Die Macht und ihr Preis
»Die Wahrheit zu sagen ist revolutionär.« (Antonio Gramsci, italienischer Marxist) … »Was ist Wahrheit?« (Pontius Pilatus, römischer Präfekt) … In verschiedenen Städten im Süden des Landes sterben Richter und Staatsanwälte wie die Fliegen – zielsicher abgeschossen von einem unbekannten Killer. Ist der Täter ein Psychopath? Ein Chaot? Ein Extremist? Kommissar Rogas (Lino Ventura), stoisch-integrer Kriminalist aus der Hauptstadt, entdeckt einen möglichen Zusammenhang zwischen den erlauchten Leichnamen: Rächt sich das Opfer eines Justizirrtums an denjenigen, die ihn einst zu Unrecht verurteilten? Klarheit ist in diesem Fall nicht zu gewinnen: Je tiefer Rogas in die Ermittlung eintaucht, desto unübersichtlicher werden die Hintergründe, desto verschlungener erscheinen die Beziehungen der Betroffenen und Beteiligten – bis sich hinter der Mordserie das schwarze Loch einer allumfassenden Verschwörung auftut: In altehrwürdigen Palästen wird der Staatsstreich vorbereitet. Die unheimliche Macht, die im Namen von Sicherheit und Ordnung an die Grundfesten von Sicherheit und Ordnung rührt, bleibt wesenlos, ungreifbar, schattenhaft; Politiker und Militärs sind am Komplott ebenso beteiligt wie Geheimdienstler und Wirtschaftbosse. Die Kriminalerzählung wandelt sich peu à peu in die intensive Beschreibung einer Landschaft der Angst; am abgründigsten ist Francesco Rosis morbider Paranoia-Thriller da, wo er, statt eine erklärende Auflösung zu bieten, die politischen Gegner der konspirativen Dunkelmänner mit bitterernster Ironie als Mitglieder des Kartells demaskiert. Auch die linke Opposition ist Teil und Stütze eines geschlossenen, ausweglosen Systems: »La verità non è sempre rivoluzionaria«, subsumiert der kommunistische Parteifunktionär – die Wahrheit ist nicht immer revolutionär. PS: »Cadaveri eccellenti« endet mit folgender Schrifttafel: »I fatti e i personaggi di questo film non hanno riferimento con fatti e persone reali.« 1981 werden italienische Untersuchungsbehörden die Aktivitäten der Geheimorganisation »Propaganda Due« (»P2«) enthüllen, deren tatsächliche Subversionstätigkeit zur Vorbereitung eines Umsturzes der von Rosi ausgemalten fiktiven Intrige auf verblüffende Weise ähnelte.
R Francesco Rosi B Francesco Rosi, Tonino Guerra, Lino Iannuzzi V Leonardo Schiaschia K Pasqualino De Santis M Piero Piccioni A Andrea Crisanti S Ruggero Mastroianni P Alberto Grimaldi D Lino Ventura, Alain Cuny, Max von Sydow, Fernando Rey, Charles Vanel | I & F | 120 min | 1:1,85 | f | 12. Februar 1976
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12.2.76
24.9.75
Three Days of the Condor (Sydney Pollack, 1975)
Die drei Tage des Condor
»Three Days of the Condor« leuchtet nicht nur in die Schattenbereiche des geheim(dienstlich)en Amerika, der Film entwirft das definitive Bild der Spionage als Spiel – Spiel der Möglichkeiten, der Manipulation, der Kontrolle, des Verrats. Sydney Pollack, der gute Mensch von Hollywood, portraitiert eine Figur, die nicht mehr mitspielen will: Joe Turner (Robert Redford) – ein subalterner CIA-Angestellter, der zufällig auf die Spur einer von der Zentrale ausgeheckten Riesenschweinerei stößt – versucht das (sein? unser?) Blatt zu wenden, indem er mitten in der Partie die Regeln ändert. Ob es ihm gelingt? Die Frage bleibt offen, muß offen bleiben, in einem novembertrüben Geschäft, in dem längst nicht mehr das »Warum?« interessiert, sondern das »Wann?«, das »Wo?«, in jedem Fall aber das »Wieviel?«.
R Sydney Pollack B Lorenzo Semple Jr., David Rayfiel V James Grady K Owen Roizman M Dave Grusin A Stephen B. Grimes S Don Guidice P Stanley Schneider D Robert Redford, Faye Dunaway, Cliff Robertson, Max von Sydow, John Houseman | USA | 117 min | 1:2,35 | f | 24. September 1975
»Three Days of the Condor« leuchtet nicht nur in die Schattenbereiche des geheim(dienstlich)en Amerika, der Film entwirft das definitive Bild der Spionage als Spiel – Spiel der Möglichkeiten, der Manipulation, der Kontrolle, des Verrats. Sydney Pollack, der gute Mensch von Hollywood, portraitiert eine Figur, die nicht mehr mitspielen will: Joe Turner (Robert Redford) – ein subalterner CIA-Angestellter, der zufällig auf die Spur einer von der Zentrale ausgeheckten Riesenschweinerei stößt – versucht das (sein? unser?) Blatt zu wenden, indem er mitten in der Partie die Regeln ändert. Ob es ihm gelingt? Die Frage bleibt offen, muß offen bleiben, in einem novembertrüben Geschäft, in dem längst nicht mehr das »Warum?« interessiert, sondern das »Wann?«, das »Wo?«, in jedem Fall aber das »Wieviel?«.
R Sydney Pollack B Lorenzo Semple Jr., David Rayfiel V James Grady K Owen Roizman M Dave Grusin A Stephen B. Grimes S Don Guidice P Stanley Schneider D Robert Redford, Faye Dunaway, Cliff Robertson, Max von Sydow, John Houseman | USA | 117 min | 1:2,35 | f | 24. September 1975
18.12.74
Steppenwolf (Fred Haines, 1974)
Der Steppenwolf
»Learn what is to be taken seriously, and to laugh at the rest!« Harry Haller = H. H. = Hermann Hesse (?) zwischen Wolf und Mensch, Trieb und Geist, Selbstsuche und Anpassung, Exzess und Normalität. Max von Sydow als verklemmt-empfänglicher »Steppenwolf« – Dominique Sanda als sanft-dominante Hermine, Harrys Wunschbild, Seelenfreundin und lebensvolles alter ego – Pierre Clementi als jazzig-magischer Theaterdirektor Pablo, attraktiver Führer in eine Welt zwischen Bewußtsein und Entgrenzung. Nach einer recht braven Abschilderung des dünnen äußeren Handlungsfadens (und einem skurrilen Legetrick-Intermezzo) findet Regisseur Fred Haines im letzten Drittel des Films dank der frühen Bluebox-Technik zu einigermaßen ausgefallenen Bildformulierungen, die bisweilen an Mike Leckebuschs elektronische »Beat-Club«-Visionen erinnern. »Nur für Verrückte« eben.
