31.3.71

The Beguiled (Don Siegel, 1971)

Betrogen

»Take warning by me, don’t go for a soldier, don’t join no army.« Neun Frauen und ein Mann: Corporal John McBurney (Clint Eastwood), Soldat der Unionstruppen im Sezessionskrieg, gelangt/gerät, schwer verwundet, in die Obhut/Gefangenschaft der Bewohnerinnen einer Mädchenschule im tiefen Süden, wo das Spanische Moos die Bäume überwuchert. Die verwunschene weibliche Welt im alten, abseits gelegenen Herrenhaus, das neben der Leiterin des Instituts (Geraldine Page) eine Lehrerin, sechs Schülerinnen und eine Sklavin beherbergt, scheint dem allmählich genesenden Yankee allerlei reizvolle Möglichkeiten zu eröffnen; viel zu spät erkennt er die tödliche Gefahr, die aus dem gegenseitigen Wechselspiel von Verführung und Betrug erwächst. Begleitet von kurzen inneren Monologen, langsamen Überblendungen und geisterhaften Doppelbelichtungen läßt Don Siegel die Stimmung seines schwülen Southern-Gothic-Dramas über geheime Sehnsüchte und unterdrückte Begierden fast unmerklich von märchenhaft-traumverlorener Morbidezza in blutig-groteske Hysterie umschlagen. Im drastisch ausgemalten Schicksal des machistischen Helden spiegeln sich wohl auch männliche Ängste vor der Unterminierung hergebrachter Geschlechterhierarchien. »For the dove she will leave you, the raven will come.«

R Don Siegel B Albert Maltz, Irene Kamp V Thomas P. Cullinan K Bruce Surtees M Lalo Schiffrin A Ted Haworth S Carl Pingitore P Don Siegel D Clint Eastwood, Geraldine Page, Elizabeth Hartmann, Jo Ann Harris, Pamelyn Ferdin | USA | 105 min | 1:1,85 | f | 31. März 1971

# 1009 | 14. Juli 2016

Die Tote aus der Themse (Harald Philipp, 1971)

Eine sexy Ballettratte, die nebenberuflich Drogen schmuggelte, dann aber für die Polizei arbeitete, wird in einer Londoner Absteige erschossen, ist aber gar nicht tot. Oder vielleicht doch? Wie auch immer – die beherzte Schwester (Uschi ›Schätzchen‹ Glas) der (halb-)kriminellen Tänzerin folgt zusammen mit der Polizei (Hansjörg Felmy als staubtrockener Inspektor Craig sowie Siegfried Schürenberg als kauziger Scotland-Yard-Chef Sir John) der Spur der mutmaßlich Verblichenen, deren Leichnam sich auf wundersame Weise aus dem (Heroin-)Staub machte … An und für sich bietet »Die Tote aus der Themse« viel Schönes: ein famoses Trio böser Herren im besten Alter (Friedrich Schönfelder, Werner Peters, Ivan Desny), das nacheinander per Kopfschuß aus dem Geschehen ausscheidet, dazu stimmungsvolle Settings wie einen Schlachthof, in dem nicht nur Schweine gemeuchelt werden, außerdem einen quirligen Peter-Thomas-Score und eine abseitig-plausible Auflösung – doch Regisseur Harald Philipp fehlt (trotz einiger wippender Busen) die schmierige Leichtfüßig- und -sinnigkeit eines Alfred Vohrer; seine Inszenierung ist über weite Strecken so steif, so fad, so unoriginell wie die Ermittlungsarbeit eines Schreibtischkriminalisten.

R Harald Philipp B Harald Philipp, Horst Wendlandt V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Johannes Ott S Alfred Srp P Horst Wendlandt D Uschi Glas, Hansjörg Felmy, Werner Peters, Harry Riebauer, Siegfried Schürenberg | BRD | 89 min | 1:1,85 | f | 31. März 1971

Juste avant la nuit (Claude Chabrol, 1971)

Vor Einbruch der Nacht 

In einer delikaten Spiegelung seines Ehebruch-Dramas »Une femme infidèle« verschiebt Claude Chabrol die Perspektive von der Betrachtung des Betrogenen zur Betrachtung des Betrügers, die in beiden Fällen affektiv zu Bluttätern werden. Charles (Michel Bouquet), erfolgreicher Werbefilmproduzent, glücklich verheiratet mit Hélène (Stéphane Audran), Vater von zwei Kindern, erwürgt in einem Anfall von (Selbst-)Ekel seine Geliebte, die Frau seines besten Freundes, des Architekten François (François Périer). Von niemandem verdächtigt, wird Charles »nur« von seinem schlechten Gewissen gepeinigt. Um seine Seele zu entlasten, gesteht er die Tat: erst seiner Frau, dann seinem Freund – und findet verstehende Nachsicht. Charles’ Entschluß (der einem zwingenden inneren Bedürfnis folgt), sich der Polizei zu stellen, sein Verlangen nach Ehrlichkeit und Reinigung, erscheinen den Beichtigern absurd, ja masochistisch, und Hélène weiß das offizielle Tatbekenntnis schließlich diskret zu verhindern – Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Chabrol demonstriert mit seiner durchtrieben-einfachen dramatischen Versuchsanordnung, daß die Bourgeoisie, auch wenn sie alles hat, nicht glücklich sein kann, weil sie immer noch mehr haben, immer noch glücklicher werden will, und er macht (in Jean Rabiers hintergründig schlichten Bildern) anschaulich, daß Selbsterkennen und Reuegefühle im modernistisch-geschmackvollen Ambiente besserer Kreise keinen Platz (mehr) finden: Wenn das Gewissen sein Haupt erhebt, wird es ihm kurzerhand abgeschlagen. Das Leben ist (und bleibt) ein stilles, tiefes Wasser – und »les enfants commencent à oublier …«

