21.4.59

Sapphire (Basil Dearden, 1959)

Das Mädchen Saphir


»You always can tell.« Latenter Rassismus, aufbereitet in einem formal stilsicheren, positionell zeitweilig indifferenten Londoner Problemkrimi: Eine junge Frau liegt ermordet unter einem Busch in Hampstead Heath. Die polizeilichen Ermittler registrieren Anspannung beim Verlobten der Toten und dessen Angehörigen, doch erst als der Bruder des Opfers zur Aussage erscheint, platzt die Bombe: Die Tote war »coloured«, Tochter eines britischen Arztes und einer schwarzen Tänzerin. Irgendwann hatte Sapphire, die temperamentvolle Musikstudentin, entdeckt, daß sie mit ihrer »lily skin« als Weiße durchgehen konnte, ihr Leben daraufhin radikal geändert und neue Chancen ergriffen. Nicht einmal ihr Verlobter David, Sproß einer engstirnigen Kleinbürgerfamilie, hatte etwas von der (menschlich und sozial gespaltenen) Identität seiner Liebsten bemerkt. Als er es erfuhr, war es ihm egal – jemand anderem allerdings nicht … Basil Dearden nutzt das Whodunit-Format geschickt, um beim nachforschenden Zug durch die Gemeinde eingefleischte Vorurteile und unterschwellige wie offene Verachtung gegenüber »Fremden« zu desavouieren (vor allem die verkniffenen landladies bekommen ihr Fett weg), hin und wieder jedoch rutscht er bei der Darstellung des »Anderen« selbst ins Stereotypische: Der Schwarze wippt »naturgemäß« im jazzigen Rhythmus der Musik, bleckt bei Gefahr die Zähne und rollt die Augen, wenn er lustig ist (oder umgekehrt). Unsentimentale Blicke in enge Stuben, trübgraue Straßen und bittere Seelen machen den Reiz von »Sapphire« aus, als Beitrag zum Kampf gegen ethnische Diskriminierung stößt der Film jedoch an seine immanenten Grenzen – oder wie der abgeklärte Superintendent nach der Lösung des Falls zu seinem jungen Kollegen sagt: »We didn't solve anything, Phil. We just picked up the pieces.«

R Basil Dearden B Janet Green, Lukas Heller K Harry Waxman M Philip Green A Carmen Dillon S John D. Guthridge P Michael Relph D Nigel Patrick, Paul Massie, Bernard Miles, Yvonne Mitchell, Earl Cameron | UK | 92 min | 1:1,66 | f | 21. April 1959

17.4.59

Imitation of Life (Douglas Sirk, 1959)

Solange es Menschen gibt

»Without love you’re only living / an imitation, an imitation of life.« Zwei Frauen, zwei Mädchen, zehn Jahre – Armut und Ambition, Hoffnung und Leid, Ruhm und Tod. Die erfolglose, aber brennend ehrgeizige Schauspielerin Lora Meredith (Lana Turner) trifft auf die heimatlose, aber herzensgute Annie Johnson (Juanita Moore). Die beiden alleinerziehenden Mütter sind sich sympathisch, und so beschließen die Platinblondine und die Farbige fortan zusammenzuleben: Die eine will Karriere machen, die andere wird sich um die Kinder und um den Haushalt kümmern. Lora, deren Stern zu leuchten beginnt, weist die Zuneigung eines fordernden Verehrers zurück und bemerkt nicht, wie sie sich im Emporkommen von ihrer Tochter Susie entfremdet; Annie muß schmerzlich erkennen, daß sie von ihrer hellhäutigen Tochter Sarah Jane verleugnet wird, die nach einem weißen Leben fiebert: »I'm someone else.« … Mit den Diamanten, die sich unter den Anfangstiteln häufen, gibt Douglas Sirk einen Vorgeschmack auf den funkelnden Look dieses Hochglanz-Melodramas über Selbstbetrug und die Leere des Triumphs, über Einsamkeit und die Trivialität eines Daseins ohne Liebe, über die Relationen von Dienen und Gebieten, von Mann und Frau, von Weiß und Schwarz. Ja, auch »Rassenfragen« werden gestellt, allerdings weniger in gesellschaftspolitischer Hinsicht, eher unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Problematik von Identität und Fremdheit. Das Ende des Films – das alle Tränenschleusen öffnet, wenn Mahalia Jackson von der finalen Überwindung der »troubles of the world« singt – bringt eine bemerkenswerte Mischung der Farben (und eine definitive Synthese von Ironie und Seifenoper): reinweiße Blumen und weiße Pferde für eine tote Schwarze, tiefschwarze Kleider und eine schwarze Limousine für die trauernden Weißen. Nach »Imitation of Life« wird Sirk keinen weiteren Spielfilm inszenieren: »No more weepin' and wailin' …«

R Douglas Sirk B Eleanor Griffin, Allan Scott V Fannie Hurst K Russell Metty M Frank Skinner A Alexander Golitzen, Richard H. Riedel S Milton Carruth P Ross Hunter D Lana Turner, Juanita Moore, Susan Kohner, Sandra Dee, John Gavin | USA | 125 min | 1:1,85 | f | 17. April 1959

1.4.59

Whirlpool (Lewis Allen, 1959)

Die schwarze Lorelei

»He’s got me spinning in a whirlpool of love.« Ein Rheinfahrt gegen den Strom, ein Strudel von Kitsch und Existenzialismus, eine Drift durch die Schatten der Vergangenheit in die Sehnsucht nach einem besseren Morgen, eine schwarzromantische Heimatmär, die Ahnung gibt, was der bundesdeutsche Film der Nachkriegszeit auch hätte sein können, wenn er hin und wieder so englisch gewesen wäre wie der Regisseur von »Whirlpool« (Lewis Allen), so amerikanisch wie der Autor (Lawrence P. Bachmann), so französisch wie der weibliche Star (Juliette Gréco als Frau auf der Flucht), so verschroben wie der österreichische Hauptdarsteller (O. W. Fischer als Kapitän ohne Hafen) – und: wenn er ab und zu so frei, so frech, so frivol gewesen wäre zu mischen, was nach landläufiger Auffassung nicht zu mischen ist: Weinseligkeit und Traumata, Sentimentalität und Schroffheit, Plein-air-Realismus und travelling mattes. So bleibt es diesem wundersam-uneinheitlichen, ruhelos-schlafwandlerischen (britischen) B-Film vorbehalten einen schießwütigen Maniac in Tiroler Tracht zu stecken, eine unnahbare Pariser Bohémienne als Schankfräulein in Köln anzuheuern, ein Menjou-Bärtchen auf der Oberlippe eines Kahnschiffers namens Rolf sprießen zu lassen, einen Showdown am Fuße der Loreley in Szene zu setzen.

R Lewis Allen B Lawrence P. Bachmann V Lawrence P. Bachmann K Geoffrey Unsworth M Ron Goodwin A Jack Maxsted S Russell Lloyd P George Pitcher D O. W. Fischer, Juliette Gréco, William Sylvester, Marius Goring, Muriel Pavlow | UK | 95 min | 1:1,37 | f | 1. April 1959