R Fred Haines B Fred Haines V Hermann Hesse K Tomislav Pinter M George Gruntz A Leo Karen S Irving Lerner P Melvin Fishman, Richard Herland D Max von Sydow, Dominique Sanda, Pierre Clémenti, Carla Romanelli, Charles Reignier | USA & CH & UK & F & I | 107 min | 1:1,85 | f | 18. Dezember 1974
»Learn what is to be taken seriously, and to laugh at the rest!« Harry Haller = H. H. = Hermann Hesse (?) zwischen Wolf und Mensch, Trieb und Geist, Selbstsuche und Anpassung, Exzess und Normalität. Max von Sydow als verklemmt-empfänglicher »Steppenwolf« – Dominique Sanda als sanft-dominante Hermine, Harrys Wunschbild, Seelenfreundin und lebensvolles alter ego – Pierre Clementi als jazzig-magischer Theaterdirektor Pablo, attraktiver Führer in eine Welt zwischen Bewußtsein und Entgrenzung. Nach einer recht braven Abschilderung des dünnen äußeren Handlungsfadens (und einem skurrilen Legetrick-Intermezzo) findet Regisseur Fred Haines im letzten Drittel des Films dank der frühen Bluebox-Technik zu einigermaßen ausgefallenen Bildformulierungen, die bisweilen an Mike Leckebuschs elektronische »Beat-Club«-Visionen erinnern. »Nur für Verrückte« eben.
R Fred Haines B Fred Haines V Hermann Hesse K Tomislav Pinter M George Gruntz A Leo Karen S Irving Lerner P Melvin Fishman, Richard Herland D Max von Sydow, Dominique Sanda, Pierre Clémenti, Carla Romanelli, Charles Reignier | USA & CH & UK & F & I | 107 min | 1:1,85 | f | 18. Dezember 1974
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26.12.73
The Exorcist (William Friedkin, 1973)
Der Exorzist
Trotz stellenweise eher belustigender als schockierender Effekte (Stichwort: grüne Kotze) bemerkenswerte Studie einer dämonischen Inbesitznahme und ihrer Austreibung – vor allem weil das Unbehagen an greifbaren Orten in einem präzise gezeichneten Alltag unter psychologisch stimmigen Figuren entwickelt wird. Wie kaum einem anderen Mainstream-Regisseur der 1970er Jahre gelingt es William Friedkin, in seinen (stets außerordentlich spannenden) Genre-Erzählungen die Erosionsprozesse der westlichen Gesellschaft – das heißt: den tiefen Fall aus dem goldenen Nachkriegszeitalter der Prosperität, Ordnung und Selbstgewißheit in eine Ära der politischen, wirtschaftlichen, sozialen (und in der Folge auch individuellen) Depression – bildhaft zu machen. In »The Exorcist« sind es in erster Linie Owen Roizmans naturalistische Kamera, die reduziert-wirkungsvolle Tongestaltung (Chris Newman und Buzz Knudson) und das affektive Spiel der Darsteller – Ellen Burstyn als empört-verstörte Mutter, Lee J. Cobb als analytisch-blinder Ermittler sowie Jason Miller als einfühlsam-schuldbeladener Priester ragen heraus –, die Angst und Verunsicherung unmittelbar spürbar werden lassen, während Linda Blair als junge Besessene und Max von Sydow als alter Teufelsbeschwörer zumeist stereotypisch agieren (müssen). »The Exorcist« (entstanden im Jahr von Ölkrise, Watergate und Chile-Putsch) akzeptiert die Existenz des Bösen in der Welt als Realität – eine Realität, deren Überwindung (wenn überhaupt) nur durch Glauben und Opfer möglich ist. Den einen mag dies als Beweis für den reaktionäre Standpunkt des Films dienen, anderen gilt es vielleicht als Indiz für seine revolutionäre Gesinnung.
R William Friedkin B William Peter Blatty V William Peter Blatty K Owen Roizman A Bill Malley S Norman Gay, Evan Lottman P William Peter Blatty D Ellen Burstyn, Max von Sydow, Lee J. Cobb, Jason Miller, Linda Blair | USA | 122 min | 1:1,85 | f | 26. Dezember 1973
Trotz stellenweise eher belustigender als schockierender Effekte (Stichwort: grüne Kotze) bemerkenswerte Studie einer dämonischen Inbesitznahme und ihrer Austreibung – vor allem weil das Unbehagen an greifbaren Orten in einem präzise gezeichneten Alltag unter psychologisch stimmigen Figuren entwickelt wird. Wie kaum einem anderen Mainstream-Regisseur der 1970er Jahre gelingt es William Friedkin, in seinen (stets außerordentlich spannenden) Genre-Erzählungen die Erosionsprozesse der westlichen Gesellschaft – das heißt: den tiefen Fall aus dem goldenen Nachkriegszeitalter der Prosperität, Ordnung und Selbstgewißheit in eine Ära der politischen, wirtschaftlichen, sozialen (und in der Folge auch individuellen) Depression – bildhaft zu machen. In »The Exorcist« sind es in erster Linie Owen Roizmans naturalistische Kamera, die reduziert-wirkungsvolle Tongestaltung (Chris Newman und Buzz Knudson) und das affektive Spiel der Darsteller – Ellen Burstyn als empört-verstörte Mutter, Lee J. Cobb als analytisch-blinder Ermittler sowie Jason Miller als einfühlsam-schuldbeladener Priester ragen heraus –, die Angst und Verunsicherung unmittelbar spürbar werden lassen, während Linda Blair als junge Besessene und Max von Sydow als alter Teufelsbeschwörer zumeist stereotypisch agieren (müssen). »The Exorcist« (entstanden im Jahr von Ölkrise, Watergate und Chile-Putsch) akzeptiert die Existenz des Bösen in der Welt als Realität – eine Realität, deren Überwindung (wenn überhaupt) nur durch Glauben und Opfer möglich ist. Den einen mag dies als Beweis für den reaktionäre Standpunkt des Films dienen, anderen gilt es vielleicht als Indiz für seine revolutionäre Gesinnung.
