26.1.49

The Passionate Friends (David Lean, 1949)

Die große Leidenschaft

»Should old acquaintance be forgot …« Mit »The Passionate Friends« transponiert David Lean sein in der Provinz angesiedeltes Mittelklasse-Melodram »Brief Encounter« gleichsam in großstädtisch-kosmopolitisches Ambiente. Mary (Ann Todd), ansprüchlich und ein wenig preziös, will alles: die Sekurität und das Vermögen ihres älteren Banker-Gatten Howard (Claude Rains) sowie Vitalität und Leidenschaft des idealistischen Biologen Steven (Trevor Howard), der die attraktive Frau schon tief verehrte, bevor sie den distanzierten Geldmann ehelichte. In einer effektvollen Rückblendenkonstruktion, die das sorglos-elegante Londoner Leben des letzten Friedensjahres mit dem ersten Nachkriegsurlaub der Protagonisten in den romantischen Schweizer Alpen verbindet, bringt die Erzählung die divergierenden Seiten des emotionalen Dreiecks gegeneinander in Stellung – wobei Marys selbstüberzeugte Autonomie sich schließlich als ebenso brüchige Charaktermaske erweist wie Howards kalte Beherrschtheit. Bei aller Raffinesse der Inszenierung – insbesondere der noirisch angehauchten Lichtregie und der stellenweise beinahe expressiven Kadrierungen (Kamera: Guy Green) – bleibt Lean mit seinem Gefühlsroman aus der Oberschicht in jenen (freilich feingewebten) Genremustern befangen, die er wenige Jahre zuvor mit der Chronik einer kurzen Begegnung gewöhnlicher Liebender (durch sensible Milieuzeichnung und psychologische Verfeinerung) so eindrucksvoll unterlaufen hatte.

R David Lean B Eric Ambler V H.G. Wells K Guy Green M Richard Addinsell A John Bryan S Geoffrey Foot P Ronald Neame D Ann Todd, Claude Rains, Trevor Howard, Betty Ann Davis, Isabel Dean | UK | 89 min | 1:1,37 | sw | 26. Januar 1949

20.1.49

A Letter to Three Wives (Joseph L. Mankiewicz, 1949)

Ein Brief an drei Frauen

»Why is it that sooner or later no matter what we talk about ... we wind up talking about Addie Ross?« Die Geschichte(n) dreier Freundinnen in einer amerikanischen Provinzstadt. Eigentlich waren sie zu viert. Doch Addie Ross ist fortgegangen. Zuvor hat sie einen Abschiedsbrief geschrieben, an Rita, Lora Mae und Deborah, einen Brief, in dem sie ihren »very dearest friends« mitteilt, sie habe, als sie die Stadt verließ, ein Andenken mitgenommen: einen ihrer Ehemänner. Welcher ist es? George, der Schullehrer, dessen Gattin Karriere als Autorin von radio soap operas machte? Porter, der wohlhabende Kaufhausbesitzer, der eine zielstrebige Angestellten heiratete? Brad, der ehemalige Navy-Offizier, der ein Mitglied der weiblichen Hilfstruppe als Ehefrau mit nach Hause nahm? Eine sonnabendliche Bootsfahrt lang haben die Empfängerinnen des Briefes Zeit nachzudenken: über ihre privaten und gesellschaftlichen Beziehungen, über Wünsche und Ängste, über die Liebe und das Leben. Die süffisante Gesellschaftskomödie, die Joseph L. Mankiewicz in drei Rückblenden entbreitet, zeigt die latente Gefährdung einer geordnet-behaglichen Welt: Das Gewohnte, das Vertraute, das sicher Geglaubte ist längst nicht so selbstverständlich, wie es scheint; die Möglichkeit des Verlustes steht immer im Raum, so unsichtbar, so beunruhigend wie die abwesende und doch allgegenwärtige Addie Ross. »I wonder if she knows how much we do talk about her, what we say and how we feel about her.« – »I know. Believe me, I do.«

R Joseph L. Mankiewicz B Joseph L. Mankiewicz, Vera Caspary V John Klempner K Arthur Miller M Alfred Newman A Lyle Wheeler, J. Russell Spencer S J. Watson Webb Jr. P Sol C. Siegel D Jeanne Craine, Ann Sothern, Linda Darnell, Kirk Douglas, Paul Douglas, Thelma Ritter | USA | 103 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1949

