex, Mitte 30 (Glenda Jackson), und Daniel, um die 50 (Peter Finch), lieben den jungen Bob (Murray Head). Bob schläft mit beiden (die voneinander wissen, ohne sich zu kennen), liebt sie parallel wieder, bleibt in dieser emotionalen Spaltung nur einem treu: sich selbst. John Schlesinger (Regie) und Penelope Gilliat (Drehbuch) fügen mit distanzierter Empathie eine Reihe von konzentriert beobachteten Alltagssituationen zur Rundsicht auf eine komplexe Gefühlslandschaft, kennen dabei weder Vorbehalte noch Vorurteile. Vor dem Objektiv der insistierenden Kamera, in den ausgewaschenen Farben der Erzählung, sind sie alle gleich – und werden in ihren Zweifeln, in ihren Hoffnungen, in ihren widersprüchlichen Wesensarten gleichermaßen ernst genommen: die (fordernde) geschiedene Arbeitsberaterin, der (zurückhaltende) schwule Arzt, der (autonome) ambitionierte Künstler. »Sunday Bloody Sunday« zeigt die Dinge des Lebens, die Fragilität der Beziehungen, die Strömungen der Liebe in den Zeiten der relativen Wahrheit: eine Symphonie der Zwischentöne, eine Anatomie der Kommunikation, ein Dreieck mit unendlich vielen Seiten. PS: »All my life, I've been looking for somebody courageous, resourceful. He's not it … but something. We were something.«

R John Schlesinger B Penelope Gilliat K Billy Williams M Wolfgang Amadeus Mozart, Ron Geesin A Luciana Arrighi S Richard Marden P Joseph Janni D Peter Finch, Glenda Jackson, Murray Head, Peggy Ashcroft, Tony Britton | UK | 110 min | 1:1,66 | f | 1. Juli 1971

31.3.71

Die Tote aus der Themse (Harald Philipp, 1971)

Eine sexy Ballettratte, die nebenberuflich Drogen schmuggelte, dann aber für die Polizei arbeitete, wird in einer Londoner Absteige erschossen, ist aber gar nicht tot. Oder vielleicht doch? Wie auch immer – die beherzte Schwester (Uschi ›Schätzchen‹ Glas) der (halb-)kriminellen Tänzerin folgt zusammen mit der Polizei (Hansjörg Felmy als staubtrockener Inspektor Craig sowie Siegfried Schürenberg als kauziger Scotland-Yard-Chef Sir John) der Spur der mutmaßlich Verblichenen, deren Leichnam sich auf wundersame Weise aus dem (Heroin-)Staub machte … An und für sich bietet »Die Tote aus der Themse« viel Schönes: ein famoses Trio böser Herren im besten Alter (Friedrich Schönfelder, Werner Peters, Ivan Desny), das nacheinander per Kopfschuß aus dem Geschehen ausscheidet, dazu stimmungsvolle Settings wie einen Schlachthof, in dem nicht nur Schweine gemeuchelt werden, außerdem einen quirligen Peter-Thomas-Score und eine abseitig-plausible Auflösung – doch Regisseur Harald Philipp fehlt (trotz einiger wippender Busen) die schmierige Leichtfüßig- und -sinnigkeit eines Alfred Vohrer; seine Inszenierung ist über weite Strecken so steif, so fad, so unoriginell wie die Ermittlungsarbeit eines Schreibtischkriminalisten.