R William Friedkin B William Peter Blatty V William Peter Blatty K Owen Roizman A Bill Malley S Norman Gay, Evan Lottman P William Peter Blatty D Ellen Burstyn, Max von Sydow, Lee J. Cobb, Jason Miller, Linda Blair | USA | 122 min | 1:1,85 | f | 26. Dezember 1973
14.7.71
Beröringen (Ingmar Bergman, 1971)
Berührungen
Andreas (abgeklärt: Max von Sydow) und Karin (aufgeräumt: Bibi Andersson) leben mit zwei Kindern nebst Hund in einem hübschen Haus am Stadtrand. Gemeinsam liest man im Garten das Fallobst auf. Abends wird Schach gespielt. Es herrscht gutbürgerliche Harmonie – präsentiert wie ein Ikea-Glücksprospekt, unterlegt mit beschwingter Fahrstuhlmusik. Dann kommt der große Gefühlsknall in Gestalt des amerikanischen Archäologen David (rauhbautzig: Elliot Gould), der eine nahegelegene Kirche restauriert. Karin – sie weiß zunächst selbst nicht, warum – beginnt eine Affäre mit dem fordernden, zwischen Handgreiflichkeit und Depression, Hingabe und Verweigerung schwankenden Fremd-Körper. Andreas verhält sich indifferent, überläßt die Entscheidung über die eheliche Zukunft allein seiner Frau. Daß Ingmar Bergman sich in grellen Symbolismen ergeht (eine lächelnde gotische Madonna, Bild der Beziehung zwischen Karin und David, wird von Parasiten zerfressen; das Geschrei einer Kreissäge begleitet den Ehebruch) wäre vielleicht leichter zu akzeptieren, würde die existentielle Erschütterung aller Beteiligten nicht nur kühl behauptet sondern filmisch erfahrbar gemacht – doch »Beröringen« bleibt (trotz Anderssons beeindruckender Performance) eine Konstruktion vom emotionalen Reißbrett.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Carl Michael Bellman A P. A. Lundgren, Ann-Christin Lobråten S Siv Lundgren P Lars-Owe Carlberg, Ingmar Bergman D Elliott Gould, Bibi Andersson, Max von Sydow, Sheila Reid, Barbro Hiort af Ornäs | S & USA | 115 min | 1:1,85 | f | 14. Juli 1971
Andreas (abgeklärt: Max von Sydow) und Karin (aufgeräumt: Bibi Andersson) leben mit zwei Kindern nebst Hund in einem hübschen Haus am Stadtrand. Gemeinsam liest man im Garten das Fallobst auf. Abends wird Schach gespielt. Es herrscht gutbürgerliche Harmonie – präsentiert wie ein Ikea-Glücksprospekt, unterlegt mit beschwingter Fahrstuhlmusik. Dann kommt der große Gefühlsknall in Gestalt des amerikanischen Archäologen David (rauhbautzig: Elliot Gould), der eine nahegelegene Kirche restauriert. Karin – sie weiß zunächst selbst nicht, warum – beginnt eine Affäre mit dem fordernden, zwischen Handgreiflichkeit und Depression, Hingabe und Verweigerung schwankenden Fremd-Körper. Andreas verhält sich indifferent, überläßt die Entscheidung über die eheliche Zukunft allein seiner Frau. Daß Ingmar Bergman sich in grellen Symbolismen ergeht (eine lächelnde gotische Madonna, Bild der Beziehung zwischen Karin und David, wird von Parasiten zerfressen; das Geschrei einer Kreissäge begleitet den Ehebruch) wäre vielleicht leichter zu akzeptieren, würde die existentielle Erschütterung aller Beteiligten nicht nur kühl behauptet sondern filmisch erfahrbar gemacht – doch »Beröringen« bleibt (trotz Anderssons beeindruckender Performance) eine Konstruktion vom emotionalen Reißbrett.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Carl Michael Bellman A P. A. Lundgren, Ann-Christin Lobråten S Siv Lundgren P Lars-Owe Carlberg, Ingmar Bergman D Elliott Gould, Bibi Andersson, Max von Sydow, Sheila Reid, Barbro Hiort af Ornäs | S & USA | 115 min | 1:1,85 | f | 14. Juli 1971
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1.2.70
The Kremlin Letter (John Huston, 1970)
Der Brief an den Kreml
»The Tillinger Foundation is planning an expedition.« Eine unabhängig operierende amerikanische Agentenorganisation ist beauftragt, ein politisch brisantes Schriftstück aus Moskau zurückzuholen. Ex-Navy-Offizier Rone (»a superior combination of intellect and physique, athlete and scholar«: Patrick O’Neal) stößt als Neuling zu der Gruppe alter Hasen, deren bizarre Decknamen (›Highwayman‹, ›Lord Ashley’s Whore‹, ›Warlock‹, ›Erector Set‹, ›Sweet Alice‹) einen leisen Vorgeschmack auf die absonderlichen Geschehnisse im Wunderland des nachrichtendienstlichen Doppel- und Dreifachspiels geben. »It has no size, no shape and no rules: At the very best it’s what you least expect so you’ve gotta be ready for anything«, beschreibt Rones onkelhaft-derber Kollege Ward (Richard Boone) das Wesen des Spionage, eines von Überzeugungen oder gar Idealen längst abgelösten Geheimkrieges, dessen Brutalität und Schäbigkeit John Hustons verwickelt-freudlose, hochkarätig besetzte Schmierenkomödie des allseitigen Verrats ohne moralisches Zeigefingergefuchtel, ja mit geradezu diebischer Freude aufzeigt.
