19.12.74

The Man with the Golden Gun (Guy Hamilton, 1974)

James Bond 007 – Der Mann mit dem goldenen Colt 

Es gibt ein paar schöne Sets – etwa die Hongkonger MI6-Dependance im halbversunkenen Wrack der ›Queen Elizabeth‹ oder der caligareske Trainingsraum des schießwütigen Schurken. Auch Christopher Lee als (fast) immer zielsicherer bad guy Scaramanga macht starken Eindruck. Der böse Zwerg (Hervé Villechaize) hat ein paar denkwürdige Auftritte. Selbst der Verzicht auf Martinis, die weitgehende Abwesenheit von ironischer Distanz und die arg forcierte Misogynie mögen angehen.  Aber Guy Hamiltons außerhalb der Actionsequenzen doch recht gelangweilte Regie und vor allem die erstaunlich stimmungslose Kameraarbeit mindern das Vergnügen an »The Man with the Golden Gun« ganz erheblich.

R Guy Hamilton B Richard Maibaum, Tom Mankiewicz V Ian Fleming K Ted Moore, Oswald Morris M John Barry A Peter Murton S Raymond Poulton, John Shirley P Albert R. Broccoli, Harry Saltzman D Roger Moore, Christopher Lee, Britt Ekland, Maud Adams, Hervé Villechaize | UK | 125 min | 1:1,85 | f | 19. Dezember 1974

18.12.74

In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod (Alexander Kluge & Edgar Reitz, 1974)

»Ich habe eine gewisse Übersicht. Die Lage ist hochkompliziert.« Eine mittlere Großstadt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Ort heißt Frankfurt und hat gesellschaftlichen Modellcharakter. Die Verhältnisse sind mit einer kohärenten Erzählung nicht zu fassen. Die Zusammenhänge liegen in den Widersprüchen. Alexander Kluge und Edgar Reitz erzählen die Geschichte einer Beischlafdiebin, die um die Defizite männlicher Versprechungen weiß, sowie die Geschichte einer östlichen Geheimagentin, die – anstatt sogenannte Staatsgeheimnisse auszuspähen (welche man genauso gut im Wirtschaftsteil der FAZ nachlesen könne) – mit ihren Mikrofonen und Kameras die konkrete Wirklichkeit untersucht; sie ist der festen Überzeugung, daß dort die wahren Geheimnisse liegen. Auch Kluge und Reitz studieren die konkrete Wirklichkeit: Karnevalssitzungen und Häuserräumungen, Tagungen von Astronomen und jungen Unternehmern, Polizeieinsätze und Parteiversammlungen. Es ist »die Sprechweise öffentlicher Ereignisse«, die im Mittelpunkt ihres Interesses steht: das blasierte Geschwätz eines Bundestagsabgeordneten, die technokratischen Rechtfertigungen eines Polizeipräsidenten vor seinen Genossen, die Streikdiskussion von Opernangestellten, die papierdeutschen Erklärungen eines Abbruchunternehmers. »Gefühle zählen nicht, Fakten zählen«, sagt ein unzufriedener Führungsoffizier zu der Agentin, die sich in Lyrismen ergehe, anstatt Handfestes zu liefern. Kluge und Reitz versuchen, die Gefühlstiefe des Faktischen auszuloten. »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« fragt ein Graffiti in einem besetzten Abrißhaus im Frankfurter Westend. Der Film kennt keine Antwort, bringt aber eine Überlegung von Karl Marx ins Spiel: »Man muß den versteinerten Dingen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen.«

R Alexander Kluge, Edgar Reitz B Alexander Kluge, Edgar Reitz K Edgar Reitz, Alfred Hürmer, Günter Hörmann M diverse S Beate Mainka-Jellinghaus P Alexander Kluge, Edgar Reitz D Dagmar Bödderich, Jutta Winkelmann, Alfred Edel, Kurt Jürgens, André Mozart | BRD | 90 min | 1:1,37 | f | 18. Dezember 1974

# 899 | 25. Juli 2014

Steppenwolf (Fred Haines, 1974)

