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7.7.75

Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel (Rainer Werner Fassbinder, 1975)

»Ich fühle mich so einsam, so von allen verlassen.« In gewisser Hinsicht wirkt Rainer Werner Fassbinders galliges Soziodrama (dessen Titel auf einen proletarischen Filmklassiker der späten 1920er Jahre anspielt) wie ein Gegenstück zum ein Jahr zuvor entstandenen »Faustrecht der Freiheit«: Ging der treuherzige Münchner Lottokönig Franz Bieberkopf daran zugrunde, sein Glück mit anderen Menschen teilen zu wollen, muß die Frankfurter Arbeiterwitwe Emma Küsters (Brigitte Mira) – deren von Entlassung bedrohter Ehemann einen Vorgesetzten umbrachte, bevor er sich selbst tötete –, hilflos erleben, wie ihr Unglück emotional übergangen, kommerziell ausgebeutet, politisch instrumentalisiert wird. Sohn und Schwiegertochter verlassen die gemeinsame Wohnung, ein vermeintlich mitfühlender Journalist schreibt einen hetzerischen Artikel, die Tochter nutzt den Skandal, um ihre Karriere als Sängerin zu befördern, Salonkommunisten schlachten die Affäre ideologisch aus, ein Trupp von Anarchisten benutzt den Fall als Vorwand für eine revolutionäre Aktion. Eine einmalige Galerie schwächlicher, gleichgültiger, berechnender Figuren veranschaulicht Fassbinders Argwohn gegenüber allen (insbesondere linken) Versprechungen auf gesellschaftliche Veränderung, während Mutter Küsters’ unbefangene Menschlichkeit unter den herrschenden Verhältnissen zu blinder Naivität gerinnt. Der unweigerlich traurige Ausgang der Erzählung wird lakonisch auf eingeblendeten Schrifttafeln verkündet. PS: Die amerikanische Fassung des Films endet unverhofft happy. Fauler Kompromiß? Beißende Satire? Höhere Ironie?

R Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder, Kurt Raab K Michael Ballhaus M Peer Raben A Kurt Raab S Thea Eymèsz P Rainer Werner Fassbinder D Brigitte Mira, Ingrid Caven, Karlheinz Böhm, Margit Carstensen, Irm Herrmann, Gottfried John | BRD | 120 min | 1:1,37 | f | 7. Juli 1975

# 1008 | 14. Juli 2016

6.2.74

Nada (Claude Chabrol, 1974)

Nada

»Merde! Vive la mort!« Terrorismus als Zerfallsprodukt einer (auto-)destruktiven Gesellschaft ... Die gauchistische Gruppierung »Nada« (= Nichts) entführt den amerikanischen Botschafter in Frankreich aus einem Pariser Bordell. Die Behörden kommen den Tätern (einem djangoesken Weltverbesserer, einem polternden Säufer, einem desillusionierten Berufsrevolutionär, einem melancholischen Kellner, einem halbherzigen Intellektuellen, einer selbstbewußten Revolverheldin) schnell auf die Spur, wobei die Mittel, die der von gutbürgerlichen Sadisten gelenkte Staatsapparat zur Anwendung bringt, von denen seiner radikalen Feinde nicht zu unterscheiden sind. Claude Chabrol nimmt für seine aktionsgeladene Politthriller-Farce (nach einem virtuosen Roman von Jean-Patrick Manchette) Anleihen beim Italowestern und beim Film noir, um ein ebenso bitter-brutales wie knallig-groteskes Zeitbild zu entwerfen: gesetzlose Ordnungshüter und idealistische Gewaltverbrecher erscheinen als zwei Seiten derselben (wertlosen) Medaille. PS: »L’histoire nous a produit et ça prouve que la civilisation court à sa perte d’une façon ou une autre.«

R Claude Chabrol B Jean-Patrick Manchette, Claude Chabrol V Jean-Patrick Manchette K Jean Rabier M Pierre Jansen A Guy Littaye S Jacques Gaillard P André Génovès D Fabio Testi, Maurice Garrel, Michel Duchaussoy, Lou Castel, Mariangela Melato, Michel Aumont | F & I | 110 min | 1:1,66 | f | 6. Februar 1974

# 1108 | 8. Mai 2018

19.10.73

The Way We Were (Sydney Pollack, 1973)