R John Huston B John Huston, Gladys Hill V Noel Behn K Ted Scaife M Robert Drasnin A Ted Haworth S Russell Lloyd P Carter De Haven, Sam Wiesenthal D Patrick O’Neal, Richard Boone, Bibi Andersson, Max von Sydow, Orson Welles, George Sanders | USA | 120 min | 1:2,35 | f | 1. Februar 1970
# 1151 | 16. Februar 2019
»The Tillinger Foundation is planning an expedition.« Eine unabhängig operierende amerikanische Agentenorganisation ist beauftragt, ein politisch brisantes Schriftstück aus Moskau zurückzuholen. Ex-Navy-Offizier Rone (»a superior combination of intellect and physique, athlete and scholar«: Patrick O’Neal) stößt als Neuling zu der Gruppe alter Hasen, deren bizarre Decknamen (›Highwayman‹, ›Lord Ashley’s Whore‹, ›Warlock‹, ›Erector Set‹, ›Sweet Alice‹) einen leisen Vorgeschmack auf die absonderlichen Geschehnisse im Wunderland des nachrichtendienstlichen Doppel- und Dreifachspiels geben. »It has no size, no shape and no rules: At the very best it’s what you least expect so you’ve gotta be ready for anything«, beschreibt Rones onkelhaft-derber Kollege Ward (Richard Boone) das Wesen des Spionage, eines von Überzeugungen oder gar Idealen längst abgelösten Geheimkrieges, dessen Brutalität und Schäbigkeit John Hustons verwickelt-freudlose, hochkarätig besetzte Schmierenkomödie des allseitigen Verrats ohne moralisches Zeigefingergefuchtel, ja mit geradezu diebischer Freude aufzeigt.
R John Huston B John Huston, Gladys Hill V Noel Behn K Ted Scaife M Robert Drasnin A Ted Haworth S Russell Lloyd P Carter De Haven, Sam Wiesenthal D Patrick O’Neal, Richard Boone, Bibi Andersson, Max von Sydow, Orson Welles, George Sanders | USA | 120 min | 1:2,35 | f | 1. Februar 1970
# 1151 | 16. Februar 2019
10.11.69
En passion (Ingmar Bergman, 1969)
Passion
Eine weitere Umdrehung von Bergmans Hamsterrad des psychologischen Pessimismus: Kommunikationsstörungen, Beziehungsunfähigkeit, die Unmöglichkeit von Wahrheit. Wieder Fårö, dieser unwirtliche Rand der Welt, der alleweil unter einem schweren, tiefen Himmel liegt, und wieder die üblichen Verdächtigen: Anna Fromm-Ullmann, deren Mann und Kind bei einem Autounfall starben, verfängt sich im selbstgesponnenen Netz der Lügen über ihre gute (?) Ehe; Andreas Winkelman von Sydow verkriecht sich vor einem dunklen Geheimnis in seiner Vergangenheit; Eva Vergérus-Andersson weiß nicht, wer sie ist, sieht sich reduziert aufs Abbild der Vorstellungen von anderen; Elis Vergérus-Josephson, der zynische Künstler, nähert sich den Menschen nur noch, indem er sie fotografiert, und die Bilder nach seltsamen Kriterien ordnet. Nicht nur die Innen-, auch die Außenwelt ist feindlich, von virulenter Bosheit zersetzt: ein Tierquäler treibt sein Unwesen, knüpft Welpen auf, metzelt Schafe, zündet Pferde an; ein Unschuldiger – natürlich – muß für diese Taten büßen. Wahre Leidenschaft ist in »En passion« kaum zu verspüren: Als hätte Ingmar Bergman sich selbst mit seinen Figuren gelangweilt, läßt er die Schauspieler in Interviews über ihre Rollen improvisieren – ein müdes Experiment ohne große Überzeugungskraft.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Johann Sebastian Bach A P. A. Lundgren S Siv Lundgren P Lars-Owe Carlberg D Max von Sydow, Liv Ullmann, Bibi Andersson, Erland Josephson, Erik Hell | S | 101 min | 1:1,66 | f | 10. November 1969
Eine weitere Umdrehung von Bergmans Hamsterrad des psychologischen Pessimismus: Kommunikationsstörungen, Beziehungsunfähigkeit, die Unmöglichkeit von Wahrheit. Wieder Fårö, dieser unwirtliche Rand der Welt, der alleweil unter einem schweren, tiefen Himmel liegt, und wieder die üblichen Verdächtigen: Anna Fromm-Ullmann, deren Mann und Kind bei einem Autounfall starben, verfängt sich im selbstgesponnenen Netz der Lügen über ihre gute (?) Ehe; Andreas Winkelman von Sydow verkriecht sich vor einem dunklen Geheimnis in seiner Vergangenheit; Eva Vergérus-Andersson weiß nicht, wer sie ist, sieht sich reduziert aufs Abbild der Vorstellungen von anderen; Elis Vergérus-Josephson, der zynische Künstler, nähert sich den Menschen nur noch, indem er sie fotografiert, und die Bilder nach seltsamen Kriterien ordnet. Nicht nur die Innen-, auch die Außenwelt ist feindlich, von virulenter Bosheit zersetzt: ein Tierquäler treibt sein Unwesen, knüpft Welpen auf, metzelt Schafe, zündet Pferde an; ein Unschuldiger – natürlich – muß für diese Taten büßen. Wahre Leidenschaft ist in »En passion« kaum zu verspüren: Als hätte Ingmar Bergman sich selbst mit seinen Figuren gelangweilt, läßt er die Schauspieler in Interviews über ihre Rollen improvisieren – ein müdes Experiment ohne große Überzeugungskraft.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Johann Sebastian Bach A P. A. Lundgren S Siv Lundgren P Lars-Owe Carlberg D Max von Sydow, Liv Ullmann, Bibi Andersson, Erland Josephson, Erik Hell | S | 101 min | 1:1,66 | f | 10. November 1969
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Ingmar Bergman,
Ullmann,
von Sydow
19.2.68
Vargtimmen (Ingmar Bergman, 1968)
Die Stunde des Wolfs
