Die Teuflischen
Die kalte, klaustrophobische Hölle, in der Henri-Georges Clouzot »Les diaboliques« ansiedelt, ist eine Privatschule in der Pariser Banlieue, ein verfluchter, grauer Kasten, wo ewiger November herrscht, wo den Zöglingen der stinkende Fisch von gestern serviert wird. Direktor Delassalle (Paul Meurisse) ist ein Sadist, der seine herzkranke Frau (Véra Clouzot) und seine aparte Geliebte (Simone Signoret) gleichermaßen lustvoll quält – bis die Frauen beschließen, das Scheusal zu töten: Delassalle wird sediert und sodann ersäuft wie eine Katze – doch wie eine Katze hat auch er mehr Leben als eins ... Der Horror des Films liegt weniger in Schock- oder Gruseleffekten, als vielmehr in der völligen Abwesenheit von Nächstenliebe sowie in der bodenlosen moralischen Schäbigkeit, von denen die beschriebene kleine, enge Welt (die wohl als Metapher der großen, weiten verstanden werden darf) beherrscht wird. Mit einem vorangestellten Motto beansprucht Clouzot für die schwarze Erzählung (nach einen Roman von Boileau und Narcejac) eine kathartische Wirkung, aber letztlich lassen seine boshafte Freude an genüßlich ausgebreiteten Gemeinheiten und sein diebische Vergnügen am kinematographischen Hakenschlagen das ethische Erkenntnisinteresse in den Hintergrund treten. Neben der zentralen Dreierkonstellation spielen Michel Serrault und Pierre Larquey (als armselige Schulmeister) sowie Charles Vanel (als insistierender Bulle im Ruhestand) prägnante Nebenrollen; Armand Thirard kleidet die Verkommenheit in vollkommene Bilder.
R Henri-Georges Clouzot B Henri-Georges Clouzot, Jérôme Géronimi V Pierre Boileau, Thomas Narcejac K Armand Thirard M Georges Van Parys A Léon Barsacq S Madeleine Gug P Henri-Georges Clouzot D Simone Signoret, Véra Clouzot, Paul Meurisse, Charles Vanel, Noël Roquevert | F | 114 min | 1:1,37 | sw | 29. Januar 1955
29.1.55
28.1.55
Ludwig II. – Glanz und Ende eines Königs (Helmut Käutner, 1955)
Fantastische Schlösser unter weißblauem Himmel, goldene
Interieurs und samtrote Rosen: ein Technicolor-Märchen über
einen Märchen-König. Ludwig (O. W. Fischer), impulsiv und voller Zuversicht,
ein verspäteter absoluter Monarch, ein radikaler Romantiker, der in Bayern ein Reich der Musen errichten will, zerbricht an der schnöden Tagespolitik, die ihm
einen Krieg abverlangt, wenn er ein Festspielhaus für Richard Wagner (Paul
Bildt) plant, hadert mit Beamtenseelen, die ihn in einen
Finanzrahmen pressen, wenn er die Ewigkeit der Kunst in den Blick nimmt. Oder
verzweifelt Ludwig, weil er den einzigen Menschen, den er liebt, seine Cousine,
die österreichische Kaiserin Elisabeth (Ruth Leuwerik), nicht haben kann? Vielleicht aber begehrt er dieses Wesen – so alleine, so unglücklich, wie er selbst – gerade deswegen so abgöttisch, da es als Objekt des Verlangens nie und nimmer in Frage kommt. Die Einsamkeit entpuppt
sich als Ludwigs Schicksal, eine glanzvolle, eine elende Einsamkeit, in der es ihm,
fernab von den Sachzwängen einer Zeit der militärischen Kraftmeierei und der
Versachlichung aller Werte, bestimmt ist, das Gesamtkunstwerk eines jenseitigen Glücks,
einer zweckfreien Schönheit zu träumen und, glorreich-traurig, zu leben …
Helmut Käutner inszeniert eine farbenprächtige biographische Legende, eine
opulente historische Fiktion, ein majestätisches Melodram der (Ohn-)Macht; Hein
Heckroth, der schon fulminante Kinovisionen für Powell und Pressburger baute,
gestaltet adäquate filmische Räume für eine Figur, die beinahe panisch in die
Größe flieht, die ein ewiges Rätsel bleiben will – sich selbst und allen anderen.
# 870 | 29. Mai 2014
26.1.55
Pokolenie (Andrzej Wajda, 1955)
Eine Generation
Während Andrzej Wajda im volksdemokratischen Nachkriegspolen seinen Erstling dreht, liegt der ›Vater der Völker‹ gerade mal ein Jahr neben Lenin im Mausoleum auf dem Roten Platz – und so wehen denn durch »Pokolenie« noch dicke Schwaden stalinistischen Gesinnungsdampfes. Die Geschichte des hitzköpfigen Lumpenproletariers Stach aus den Slums von Warschau, der im Widerstand gegen die deutschen Besatzer zum vorbildlichen Kommunisten reift, wird mit viel heroischer Untersicht und schimmernden Glanzlichtern in den Augen erzählt. Alte Arbeiter dozieren über den Mann mit dem weißen Bart, der das Gesetz des Mehrwerts erkannt hat, und wenn ein Gerechter fällt, stehen fünf andere für ihn auf. Daß dieser Film aus der Polnischen (Vor-)Schule trotz gestanzter Charaktere und genormter Handlung über weite Strecken fesselt, verdankt er neben Wajdas inszenatorischer Prägnanz und den ruinösen Settings (die teils von der Wirklichkeit, teils vom Ausstatter Roman Mann geschaffen wurden) nicht zuletzt der Darstellungskraft von Tadeusz Łomnicki, der die zentrale Heldenfigur immer wieder zu brechen vermag und ihr mit seinem naiven Grinsen, seinen pubertären Posen, seiner jugendlichen Impulsivität etwas zutiefst Menschliches und Anrührendes verleiht.
