20.7.60

The Bellboy (Jerry Lewis, 1960)

Hallo, Page!

»If you create a stage and it is grand, everyone who enters will play their part«, postuliert Architekt Morris Lapidus, der Mitte der 1950er Jahre den Schauplatz von Jerry Lewis’ Debüt als »total film-maker« (Autor, Regisseur, Produzent, Hauptdarsteller) entwarf: das extravagant-mondäne Fontainebleau Hotel in Miami Beach. Lewis spielt auf dieser grandiosen Bühne die Rolle des (stummen) Pagen Stanley (!), der jedermann zu Willen sein muß, wobei er ganz seinem eigenen Willen folgt. »Too much is never enough« sagt Lapidus, der Meister des durchgeknallten Jet-Set-Barock, und auch Lewis feiert das Zuviel, indem er dem überkandidelten Setting eine Fülle, einen Schwung, eine Kaskade von lustigen, absurden, spinnerten Szenen abgewinnt: »A film based on fun.« Der Lunapark der modernistischen Baukunst wird zur Kulisse einer überschwenglichen Sketchparade, eines Varietés der selbstreferentiellen Scherze, einer tiefen Verbeugung vor den großen komödiantischen Vorbildern: Stan (!) Laurel, Charlie Chaplin, Jacques Tati. Indessen ist Lewis auch ein Apologet des »Less is more«. Weniger Handlung, weniger Psychologie, weniger sinnvoller Zusammenhang. Stattdessen mehr Raum für Intuition, für Abschweifung, für vollendeten Blödsinn. Weniger Ziel. Mehr Weg. Mit anderen Worten: »It is actually a series of silly sequences.« 

R Jerry Lewis B Jerry Lewis K Haskell Boggs M Walter Scharf A Hal Pereira, Henry Bumstead S Stanley Johnson P Jerry Lewis D Jerry Lewis, Alex Gerry, Bob Clayton, Bill Richmond, Milton Berle | USA | 72 min | 1:1,85 | sw | 20. Juli 1960

# 789 | 2. November 2013

1.7.60

The Amazing Transparent Man (Edgar G. Ulmer, 1960)

»Amazing« ist an diesem in jeder Beziehung billigen Sci-Fi-Thriller nicht besonders viel: Ein durchgeknallter Ex-Major träumt von der Aufstellung einer unsichtbaren Armee, zu welchem Behufe er einen genialen deutschen Wissenschaftler erpreßt, der schon zwangsweise den Nazis zu Willen sein mußte. Der fiese Schurke läßt zudem einen Meisterdieb aus dem Gefängnis befreien, damit dieser Nuklearmaterial »X-13« aus Staatsbesitz beschaffe, das zur weiteren Verbesserung der Unsichtbarkeitsmaschine erforderlich ist … Im Gegensatz zum back-to-back produzierten »Beyond the Time Barrier« gelingt es Edgar G. Ulmer nicht, dem hanebüchenen Stoff jenseits oberflächlichster Fortschrittskritik ein gewissen Maß von Größe (oder Größenwahn) einzuhauchen. Ein verschnarchtes texanisches Farmhaus als Zentrale des Bösen, ein klappriges Wellblechlaboratorium unterm Dach – beginnt hier die Weltherrschaft? Neben dem holprigen Erzählbogen des kurzen Films, den uninspirierten (Nutz-)Dialogen und den primitiven, allzu augenfälligen Effekten enttäuscht vor allem die weitgehend lustlose, statische Inszenierung; lediglich einige schwebende subjektive Einstellungen aus dem »Blickwinkel« des Unsichtbaren beweisen Ulmers außergewöhnliche Fähigkeit, buchstäblich mit Nichts visuelles Aufsehen zu erregen.

R Edgar G. Ulmer B Jack Lewis K Meredith M. Nicholson M Darrell Calker A Ernst Fegté S Jack Ruggiero P Lester D. Guthrie D Douglas Kennedy, Marguerite Chapman, James Griffith, Ivan Triesault, Red Morgan | USA | 60 min | 1:1,66 | sw | 1. Juli 1960

# 781 | 14. Oktober 2013 

Beyond the Time Barrier (Edgar G. Ulmer, 1960)

»None of this is real. It’s all an illusion to me.« Als Major Bill Allison, Testpilot der US-Luftwaffe, von einem Überschallflug in großer Höhe zurückkehrt, findet er seine Air Base in Trümmern liegend. Er wandert durch desolate Landschaften und gelangt zu einer strahlenden Stadt, deren Bewohner ihn gefangen setzen. Langsam begreift Allison, daß er durch die Zeit ins Jahr 2024 geschleudert wurde. In der »Zitadelle«, einer caligaresken Art-Déco-Festung, deren phantastische pyramidal-trianguläre Innenwelten (Bauten: Ernst Fegté) die eigentliche Attraktion des Films ausmachen, haben sich die Überlebenden einer (durch Kernwaffenversuche herbeigeführten) Pandemie verschanzt, die im Jahre 1971 fast die gesamte Erdbevölkerung dahinraffte. Von aggressiven »Mutanten« bedroht, stumm (bis auf den alten, weisen Anführer) und unfruchtbar (bis auf die hübsche Enkelin des Chefs), sehen die letzten Menschen in Major Allison ihre letzte Hoffnung: Er soll in die Zeit vor der Katastrophe zurückkehren, um das große Sterben zu verhindern … Chris Marker wird ein ähnliches Szenario drei Jahre später in seinem vielschichtigen photo-roman »La jetée« auf ungleich höherem philosophischen und visuellen Niveau entwickeln, Edgar G. Ulmer verarbeitet Themen wie Atomangst und mögliche Zerstörung aller Lebensgrundlagen zu einer naiv-linkischen Pulp-Dystopie mit warnender Schlußbelehrung: »Gentlemen, we’ve got a lot to think about.«

R Edgar G. Ulmer B Arthur C. Pierce K Meredith M. Nicholson M Darrell Calker A Ernst Fegté S Jack Ruggiero P Robert Clarke D Robert Clarke, Darlene Tompkins, Vladimir Sokoloff, Stephen Bekassy, Arianne Ulmer | USA | 75 min | 1:1,37 | sw | 1. Juli 1960

# 780 | 13. Oktober 2013