Surrealistisches Nachtstück um die seltsamen Leiden einer Künstlerseele. »Die Stunde des Wolfs ist die Stunde zwischen Nacht und Morgen. Es ist die Stunde, in der die meisten Menschen sterben, in der der Schlaf am tiefsten ist, in der Alpträume Realität gewinnen. Es ist die Stunde, in der Dämonen ihre Macht entfalten, und es ist die Stunde, in der die meisten Kinder geboren werden.« Mit der fiktiven Rekonstruktion des sonderbaren Geschehens aus den nachgelassenen Papieren des verschwundenen Malers Johan Borg (Max von Sydow) und den Erzählungen seiner Frau Alma (Liv Ullmann) stellt sich Ingmar Bergman in die Tradition schwarzromantischer Spukphantasien à la E. T. A. Hoffmann (Kapellmeister Kreisler höchstselbst hat einen Auftritt), um ein dunkles Spektakel über Kreativität und Heimsuchung, Empathie und Besessenheit abrollen zu lassen. Die Einöde, in die sich das Ehepaar Borg zurückgezogen hat, wird plötzlich bevölkert von einer Reihe erst masken-, dann fratzenhafter Gestalten, die der Erinnerung und Imagination des Künstlers entspringen; auf einem Gruselschloß geraten Johan und Alma, die sich in ihren Mann so bedingungslos einfühlt, daß seine wahnhaft-sensibilisierte Wahrnehmung auch zu ihrer wird, in die Fänge dieser fellinesk-unheimlichen Gesellschaft von dekadenten Aristokraten und aufdringlichen Kulturbürgern: Sie erscheinen als Spiegelungen innerer und äußerer Realitäten – als Blutsauger des Kunst betriebs, als Gespenster der Vergangenheit, als Nachtmahre sexueller Obsessionen, als Totenvögel der Kreativität. In erbarmungslos hartem Schwarzweiß schaffen Bergman und sein Kameramann Sven Nykvist mit »Vargtimmen« ein vielschichtiges, gotisch-geisterhaftes Wechselspiel zwischen (seelischer) Inbesitznahme und (künstlerischer) Entäußerung, zwischen schöpferischer Explosion und depressiver Leere.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Lars Johan Werle A Marik Vos S Ulla Ryghe P Lars-Owe Carlberg D Max von Sydow, Liv Ullmann, Ingrid Thulin, Erland Josephson, Gertrud Fridh, Naima Wifstrand | S | 90 min | 1:1,37 | sw | 19. Februar 1968
Surrealistisches Nachtstück um die seltsamen Leiden einer Künstlerseele. »Die Stunde des Wolfs ist die Stunde zwischen Nacht und Morgen. Es ist die Stunde, in der die meisten Menschen sterben, in der der Schlaf am tiefsten ist, in der Alpträume Realität gewinnen. Es ist die Stunde, in der Dämonen ihre Macht entfalten, und es ist die Stunde, in der die meisten Kinder geboren werden.« Mit der fiktiven Rekonstruktion des sonderbaren Geschehens aus den nachgelassenen Papieren des verschwundenen Malers Johan Borg (Max von Sydow) und den Erzählungen seiner Frau Alma (Liv Ullmann) stellt sich Ingmar Bergman in die Tradition schwarzromantischer Spukphantasien à la E. T. A. Hoffmann (Kapellmeister Kreisler höchstselbst hat einen Auftritt), um ein dunkles Spektakel über Kreativität und Heimsuchung, Empathie und Besessenheit abrollen zu lassen. Die Einöde, in die sich das Ehepaar Borg zurückgezogen hat, wird plötzlich bevölkert von einer Reihe erst masken-, dann fratzenhafter Gestalten, die der Erinnerung und Imagination des Künstlers entspringen; auf einem Gruselschloß geraten Johan und Alma, die sich in ihren Mann so bedingungslos einfühlt, daß seine wahnhaft-sensibilisierte Wahrnehmung auch zu ihrer wird, in die Fänge dieser fellinesk-unheimlichen Gesellschaft von dekadenten Aristokraten und aufdringlichen Kulturbürgern: Sie erscheinen als Spiegelungen innerer und äußerer Realitäten – als Blutsauger des Kunst betriebs, als Gespenster der Vergangenheit, als Nachtmahre sexueller Obsessionen, als Totenvögel der Kreativität. In erbarmungslos hartem Schwarzweiß schaffen Bergman und sein Kameramann Sven Nykvist mit »Vargtimmen« ein vielschichtiges, gotisch-geisterhaftes Wechselspiel zwischen (seelischer) Inbesitznahme und (künstlerischer) Entäußerung, zwischen schöpferischer Explosion und depressiver Leere.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Lars Johan Werle A Marik Vos S Ulla Ryghe P Lars-Owe Carlberg D Max von Sydow, Liv Ullmann, Ingrid Thulin, Erland Josephson, Gertrud Fridh, Naima Wifstrand | S | 90 min | 1:1,37 | sw | 19. Februar 1968
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Künstler,
Phantastik,
Thulin,
Ullmann,
von Sydow
10.11.66
The Quiller Memorandum (Michael Anderson, 1966)
Das Quiller-Memorandum – Gefahr aus dem Dunkel
»That’s where you are, Quiller. In the gap.« Surreal angehauchte
Spionagecharade in den Ruinen und Neubauten von (West-)Berlin: Quiller
(ein Mann allein: George Segal) auf der Spur einer konspirativen
Neonazi-Organisation unter der semmelblonden (Reichs-)Führung eines
gewissen ›Oktober‹ (Max von Sydow). Vom modernen Glasturm des
Europa-Centers bis zur verranzten Kreuzberger Absteige, von den
ausgebombten Gründerzeitvillen im Tiergartenviertel bis zu den
Betonbändern der Stadtautobahn nutzt Drehbuchautor Harold Pinter die Halbstadt als
Bühne eines absurden Theaters der Undurchschaubarkeit, des Mißtrauens,
der Verstellung. Michael Andersons unverspielte Inszenierung der sehr
freien Bearbeitung des betont knallharten Agentenromans von Adam Hall
wird insbesondere der spröden Ironie der hintergründigen Pinterschen
Dialoge gerecht. Mit von der geheimnisvollen Partie: Alec Guinness,
erzbritisch und mit einer Vorliebe für Leberwurst, sowie Senta Berger,
jung und schön und weniger unschuldig, als man denken möchte. Dazu ein
melancholisch aufrauschender Soundtrack von John Barry: »I am
wednesday’s child, born to be alone.«
R Michael Anderson B Harold Pinter V Adam Hall (= Elleston Trevor) K Erwin Hiller M John Barry A Maurice Carter S Frederick Wilson P Ivan Foxwell D George Segal, Senta Berger, Alec Guinness, Max von Sydow, George Sanders | UK & USA | 104 min | 1:2,35 | f | 10. November 1966