R Andrzej Wajda B Bohdan Czesko V Bohdan Czesko K Jerzy Lipmann M Andrzej Markowski A Roman Mann S Czesław Raniszewski P Ignacy Taub D Tadeusz Łomnicki, Urszula Modrzyńska, Tadeusz Janczar, Janusz Paluszkiewicz, Roman Polański | PL | 83 min | 1:1,37 | sw | 26. Januar 1955
Während Andrzej Wajda im volksdemokratischen Nachkriegspolen seinen Erstling dreht, liegt der ›Vater der Völker‹ gerade mal ein Jahr neben Lenin im Mausoleum auf dem Roten Platz – und so wehen denn durch »Pokolenie« noch dicke Schwaden stalinistischen Gesinnungsdampfes. Die Geschichte des hitzköpfigen Lumpenproletariers Stach aus den Slums von Warschau, der im Widerstand gegen die deutschen Besatzer zum vorbildlichen Kommunisten reift, wird mit viel heroischer Untersicht und schimmernden Glanzlichtern in den Augen erzählt. Alte Arbeiter dozieren über den Mann mit dem weißen Bart, der das Gesetz des Mehrwerts erkannt hat, und wenn ein Gerechter fällt, stehen fünf andere für ihn auf. Daß dieser Film aus der Polnischen (Vor-)Schule trotz gestanzter Charaktere und genormter Handlung über weite Strecken fesselt, verdankt er neben Wajdas inszenatorischer Prägnanz und den ruinösen Settings (die teils von der Wirklichkeit, teils vom Ausstatter Roman Mann geschaffen wurden) nicht zuletzt der Darstellungskraft von Tadeusz Łomnicki, der die zentrale Heldenfigur immer wieder zu brechen vermag und ihr mit seinem naiven Grinsen, seinen pubertären Posen, seiner jugendlichen Impulsivität etwas zutiefst Menschliches und Anrührendes verleiht.
R Andrzej Wajda B Bohdan Czesko V Bohdan Czesko K Jerzy Lipmann M Andrzej Markowski A Roman Mann S Czesław Raniszewski P Ignacy Taub D Tadeusz Łomnicki, Urszula Modrzyńska, Tadeusz Janczar, Janusz Paluszkiewicz, Roman Polański | PL | 83 min | 1:1,37 | sw | 26. Januar 1955
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Jugend,
Kommunismus,
Krieg,
Wajda,
Warschau,
Widerstand,
Zweiter Weltkrieg
7.1.55
Bad Day at Black Rock (John Sturges, 1955)
Stadt in Angst
Moderner, sonnenheller Noir-Western in unwirtlichem CinemaScope und staubigem Eastmancolor: Spencer Tracy (als wortkarger einarmiger Kriegsveteran) kommt in eine gottverlassenes Kaff, wo die Züge seit Jahren nicht mehr nicht halten. Eigentlich will er nur die Tapferkeitsmedaille eines toten Kameraden an dessen Familie übergeben, aber der ungebetene Besuch des alten Mannes weckt schlafende Hunde (Robert Ryan, Lee Marvin, Ernest Borgnine), die schließlich im Rudel über den Fremden herfallen. Das Lüften ihres schmutzigen Geheimnisses können sie dennoch nicht verhindern – »denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werde.« Ein ranker, schlanker Wüstenthriller vom zuverlässigen John Sturges.
R John Sturges B Millard Kaufman, Don McGuire K William C. Mellor M André Previn A Malcolm Brown, Cedric Gibbons S Newell P. Kimlin P Dore Schary D Spencer Tracy, Robert Ryan, Anne Francis, Lee Marvin, Ernest Borgnine | USA | 81 min | 1:2,35 | f | 7. Januar 1955
Moderner, sonnenheller Noir-Western in unwirtlichem CinemaScope und staubigem Eastmancolor: Spencer Tracy (als wortkarger einarmiger Kriegsveteran) kommt in eine gottverlassenes Kaff, wo die Züge seit Jahren nicht mehr nicht halten. Eigentlich will er nur die Tapferkeitsmedaille eines toten Kameraden an dessen Familie übergeben, aber der ungebetene Besuch des alten Mannes weckt schlafende Hunde (Robert Ryan, Lee Marvin, Ernest Borgnine), die schließlich im Rudel über den Fremden herfallen. Das Lüften ihres schmutzigen Geheimnisses können sie dennoch nicht verhindern – »denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werde.« Ein ranker, schlanker Wüstenthriller vom zuverlässigen John Sturges.
R John Sturges B Millard Kaufman, Don McGuire K William C. Mellor M André Previn A Malcolm Brown, Cedric Gibbons S Newell P. Kimlin P Dore Schary D Spencer Tracy, Robert Ryan, Anne Francis, Lee Marvin, Ernest Borgnine | USA | 81 min | 1:2,35 | f | 7. Januar 1955
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