So wie wir waren | Cherrie Bitter

»I don’t see how you can do it.« – »And I don’t see how you can’t.« Die großen, die unvergeßlichen Liebesgeschichten sind in der Regel nicht jene, die gut ausgehen, nicht die Happily-ever-after-Romanzen aus dem Märchenbuch, es sind die bittersüß-aussichtlosen Erzählungen von feindlichen Umständen, von opfervollem Verzicht, von unauflöslichem Gegensatz: Tristan und Isolde, Rick und Ilsa, Hubbell Gardiner und Katie Morosky. Der immer lächelnde Neuengland-Beau (Robert Redford), dem alles – das Schreiben, die Liebe, das Leben – viel zu leicht fällt, und die jüdische Jungkommunistin (Barbra Streisand), die alles – die Politik, die Arbeit, das Leben – viel zu ernst nimmt, lernen sich Ende der 1930er Jahre während des Studiums kennen, treffen sich kurz vor Schluß des Zweiten Weltkriegs wieder, verlieben sich, trennen sich, finden aufs Neue zusammen, gehen gemeinsam von New York nach Hollywood, wo er seinen ersten Roman (»A Country Made of Ice Cream«) für die Leinwand adaptieren soll, werden von der Kommunistenhatz der beginnenden McCarthy-Ära endgültig entzweit – wo er, talentiert, lässig und flexibel, Menschen für wichtiger als ihre Prinzipien hält, ist sie, konsequent, engagiert und streitbar, davon überzeugt, daß Menschen ihre Prinzipien sind. Sydney Pollack inszeniert Arthur Laurents’ intelligentes Melodram mit unaufdringlichem nostalgischen Flair und leisen, aber unüberhörbaren politischen Untertönen; das kongeniale Spiel der Hauptdarsteller wahrt die Integrität der so unterschiedlichen Protagonisten, beschreibt einen schmerzlichen Dissens ohne Parteinahme, ohne Schuldzuweisung. PS: »Memories / Light the corners of my mind / Misty watercolor memories / Of the way we were.«

R Sydney Pollack B Arthur Laurents K Harry Stradling Jr. M Marvin Hamlish A Stephen B. Grimes S Margaret Booth P Ray Stark D Barbra Streisand, Robert Redford, Bradford Dillman, Lois Chiles, Patrick O’Neal, Viveca Lindfors | USA | 118 min | 1:2,35 | f | 19. Oktober 1973

# 1148 | 2. Februar 2019

13.1.72

Trotz alledem! (Günter Reisch, 1972)

Während seine revisionistischen Ex-Genossen Ebert (Knebelbart), Scheidemann (Halbglatze) und Noske (Zwicker) vor dem verfaulten Gestern (= dem bourgeoisen Kapital und seinen fuchskragenbesetzten militärischen Schergen) zu Kreuze kriechen, ist der Blick des zuverlässigen Karl Liebknecht unbeirrt auf die rote Zukunft gerichtet, auf jene Zeit, da Klarheit und Wahrheit gesiegt haben werden. Von den diesbezüglichen revolutionären Kämpfen der Jahreswende 1918/1919 zur »geistigen und materiellen Erlösung der darbenden Massen« berichtet Günter Reischs zweites Liebknecht-Epos »Trotz alledem!« – der todgeweihte Held, den die Erzählung zum deutschen Lenin hochzustilisieren sich müht, agiert wiederum in erster Linie als Redner, schwärmt von »Feuer und Geist, Seele und Herz, Wille und Tat«. Manchmal wendet sich die Kamera (Jürgen Brauer) vom Vortragenden ab und der Hörerschaft zu – dann findet sie überraschend starke Bilder: mitreißende Massenchoreographien, aber auch intime, hintergründige Arrangements. PS: Der gesellschaftliche Umsturz bleibt letztlich aus, doch merke: »Wir werden geschlagen, aber wir sind nicht besiegt. Das ist nicht der letzte Kampf.«

R Günter Reisch B Michael Tschesno-Hell, Günter Karl K Jürgen Brauer M Ernst Hermann Meyer A Dieter Adam, Georg Kranz S Monika Schindler P Manfred Renger D Horst Schulze, Albert Hetterle, Erika Dunkelmann, Jutta Hoffmann, Ludmilla Kasjanowa | DDR | 125 min | 1:2,35 | f | 13. Januar 1972

30.10.69

Skřivánci na niti (Jiří Menzel, 1969/1990)

