14.3.75

Falsche Bewegung (Wim Wenders, 1975)

Ein junger Mann will Schriftsteller werden. Seine Mutter schickt ihn auf eine Reise, damit er etwas erlebe und – vielleicht – sich selber entdecke. Unterwegs trifft er einen mundharmonikaspielenden Alten und ein stummes Mädchen, eine ätherische Schauspielerin und einen beleibten Poeten, einen traurigen Industriellen und, tatsächlich, sich selbst: einen, der schreiben will, ohne zu wissen worüber, der lieben will, ohne zu wissen wen, der teilhaben möchte, ohne dabeizusein … Wim Wenders, der filmen will, ohne zu erzählen, läßt sich von Peter Handke aus Goethes Bildungsroman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« 100 bundesrepublikanische Minuten destillieren, ergeht sich in romantischem Weltschmerz und beziehungsängstlicher Seelenqual, in poetisierter Vergangenheitsbewältigung und zeitgeistiger Befindlichkeit. Integrales Moment der Gefühlsforschungsfahrt ist die Sicht auf das per Bahn und Auto durchquerte Terrain: (West-)Deutschland von Glückstadt im Norden bis zur Zugspitze im Süden, dazwischen Hamburg, Bonn, Frankfurt. Wenders, das ist zu spüren, möchte auf dieses Deutschland mit deutschen Augen sehen, so wie Ford als Amerikaner auf Amerika sah, oder Ozu als Japaner auf Japan. Dennoch entsteht der Eindruck, als läge eine gewisse Trauer in der Erkenntnis, daß der Blick nicht auf das Monument Valley oder in eine Tokioter Seitenstraße fällt, sondern auf die Norddeutsche Tiefebene und in das enge Rheintal, in winklige Gäßchen und auf trostlose Schlafstädte. Selbst das freie Panorama über sonnige Alpengipfel, das sich dem Wanderer am Ende der Reise bietet, kann als Bild der Versäumnis interpretiert werden, als zufälliger Schlußpunkt einer »falschen Bewegung«. In ebendieser (von Larmoyanz nicht immer zu unterscheidenden) Trauer über die eigene, unbefriedigende, als aufgenötigt empfundene Identität ist vermutlich das »Deutsche« des Films zu suchen und – vielleicht – zu finden.

R Wim Wenders B Peter Handke V Johann Wolfgang von Goethe K Robby Müller M Jürgen Knieper A Heidi Lüdi S Peter Przygodda P Bernd Eichinger, Peter Genée D Rüdiger Vogler, Hanna Schygulla, Hans-Christian-Blech, Nastassja Kinski, Peter Kern | BRD | 104 min | 1:1,66 | f | 14. März 1975

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