R Michael Anderson B Harold Pinter V Adam Hall (= Elleston Trevor) K Erwin Hiller M John Barry A Maurice Carter S Frederick Wilson P Ivan Foxwell D George Segal, Senta Berger, Alec Guinness, Max von Sydow, George Sanders | UK & USA | 104 min | 1:2,35 | f | 10. November 1966
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11.2.63
Nattvardsgästerna (Ingmar Bergman, 1963)
Licht im Winter
»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Ein dunkler Sonntag im November: Pastor Tomas (!) Ericsson (Gunnar Björnstrand) zelebriert die Messe in einer fast leeren Kirche. Nach dem Abendmahl wird in kargen Szenen das Drama entrollt: Der Geistliche, vom Tod seiner Frau nachhaltig erschüttert, fühlt sich von Gott verlassen, ist außerstande, einem am ›Zeitalter der Angst‹ verzweifelnden Fischer (Max von Sydow) seelischen Beistand zu leisten, klagt stattdessen über die eigene Glaubenskrise, weist angeekelt die opferbereite Zuneigung seiner ehemaligen Geliebten, einer altjüngferlichen Lehrerin (Ingrid Thulin), zurück. Mit »Nattvardsgästerna« (= Abendmahlsgäste – der Originaltitel weiß nichts von einem »Licht im Winter«), einem unfaßbar (und unnahbar) präzise exekutierten Thesenstück, beginnen Bergman und sein Kameramann Sven Nykvist ihre Erkundungsfahrten in die menschliche Physiognomie: Insistierende Großaufnahmen dringen in psychologische Tiefen vor, die mit Dialogen kaum zu ergründen wären. (Überhaupt Nykvist: Was wären Bergmans Filme ohne sein unendlich fein moduliertes Licht, ohne seinen Mut zur Leere, ohne seinen durchdringenden Blick, der Gedanken in Bilder verwandelt?) Das eisige Endspiel mündet (nach wenigen Stunden erzählter Zeit) in einen niederschmetternden Zirkelschluß: Wieder steht der Pastor vor einer »Gemeinde«; die Bänke sind nun (bis auf eine nicht zu beirrende Ungläubige) vollkommen verwaist. Doch der Dienst an einem schweigenden Gott geht weiter… Wie es bei Beckett heißt: »Man muß weitermachen, ich kann nicht weitermachen, man muß weitermachen, ich werde also weitermachen.«
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Ulla Ryghe P Allan Ekelund D Gunnar Björnstrand, Ingrid Thulin, Gunnel Lindblom, Max von Sydow, Allan Edwall | S | 81 min | 1:1,37 | sw | 11. Februar 1963
»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Ein dunkler Sonntag im November: Pastor Tomas (!) Ericsson (Gunnar Björnstrand) zelebriert die Messe in einer fast leeren Kirche. Nach dem Abendmahl wird in kargen Szenen das Drama entrollt: Der Geistliche, vom Tod seiner Frau nachhaltig erschüttert, fühlt sich von Gott verlassen, ist außerstande, einem am ›Zeitalter der Angst‹ verzweifelnden Fischer (Max von Sydow) seelischen Beistand zu leisten, klagt stattdessen über die eigene Glaubenskrise, weist angeekelt die opferbereite Zuneigung seiner ehemaligen Geliebten, einer altjüngferlichen Lehrerin (Ingrid Thulin), zurück. Mit »Nattvardsgästerna« (= Abendmahlsgäste – der Originaltitel weiß nichts von einem »Licht im Winter«), einem unfaßbar (und unnahbar) präzise exekutierten Thesenstück, beginnen Bergman und sein Kameramann Sven Nykvist ihre Erkundungsfahrten in die menschliche Physiognomie: Insistierende Großaufnahmen dringen in psychologische Tiefen vor, die mit Dialogen kaum zu ergründen wären. (Überhaupt Nykvist: Was wären Bergmans Filme ohne sein unendlich fein moduliertes Licht, ohne seinen Mut zur Leere, ohne seinen durchdringenden Blick, der Gedanken in Bilder verwandelt?) Das eisige Endspiel mündet (nach wenigen Stunden erzählter Zeit) in einen niederschmetternden Zirkelschluß: Wieder steht der Pastor vor einer »Gemeinde«; die Bänke sind nun (bis auf eine nicht zu beirrende Ungläubige) vollkommen verwaist. Doch der Dienst an einem schweigenden Gott geht weiter… Wie es bei Beckett heißt: »Man muß weitermachen, ich kann nicht weitermachen, man muß weitermachen, ich werde also weitermachen.«
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Ulla Ryghe P Allan Ekelund D Gunnar Björnstrand, Ingrid Thulin, Gunnel Lindblom, Max von Sydow, Allan Edwall | S | 81 min | 1:1,37 | sw | 11. Februar 1963
16.10.61
Såsom i en spegel (Ingmar Bergman, 1961)
Wie in einem Spiegel
»Die Realität zerbrach, und ich fiel heraus. Alles kann passieren. Alles!« Die Suche nach Gott als Schußfahrt in den Wahnsinn: Mittsommer auf einer Insel in der Ostsee. Die vier Protagonisten der Erzählung – eine Frau und drei Männer – steigen aus dem Meer. Ingmar Bergman entwickelt mit ihnen in einer Nacht und einem Tag eine komplexe (familiäre) Konstellation: Karin (Harriet Andersson) leidet (wohl unheilbar) an Schizophrenie, ihr Vater David (Gunnar Björnstrand), ein ausgebrannter Schriftsteller, interessiert sich für den geistigen Zerfall der Tochter vornehmlich aus künstlerischem Verwertungsdrang, ihr Ehemann Martin (Max von Sydow), ein unterkühlter Arzt, betrachtet seine Frau als Patientin, ihr kleiner Bruder Minus (Lars Passgård), verwirrt von den körperlichen und seelischen Verwerfungen der Pubertät, will der Schwester helfen – und weiß doch nicht wie… Hinter der floral ornamentierten Tapete eines leeren Dachstübchens vernimmt Karin Stimmen, die von der baldigen Ankunft eines liebenden Gottes flüstern. Die erwartungsvoll Hörende gerät in Extase, doch als sich ihr der Allmächtige schließlich offenbart, wendet sie sich schreiend ab – zu schrecklich erscheinen das steinerne Gesicht, die Kälte der Augen: »Ich habe Gott gesehen.« In einem deklamatorischen Epilog räsoniert der geläuterte Vater über seine Hoffnung auf die Liebe als Gottesbeweis in der menschlichen Welt, eine Zuversicht, die auch seinen verzweifelten Sohn tröstet: »Papa hat mit mir gesprochen.« Differenziert gespielt und im Zwielicht der herben nördlichen Landschaft eindrucksvoll und nuanciert fotografiert (Kamera: Sven Nykvist), bleibt »Såsom i en spegel« dennoch eher thesenhafte Familienaufstellung denn beseeltes Drama – die Leere verwandelt sich nicht in Fülle…