Lerchen am Faden

Zu Beginn der 1950er Jahre – der Stalinismus hat die östliche Hälfte der ideologisch geteilten Welt fest im Griff – schuften klassenfeindliche Elemente (männliche und weibliche Delinquenten streng getrennt) auf dem Schrottplatz eines tschechischen Hüttenwerks, um (aus Schreibmaschinen und Kruzifixen, Lokomotiven und Gitterbetten) Rohstoff für die volkseigene Stahlproduktion zu gewinnen: hier (u. a.) ein Philosophieprofessor und ein Saxophonist (dekadentes Instrument!), ein Staatsanwalt und ein junger Koch (der aus religiösen Gründen die samstägliche Arbeit verweigert), dort eine Gruppe von Frauen (die allesamt beim Versuch, das Arbeiterparadies unerlaubt zu verlassen, hopsgenommen wurden), dazwischen ein sanftmütiger Wachmann (der seine liebe Not mit der frisch angetrauten Gattin hat) sowie ein mopsiger Apparatschik (der privat einer Leidenschaft für das Abseifen heranwachsender Mädchen frönt). Jiří Menzel inszeniert (einmal mehr nach einer Geschichte von Bohumil Hrabal) kein hartes Drama der Unterdrückung, sondern ein kleines Welttheater der Anpassung und des Ungehorsams, der Kontrolle und des Eigensinns, ein menschenfreundlich-märchenhaftes Gesellschaftsstück voller tragikomischer Zwischentöne und ironischer Anspielungen (der kirmeshafte Werksbesuch eines senilen Ministers, ein nelkendekorierter Propagandadreh der staatlichen Wochenschau), ein sanftes Hohelied der Liebe, die noch im grauesten Grau der volksdemokratischen Gegebenheiten erglimmt.

R Jiří Menzel B Jiří Menzel, Bohumil Hrabal V Bohumil Hrabal K Jaromír Šofr M Jiří Šust A Oldřich Bosák Ko Dagmar Krausová S Jiřina Lukešová P Pavel Juráček, Jaroslav Kučera D Václav Neckář, Jitka Zelenohorská, Vlastimil Brodský, Rudolf Hrušínský, Jaroslav Satoranský | CS | 94 min | 1:1,66 | f | 30. Oktober 1969 (Fertigstellung) / 16. Februar 1990 (Uraufführung)

# 1179 | 3. Oktober 2019

14.11.68

Die Toten bleiben jung (Joachim Kunert, 1968)

Kurz nach der Novemberrevolution wird ein junger Kommunist von reaktionären Freikorpsoffizieren »auf der Flucht« erschossen. Der Film verfolgt – basierend auf einem Roman von Anna Seghers – in sorgfältig gearbeiteten Parallelmontagen die Schicksale der Mörder sowie der Kameraden und Hinterbliebenen des Opfers (insbesondere seines nachgeborenen Sohnes) durch Weimarer Republik und »Drittes Reich« bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Joachim Kunert kondensiert die 700-seitige Vorlage, eine gesellschaftliche Gesamtschau und Epochendiagnose im Sinne des sozialistischen Realismus, dramaturgisch geschickt zu einem schlaglichtartigen Bilderbogen, der in pointierten Szenen (und offener Parteilichkeit) den Untergang einer herrschenden Klasse und die verlustreiche Heraufkunft ihrer Nachfolger darstellt. Die radikale Verknappung des Stoffs läßt die zahlreichen miteinander verknüpften Figuren freilich zu repräsentativen Typen schrumpfen, deren Handlungen an keiner Stelle persönlicher Motivation sondern ausschließlich einer zwangsläufigen historischen Mechanik folgen.

R Joachim Kunert B Christa Wolf, Ree von Dahlen, Günter Haubold, Gerhard Helwig, Joachim Kunert V Anna Seghers K Günter Haubold M Gerhard Wohlgemuth A Gerhard Helwig S Christa Helwig P Bernhard Gelbe D Barbara Dittus, Günter Wolf, Klaus-Peter Pleßow, Dieter Wien, Kurt Böwe | DDR | 112 min | 1:2,35 | sw | 14. November 1968

# 974 | 4. November 2015

12.8.68

Mr. Freedom (William Klein, 1968)

Mr. Freedom

»We fight for freedom, for one and for all! / It's you-and-me-dom, and ten foot tall!« Die Welt, postuliert der Boß von ›Freedom Inc.‹ (Donald Pleasence) ist in zwei Lager geteilt: Richtig und Falsch – dazwischen tummeln sich die Vielleichts und die Weißnichts. Mr. Freedom (John Abbey im rot-weiß-blauen Football-Dreß), der beste Mann der amerikanischen Bewußtseinsfirma, wird nach Europa entsandt, um das unentschlossene Volk der Franzosen auf die richtige Spur zu bringen. So muß der unbeirrbare Held der westlichen Welt (»Yeah! Freedom! Wow!«) nicht nur unter Aufbietung aller körperlichen und geistigen (?) Kräfte gegen eine weitverzweigte Anti-Freiheitsliga, die vom maoistischen Superschurken Red China Man (ein aufblasbarer Riesendrache) gesteuert wird, sowie gegen den neostalinistischen Muzhik Man (Philippe Noiret als eine Art rotes Bibendum) kämpfen, er hat auch ganz allgemeine Undankbarkeit für seinen titanischen Einsatz und – eine besonders bittere Enttäuschung! – den Verrat der ihm vermeintlich treu ergebener Mitstreiterin Marie-Madeleine (Delphine Seyrig) zu gewärtigen. Mit der popartig-überdrehten, knallbunt-comichaften Superhelden-Satire leistet William Klein (ein New Yorker in Paris) seinen ganz eigenen (formal sehr eigenwilligen) Beitrag zu den aufgeheizten (gesellschafts-)politischen Debatten der 1960er Jahre. »Freedom, freedom, and oh-can-you-see-dom! / We’ll always beat ’em with star-spangled freedom!«

