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17.1.79

Nosferatu – Phantom der Nacht (Werner Herzog, 1979)

»Nosferatu. Tönt dies Wort Dich nicht an wie der mitternächtige Ruf eines Totenvogels?« Werner Herzog küßt (= stillt seinen Hunger an) Friedrich Wilhelm Murnau … Die simple Schönheit der Bilder, die abgrundtiefe Todessehnsucht, die Myriaden von Ratten, das gierige Röcheln von Klaus Kinski, das irre Lachen von Roland Topor, die schlaftrunkene Schönheit von Isabelle Adjani, das finale Grinsen von Bruno Ganz, die blaue Schwärze der Nacht, die matte Erotik der Pest, die phantasmagorische Beschwörung von existentieller Stummheit im weiten Meer der Töne, die sonderbare Atmosphäre von Verwesung, in der selbst Rottöne einen fahlen Grünstich haben – all dies hat eine imponierende, aus aller Zeit und Welt gefallene Klasse. 1979 ist 1922 ist immerdar: Die Bilder des Lebens verblassen zu Schatten, spukhafte Träume steigen aus dem Herzen und nähren sich von Deinem Blut. PS: »Es ist noch lange bis zum Sonnenaufgang.«

R Werner Herzog B Werner Herzog V Bram Stoker, Henrik Galeen K Jörg Schmitt-Reitwein M Popol Vuh A Henning von Gierke S Beate Mainka-Jellighaus P Werner Herzog D Klaus Kinski, Isabelle Adjani, Bruno Ganz, Roland Topor, Walter Ladengast | BRD & F | 103 min | 1:1,85 | f | 17. Januar 1979

23.6.76

Folies bourgeoises (Claude Chabrol, 1976)

Die verrückten Reichen

Schmierig-verklemmte Sittenfarce über die Luxusprobleme des in Paris lebenden amerikanischen Schriftstellers William (Bruce Dern) und seiner mondän-frustrierten Gattin (und Agentin) Claire (Stéphane Audran), eine (erschütternd unscharfe) Betrachtung von Doppelspiel und Allüren, von Eifersucht und Langeweile in den sogenannten besseren Kreisen, eine (herzlich unkomische) Komödie der zwischenmenschlichen Irrungen und Wirrungen, ein Film ohne Handlung und Rhythmus, ohne Sinn und Verstand. Claude Chabrol streut wahllos ein paar vulgärsurrealistische Intermezzi (überbelichtete Imaginationen von Mord, Beischlaf und Entmannung) sowie jede Menge belanglose Gastauftritte sichtlich verwirrter Stars (Maria Schell als hysterisches Hausmädchen, Curd Jürgens als roboterhafter Diamantenhändler, Charles Aznavour als kaputter Arzt, Tomas Milian als klamottiger Privatdetektiv) in diese atemberaubende künstlerische Entgleisung, ohne ihr wenigstens den belebenden Reiz des Peinlichen verleihen zu können.

R Claude Chabrol B Ennio de Concini, Maria Pia Fusco, Norman Enfield, Claude Chabrol V Lucie Faure K Jean Rabier M Manuel De Sica A Maurice Sergent S Monique Fardoulis P Ilya Salkind, Pierre Spengler D Stéphane Audran, Bruce Dern, Sydne Rome, Ann-Margret, Jean-Pierre Cassel | F & I & BRD | 107 min | 1:1,66 | f | 23. Juni 1976

# 1111 | 14. Mai 2018

18.12.75

Barry Lyndon (Stanley Kubrick, 1975)

Barry Lyndon

»Fate had determined that he should leave none of his race behind him, and that he should finish his life poor, lonely and childless.« … »Barry Lyndon« berichtet von Aufstieg und Fall eines Aufschneiders, Glücksritters und Ehrgeizlings, der sich mit wechselndem Geschick durchs »galante« 18. Jahrhundert schwindelt. (»Gentlemen may talk of the age of chivalry, but remember the ploughmen, poachers and pickpockets whom they lead.«) Stanley Kubricks manische Ambition, die versunkene Ära bis zur letzten Gürtelschnalle perfekt zu rekonstruieren, ist legendär. Indem er historische Gemälde und Grafiken als Vorlagen für die delikate Visualisierung des Stoffes nutzt, rekonstruiert er nicht nur die Zeit, in der die Geschichte spielt, sondern zugleich das Bild, das die vorrevolutionäre Epoche von sich selbst entwarf. Dabei stellt er die beinahe unbegreifliche Schönheit jeder einzelnen Einstellung (Kamera: John Alcott) gegen einen Erzählton von fatalistischer Ironie. Die marionettenhaft agierenden Schauspieler, die erlesenen Kompositionen der Fotografie, die immer wieder von Gewalteruptionen aufgebrochene feierliche Langsamkeit, die strenge Symmetrie der Erzählbewegung, die gnadenlose Einordnung der Figuren in atemberaubende Dekors (Ausstattung: Ken Adam), der raffinierte Einsatz (fast ausschließlich) zeitgenössischer Musik, der süffisante Off-Kommentar schaffen eine hochgradig distanzierende Atmosphäre. »Barry Lyndon« ist bei allem gestalterischen Reichtum ein einmalig frostiger Film, der sich über die tiefe Zerrüttung jener schönen, alten Welt, der er sich zu nähern sucht, keinerlei Illusionen hingibt, ein in jeder Beziehung sin­guläres Werk von höchster filmischer Intelligenz und geradezu furchteinflößender Perfektion, ein spektakuläres Meisterstück des ästhetischen Pessimismus. PS: »Good or bad, handsome or ugly, rich or poor – they are all equal now.«