R Harald Philipp B Harald Philipp, Horst Wendlandt V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Johannes Ott S Alfred Srp P Horst Wendlandt D Uschi Glas, Hansjörg Felmy, Werner Peters, Harry Riebauer, Siegfried Schürenberg | BRD | 89 min | 1:1,85 | f | 31. März 1971

5.3.71

Der Teufel kam aus Akasava (Jess Franco, 1971)

Beispiellose Edgar-Wallace-Verwurstung vom Duo Infernal des bundesdeutsch-hispanischen Z-Films, ›Atze‹ Brauner und Jess Franco: Auf der Jagd nach einem Gestein, »das unter bestimmten Voraussetzungen ein bestimmtes Metall in Gold verwandelt« (und damit absolute Macht verspricht), bekriegen (und dezimieren) sich diverse rivalisierende Banden und Interessengruppen. Der britische Secret Service schickt die junge, schöne Jane Morgan (Soledad Miranda) ins Rennen, obwohl deren Qualitäten nicht unbedingt auf dem Gebiet der Geheimdiensttätigkeit liegen. Wenn die Agentin schießt, verfehlt sie ihr Ziel noch auf einen halben Meter Entfernung, dafür macht sie eine umso bessere Figur, sobald sie sich in ihrer Tarnrolle als Tänzerin, angetan mit einem schwarzen Flitterumhang und silbernen Sandalettenstiefeln, auf der Bühne eines Nachtclubs räkeln darf. Franco übertüncht sein offensichtliches Desinteresse an der wirren Räuberpistole mit dem extensiven Einsatz eines groovig-sexedelischen Party-Soundtracks (Manfred Hübler & Siegfried Schwab) und nutzt ansonsten jede passende (und unpassende) Gelegenheit, den rassigen Körper seiner Hauptdarstellerin abzufeiern; erst in den allerletzten Minuten gewinnt der Regisseur der eigentlichen Handlung von »Der Teufel kam Akasava« noch eine wunderbar schrullige Szene ab, wenn sich der nette alte Lord Kingsley (Walter Rilla) aus dem Rollstuhl erhebt und seiner netten alten Lady (Blandine Ebinger) verkündet: »Wir, Abigail, werden die Welt beherrschen!«

R Jess Frank (= Jess Franco) B Ladislas Fodor, Paul André V Edgar Wallace K Manuel Marino M Manfred Hübler, Siegfried Schwab A Klaus Meyenberg, Alberto Montenegro S Clarissa Ambach P Artur Brauner D Fred Williams, Susann Korda (= Soledad Miranda), Horst Tappert, Siegfried Schürenberg, Walter Rilla, Blandine Ebinger | BRD & E | 84 min | 1:1,66 | f | 5. März 1971

29.10.70

The Private Life of Sherlock Holmes (Billy Wilder, 1970)

Das Privatleben des Sherlock Holmes

»We all have occasional failures.« Eine hilfsbedürftige Dame und ein weltberühmtes Ungeheuer, die sich jeweils als etwas völlig anderes erweisen, dazu sechs verschwundene Zwerge und eine Gruppe mysteriöser Trappisten, außerdem eine fortpflanzungswillige Primaballerina und eine sehr kleine Königin ... Mit sanfter Ironie und besinnlicher Romantik bereiten Billy Wilder und I. A. L. Diamond ein episch-stilvolles Sherlock-Holmes-Pastiche, das die – von Arthur Conan Doyle eher ausgesparten – Gefühlswelten des legendären, zu Anfällen von Schwermut neigenden Londoner Detektivs (empfindsam: Robert Stephens) ausforscht. Fünfzig Jahre nach dem Tod von Dr. Watson (robust: Colin Blakely) werden, so die Prämisse des Films, in einem Banksafe nicht nur Holmes’ Deerstalker und Pfeife gefunden, sondern auch die Aufzeichnungen zu einigen pikanten Abenteuern, die der treue Eckermann des kombinatorisches Genies mit gutem Grund unter Verschluß gehalten hat. Wilder, in diesem Fall seines ätzenden Spottes vollkommen abhold, ergeht sich in ausführlicher Figurenzeichnung und viktorianischer Stimmungsmalerei, ohne der in diesem Genre üblichen Spannungsentwicklung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Arthur Conan Doyle K Christopher Challis M Miklós Rózsa A Alexandre Trauner S Ernest Walter P Billy Wilder D Robert Stephens, Colin Blakely, Genieviève Page, Christopher Lee, Tamara Toumanova | UK & USA | 125 min | 1:2,35 | f | 29. Oktober 1970