R William Klein B William Klein K Pierre Lhomme M Serge Gainsbourg A William Klein Ko Janine Klein S Anne-Marie Cotret P Guy Belfond, Christian Thivat, Michel Zemer D John Abbey, Delphine Seyrig, Donald Pleasence, Serge Gainsbourg, Philippe Noiret, Sami Frey | F | 95 min | 1:1,66 | f | 12. August 1968

# 1180 | 3. Oktober 2019

25.10.67

Die Fahne von Kriwoj Rog (Kurt Maetzig, 1967)

»Ich trage eine Fahne / und diese Fahne ist rot. / Es ist die Arbeiterfahne / die Vater trug durch die Not. / Die Fahne ist niemals gefallen / so oft auch ihr Träger fiel. / Sie weht heute über uns allen / und sieht schon der Sehnsucht Ziel.« Kommunistische Bergleute aus dem Mansfelder Land (= die Guten) verstecken eine ihnen (»damals, im Jahre 1929«) von sowjetischen Klassenbrüdern geschenkte Fahne (Symbol!) erfolgreich vor Grubenherren, Nazis und Amerikanern (= den Bösen). Am Ende (des Zweiten Weltkriegs / der Erzählung) kommen die heißersehnten Befreier, und das kostbare Tuch knattert fröhlich im Wind: schöne rote Welt! Jenseits der politischen Schlichtheit ein erstklassig besetztes, hervorragend fotografiertes (Kamera: Erich Gusko), von Kurt Maetzig souverän und spannend inszeniertes Epos – so macht sozialistischer Realismus Spaß.

R Kurt Maetzig B Hans Albert Pederzani V Otto Gotsche K Erich Gusko M Gerhard Rosenfeld A Dieter Adam S Brigitte Krex P Manfred Renger D Erwin Geschonneck, Marga Legal, Harry Hindemith, Eva-Maria Hagen, Manfred Krug | DDR | 108 min | 1:2,35 | sw | 25. Oktober 1967

3.8.67

La chinoise (Jean-Luc Godard, 1967)

Die Chinesin

Ein Jahr vor 1968 nimmt Jean-Luc Godard in einem spröden Lehrstück Hoffnungen, Verzettelung und Scheitern der Revolte vorweg. Auf der Bühne eines gutbürgerlichen Pariser Appartements führt eine Clique von fünf Akteuren (neben Jean-Pierre Léaud und Juliette Berto auch Anne Wiazemsky, die zweite Mme Godard) das ewige Theater der Linken auf: ihr weltfernes Theoretisieren, ihre nervtötende Besserwisserei, ihre selbstzerstörerischen Fraktionsbildungen, ihren nonchalanten Umgang mit anderer Leute Leben, ihr uneinsichtiges Selbstmitleid am Morgen nach dem historischen Fehlschlag. »La chinoise«: ein prophetisches Zeitdokument.

R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard K Raoul Coutard S Agnès Guillemot, Delphine Desfons P Philippe Dussart D Anne Wiazemsky, Jean-Pierre Léaud, Juliette Berto, Michel Semeniako, Lex de Bruijn | F | 96 min | 1:1,37 | f | 3. August 1967

11.5.66

La guerre est finie (Alain Resnais, 1966)