R Claude Chabrol B Claude Chabrol V Edouard Atiyah K Jean Rabier M Pierre Jansen A Guy Littaye S Jacques Gaillard P André Genovès D Stéphane Audran, Michel Bouquet, François Périer, Henri Attal, Jean Carmet | F & I | 100 min | 1:1,66 | f | 31. März 1971

5.3.71

Der Teufel kam aus Akasava (Jess Franco, 1971)

Beispiellose Edgar-Wallace-Verwurstung vom Duo Infernal des bundesdeutsch-hispanischen Z-Films, ›Atze‹ Brauner und Jess Franco: Auf der Jagd nach einem Gestein, »das unter bestimmten Voraussetzungen ein bestimmtes Metall in Gold verwandelt« (und damit absolute Macht verspricht), bekriegen (und dezimieren) sich diverse rivalisierende Banden und Interessengruppen. Der britische Secret Service schickt die junge, schöne Jane Morgan (Soledad Miranda) ins Rennen, obwohl deren Qualitäten nicht unbedingt auf dem Gebiet der Geheimdiensttätigkeit liegen. Wenn die Agentin schießt, verfehlt sie ihr Ziel noch auf einen halben Meter Entfernung, dafür macht sie eine umso bessere Figur, sobald sie sich in ihrer Tarnrolle als Tänzerin, angetan mit einem schwarzen Flitterumhang und silbernen Sandalettenstiefeln, auf der Bühne eines Nachtclubs räkeln darf. Franco übertüncht sein offensichtliches Desinteresse an der wirren Räuberpistole mit dem extensiven Einsatz eines groovig-sexedelischen Party-Soundtracks (Manfred Hübler & Siegfried Schwab) und nutzt ansonsten jede passende (und unpassende) Gelegenheit, den rassigen Körper seiner Hauptdarstellerin abzufeiern; erst in den allerletzten Minuten gewinnt der Regisseur der eigentlichen Handlung von »Der Teufel kam Akasava« noch eine wunderbar schrullige Szene ab, wenn sich der nette alte Lord Kingsley (Walter Rilla) aus dem Rollstuhl erhebt und seiner netten alten Lady (Blandine Ebinger) verkündet: »Wir, Abigail, werden die Welt beherrschen!«

R Jess Frank (= Jess Franco) B Ladislas Fodor, Paul André V Edgar Wallace K Manuel Marino M Manfred Hübler, Siegfried Schwab A Klaus Meyenberg, Alberto Montenegro S Clarissa Ambach P Artur Brauner D Fred Williams, Susann Korda (= Soledad Miranda), Horst Tappert, Siegfried Schürenberg, Walter Rilla, Blandine Ebinger | BRD & E | 84 min | 1:1,66 | f | 5. März 1971

4.3.71

Und Jimmy ging zum Regenbogen (Alfred Vohrer, 1971)

Der junge Argentinier Manuel Aranda (Alain Noury) geht in Wien auf die Spur des Mordes an seinem Vater (einem wohlhabenden Wissenschaftler, der eine brisante Erfindung machte) und verliebt sich in die schöne Nichte (Doris Kunstmann) der durch Suizid abgeschiedenen Täterin … Johannes Mario Simmels gewiefte literarische Masche, mittels schmalziger Kolportage vom unterhaltsamen Hölzchen aufs gesellschaftskritische Stöckchen zu kommen und damit das verbrecherische Gestern im unbekümmerten Heute zu entlarven, hat der kongenialische Alfred Vohrer mit viel Fischauge und noch mehr Vaseline auf der Linse (Kamera: Charly Steinberger) in spleeniges Kinoentertainment transferiert. »Und Jimmy ging zum Regenbogen« handelt gleichzeitig vom Schicksal eines fanatisch-faschistischen Halbjudenjungen im Wien der Nazizeit sowie von der Formel eines massenvernichtenden chemischen Kampfstoffs, hinter der alle Großmächte (und solche, die sich dafür halten) im Wien der erzählerischen Gegenwart geheim­dienstlich her sind. Vohrers comichafte Größe zeigt sich, wenn er die konkurrierenden Spione (Peter Pasetti, Heinz Baumann, Herbert Fleischmann) ganz einfach mittels entsprechender Fähnchenwimpel auf ihren Schreibtischen kennzeichnet. Dazu gibt es Judy Winter als unsterbliche Luxushure (und ewige Doppelagentin), Horst Frank als verliebten SD-Schergen, Horst Tappert als patenten Winkeladvokaten, Ruth Leuwerik als biedere Buchhändlerin (und Rächerin, die ein halbes Leben auf die passende Gelegenheit wartet). Ganz und gar nicht zu vergessen: der märchenhaft-lyrische Score von Erich Ferstl, der die simmelgemäß tragisch endende Liebesbeziehung zwischen den jungen Leuten unter- oder auch übermalt.

R
Alfred Vohrer B Manfred Purzer V Johannes Mario Simmel K Charly Steinberger M Erich Ferstl A Wolf Englert S Jutta Hering P Luggi Waldleitner D Alain Noury, Doris Kunstmann, Ruth Leuwerik, Judy Winter, Horst Frank | BRD | 133 min | 1:1,85 | f | 4. März 1971