# 1101 | 1. März 2018

3.9.70

Fragment of Fear (Richard C. Sarafian, 1970)

Schatten der Angst

Verschwörungstheoretischer Mystery-Thriller um den jungen Schriftsteller Tim (David Hemmings), der seine bewegte Drogenvergangenheit zu einem Bestseller verarbeitet hat und den Verdacht hegt, daß seine (grausam ermordete) philanthropische Tante die Strippenzieherin eines weitverzweigten Erpresserringes war. Und wenn die böse Ahnung nichts anderes wäre als die Ausgeburt eines vom übermäßigen Genuß halluzinogener Substanzen irreversibel geschädigten Gehirns? Leider gelingt es Richard C. Sarafian in seiner Adaption eines Romans von John Bingham nur höchst unvollkommen, die Gratwanderung des Protagonisten zwischen kriminalistischer Recherche und paranoider Wahnvorstellung kinematographisch überzeugend zu gestalten – auch wenn die (von Oswald Morris überraschend einfallslos fotografierten) weitscheifigen Dialogpassagen in lausfarbenen Sleazy-London-Settings kurz vor Schluß des Films unversehens weitwinkligen Zerrbildern der (vermeintlichen?) Wirklichkeit weichen.

R Richard C. Sarafian B Paul Dehn V John Bingham K Oswald Morris M Johnny Harris A Ray Simm S Malcolm Cooke P John R. Sloan D David Hemmings, Gayle Hunnicut, Wilfrid Hyde-White, Mona Washbourne, Adolfo Celi, Flora Robson | UK | 94 min | 1:1,85 | f | 3. September 1970

# 1160 | 21. Mai 2019

3.8.70

Performance (Nicolas Roeg & Donald Cammell, 1970)

Performace

»It’s time for a change.« Chas (James Fox), ein gewalttätiger Narziß mit verschwommener sexueller Vergangenheit, im Syndikat eines East-End-Gangsters zuständig für Inkasso und Einschüchterung, doch nach der tödlich endenden Auseinandersetzung (»I am a bullet.«) mit einem Kollegen und vermutlichen Exlover beim Boß in Ungnade gefallen, sucht Zuflucht im Domizil des retirierten Popstars Turner (!) (Mick Jagger) und seiner beiden Freundinnen. Durch die psychedelisch-arabesken, labyrinthisch-tageslichtlosen Interieurs des Hauses lassen die Koregisseure Nicolas Roeg (auch Kamera) und Donald Cammell (auch Drehbuch) einen wimmernder Nachhall des kulturrevolutionären Swinging London wehen. Vor Spiegelwänden zersplittern in drogengeschwängerter Atmosphäre Gewißheiten und Regeln (»Nothing is true. Everything is permitted.«), verwischen vorgebliche Identitäten (»I know who I am.« – »Of course you do.«) ... Am Beispiel der sonderbaren (wiederum tödlich endenden) Begegnung von Kunstwelt und Unterwelt offenbart sich die Illusion von Normalität – Persönlichkeit wird zum Image, Geschlecht zur Variablen, Leben zum (bisweilen blutigen) Rollenspiel: »Well, I perform.« – »I bet you do.«

R Nicolas Roeg, Donald Cammell B Donald Cammell K Nicolas Roeg M Jack Nitzsche A John Clark S Antony Gibbs, Brian Smedley-Aston P Sanford Lieberson D James Fox, Mick Jagger, Anita Pallenberg, Michèle Breton, Johnny Shannon | UK | 105 min | 1:1,66 | f | 3. August 1970

# 1066 | 31. Juli 2017

24.4.70

Dorian Gray (Massimo Dallamano, 1970)