Der Krieg ist vorbei

Der Krieg ist vorbei. Der Krieg endet nie. Jedenfalls nicht für die Verlierer. Yves Montand spielt Diego alias Domingo alias Carlos, einen spanischen Kommunisten, der ein Vierteljahrhundert nach dem (offiziellen) Ende der Guerra civil immer noch, immer wieder, immer weiter kämpft – als sei ihm der Krieg zum simplen Lebensbedürfnis geworden, so wie essen, trinken, schlafen, Sex. Obwohl er Sinn und Chance der Untergrundaktionen, an denen er beteiligt ist, wiederholt skeptisch, ja pessimistisch hinterfragt (was seine Genossen gar nicht zu schätzen wissen), obwohl er Erfüllung in der Liebe (zu Marianne = Ingrid Thulin oder zu Nadine = Geneviève Bujold) finden könnte, setzt er sich weiterhin der Gefahr für Leib und Leben aus, bleibt er der revolutionären Sache treu. Alain Resnais inszeniert – nach einem Drehbuch von Jorge Semprún (der wußte, wovon er schreibt) – mit reservierter Anteilnahme die Geschichte eines stoischen Weitermachens, erforscht in transparenten Bildern (Kamera: Sacha Vierny) die Widersprüche und Zusammenhänge von Politik und Psychologie, Glauben und Gewohnheit, Zweifel und Disziplin. PS: »Nicht der Krieg ist revolutionär, der Friede ist revolutionär.« (Jean Jaurès) Aber auch: »Man kann den Krieg nur durch den Krieg abschaffen.« (Mao Dzedong)

R Alain Resnais B Jorge Semprún K Sacha Vierny M Giovanni Fusco A Jacques Saulnier S Eric Pluet P Anatole Dauman D Yves Montand, Ingrid Thulin, Geneviève Bujold, Jean Dasté, Michel Piccoli | F & I | 121 min | 1:1,66 | sw | 11. Mai 1966

22.12.65

Doctor Zhivago (David Lean, 1965)

Doktor Schiwago

»This is an awful time to be alive.« Ein Mann zwischen zwei Frauen – und als wäre das nicht schon kompliziert genug, müssen die drei Protagonisten der ausschweifenden Erzählung sich auch noch (in verschiedenen Kombinationen) durch Weltbrand, Revolution und Bürgerkrieg schlagen: Jurij (Omar Sharif) schaut glutvoll, Lara (Julie Christie) schaut sehnsüchtig, Tonya (Geraldine Chaplin) schaut tapfer aus der epochalen Wäsche. David Lean bestreicht die russischen Weiten mit Blut und Schmalz und Tränen, Maurice Jarre läßt die Balalaikas flirren, Freddie Young träumt in Panavision von Steppe und Wäldern und Eis. Das Alte stirbt in epischer Breite, das Neue wird unter Schmerzen geboren, der (und die) Einzelne geht verloren im Zeitalter der (roten) Massen – aber im Frühjahr blühen wieder (leuchtend gelb) die Narzissen …

R David Lean B Robert Bolt V Boris Pasternak K Freddie Young M Maurice Jarre A John Box S Norman Savage P Carlo Ponti D Omar Sharif, Julie Christie, Geraldine Chaplin, Rod Steiger, Alec Guinness | USA & I | 197 min | 1:2,20 | f | 22. Dezember 1965

9.9.65

Solange Leben in mir ist (Günter Reisch, 1965)

»Ein Held? Das ist ein Sozialist der Tat!« Gemessen an seiner eigenen Definition ist der Karl Liebknecht des Films (weniger verkörpert denn verstimmlicht von Horst Schulze) kein Held. Liebknecht ist ein Sozialist des Wortes. Er redet und redet und redet: Er hält Reden im Reichstag und im Kaffeehaus, in seinem Wohnzimmer und in freier Natur, im Schützengraben und vor Gericht; er richtet Adressen an seine geliebte Frau und an befreundete Proletarier, er referiert vor wutschnaubenden Gegnern und enthusiastischen Genossen, und noch zu seiner zehnjährigen Tochter spricht er wie zur Nachwelt. »Solange Leben in mir ist«, der – aus streng parteilicher Sicht – die Biographie des aufrechten, friedensliebenden Revolutionärs vom Sommer 1914 (seinem einsamen »Nein!« zu den Kriegskrediten) bis zum Sommer 1916 (seiner Verurteilung wegen »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!« = Hochverrat) in perfekt austarierten, wie aus grauem Stein geschlagenen Breitwandbildern nachzeichnet, könnte ebensogut den Titel »Solange Stimme in mir ist« tragen.

R Günter Reisch B Michael Tschesno-Hell, Günter Reisch, Hermann Herlinghaus K Horst E. Brandt M Ernst Hermann Meyer A Willy Schiller, Dieter Adam S Bärbel Weigel P Gerd Golde D Horst Schulze, Albert Hetterle, Erika Dunkelmann, Jutta Hoffmann, Ludmilla Kasjanowa | DDR | 114 min | 1:2,35 | sw | 9. September 1965

4.9.64

Postava k podpírání (Pavel Juráček & Jan Schmidt, 1964)

