25.9.65

Popioły (Andrzej Wajda, 1965)

Legionäre

»Uns zeigte Bonaparte / wie wir siegen sollen …« Die Schicksale dreier polnischer Edelmänner in der Wirrsal der napoleonischen Kriege: Die Nation dieser (Anti-)Helden wider Willen ist von der Landkarte verschwunden, aufgeteilt unter Preußen, Russen und Österreicher. Polen existiert nur mehr in den polnischen Köpfen, in den polnischen Herzen, in den polnischen Träumen. Andrzej Wajda entwirft ein schier endloses Schlachtenpanorama voller barocker Symbolismen und (wut-)schnaubender Pferde, ein weiträumig-verzweifeltes Fresko, das – über 15 Jahre Erzählzeit hinweg – vom besetzten Warschau bis vor die Tore Saragossas führt, von der winterlichen Weichsel nach Italien, von der Karibik an die Beresina. Unter der Ägide des Kaisers (»Niech zyje Cesarz!« = »Vive l'empereur!«), Verkörperung einer revolutionären Macht, die stets das Gute will und stets das Böse schafft, versklaven polnische Legionäre die Neger von San Domingo, morden Nonnen in spanischen Klöstern, nehmen eigene Dörfer unter Feuer – sie helfen mithin, Unfreiheit in der Welt zu verbreiten, um die Freiheit ihrer Heimat zu erringen. Dramaturgie und Inszenierung sind so zerklüftet, so eruptiv, so disparat wie die paradoxen Zeitläufte: »Popioly« zelebriert Geschichte nicht in sorgfältig austarierten Tableaus, sondern entfesselt einen schnellen, bisweilen reißenden Bilderstrom (Kamera: Jerzy Lipman), einen wilden, von unbeherrschbaren (menschlichen) Kräften erzeugten tragisch-ironischen Ereignisstrudel.

R Andrzej Wajda B Aleksander Scibor-Rylski V Stefan Zeromski K Jerzy Lipman M Andrzej Markowski A Anatol Radzinowicz S Halina Nawrocka P Zygmunt Szyndler D Daniel Olbrychski, Bogusław Kiercz, Piotr Wysocki, Pola Raksa, Beata Tyszkiewicz | PL | 233/169 min | 1:2,35 | sw | 25. September 1965

15.9.65

Terrore nello spazio (Mario Bava, 1965)

Planet der Vampire

Terrore nella Cinecittà: Angelockt von rätselhaften Signalen, stranden die Mannschaften zweier Raumschiffe auf dem unwirtlichen, aber höchst kunstvoll ausgeleuchteten Kulissenplaneten Aura, wo bösartige immaterielle Wesen Jagd auf potentielle Wirtskörper machen. Diverse B- und C-Stars begeben sich in Gefahr und kommen darin um – die beiden einzigen Überlebenden gehören, soviel kann verraten werden, der überlegenen Rasse an … Mit viel Bühnennebel, Plastikfolien, Lichtblitzen, einem guten Dutzend Ledermonturen und ein paar alten Weckern (= Plutoniumbomben) zaubert Mario Bava grotesk-fantastischen Horror-Trash-Fiction, die (nicht) von Pappe ist.

R Mario Bava B Mario Bava, Alberto Beviacqua, Callisto Cosulich, Antonio Román, Rafael J. Salvia K Antonio Pérez Olea, Antonio Rinaldi M Gino Marinuzzi Jr. A Giorgio Giovannini S Romana Fortini, Antonio Gimeno P Fulvio Lucisano D Barry Sullivan, Norma Bengell, Ángel Aranda, Evi Marandi, Stelio Candelli | I & E | 88 min | 1:1,85 | f | 15. September 1965

9.9.65

Solange Leben in mir ist (Günter Reisch, 1965)

»Ein Held? Das ist ein Sozialist der Tat!« Gemessen an seiner eigenen Definition ist der Karl Liebknecht des Films (weniger verkörpert denn verstimmlicht von Horst Schulze) kein Held. Liebknecht ist ein Sozialist des Wortes. Er redet und redet und redet: Er hält Reden im Reichstag und im Kaffeehaus, in seinem Wohnzimmer und in freier Natur, im Schützengraben und vor Gericht; er richtet Adressen an seine geliebte Frau und an befreundete Proletarier, er referiert vor wutschnaubenden Gegnern und enthusiastischen Genossen, und noch zu seiner zehnjährigen Tochter spricht er wie zur Nachwelt. »Solange Leben in mir ist«, der – aus streng parteilicher Sicht – die Biographie des aufrechten, friedensliebenden Revolutionärs vom Sommer 1914 (seinem einsamen »Nein!« zu den Kriegskrediten) bis zum Sommer 1916 (seiner Verurteilung wegen »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!« = Hochverrat) in perfekt austarierten, wie aus grauem Stein geschlagenen Breitwandbildern nachzeichnet, könnte ebensogut den Titel »Solange Stimme in mir ist« tragen.

R Günter Reisch B Michael Tschesno-Hell, Günter Reisch, Hermann Herlinghaus K Horst E. Brandt M Ernst Hermann Meyer A Willy Schiller, Dieter Adam S Bärbel Weigel P Gerd Golde D Horst Schulze, Albert Hetterle, Erika Dunkelmann, Jutta Hoffmann, Ludmilla Kasjanowa | DDR | 114 min | 1:2,35 | sw | 9. September 1965

8.9.65

La métamorphose des cloportes (Pierre Granier-Deferre, 1965)

Ganoven rechnen ab

Alphonse (Lino Ventura), genannt ›le Malin‹ (≈ der Schlaufuchs, aber auch: der Teufel, oder: einer, der sich aufspielt), ein verhältnismäßig erfolgreicher Pariser Bilderdieb, läßt sich von einem alten Kumpel (Charles Aznavour) und dessen trübtassigen Komplizen in eine zweifelhafte Safeknackerei verwickeln, infolge derer er – als einziger der Bande – in den Kahn einfährt. Nach fünf einsamen Jahren in die Freiheit entlassen, geht Alphonse, in rächender Absicht, auf die Suche nach den unsolidarischen Gefährten von einst, die sich zwischenzeitlich auf seine Kosten mittelständisch etabliert haben: einer unterhält einen Rennstall, einer ist Schausteller geworden, einer sucht sein Heil in indischer Weisheit, einer betreibt erfolgreich internationalen Kunsthandel – die wundersame Metamorphose der Kellerasseln. In Pierre Granier-Deferres kompetent inszenierter Adaption eines autobiographisch grundierten Romans des Ex-Knackis Alphonse Boudard erscheinen die bürgerliche Gesellschaft als Zerrspiegelbild der Unterwelt, die Ehrsamkeit als Fortsetzung des Verbrechens mit anderen Mitteln (et vice versa). Nicolas Hayer (der unter anderem für Clouzot und Melville tätig war) findet für das tragikomisch gefärbte Vergeltungsstück Scope-Bilder von dokumentarisch-kühler Nüchternheit, Jimmy Smiths fatalistisch-bluesiger Hammond-Sound läßt von vornherein ahnen, daß die (Ab-)Rechnung des geprellten Ganoven nicht aufgehen wird.

R Pierre Granier-Deferre B Michel Audiard, Albert Simonin V Alphonse Boudard K Nicolas Hayer M Jimmy Smith A Jacques Saulnier S Jean Ravel P Bertrand Javal, Paul Javal D Lino Ventura, Pierre Brasseur, Charles Aznavour, Irina Demick, Françoise Rosay, Daniel Ceccaldi | F & I | 98 min | 1:2,35 | sw | 8. September 1965

# 1053 | 31. Mai 2017