R Stanley Kubrick B Stanley Kubrick V William Makepeace Thackerey K John Alcott M diverse A Ken Adam S Tony Lawson P Stanley Kubrick D Ryan O’Neal, Marisa Berenson, Patrick Magee, Hardy Krüger, Steven Berkoff | UK & USA | 184 min | 1:1,66 | f | 18. Dezember 1975

29.12.72

Ludwig (Luchino Visconti, 1972)

Ludwig II. 

Beklemmendes Panorama und pompöses Kammerspiel: der Verfall eines Monarchen vom hoffnungsvollen Tag der Krönung bis zum geheimnisumwitterten Ertrinkungstod. Im abschließenden Teil seiner »deutschen Trilogie« begibt sich Luchino Visconti auf die Spuren des – zu Beginn der Erzählung berückend schönen – Bayernkönigs Ludwig II. (Helmut Berger), der – voller Pläne und erfüllt von Ängsten, zugleich scheu und gebieterisch ­– seinen von schöpferischem Wollen angetriebenen Herrschaftsanspruch in konstitutionellen Zeiten nicht leben kann, dem – zerrieben zwischen dem Drang nach Selbstentfaltung und staatspolitischem Erwartungsdruck – Freundschaft (zum hochverehrten Richard Wagner, zum angeschwärmten Josef Kainz) und Liebe (zur seelenverwandten Elisabeth von Österreich, der komplexesten Figur des Dramas, von Romy Schneider als Dementi ihrer eigenen Sissi-Vergangenheit gespielt) durchweg mißglücken, der sich schließlich – aufgedunsen und zahnlückig – in asymmetrische Techtelmechtel und die Errichtung (seifen-)opernhafter Phantasiewelten flüchtet. Kein herkömmliches Epos, eher eine ausufernde Fallstudie, zusammengefügt aus (mehr oder weniger fiktionalisierten) biographischen Episoden, locker strukturiert von in die Kamera gesprochenen Stellungnahmen der Wegbegleiter und Widersacher des royalen Protagonisten, ein schwelgerisch-distanziertes Schaustück vom (traurigen) Glanz und (prunkvollen) Elend eines radikalen Ästheten und antisozialen Träumers.

R Luchino Visconti B Luchino Visconti, Enrico Medioli, Suso Cecchi D’Amico K Armando Nannuzzi M diverse A Mario Chiari S Ruggero Mastroianni P Ugo Santalucia, Dieter Geissler D Helmut Berger, Romy Schneider, Trevor Howard, Umberto Orsini, Silvana Mangano, Gert Fröbe | I & F & BRD | 235 min | 1:2,35 | f | 29. Dezember 1972

# 1136 | 8. November 2018

28.1.72

Blanche (Walerian Borowczyk, 1972)

Blanche

Es war einmal im 13. Jahrhundert: Ein (sehr) alter Burgherr (gespielt von Michel Simon, einer der unglaublichsten Fressen der Filmgeschichte) ist verheiratet mit der jungen, schönen Blanche, die nicht nur so rein ist wie eine weiße Taube, sondern der auch alles nachsteigt, was einen Schwanz hat: der Sohn des Alten aus erster Ehe, der König, der herzensbrecherische Page des Souveräns (Jacques Perrin). Was wie eine burleske Tür-auf-Tür-zu-Komödie beginnt, entwickelt sich langsam aber sicher zum ergreifenden Alles-oder-nichts-Drama. In zauberhaft schlichten Bildern (die ebenso an mittelalterliche Buchmalerei wie an frühe Stummfilmoptik erinnern) erzählt Walerian Borowczyk eine naive und zugleich preziöse Fabel von brennender Liebe und wahrer Unschuld, von lodernder Eifersucht und tödlicher Rache. Die Männer – triebgesteuerte und ehrpusselige Monstren – sind hier wirklich an allem (Unglück) schuld. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann … nein, nicht in diesem Fall.