Josef Kilian

Das Leben als Odyssee zum Pol der Unerreichbarkeit – Pavel Juráček und Jan Schmidt beschreiben die menschliche Grundsituation als (post-)stalinistische Farce: Auf der erfolglosen Suche nach einem alten Bekannten (einem gewissen Josef Kilián) nutzt der Protagonist der Erzählung das Angebot eines Katzenverleihs, kann das für 24 Stunden geborgte Tier allerdings nicht retournieren, da das Geschäft tags darauf unauffindbar ist. Von Schuldgefühlen getrieben, gefangen in einem Netz aus ängstlicher Selbstbezichtigung und behördlichem Verdacht, fahndet der Held nach dem Zuständigen (ausgerechnet dem bewußten Kilián), irrt durch ein (von Jan Čuřík in klaustrophobischen Schwarzweißbildern fotografiertes) kafkaeskes Labyrinth dunkler Kellergänge, unausmeßbarer Archive, endloser Behördenflure, leerer Amtsstuben. Der gefühlt allgegenwärtige Kilián bleibt spurlos verschwunden – seine auf Schritt und Tritt spürbare Abwesenheit klafft als bedrohliche Leerstelle in einem anonymen System, das den Einzelnen zum Delinquenten macht.

R Pavel Juráček, Jan Schmidt B Pavel Juráček, Jan Schmidt K Jan Čuřík M Wiliam Bukový A Oldřich Bosák S Zdenek Stehlík P Ladislav Fikar, Consuela Morávková, Pavel Bártl, Pavel Šilhánek D Karel Vasicek | CS | 38 min | 1:1,37 | sw | 4. September 1964

# 1168 | 3. August 2019

24.10.62

The Manchurian Candidate (John Frankenheimer, 1962)

Botschafter der Angst

Herrlich kaltschnäuzige Mischung aus Paranoia-Thriller und Politsatire – in puncto spöttisch-surrealer Bösartigkeit wird nur Stanley Kubricks Nuklearfarce »Dr. Strangelove« Vergleichbares bieten. Selten wurde der US-Staats- und Medienzirkus gnadenloser vorgeführt, selten wurden das Thema »american angst« raffinierter verhandelt als in John Frankenheimers Story eines von den Kommunisten gehirngewaschenen All-american-Schläfers (Laurence Harvey), der den Präsidentschaftskandidaten abknallen soll. Dank Angela Lansburys lustvoll-monströser Matronen-Performance entwickelt sich »The Manchurian Candidate« zudem (neben Alfred Hitchcocks »Psycho«) zu einem der ganz großen Mutter-Horror-Filme: »You know that I want nothing for myself. You know that my whole life has been devoted to helping you ...« – »Mother, stop it!«

R John Frankenheimer B George Axelrod V Richard Condon K Lionel Lindon M David Amram A Richard Sylbert S Ferris Webster P John Frankenheimer, George Axelrod D Frank Sinatra, Laurence Harvey, Janet Leigh, Angela Lansbury, Henry Silva | USA | 126 min | 1:1,85 | sw | 24. Oktober 1962

8.6.62

Königskinder (Frank Beyer, 1962)

Es beginnt in den frühen 1930er Jahren in Berlin und endet kurz vor Kriegsende auf einem Flugplatz bei Moskau: Ein aufrechter Kommunist (Armin Mueller-Stahl) und eine Kleinbürgertochter (Annekathrin Bürger), die ihr Leben und Streben später ebenfalls der großen Sache widmet, haben einander so lieb, werden aber von den Zeitläuften immer wieder auseinandergerissen; ein Dritter (Ulrich Thein) steht erst im Abseits, geht dann zur SA, um im entscheidenden Moment seine menschliche (= rote) Seite zu entdecken. Frank Beyers »Königskinder« diffundiert zwischen lyrisch-melodramatischer Ballade und hochmoralisch unterfüttertem Kriegsfilm. Die Bilder (Günter Marczinkowsky) vermeiden dabei jeden Naturalismus zugunsten einer attraktiven, symbolisch-präziösen Zuspitzung. Zwischendurch singen immer mal wieder die Thomaner, um daran zu erinnern, daß das Wasser viel zu tief ist. »Königskinder«: ein formal exquisiter, erzählerisch konsequent linksgestrickter Musterfall von pathetischer Romantik, kämpfender Kunst, einfacher Wahrheit.