# 991 | 12. März 2016

19.1.49

Une si jolie petite plage (Yves Allégret, 1949)

Ein hübscher kleiner Strand

Ein kleiner Flecken am Meer, ein verlassener Strand im Winter, ein schwarzes Melodram unter endlosem Regen. Ein junger Mann (Gérard Philipe), einsam und unendlich traurig, kommt zur Unzeit (»En été, c’est une si jolie petite plage.«) als Gast in den tristen Badeort. (Ist es eine Flucht? Ist es eine Rückkehr? Oder beides?) Er sucht Ruhe und Vergessen, findet jedoch nichts als Trübsinn und quälende Erinnerungen. Nach und nach, in flüchtigen Blicken und beiläufigen Dialogen, durch alltägliche Geräusche und ein schmalziges Chanson, in Szenen, die wie Spiegelungen einer häßlichen Vergangenheit erscheinen, enthüllt sich die Vorgeschichte des rätselhaften Besuchers: Da sind ein geschundener Waisenjunge und der Glaube an einen Ausweg, eine schöne Frau und das trügerische Versprechen auf Glück, und da ist – ein Mord. Yves Allégrets Film über die Nachsaison des Lebens, ein dunkles Glanzstück des poetischen Pessimismus (von Henri Alekan erlesen in schwermütigstem Schwarzweiß fotografiert), macht nur wenig Hoffnung auf ein besseres Morgen und erlaubt (fast) keine Illusionen über das Wesen der Menschen: Im großen und ganzen sind sie alle so gemein wie die Hotelwirtin, die sich für ihr lausiges Städtchen ein Tuberkulose-Sanatorium wünscht – denn die Schwindsucht ist (wie übrigens die Bosheit) eine Krankheit, die dauert …

R Yves Allégret B Jacques Sigurd K Henri Alekan M Maurice Thiriet A Maurice Colasson S Léonide Azar P Emile Darbon, Raymond Borderie D Madeleine Robinson, Gérard Philipe, Jean Servais, Jane Marken, Julien Carette | F | 91 min | 1:1,37 | sw | 19. Januar 1949

Nachtwache (Harald Braun, 1949)

»Will Satan mich verschlingen, / so laß die Englein singen: / ›Dies Kind soll unverletzet sein.‹« Wenige Jahre nach dem Krieg treffen in der fiktiven deutschen Kleinstadt Burg(!)dorf(!) vier noch einmal Davongekommene aufeinander: eine nach dem Bombentod ihres Kindes vom Glauben abgefallene Ärztin (patent: Luise Ullrich), ihr früherer Geliebter, ein desillusionierter Schauspieler (rabiat: René Deltgen), ein protestantischer Pastor (leutselig: Hans Nielsen), ein katholischer Kaplan (teilnehmend: Dieter Borsche). Angesichts der kürzlich erlebten historisch-moralischen Katastrophe drängen sich Sinn-, Schuld- und Zweifelsfragen auf, deren Verhandlung jedoch – wie üblich in jenen Jahren – weitgehend privat (und damit paradoxerweise abstrakt) bleibt. »Gott spricht, auch wenn er schweigt«, heißt es einmal im Dialog. In »Nachtwache« wird nicht geschwiegen, ganz im Gegenteil: es wird pausenlos in hohen bis höchsten Tönen gesprochen, dabei jedoch kaum etwas Greifbares gesagt … Harald Braun, der sein symbolbefrachtetes Seelen- und Erbauungsdrama schattenreich-düster wie einen film noir inszeniert und einige Hiobsbotschaften für seine Figuren bereithält, redet keineswegs dem Nihilismus das Wort: Am Ende wird in der Finsternis ein ewiges Licht entzündet und den Skeptikern (auf der Leinwand und im Publikum) dringend empfohlen, sich ins himmlisch-unbegreifliche Geschick zu fügen. Als Film ist »Nachtwache« streckenweise eine Art göttliche Prüfung, als Zeitdokument hingegen sehr aufschlußreich.

R Harald Braun B Harald Braun, Paul Alverdes K Franz Koch, Josef Illig M Mark Lothar A Walter Haag S Fritz Stapenhorst P Harald Braun, Hans Abich, Rolf Thiele D Luise Ullrich, Hans Nielsen, René Deltgen, Dieter Borsche, Käte Haack | D (W) | 110 min | 1:1,37 | sw | 19. Januar 1949