R Walerian Borowczyk B Walerian Borowczyk V Juliusz Slowacki K André Dubreuil, Guy Durban M diverse A Walerian Borowczyk, Jacques D’Ovidio S Walerian Borowczyk, Charles Bretoneiche P Philippe d’Argila, Dominique Duvergé D Michel Simon, Georges Wilson, Jacques Perrin, Ligia Branice, Denise Péronne | F | 92 min | 1:1,66 | f | 28. Januar 1972

16.12.70

Peau d’âne (Jacques Demy, 1970)

Eselshaut

»La situation mérite attention.« Ein musikalisches Märchen über Verlangen und Inzest, mit sprechenden Rosen und aphrodisierendem Backwerk – psychedelisch, surreal, romantisch, kokett: Dem König der Blauen (Jean Marais) ist die Königin gestorben, und weil er ihr auf dem Totenbett versprechen mußte, dereinst nur eine noch Schönere zu ehelichen, verfällt der Monarch darauf, die einzige Tochter (Catherine Deneuve) zur Frau zu nehmen. Um ihren heiratswütigen Vater hinzuhalten, verlangt die Prinzessin – auf Anraten einer weltklugen Fee (Delphine Seyrig: »Mon enfant, on n’épouse jamais ses parents!«) – Kleider in der Farbe des Wetters, des Mondes, der Sonne, zu guter Letzt die Haut eines goldscheißenden Esels. Sie bekommt, was sie fordert, also bleiben ihr nur die Flucht, das Verstecken, die Maskerade als Schweinemagd, als häßlichste der Häßlichen, schmutzigste der Schmutzigen, allerletzte der Letzten. Natürlich wird sie unter der gräulichen Hülle, die sie tarnt, in ihrer Anmut, Unschuld, Hoheit erkannt – von einem Prinzen aus dem Reich der Roten (Jacques Perrin, der schon in »Les demoiselles de Rochefort« seinem »idéal féminin« nachjagte). In seiner kinematographischen Zauberküche amalgamiert Jacques Demy Cocteausche Es-war-einmal-Phantastik und comichaften Disney-Kitsch, popartige Extravaganz (ein Thron in Katzenform, eine gläserne Sphäre als Katafalk) und verblüffende Anachronismen (Gedichte aus der Zukunft, ein vom Himmel schwebender Helikopter) zu einem zeitlosen (von Michel Legrand kongenial in Töne gesetzten) Loblied auf die verrückte, die geheimnisvolle, die wahre Liebe: »Amour, amour, je t’aime tant.«

R Jacques Demy B Jacques Demy V Charles Perrault K Ghislain Cloquet M Michel Legrand A Jim Leon, Jacques Dugied S Anne-Marie Cotret P Mag Bodard D Catherine Deneuve, Jean Marais, Jacques Perrin, Delphine Seyrig, Micheline Presle | F | 89 min | 1:1,66 | f | 16. Dezember 1970

# 1127 | 13. Juni 2018

19.9.68

Moos auf den Steinen (Georg Lhotsky, 1968)

Oh, du mein Österreich: ein brüchiges Barockschloß irgendwo im östlichen Grenzland; ein greiser Baron, der einen Roman schreibt über das Moos, das langsam über die Steine des (gefühlt besseren) Gestern wächst; seine Tochter (Erika Pluhar), eine ältliche Schönheit, die ihre Tage lieber mit Puppen als mit Menschen verbringt; ihr Verlobter, ein regsamer Wiener Entrepreneur, der den Besitz des künftigen Schwiegervaters hochzutunen gedenkt zum Erlebnispark eines Früher, das es nie gegeben hat; dessen Freund, ein erfolgloser Schriftsteller, der in der verwunschenen Welt des Gewesenen Spuren einer verlorenen geistigen Heimat wiederzufinden glaubt. 1968 à l’autrichienne: Menschen ohne Eigenschaften, verschollen im ›Zeitalter der Manager‹; der Ausblick auf Morgen, überwuchert vom Gestrüpp einer mehr oder weniger ruhmreichen Vergangenheit; Resignation statt Revolte. »Moos auf den Steinen«: eine Austro-Elegie von One-Film-Wonder Georg Lhotsky mit einem wohltemperierten Jazz-Score von Friedrich Gulda.

R Georg Lhotsky B Georg Lhotsky V Gerhard Fritsch K Kurt Junek, Walter Kindler M Friedrich Gulda A Rudolf Schneider-Manns Au S Liselotte Klimitscheck, Walter Kindler P Wolfgang Odelga D Erika Pluhar, Louis Ries, Fritz Muliar, Johannes Schauer, Heinz Trixner | A l 82 min | 1:1,37 | sw | 19. September 1968

26.4.68

Im Banne des Unheimlichen (Alfred Vohrer, 1968)

»Let me feel it, come on, let me hear it. / Make it jump, make im bomb, / Make me sigh, make me high / And make my blood run all wild.« Ende der 1960er hat Alfred Vohrer (unterstützt von kongenialen Kollaborateuren: Kameramann Karl Löb, Komponist Peter Thomas, Szenenbildnerduo Wilhelm Vorwerg und Walter Kutz) eine verdammt gute Strecke: In seinen kunterbunten Swinging-Trash-Flicks (»Hand«, »Mönch«, »Hund«) frisiert er gediegenen Edgar-Wallace-Thrill zu überspitzten Pop-Killerspielen, betreibt er die Reanimation des Whodunits als bewußtseinserweiternde Mischung von flapsigem Terror und mörderischem Quatsch. »Im Banne des Unheimlichen« führt diese (Anti-)Traditionslinie zum Höhepunkt – mit einer lachenden Leiche sowie einer eiskalt hauchenden Geisterbahnfigur, die auf dem blanken Totenschädel ein keckes Hütchen trägt und ihre Opfer per Stich mit einem vergifteten Skorpionring um die Ecke bringt. Inspektor Higgins (so seriös wie möglich: Joachim Fuchsberger) und Scotland-Yard-Direktor Sir Arthur (ballettaffin: Hubert von Meyerinck) ermitteln in einem chaotischen Fall um Bruderzwist und Wahnsinn, um Erpressung und Rache aus dem Jenseits – wobei sich die (große) Menge der Toten und die (hohe) Zahl der Verdächtigen stets die Waage halten ... »Tomorrow my stars might fall dead on my head, one more time, / Tomorrow I might hit the danger zone. / So, today I want to feel just as happy as I can – / I want to feel my heart beat!«