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Ulla Ryghe P Allan Ekelund D Harriet Andersson, Gunnar Björnstrand, Max von Sydow, Lars Passgård | S | 89 min | 1:1,37 | sw | 16. Oktober 1961
»Die Realität zerbrach, und ich fiel heraus. Alles kann passieren. Alles!« Die Suche nach Gott als Schußfahrt in den Wahnsinn: Mittsommer auf einer Insel in der Ostsee. Die vier Protagonisten der Erzählung – eine Frau und drei Männer – steigen aus dem Meer. Ingmar Bergman entwickelt mit ihnen in einer Nacht und einem Tag eine komplexe (familiäre) Konstellation: Karin (Harriet Andersson) leidet (wohl unheilbar) an Schizophrenie, ihr Vater David (Gunnar Björnstrand), ein ausgebrannter Schriftsteller, interessiert sich für den geistigen Zerfall der Tochter vornehmlich aus künstlerischem Verwertungsdrang, ihr Ehemann Martin (Max von Sydow), ein unterkühlter Arzt, betrachtet seine Frau als Patientin, ihr kleiner Bruder Minus (Lars Passgård), verwirrt von den körperlichen und seelischen Verwerfungen der Pubertät, will der Schwester helfen – und weiß doch nicht wie… Hinter der floral ornamentierten Tapete eines leeren Dachstübchens vernimmt Karin Stimmen, die von der baldigen Ankunft eines liebenden Gottes flüstern. Die erwartungsvoll Hörende gerät in Extase, doch als sich ihr der Allmächtige schließlich offenbart, wendet sie sich schreiend ab – zu schrecklich erscheinen das steinerne Gesicht, die Kälte der Augen: »Ich habe Gott gesehen.« In einem deklamatorischen Epilog räsoniert der geläuterte Vater über seine Hoffnung auf die Liebe als Gottesbeweis in der menschlichen Welt, eine Zuversicht, die auch seinen verzweifelten Sohn tröstet: »Papa hat mit mir gesprochen.« Differenziert gespielt und im Zwielicht der herben nördlichen Landschaft eindrucksvoll und nuanciert fotografiert (Kamera: Sven Nykvist), bleibt »Såsom i en spegel« dennoch eher thesenhafte Familienaufstellung denn beseeltes Drama – die Leere verwandelt sich nicht in Fülle…
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Ulla Ryghe P Allan Ekelund D Harriet Andersson, Gunnar Björnstrand, Max von Sydow, Lars Passgård | S | 89 min | 1:1,37 | sw | 16. Oktober 1961
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Drama,
Familie,
Fårö,
Ferien,
Harriet Andersson,
Ingmar Bergman,
Krankheit,
Meer,
Religion,
Schriftsteller,
von Sydow
8.2.60
Jungfrukällan (Ingmar Bergman, 1960)
Die Jungfrauenquelle
Eine archaische Legende aus dem Dämmerlicht des (noch nicht ganz so) christlichen Mittelalters, spröde, beinahe eindimensional gespielt, dargeboten in hartem Licht und holzschnittartigen Kadragen (Kamera: Sven Nykvist), in knappen, gravitätischen Dialogen und ohne den Trost von Musik. (Nur eine Maultrommel ertönt, und sie verkündet kommendes Unheil …) Die jungfräulich-verwöhnte Tochter eines reichen Bauern (Max von Sydow) wird auf dem Ritt vom Gutshof zur Kirche, wohin sie geschickt wurde, um Kerzen weihen zu lassen, von Wegelageren überfallen, geschändet und erschlagen. Der Vater nimmt grausame Rache, hadert mit einem Gott, der Mord und tödliche Vergeltung zuläßt. Gott, in seinem unerforschlichen Ratschluß, läßt ein Wunder geschehen und am Ort der Bluttat eine Quelle entspringen. Ingmar Bergman findet in »Jungfrukällan« durch suggestive Bildsprache und äußerste erzählerische Reduktion zu fast brutaler gestalterischer Geschlossenheit in der Art einer erlesenen Primitivität – den Höhepunkt bildet sicherlich jene Sequenz, in der Max von Sydow im Morgengrauen eine junge Birke niederringt, mit deren Zweigen er sich im Dampfbad schlägt und reinigt, bevor er zur Bestrafung der Unholde schreitet.
R Ingmar Bergman B Ulla Isaksson K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Max von Sydow, Birgitta Valberg, Birgitta Pettersson, Gunnel Lindblom, Axel Düberg | S | 89 min | 1:1,37 | sw | 8. Februar 1960
Eine archaische Legende aus dem Dämmerlicht des (noch nicht ganz so) christlichen Mittelalters, spröde, beinahe eindimensional gespielt, dargeboten in hartem Licht und holzschnittartigen Kadragen (Kamera: Sven Nykvist), in knappen, gravitätischen Dialogen und ohne den Trost von Musik. (Nur eine Maultrommel ertönt, und sie verkündet kommendes Unheil …) Die jungfräulich-verwöhnte Tochter eines reichen Bauern (Max von Sydow) wird auf dem Ritt vom Gutshof zur Kirche, wohin sie geschickt wurde, um Kerzen weihen zu lassen, von Wegelageren überfallen, geschändet und erschlagen. Der Vater nimmt grausame Rache, hadert mit einem Gott, der Mord und tödliche Vergeltung zuläßt. Gott, in seinem unerforschlichen Ratschluß, läßt ein Wunder geschehen und am Ort der Bluttat eine Quelle entspringen. Ingmar Bergman findet in »Jungfrukällan« durch suggestive Bildsprache und äußerste erzählerische Reduktion zu fast brutaler gestalterischer Geschlossenheit in der Art einer erlesenen Primitivität – den Höhepunkt bildet sicherlich jene Sequenz, in der Max von Sydow im Morgengrauen eine junge Birke niederringt, mit deren Zweigen er sich im Dampfbad schlägt und reinigt, bevor er zur Bestrafung der Unholde schreitet.