R Frank Beyer B Walter Gorrish, Edith Gorrish K Günter Marczinkowsky M Joachim Werzlau A Alfred Hirschmeier S Anneliese Hinze-Sokolowa P Hans Mahlich D Annekathrin Bürger, Armin Mueller-Stahl, Ulrich Thein, Marga Legal, Betty Loewen | DDR | 89 min | 1:1,37 | sw | 8. Juni 1962

15.12.61

One, Two, Three (Billy Wilder, 1961)

Eins, zwei, drei

»Is everybody in this world corrupt?« – »I don't know everybody.« Berlin, der Nabel des Kalten Krieges, kurz vor der (fürs erste) endgültigen Abdichtung des Eisernen Vorhangs (»The situation is hopeless, but not serious.«): Während Coca-Cola nach Osten expandieren will, verführen die Roten (ohne Unterwäsche!) die schönsten Frauen der freien Welt. Dazu noch Umlautunterricht, Säbeltanz und verschiedenfarbige Brüste in gepunkteten Kleidern. Bei einem mopsfidelen Abend im Grand Hotel Wilder (»It used to be the Grand Hotel Göring, and before that, it was the Grand Hotel Bismarck.«) vermittelt »One, Two, Three« nicht nur alles, was man über Kapitalismus (»… is like a dead herring in the moonlight. It shines, but it stinks.«) und Kommunismus (»No comment!«) wissen muß – der Film ist auch ein lohnendes Studienobjekt für perfektes Komödientiming: Cagney! Pulver!! »Schlemmer!!!« PS: Nicht zu vergessen: Hotte Ludwig Piffl (der ideale Schwiegersohn) und Graf Hubsi von Droste-Schattenburg (aus einem uralten Geschlecht von Blutern).

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Ferenc Molnár K Daniel L. Fapp M André Previn A Alexandre Trauner S Daniel Mandell P Billy Wilder D James Cagney, Horst Buchholz, Pamela Tiffin, Arlene Francis, Liselotte Pulver | USA | 115 min | 1:2,35 | sw | 15. Dezember 1961

20.5.61

Tschistjoje nebo (Grigori Tschuchrai, 1961)

Klarer Himmel

Geschichte einer Liebe in den Zeiten der roten Finsternis: Die schwärmerische Sascha (Nina Dobrischewa wirkt mitunter wie eine russische Giulietta Masina) verehrt das kühne Fliegeras Alexei (Jewgeni Urbanski). Der Große Vaterländische Krieg hat schon begonnen, als die beiden ein Paar werden. Ihnen bleiben nur wenige Tage des Glücks: Alexei kommt von einem Feindflug nicht zurück. Sascha fügt sich in ihr Witwenlos, bis der Totgeglaubte eines Tages vor der Tür steht. Der Heimkehrer ist zweifach gezeichnet: von einer tiefen Narbe quer durchs Gesicht und von der Schande, die deutsche Gefangenschaft überlebt zu haben. Im real-existierenden Stalinismus des Nachkriegs gilt Alexei als Verräter, der weder Pilot noch Kommunist sein darf. Erlösung bringt erst der Tod des Diktators. Die Wolken brechen auf. Das Eis schmilzt. Tauwetter … »Tschistjoje nebo«, eine expressiv fotografierte Schicksalssymphonie in Rückblenden, spart weder mit politischer Melodramatik noch mit visuellen Symbolismen. Vor allem im zweiten Teil des Films inszeniert Grigori Tschuchrai die Stalinsche Ära als ewigen Winter des Duckertums, dem Freude und Hoffnung nur mit größter Mühe abzutrotzen sind, als tristes Schattenreich der Willkür, wo zu Unrecht Angeklagte an ihre fiktive »Schuld« glauben, um den Verstand nicht zu verlieren. Auch wenn Alexei (der seine Rehabilitierung mit versteinerter Miene zur Kenntnis nimmt) sich wieder in die Lüfte erheben wird, zeigt Tschuchrai den Einzelnen nicht als Herrn und Helden der Geschichte sondern als deren Knecht und Opfer: Schrecken und Heil kommen und gehen wie die Jahreszeiten. Was bleibt, ist zuversichtlicher Fatalismus.

R Grigori Tschuchrai B Daniil Chabrowitski K Sergei Polujanow M Michail Siw A Boris Nemetschek S Marija Timofejewa P Mosfilm D Nina Dobrischewa, Jewgeni Urbanski, Natalja Kusmina, Witali Konjajew, Grigori Kulikow | SU | 110 min | 1:1,37 | f | 20. Mai 1961

3.11.60

Fünf Patronenhülsen (Frank Beyer, 1960)

»Genossen im Graben: Singt alle mit!« Eine abenteuerliche Strophe aus dem Heldenepos der Linken: Fünf Interbrigadisten schlagen sich im Spanischen Bürgerkrieg durch die franquistischen Linien, um eine wichtige Botschaft ihres erschossenen Kommissars (gütig und resolut: Erwin Geschonneck) zu ihrem Stab zu bringen. Die Hitze ist gnadenlos, der Feind ist bitterböse, der Durst ist grausam. Selten sahen kommunistische Klischeebider von übermenschlichem Mut, eiserner Disziplin, unsterblichen Opfern und proletarischem Internationalismus so verlockend gut aus wie in Frank Beyers »Fünf Patronenhülsen«. Die meisterlich herbe Schwarzweiß-Kamera (Günter Marczinkowsky) setzt extreme Close-Ups der ausgedörrten Gesichter (Krug, Marian, Mueller-Stahl, Naumann, Schwill) gegen weite Totalen der ausge­dörrten Landschaft. Die Dialoge sind bedeutungsvoll karg, die Musik ist wirksam verknappt, die über­mittelte Botschaft ist bemerkenswert schlicht: »Bleibt zusammen, dann werdet ihr leben.« Die Sonne der Täuschung schien über Spanien besonders schön.