R Alfred Vohrer B Ladislas Fodor V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Joachim Fuchsberger, Siw Mattson, Wolfgang Kieling, Pinkas Braun, Hubert von Meyerinck | BRD | 90 min | 1:1,66 | f | 26. April 1968

27.3.68

L’homme qui ment (Alain Robbe-Grillet, 1968)

Der Mann, der lügt

»Je vais vous raconter mon histoire … ou du moins je vais essayer.« Soldaten verfolgen einen Mann durch den Wald. Schüsse. Explosionen. Der Mann wird getroffen. Bricht zusammen. Stirbt. Erwacht. Steht auf. Läuft weiter. Der Mann erzählt seine Geschichte. Oder er versucht es zumindest: »Mon nom est Robin … Jean Robin.« Dem Kopf des Mannes (Jean-Louis Trintignant), seinen (inkonsistenten) Ausführungen entwächst ein fiktives (Erzähl-)Universums, dessen unauflösliche Widersprüche Alain Robbe-Grillet kinematokulinarisch zelebriert. Ein Mann kommt aus dem Wald. Gelangt in ein Dorf. Macht seine Aufwartung im Schloß. Auf dem Schloß warten drei Frauen auf die Heimkehr von Jean Robin: die Schwester, die Ehefrau, ein Dienstmädchen. »Il est mort! Mort! Mort!« heißt es über Jean Robin, von dem man glaubt, daß er eines schönen Tages zurückkommen werde. Der Mann aus dem Wald nennt sich Boris Varissa. Er berichtet von seinem Freund, von seinem Kampfgefährten Jean Robin. Der ein Held des Widerstandes gegen die Besatzer war. Der ein Kollaborateur war. Der fliehen konnte. Der erschossen wurde. Den man in eine Falle lockte. Der seine Kameraden verraten hat. Ein Mann erfindet eine wahre Geschichte. Ein Mann erfindet seine wahre Geschichte. Oder er versucht es zumindest. Immer wieder von neuem. Drei Frauen warten auf einen Mann. Sie spielen Blindekuh im Schloß. In der Bibliothek. Auf dem Speicher. Zwischen Büchern und Spiegeln. Zwischen alten Möbeln und leeren Bilderrahmen. Träumen die drei Frauen von einem Mann, der kommt, um ihnen seine wahren Geschichten zu erzählen? Geschichten von Tod und Überleben, von Heldentum und Verrat, von Geheimnis und Zweifel. Geschichten, die Hingabe fordern, Auslieferung, Unterwerfung. Geschichten von der zeremoniellen Gewalt eines sexuellen Rollenspiels. Geschichten wie Gefängnisse, wie unterirdische Höhlen ohne Ausgang. Die Welt Robins, Varissas, Robbe-Grillets, dieser Legendenwald der Gespenster und Vorahnungen, des Spechtklopfens und Glockengeläuts, der Rollenspiele und Anachronismen, des Stöhnens und Schreiens, ist nichts als eine Lüge, nichts als eine Erzählung, und eben darum ist diese Welt wahr. »Et maintenant je vais vous raconter ma vraie histoire … ou du moins je vais essayer.«

R Alain Robbe-Grillet B Alain Robbe-Grillet K Igor Luther A Anton Krajcovic S Bob Wade P Samy Halfon D Jean-Louis Trintignant, Zuzana Kocúriková, Sylvie Turbová, Sylvie Bréal, Ivan Mistrík | F & CSSR | 93 min | 1:1,66 | sw | 27. März 1968

# 830 | 21. Januar 2014

18.1.68

Der Hund von Blackwood Castle (Alfred Vohrer, 1968)