Das Bildnis des Dorian Gray

Auf faszinierend dilettantenhafte Weise verhunzt, schwankt Massimo Dallamanos Oscar-Wilde-Adaption gestalterisch zwischen Wegwerf-Melodram und Schuljungen-Report, aufgedonnert mit ein paar linkischen Giallo-Einsprengseln. Wo die Vorlage Themen wie Jugend(wahn) und Schönheit(skult), Selbstliebe und Hedonismus, Amoralität und Dekadenz mit intellektuell-ironischer Verfeinerung verhandelt, schildert die Verfilmung, die die snobistisch-schauerromantischen Fin-de-siècle-Erzählung ins hip-hysterische Twiggy-Carnaby-Blowup-London der späten 1960er Jahre verlegt, lediglich einen sensationellen Fall (Bildnis altert! Abgebildeter bleibt frisch!) im veräußerlichten Darstellungsmodus einer grobgestrickten Illustrierten-Kolportage. Aber vielleicht liegt gerade in der Schäbigkeit der Bearbeitung ihre ungewollte (sogar weitblickende) Qualität: Inszenierung und Bilder, Ausstattung und Kostüme sind so unglaublich geschmacklos, daß Helmut Bergers (≈ Dorian Grays) idealische Wohlgestalt um so glanzvoller – und trügerischer – erstrahlt. Die ewige Attraktion des maßlosen und grausamen Protagonisten wird zum enthüllenden Spiegel der ihn allenthalben umgebenden konsumistischen Gemeinheit; die Perpetuierung der Ästhetik um jeden Preis erweist sich als (dämonisches) Äquivalent eines unaufhaltsamen gesellschaftlichen und sittlichen Zerfalls. 

R Massimo Dallamano B Marcello Coscia, Massimo Dallamano, Günter Ebert V Oscar Wilde K Otello Spila M Peppino de Luca, Carlo Pes S Leo Jahn, Nicholas Wentworth P Harry Alan Towers D Helmut Berger, Richard Todd, Herbert Lom, Marie Liljedahl, Isa Miranda | UKI & BRD | 93 min | 1:1,66 | f | 24. April 1970

12.9.69

L’armée des ombres (Jean-Pierre Melville, 1969)

Armee im Schatten

Scènes de la vie de résistance … Jean-Pierre Melville verfolgt – unpathetisch, aber keinesfalls leidenschaftslos – die Aktivitäten einer Widerstandsgruppe im von Deutschen besetzten Frankreich. Die episodische Erzählung umfaßt einen Zeitraum von vier Monaten zwischen dem 20. Oktober 1942 und dem 23. Februar 1943 und führt von Marseille nach Paris, von Lyon nach London (wo General de Gaulle, der Anführer der France libre, sein Hauptquartier aufgeschlagen hat), durch Hinterzimmer und Geheimverstecke, durch Internierungslager und Foltergefängnisse. Melville, während des Krieges selbst Mitglied der Résistance, schildert dabei keine Partisanenaktionen im eigentlichen Sinne: keine Nachrichtenbeschaffung, keinen Sabotageakt, kein Attentat; Pierre Lhommes Kamera zeigt, in dunklen, entsättigten Bildern, ausschließlich Menschen in Gefahr, Menschen auf der Flucht, Menschen in der Falle, Menschen, die in Erfüllung einer höheren Pflicht schreckliche Dinge tun müssen. Kaum je verraten die Gesichter von Lino Ventura, Paul Meurisse, Simone Signoret und all den anderen etwas über die Emotionen der Protagonisten dieses bei aller formalen Distanziertheit sehr persönlichen, sehr anrührenden Films. Es ist ein unsichtbares Band von stiller Kameradschaft und wortlosem Mitgefühl, das die Armee der Schatten zusammenhält. Auch wenn ihr klandestines Tun vergeblich scheint, bleibt es doch ohne Alternative – so gehen Gerbier, Jardie, Mathilde und all die anderen den vorgezeichneten Weg, aufrecht und unbeirrt, bis zum bitteren Ende.