Der Steppenwolf 

»Learn what is to be taken seriously, and to laugh at the rest!« Harry Haller = H. H. = Hermann Hesse (?) zwischen Wolf und Mensch, Trieb und Geist, Selbstsuche und Anpassung, Exzess und Normalität. Max von Sydow als verklemmt-empfänglicher »Steppenwolf« – Dominique Sanda als sanft-dominante Hermine, Harrys Wunschbild, Seelenfreundin und lebensvolles alter ego – Pierre Clementi als jazzig-magischer Theaterdirektor Pablo, attraktiver Führer in eine Welt zwischen Bewußtsein und Entgrenzung. Nach einer recht braven Abschilderung des dünnen äußeren Handlungsfadens (und einem skurrilen Legetrick-Intermezzo) findet Regisseur Fred Haines im letzten Drittel des Films dank der frühen Bluebox-Technik zu einigermaßen ausgefallenen Bildformulierungen, die bisweilen an Mike Leckebuschs elektronische »Beat-Club«-Visionen erinnern. »Nur für Verrückte« eben.

R Fred Haines B Fred Haines V Hermann Hesse K Tomislav Pinter M George Gruntz A Leo Karen S Irving Lerner P Melvin Fishman, Richard Herland D Max von Sydow, Dominique Sanda, Pierre Clémenti, Carla Romanelli, Charles Reignier | USA & CH & UK & F & I | 107 min | 1:1,85 | f | 18. Dezember 1974

Le retour du grand blond (Yves Robert, 1974)

Der große Blonde kehrt zurück

Die Rückkehr des großen Blonden gestaltet sich ebenso brav wie überflüssig. Wieder Intrigen beim französischen Geheimdienst, wo offenbar nur Muttersöhnchen (Jean Rochefort) und ehemalige Bettnässer (Michel Duchaussoy) tätig sind. Der Innenminister, intern: »der große Bock« genannt (exzellent: Jean Bouise), wäre lieber wieder Landwirtschaftsminister, Geiger François (Pierre Richard) klamottet sich mit Sonnenbrille und Platzpatronen durchs krause Geschehen, seine Freundin Christine (Mireille Darc) zeigt ihren zwei Jahre älter gewordenen Rücken – ihr Kleid ist diesmal weiß statt schwarz. Tiens, tiens!

R Yves Robert B Yves Robert, Francis Veber K René Mathelin M Vladimir Cosma A Théo Meurisse S Ghislaine Desjonquères, Françoise London P Alain Poiré, Yves Robert D Pierre Richard, Mireille Darc, Jean Rochefort, Michel Duchaussoy, Jean Bouise | F | 76 min | 1:1,85 | f | 18. Dezember 1974

10.12.74

Gruppo di famiglia in un interno (Luchino Visconti, 1974)

Gewalt und Leidenschaft 

»If ever a landlord had difficult tenants, I believe I had.« Schauplatz von »Gruppo di famiglia in un interno« ist der römische Palazzo eines alten, misanthropischen, namenlosen Professors (Burt Lancaster), dessen mit teuren Bildern, dicken Büchern und schweren Möbeln ausgepolsterte (und erstickte) Zurückgezogenheit von einer lauten, oberflächlichen Schickimicki-Bande (unter ihnen Helmut Berger und Silvana Mangano) aufgestört wird, die sich in der Etage über ihm einnistet. Ausgerechnet mit dem Auftritt dieses »innerlich vulgären« Völkchens erwacht des Professors Verlangen nach menschlicher Nähe, nach familiärer Wärme, nach der Liebe, die ihm zeitlebens versagt war (oder der er sich versagte). Luchino Visconti erfüllt diese letzte Sehnsucht nicht, sondern registriert mit der Präzision eines Oszillographen die finale Erschütterung der überfeinerten spätbürgerlichen Lebenswelt. Das geschieht ohne Anklage (und vor allem ohne die Exzesse, die der deutsche Titel verspricht), erfüllt von vornehmem Fatalismus und tiefschwarzer Ironie – ausgerechnet die Schönen, Jungen, Lebenslustigen sind es, die Zerfall und Tod (und auch so etwas wie Erlösung) bringen.

R Luchino Visconti B Luchino Visconti, Suso Cecchi d’Amico, Enrico Medioli K Pasqualino de Santis M Franco Mannino A Mario Garbuglia S Ruggero Mastroianni P Giovanni Bertolucci D Burt Lancaster, Silvana Mangano, Helmut Berger, Claudia Marsani, Stefano Patrizi | I & F | 126 min | 1:2,35 | f | 10. Dezember 1974