Eine filmische Ode an die Berliner Pfaueninsel: das »preußische Paradies« als englische Idealszenerie und adäquate Edgar-Wallace-Kulisse. Inmitten der herbstlich-idyllischen Parklandschaft, zwischen nebligem Gehölz und hungrigem Sumpf, geschehen gräßliche Dinge: Diverse Spaziergänger (allesamt Gäste des rustikalen, von Lady Agathy Beverton (Agnes Windeck) (groß-)mütterlich geleiteten Gasthofes »Old Inn«) sterben an den Bissen einer mordgierigen Bestie. Zentrum des Schreckens: Blackwood Castle, das vom kürzlich verstorbenen Schloßherrn seiner lange negierten Tochter (Karin Baal) vermacht wurde. Nach dem Tod des Besitzers wird der alte, spinnverwebte Kasten unversehens von einer Schar zwielichtiger Interessenten (Hans Söhnker, Heinz Drache, Horst Tappert und andere) umlagert, die hinter den morschen Mauern schlummernde Reichtümer vermuten … Alfred Vohrer arrangiert ein gewitztes Katz-und-Maus-, besser gesagt: Hund-und-Mensch-Spiel, verrührt die hergebrachten Zutaten der Endlosserie zu einer amüsanten Thrillerfarce, antwortet auf jede Sinnfrage mit einem billigen Schaueffekt. Den Fall, der deutliche Anleihen bei Arthur Conan Doyles »The Hound of the Baskervilles« und bei Stanley Donens »Charade« nimmt, untersucht Scotland-Yard-Chef Sir John (Siegfried Schürenberg) höchstpersönlich, assistiert von seiner pfiffigen Assistentin Miss Finley (Ilse Pagé) – die Ermittler stoßen unter anderem auf einen gepolsterten Sarg für lebende Tote und Schachfiguren, die als Fernsteuerung dienen, auf schatzhütende Schlangen und einen ausgestopften Bären mit Funkanschluß …

R Alfred Vohrer B Axel Berg (= Herbert Reinecker) V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Heinz Drache, Horst Tappert, Karin Baal, Agnes Windeck, Siegfried Schürenberg | BRD | 92 min | 1:1,66 | f | 18. Januar 1968

13.11.67

Dance of the Vampires (Roman Polanski, 1967)

Tanz der Vampire

»That night, penetrating deep into the heart of Transylvania, Professor Abronsius was unaware that he was on the point of reaching the goal of his mysterious investigations.« Wie kommt das Böse in die Welt? Vielleicht durch das Gute, durch die Kräfte der Vernunft, die irrtümlich glauben, das Dunkel, den Wahnsinn, das Verderben mit dem Licht der Erkenntnis blenden zu können, und in stolzem Übereifer am Ende selbst zum Helfershelfer des Erzübels werden – so wie der besessene Fledermausforscher (»The Bat and Its Mysteries«) Professor Abronsius (Jack MacGowran), der mit seinem verschreckten Gehilfen Alfred (Roman Polanski) in die Einsamkeit der winterlichen Karpaten reist, um der weltbedrohenden vampiristischen Sippschaft des Grafen Krolock (»I am a night bird. I am not much good in the daytime.«) den Garaus zu machen, und das genaue Gegenteil erreicht. Polanskis, von Douglas Slocombe in Chagallblau und Blutrot getauchte, slapstickhaft-surreale genreparodistische Horrorfarce enthüllt geistreich die Verrücktheit der Ratio, deren Destruktionspotential mindestens so groß ist wie dasjenige der Mächte der Finsternis. »That night, fleeing from Transylvania, Professor Abronsius never guessed he was carrying away with him the very evil he had wished to destroy.«

R Roman Polanski B Gérard Brach, Roman Polanski K Douglas Slocombe M Christopher (=Krzysztof) Komeda A Wilfred Shingleton S Alastair McIntyre P Gene Gutowski, Martin Ransohoff D Jack MacGowran, Roman Polanski, Ferdy Mayne, Sharon Tate, Iain Quarrier | UK & USA | 108 min | 1:2,35 | f | 13. November 1967

# 1014 | 9. August 2016

26.4.67

Die blaue Hand (Alfred Vohrer, 1967)

Das Irrenhaus und der Familiensitz – zwei Horte des Wahnsinns. Alfred Vohrer macht zwischen den beiden Spielorten des Films sinnigerweise kaum einen Unterschied: hier Keller und Verliese, dort Geheimgänge und Gruften, überall Ratten und Gier, Schlangen und Mord. Passend zu den spiegelbildlichen Schauplätzen des Stücks: die Doppelrolle von Klaus Kinski. David und Richard sind Zwillingsbrüder – der eine angeblich geistesgestört, aber vollkommen klar im Kopf, der andere vermeintlich normal, doch was heißt das schon? Die Story kreist (wie in sämtlichen synthetisch-lebensnahen bundesdeutschen Horrorkomödien nach Edgar Wallace) um den Treibstoff allen Handelns: So verrückt, daß er (oder sie) den Wert des Geldes nicht mehr begriffe, ist niemand, nicht der hinterlistige Anwalt, nicht der undurchsichtige Butler, nicht der Psychiater mit dem Monokel, nicht die Lady im Ozelotmantel, schon gar nicht der anonyme Mann im Hintergrund, dessen eisige Stimme die lukrativen Verbrechen befiehlt.