R Jean-Pierre Melville B Jean-Pierre Melville V Joseph Kessel K Pierre Lhomme M Éric Demarsan A Théobald Meurisse S Françoise Bonnot P Jacques Dorfmann D Lino Ventura, Paul Meurisse, Simone Signoret, Jean-Pierre Cassel, Claude Mann, Serge Reggiani | F & I | 145 min | 1:1,66 | f | 12. September 1969

# 949 | 1. Juni 2015

26.7.69

A doppia faccia (Riccardo Freda, 1969)

Das Gesicht im Dunkeln

Eine italienisch-deutsche Koproduktion, in der Bundesrepublik als Edgar-Wallace-Film vermarktet. Zwar basiert das Drehbuch auf einer Vorlage des englischen Kriminalschriftstellers, zwar ist der Handlungsort London, zwar tritt Klaus Kinski (in der Hauptrolle!) auf – aber mit den (selbst-)parodistischen Whodunit-Grusel-Komik-Hybriden der Erfolgsreihe hat »A doppia faccia« nichts zu tun. Riccardo Freda inszeniert eine aparte Sex&Crime-Schimäre, einen süffigen Cocktail aus Harold-Robbins-Kolportage, Giallo und Zeitbild. Trauriger Held der Erzählung ist John Alexander (Kinski), dessen geliebte Frau Helen ihn (offen) mit ihrer besten Freundin betrügt, bevor sie bei einem Autounfall um ihr schönes, reiches Leben kommt. Wenig später sieht der Witwer – ist es Zufall? oder wurde er manipuliert? – die Verstorbene wieder: als Darstellerin in einem lesbischen »Kunstfilm«. Gedreht wurde das Werk nach ihrem Tod … Kinski – so zurückhaltend, so dünnhäutig wie kaum je – spielt einen verletzten Mann, niedergeschlagen von den Erschütterungen in seinem Leben, aus der Bahn geworfen von den Erosionserscheinungen seiner Zeit. Immer wieder treibt es den Desorientierten – auf der Suche nach Erklärung? nach Erlösung? – durch den kalten Neonglanz der Straßen, in halluzinatorische Nachtclubs, in die Einsamkeit der Bars, durch ein dunkles London nach dem Swing. Auch wenn die Intrige, wie es sich für einen (selbstbewußten) Trivialfilm gehört, in eine absurde Auflösung mündet, auch wenn die Trickeffekte aussehen, als wären sie auf der Modellbahnanlage des Produzenten entstanden, auch wenn die meisten Schauspieler wie Marionetten agieren – eines kann diesem filmischen Labyrinth zwischen Schein und Sein, dieser Groschenstudie über Verlorenheit kaum abgesprochen werden: Formgefühl. Fredas mit vulgärer Delikatesse fotografierter Seelenthriller (Kamera: Gábor Pogány) ist so geschmackvoll wie die langstieligen, blutroten Rosen, die immer wieder in die exquisit-schäbigen Bilder ragen.

R Robert Hampton (= Riccardo Freda) B Paul Hengge, Robert Hampton (= Riccardo Freda) V Edgar Wallace K Gábor Pogány M Joan Christian (= Nora Orlandi) A Luciano Spadoni S Anna Amedei, Jutta Hering P Oreste Coltellacci, Horst Wendlandt D Klaus Kinski, Christiane Krüger, Sydney Chaplin, Annabella Incontrera, Margaret Lee | I & BRD | 88 min | 1:1,85 | f | 26. Juli 1969

25.6.69

The Bed Sitting Room (Richard Lester, 1969)