R Frank Beyer B Walter Gorrish K Günter Marczinkowsky M Joachim Werzlau A Alfred Hirschmeier S Evelyn Thieme P Willi Teichmann D Erwin Geschonneck, Ulrich Thein, Armin Mueller-Stahl, Manfred Krug, Ernst-Georg Schwill | DDR | 87 min | 1:1,37 | sw | 3. November 1960

9.10.60

Nihon no yoru to kiri (Nagisa Oshima, 1960)

Nacht und Nebel über Japan

Eine Hochzeitsfeier wird zum Tribunal: Ungebetene Gäste tischen unbequeme Erinnerungen auf und stellen unbehagliche Fragen. »Nacht und Nebel über Japan« spielt unter revolutionären Studenten und kommunistischen Funktionären. Auf der Bühne des Festsaals zerlegen sich die Genossen selbst und gegenseitig: Hinter der Fassade ihres hehren Kampfes für Frieden und Gerechtigkeit blühen Gruppenterror, Denkverbote, Lüge, Verrat und die Eitelkeit der Macht, die auch schon mal den (Frei-)Tod von Gefährten billigend in Kauf nimmt. In endlos langen Plansequenzen sowie mit theatralischen Arrangements und Beleuchtungseffekten läßt Oshima seine Protagonisten alte persönliche (und politische) Rechnungen begleichen. Quälend – aber wenn's der Wahrheitsfindung dient ...

R Nagisa Oshima B Nagisa Oshima, Toshiro Ishido K Takashi Kawamata M Riichiro Manabe A Koji Uno S Keiichi Uraoka P Tomio Ikeda D Miyuki Kuwano, Fumio Watanabe, Masahiko Tsugawa, Hiroshi Akutagawa, Kei Sato | JP | 107 min | 1:2,35 | f | 9. Oktober 1960

6.10.60

Wir Kellerkinder (Jochen Wiedermann, 1960)

»Die Vergangenheit ist unbewältigt. Und wo bleibt der Film darüber? Schließlich müssen wir ja mal damit fertig werden.« Das Leben des Macke Prinz, von ihm selbst (in die Wochenschau-Kamera) erzählt … Macke (Wolfgang Neuss), 1938, zu Beginn der Geschichte, elf Jahre alt, Sohn eines Berliner Blockwarts, Trommler im Jungvolk, will nur eines: Schlagzeuger werden. In seinem Keller übt er fleißig; außerdem versteckt er dort während des Krieges einen verfolgten Kommunisten (der ihm kulturelle und menschliche Grundwerte vermittelt), später dann den eigenen Vater (den er immer gut leiden konnte – weil er ihn nicht kannte). Über die politisch-ideologische Schizophrenie von Nazi- und Nachkriegszeit verliert Macke den Verstand und landet in der Klapsmühle, wo er auf einen musikalischen Toilettenmann mit Führerkomplex (Jo Herbst) und einen aus der Zone geflüchteten Jazzpianisten (Wolfgang Gruner) trifft … Von Hitler zu Adenauer und Ulbricht sowie ein Ausflug zurück – eine satirische Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung aus der Kellerperspektive. Visuell betont unspektakulär, über weite Strecken die filmische Illustration des von Neuss vorgetragenen Off-Kommentars, zeigt »Wir Kellerkinder« deutsch(-deutsche) Charaktertypen an stilisierten Schauplätzen: alte und neue Kameraden, Pseudokommunisten und künstliche Demokraten, »ein ganzes Volk auf Zelluloid«, zwischen Ost und West, zwischen Heute und Gestern. »Es ist nicht einfach mit so etwas Schluß zu machen.«

R Jochen Wiedermann B Wolfgang Neuss, Herbert Kundler K Werner Lenz M Peter Sandloff A Ernst H. Albrecht S Walter von Bonhorst P Hans Oppenheimer D Wolfgang Neuss, Wolfgang Gruner, Jo Herbst, Karin Baal, Achim Strietzel | BRD | 86 min | 1:1,37 | sw | 6. Oktober 1960

# 802 | 22. November 2013