R Alfred Vohrer B Axel Berg (= Herbert Reinecker) V Edgar Wallace K Ernst W. Kalinke M Martin Böttcher A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Klaus Kinski, Harald Leipnitz, Siegfried Schürenberg, Carl Lange, Ilse Steppat | BRD | 87 min | 1:1,66 | f | 26. April 1967

# 799 | 15. November 2013

31.3.67

Le scandale (Claude Chabrol, 1967)

Champagner-Mörder
 
Der Wahnsinn des Geldadels, dargestellt an Hand einer serienmörderischen Familienintrige unter Champagner-Produzenten: Maurice Ronet als dekadenter Lebemann mit (vielleicht todbringenden) Absencen, Anthony Perkins als hochgeschlafener Gigolo mit weit­reichenden Ambitionen, Yvonne Furneaux als ehrgeizige Geschäftsfrau ohne Fortune, Stéphane Audran als eiskaltes Biest mit vielen Talenten. Leider entwickelt der (reichlich unübersichtliche) satirisch-schwarzhumorige Krimiplot – trotz mehrerer Strangulierungen sowie Ausflügen in neppige Hamburger Vergnügungstempel und auf radikalschicke Pariser Künstlerpartys – kaum prickelnde Spannung. Claude Chabrols Gesellschaftskritik bleibt dekoratives L’art pour l’art (immerhin in eleganten Techniscope-Kompositionen von Jean Rabier), und lediglich die Schlußszene des Films findet für die (selbst-)zerstörerische Energie der gehobenen Klasse ein überzeugendes Bild.

R Claude Chabrol B Claude Brulé, Derek Prouse K Jean Rabier M Pierre Jansen A Rino Mondellini S Jacques Gaillard P Raymond Eger D Anthony Perkins, Maurice Ronet, Yvonne Furnaux, Stéphane Audran, Henry Jones | f | 99 min | 1:2,35 | f | 31. März 1967

16.3.67

Fantômas contre Scotland Yard (André Hunebelle, 1967)

Fantomas bedroht die Welt 

Maske in Blau – Teil 3. Nach Abenteuern in Paris und Rom wird die Jagd auf den metamorphischen Bösewicht im schottischen Hochland fortgesetzt. Das Genie des zweckfreien Verbrechens hat sein Interesse auf schnöden Gelderwerb verlagert und plant, den vermögendsten Männern der Welt eine Sonderabgabe auf ihr Leben abzupressen – Motto: »Das Funktionieren jeder Gesellschaftsform basiert auf einem straffen Steuersystem.« Die räumliche Beschränkung der Erzählung auf Schloß und Park eines steinreichen Landedelmannes rückt »Fantômas contre Scotland Yard« vollends in die Nähe gediegen-spleeniger Krimiunterhaltung, die durch zahlreiche ungebremste Auftritte von Louis de Funès schwere Schlagseite ins Drollig-Burleske bekommt.

R André Hunebelle B Jean Halain, Pierre Foucaud V Pierre Souvestre, Marcel Allain K Marcel Grignon M Michel Magne A Max Douy S Pierre Gillette P Paul Cadéac, Alain Poiré D Jean Marais, Louis de Funès, Mylène Demongeot, Françoise Christophe, Jean-Roger Caussimon | F & I | 104 min | 1:2,35 | f | 16. März 1967

8.7.66

Operazione paura (Mario Bava, 1966)

Die toten Augen des Dr. Dracula

Um die Jahrhundertwende. Dr. Eswai wird in ein abgelegenes Dorf gerufen, wo sich merkwürdige Selbstmordfälle häufen. Der Mediziner gelangt an einen verwunschenen Ort, auf dem ein unnennbarer Fluch liegt. Das Klima aus Angst, Schuld, Verzweiflung und Sterbensmüdigkeit, die unlösbare Kettung ans Gestern, die nicht zu lokalisierende Geographie, die nicht einordenbaren Namen (Kruger, Schuftan, Hollander, Graps) – all dies läßt die kleine Gemeinde mit ihren moosbedeckten Ruinen, ihren labyrinthischen Gäßchen, ihrer von unsichtbarer Hand geläuteten Glocke wie eine Modellkulisse des alten, von der Bürde einer schrecklichen Geschichte bedrückten Europa erscheinen. »Operazione paura« präsentiert ein Kind als Inkarnation dieses Unglücks, den ruhelosen Geist der kleinen blonden Melissa, deren Ball immer wieder unheilverkündend durch die Szenen hüpft, deren gickerndes Lachen baldigen Tod verheißt … Mario Bavas spinnverwebte Elegie der (Selbst-)Zerstörung und des Zerfalls ist ein feingeschliffenes (Kino-)Juwel der Schwarzen Romantik, eine fantastische Wundertüte, vollgestopft mit Symbolen der Vergänglichkeit, ein dramatisches Renkontre von Ratio und Wahn, ein heimtückisches Familienstück, ein Hexentanz durch endlos vervielfachte Salons, in denen der Mensch sich selbst verfolgt, und – nicht zuletzt – ein kreativer Kratzfuß vor Hitchcock und Cocteau. Schwebende Kamerafahrten wechseln mit messerstichartigen Zooms, trostlose Kammern kontrastieren mit barocken Farbräumen, das Innen fällt ins Außen, und eine Wendeltreppe wird zum Auge, das ins Grauen blickt.