Danach

Lord Fortnum fühlt sich unwohl, verliert gelegentlich einen Backstein und verwandelt sich in ein Wohnschlafzimmer (leider nicht in guter Gegend). ›Mother‹ erhält ihre Sterbeurkunde ausgehändigt, zieht eine Schublade aus ihrer Brust und metamorphosiert zu einem dreitürigen Kleiderschrank. ›Father‹, der aufgrund gewisser körperlicher Vorzüge politische Ambitionen verspürt, wird zum (wohlschmeckenden) Papagei. Töchterchen Penelope bringt nach anderthalbjähriger Schwangerschaft ein Ding zur Welt, das bis zu seinem frühen Tod in einer Reisetasche umhergetragen wird … Wir schreiben das Jahr 3 (oder 4) nach dem Dritten Weltkrieg, der genau 2 Minuten und 28 Sekunden dauerte. London ist nur mehr eine wüstenhafte Müllkippe, durchzogen von Halden zerbrochenen Porzellans, rostigen Autoschlangen und schwärenden Tümpeln. Die etwa 20 Überlebenden der »nuklearen Meinungsverschiedenheit« hatten alle Hände voll zu tun, die 40 Millionen Toten zu verscharren, jetzt geben sie, mit robuster Ignoranz und unerschütterlicher Würde in allen Lebens(?)lagen, ihr Bestes, die Maschinerie der guten alten Britannia am Laufen zu halten: als Elektrizitätswerk, als BBC oder als Gesundheitssystem. »Keep moving!« ist das Motto der Stunde – bloß kein festes Ziel bieten, falls es zu einem weiteren Angriff auf die stolze Nation und ihre ehernen Werte kommt. Richard Lester läßt seine brillant-zerklüftete postapokalyptische Gesellschaftskomödie mit einem dreifachen happy ending ausklingen: Blumen blühen, ein Baby wird geboren, Großbritannien ist wieder Atommacht.

R Richard Lester B John Antrobus, Charles Wood V Spike Milligan, John Antrobus K David Watkin M Ken Thorne A Assheton Gorton S John Victor-Smith P Oscar Lewenstein, Richard Lester D Rita Tushingham, Michael Hordern, Mona Washbourne, Ralph Richardson, Dudley Moore, Marty Feldman | UK | 90 min | 1:1,66 | f | 25. Juni 1969

# 824 | 9. Januar 2014

30.5.69

The Castle of Fu Manchu (Jess Franco, 1969)

Die Folterkammer des Dr. Fu Man Chu

»This is Fu Manchu. Once again the world is at my mercy.« Nicht nur die Welt ist der Gnade des ruchlosen Verbrechers (und seines abermaligen Regisseurs Jess Franco) ausgeliefert, sondern auch das Publikum: Das Scheusal hat sich die Geheimformel eines gewissen Professor Hercules verschafft, die es ermöglicht, das Wasser der Ozeane mithilfe eines kristallinen Opium-Derivats binnen Sekunden in Eis zu verwandeln. Da es noch einige chemische Probleme zu lösen gilt, der Professor jedoch an akuter Herzschwäche leidet, werden kurzerhand ein Chirurg und seine Assistentin entführt, die im Istanbuler Hauptquartier des Schurken eine rettende Organtransplantation durchführen müssen; unterdessen ist Nayland Smith darum bemüht, die Menschheit vor dem ultimativen Gefrierschock zu bewahren … Zu Beginn des Films verwurstet Franco ungeniert die Schlußsequenz des zweiten Teils der Reihe, »The Brides of Fu Manchu«, sowie blau gefärbte Ausschnitte aus dem schwarzweißen Titanic-Drama »A Night to Remember«, um sich sodann lustlos durch die törichte Handlung zu hangeln; lediglich einige im surrealen Ambiente des Gaudíschen Parque Güell in Barcelona gedrehte Szenen und die bavaesk illuminierte Höhlenwelt von Fu Manchus Blubberlaboratorium faszinieren durch ihr phantastisch-geschmackloses Formgefühl. So erfährt die Legende vom gelben Satan schließlich und endlich ihre Entzauberung in kinematographischem Blödsinn: The Folly of Fu Manchu oder Die Debilität des Bösen. The world shall not hear from him again.

R Jess Franco B Peter Welbeck (= Harry Alan Towers) V Sax Rohmer K Manuel Merino M Charles Camilleri A Santiago Ontañón S John Colville P Harry Alan Towers D Christopher Lee, Richard Greene, Günther Stoll, Maria Perschy, Tsai Chin, Howard Marion-Crawford | UK & E & BRD | 92 min | 1:1,66 | f | 30. Mai 1969

# 868 | 24. Mai 2014