R Mario Bava B Romano Migliorini, Roberto Natale, Mario Bava K Antonio Rinaldi M Carlo Rustichelli A Alessandro Dell’Orco S Romano Fortini P Luciano Cantenacci, Nando Pisani D Giacomo Rossi-Stuart, Erika Blanc, Fabienne Dali, Piero Lulli, Giovanna Galletti | I | 85 min | 1:1,85 | f | 8. Juli 1966

4.7.66

Eye of the Devil (J. Lee Thompson, 1966)

Die schwarze 13 

Surreale Okkult-Phantasie, die den eleganten Pariser Aristokraten Philippe de Montfaucon (David Niven) samt Frau (Deborah Kerr) und Kindern aus der aufgeklärten Gegenwart in die archaische Welt seiner Vorfahren katapultiert: Wegen der drohenden dritten Mißernte in Folge wird der (Wein-)Gutsherr und Erbe einer tausendjährigen Tradition auf seine Besitzungen im Süden Frankreichs zurückgerufen, wo ein ganz besonderer Einsatz von ihm verlangt wird … »Eye of the Devil«, der – mit seinen fetzenhafte Assoziationen und irritierenden flash-forwards – passagenweise wirkt wie eine von Alain Resnais inszenierte »Twilight Zone«-Episode, erzählt einen culture clash zwischen skeptischem Rationalismus und magisch-fatalistischer Weltsicht, deren Widerstreit sich auch in der disparaten Besetzung und in J. Lee Thompsons bewußt inkongruenter Inszenierung spiegelt: Eingespielte Kinolegenden à la Niven und Kerr stehen Swinging-Sixties-Ikonen wie Sharon Tate und David Hemmings gegenüber, während expressive Lichtführung und verkantete Perspektiven des klassischen Gruselfilms mit hektischen Reißschwenks und demonstrativen Zooms kombiniert werden. Der Horror entwickelt sich indes weniger aus dem Mummenschanz, den eine Gruppe von schwarzen Kuttenträgern unter Führung eines diabolischen Priesters (Donald Pleasence) aufführt, das wahre Grauen liegt im leeren Gesicht des Opfers, das sich voller Glaubensinbrunst in sein Schicksal fügt, und in der finalen Erkenntnis, daß sich das Rad der dunklen Geschichte immer weiter drehen wird … 

R J. Lee Thompson B Robin Estridge, Dennis Murphy V Philip Loraine (= Robin Estridge) K Erwin Hillier M Gary McFarland A Eliot Scott S Ernest Walter P Martin Ransohoff, John Calley D Deborah Kerr, David Niven, Donald Pleasence, Sharon Tate, David Hemmings | UK | 96 min | 1:1,66 | sw | 4. Juli 1966

4.5.66

Un angelo per Satana (Camillo Mastrocinque, 1966)

Ein Engel für den Teufel 

Das ersten Einstellungen des Films zeigen einen Nachen, der über einen spiegelglatten herbstlichen See gleitet; ein Mann mit breitkrempigem Hut und dunklem Pelerinenmantel wird zu einem abgeschiedenen Dorf gerudert – die Szene evoziert Bilder von der letzten Überfahrt, von der Reise ins Jenseits, und tatsächlich fällt bald schon der Schatten des Todes auf die kleine Gemeinde am Ufer des stillen Wassers … Roberto Menigi (Anthony Steffen) kommt auf das Anwesen der Familie Montebruno, um eine nach 200 Jahren aus dem See geborgene Statue zu restaurieren; eine örtliche Legende aber sagt, daß die aus der Versenkung geholte Skulptur Kummer und Leid über die Bewohner des Ortes bringen werde. Das Standbild zeigt die schöne Maddalena de Montebruno in ihrer ganzen sinnlich-körperlichen Pracht, und es gleicht auf verblüffende Weise ihrer jungen Nachfahrin Harriet (Barbara Steele), die aus dem Pensionat nach Hause zurückkehrt, um ihr Erbe anzutreten. Ein weiteres Mal nach »La cripta e l’incubo« erzählt Camillo Mastrocinque von einer Heimsuchung durch böse Geister der Vergangenheit: Ein Schreckbild aus früher Zeit stülpt sich über ein unschuldiges Wesen, und so mutiert die züchtige Harriet zu einem männermordenden Vamp, zu einer sadistischen Hexe, deren wollüstige Arglist ein Chaos aus Mord und Selbstmord, Vergewaltigung und Brandstiftung heraufbeschwört. Wenn auch die Handlungsführung nicht immer ganz ausgegoren wirkt und sich der dämonische Spuk am Ende als Ausfluß einer ganz irdischen Schlechtigkeit erweist, tauchen doch Steeles kalte Erotik und gespenstige Motive wie lockende Rufe aus dem Schattenreich oder sprechende Gemälde die Schauemär in eine bemerkenswert hysterisch-morbide Atmosphäre.

R Camillo Mastrocinque B Giuseppe Mangione, Camillo Mastrocinque V Luigi Emmanuele K Giuseppe Aquari M Francesco De Masi A Alberto Boccianti S Gisa Radicchi Levi P Liliana Biancini D Barbara Steele, Anthony Steffen, Claudio Gora, Ursula Davis, Maureen Melrose (= Marina Berti) | I | 90 min | 1:1,85 | sw | 4. Mai 1966

# 947 | 21. März 2015

17.12.65

Der unheimliche Mönch (Harald Reinl, 1965)

»Er war ein Verbrecher, aber er muß sie sehr geliebt haben.« Ein Schloß des Schreckens und eine Familie im Streit, ein verschwundenes Testament und eine hübsche Erbin in Gefahr, ein Unschuldiger im Gefängnis und ein Kuttenträger mit Peitsche, ein allzu serviler Diener und ein schrulliger Künstler im Turmstübchen, nebelige Nächte und trübe Tage, ungezügelte Triebe und verirrte Gefühle, Mädchenhandel und Totenmasken, Brieftauben und Fallgruben, Schrottplätze und Windmühlen, böse Onkels und schleimige Vettern, zufällig verbundene Handlungsstränge und ein Täter aus dem Hut. Fast scheint es, als wolle Harald Reinl mit seinem fünften Beitrag zu Reihe ein definitives Edgar-Wallace-Kompendium schaffen. Der Mörder trägt passenderweise den unscheinbarsten Rollennamen, und eine küchenpsycholgische Erläuterung der Motivation seines destruktiven Verhaltens gibt es auch: »Er muß in seiner Jugend einmal sehr enttäuscht worden sein. So empfand er nur Haß und Rache gegen alles Weibliche. Daher auch die symbolhafte Verkleidung als Mönch.« Danke, Dr. Reinl.

R Harald Reinl B J. Joachim Bartsch, Fred Denger V Edgar Wallace K Ernst W. Kalinke M Peter Thomas A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Harald Leipnitz, Karin Dor, Eddi Arent, Siegfried Schürenberg, Ilse Steppat | BRD | 85 min | 1:1,66 | sw | 17. Dezember 1965

# 796 | 11. November 2013

3.8.65

Darling (John Schlesinger, 1965)

Darling

»I’m as happy as anyone could possibly be.« London, die Hauptstadt der swingenden Sechziger: Auf­bruch, Hedonismus, Ungezwungenheit, das Leben als endlose Party. Eine old fashioned Metro­pole wird zum Epizenztrum der kapitalistischen Kulturrevo­lution – hier spielt John Schlesingers fellineskes Gesellschaftspanorama »Darling«: ein Röntgenbild der Oberflächlichkeit, ein leichtfüßig-frostiges Soziogramm, ein silbriges Glanzstück. Julie Christie ist Diana Scott. Sie ist jung und schön, sie wirkt natürlich und unkompliziert, sie weiß genau, was sie will, besser gesagt wohin: nach oben. Darling Diana ist ein Archetyp der Ära, »happiness girl« und »ideal woman«, Hure und Prinzessin. Männer pflastern ihren Weg: Dirk Bo­gar­de, der Intellektuelle, Laurence Harvey, der Zyniker, José de Vilallonga, der Fürst. Darling benutzt und läßt sich benutzen. Am Ende ist sie da, wo sie immer sein wollte. Sie residiert in einem Schloß, sie sieht ihr Gesicht im Spiegel, und sie weiß: »Darling’s life is a great big steaming mess.«

R John Schlesinger B Frederic Raphael K Kenneth Higgins M John Dankworth A Ray Simm S Jim Clark P Joseph Janni D Julie Christie, Dirk Bogarde, Laurence Harvey, José Luis de Vilallonga, Roland Curram | UK | 128 min | 1:1,66 | sw | 3. August 1965

4.6.65

Neues vom Hexer (Alfred Vohrer, 1965)

Mit einiger Chuzpe hängt sich die Fortsetzung ans Original. Die Figur des ›Hexers‹ und ihre Abrechnungsmission tun bei Lichte besehen überhaupt nichts zur Sache. Der Rächer wird lediglich von einem Meuchelmörder ins Spiel gebracht, um die Ermittler auf den Holzweg zu locken. Der solchermaßen Mißbrauchte sieht sich genötigt, höchstselbst (das heißt: mannigfaltig maskiert) in die polizeiliche Untersuchung einzugreifen, um seine Person von falschem Verdacht reinzuwaschen. Die eigentliche Fabel kreist, wie fast immer bei Edgar Wallace, um ein stattliches Erbe, in dessen freudiger Erwartung peu à peu eine desolate Familie ausgelöscht wird: Der Dämon des Geldes frißt seine gierigen Kinder … Nach dem recht trockenen Vorgänger nutzt Alfred Vohrer die quatschige Intrige diesmal, um Inhalts- und Formschablonen spöttisch als solche kenntlich zu machen: So darf beispielsweise Klaus Kinski (als sinistrer Butler der hochwohlgeborenen Bagage) gleich zu Beginn des Films in einem Sarg probeschlafen und später wiederholt für Unbehagen sorgen, indem er die ätherische Harfe zupft. Die Auflösung des Falles wird schließlich an gebührend langen Haaren aus der dunklen Vergangenheit der verdammten Sippschaft herbeigezogen.

R Alfred Vohrer B Herbert Reinecker V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Walter Kutz, Wilhelm Vorweg S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Heinz Drache, Barbara Rütting, Brigitte Horney, Klaus Kinski, Siegfried Schürenberg | BRD | 95 min | 1:1,66 | sw | 4. Juni 1965