R Ingmar Bergman B Ulla Isaksson K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Max von Sydow, Birgitta Valberg, Birgitta Pettersson, Gunnel Lindblom, Axel Düberg | S | 89 min | 1:1,37 | sw | 8. Februar 1960
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Familie,
Ingmar Bergman,
Legende,
Lindblom,
Mittelalter,
von Sydow
26.12.59
Ansiktet (Ingmar Bergman, 1958)
Das Gesicht
Schweden, Mitte des 19. Jahrhunderts: »Doktor« Vogler, ein reisender Schausteller und Magnetiseur (Max von Sydow), und seine Truppe müssen sich, bevor sie in einem Provinznest auftreten dürfen, von den Honoratioren des Städtchens – Konsul, Polizeichef und Medizinalrat – examinieren lassen. Ingmar Bergman entwickelt einen bald farcenhaften, bald pathetischen Künstler-Bürger-Konflikt, in dem die Gaukelspieler als Projektionsfläche geheimer bürgerlicher Begierden herhalten, während sie sich gleichzeitig höhnischen Erniedrigungen durch die sogenannte bessere Gesellschaft ausgesetzt sehen. Noch eine weitere Kontroverse wird ausgetragen: die zwischen dem Glauben an das Unerklärliche und einem ganz und gar diesseitigen Rationalismus. Vor allem der schmallippige Dr. Vergérus (Gunnar Björnstrand) erweist sich als brutaler Entzauberer, der die Vernunft mit perfider Lust zur Waffe schmiedet – und selbst für die eigene Todesangst noch wissenschaftliche Erklärungen beibringt. Zum Ende naht dem fahrenden Volk Rettung (= Anerkennung) durch reitende Boten: Der König lädt Vogler und sein Ensemble zum Auftritt im Schloß. Wahre Noblesse, scheint diese märchenhafte Wendung zu sagen, erkennt sich gegenseitig – sei es der Adel des Blutes oder der Adel der (künstlerischen) Seele.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Max von Sydow, Ingrid Thulin, Gunnar Björnstrand, Naima Wifstrand, Erland Josephson | S | 100 min | 1:1,37 | sw | 26. Dezember 1958
Schweden, Mitte des 19. Jahrhunderts: »Doktor« Vogler, ein reisender Schausteller und Magnetiseur (Max von Sydow), und seine Truppe müssen sich, bevor sie in einem Provinznest auftreten dürfen, von den Honoratioren des Städtchens – Konsul, Polizeichef und Medizinalrat – examinieren lassen. Ingmar Bergman entwickelt einen bald farcenhaften, bald pathetischen Künstler-Bürger-Konflikt, in dem die Gaukelspieler als Projektionsfläche geheimer bürgerlicher Begierden herhalten, während sie sich gleichzeitig höhnischen Erniedrigungen durch die sogenannte bessere Gesellschaft ausgesetzt sehen. Noch eine weitere Kontroverse wird ausgetragen: die zwischen dem Glauben an das Unerklärliche und einem ganz und gar diesseitigen Rationalismus. Vor allem der schmallippige Dr. Vergérus (Gunnar Björnstrand) erweist sich als brutaler Entzauberer, der die Vernunft mit perfider Lust zur Waffe schmiedet – und selbst für die eigene Todesangst noch wissenschaftliche Erklärungen beibringt. Zum Ende naht dem fahrenden Volk Rettung (= Anerkennung) durch reitende Boten: Der König lädt Vogler und sein Ensemble zum Auftritt im Schloß. Wahre Noblesse, scheint diese märchenhafte Wendung zu sagen, erkennt sich gegenseitig – sei es der Adel des Blutes oder der Adel der (künstlerischen) Seele.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Max von Sydow, Ingrid Thulin, Gunnar Björnstrand, Naima Wifstrand, Erland Josephson | S | 100 min | 1:1,37 | sw | 26. Dezember 1958
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Gesellschaft,
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Thulin,
von Sydow
16.2.57
Det sjunde inseglet (Ingmar Bergman, 1957)
Das siebente Siegel
»Dies irae, dies illa / solvet saeclum in favilla.« Ein finster-groteskes Mittelalter als ferner Spiegel moderner Ängste und Zweifel: Ein grüblerischer Ritter (Max von Sydow) und sein neunmalkluger Knappe (Gunnar Björnstrand) kehren aus dem Heiligen Land zurück in ihre von der Pest heimgesuchte Heimat; der Tod erscheint, den Ritter zu holen, läßt sich aber zu einer Schachpartie beschwatzen (der Schnitter spielt Schwarz – was sonst?) und gewährt Aufschub, solange das Match nicht entschieden ist. Auf ihrem weiteren Weg erleben der traurige Herr und sein wackerer Begleiter die Gefangenschaft der Menschen in existentieller Furcht vor dem großen Nichts, eine Furcht, die sich als moralische Verwesung, religiöser Wahn oder oberflächliche Sinnenlust manifestiert. Nur in der Gesellschaft eines naiven Gauklers, seiner treuherzigen Frau und ihres kleinen Sohnes – eine sympathische Travestie der heiligen Familie! – findet der Ritter Momente von Ruhe und Frieden. Das Idyll mit Lauten spiel, frisch gemolkener Milch und wilden Erdbeeren ist freilich nicht von Dauer, denn gegen den Tod ist à la longue kein Spiel zu gewinnen… Ingmar Bergmans danse macabre nutzt die dunkle Epoche als Folie einer, in stilisierten Tableaus (Kamera: Gunnar Fischer) ausgemalten, Sinn-(= Gott-)suche, die einmal mehr ohne greifbares Ergebnis bleibt: Das Schweigen des Schöpfers schallt stumm durch die Tiefe der Zeit.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Lennart Wallén P Allan Ekelund D Max von Sydow, Gunnar Björnstrand, Nils Poppe, Bibi Andersson, Bengt Ekerot | S | 96 min | 1:1,37 | sw | 16. Februar 1957
»Dies irae, dies illa / solvet saeclum in favilla.« Ein finster-groteskes Mittelalter als ferner Spiegel moderner Ängste und Zweifel: Ein grüblerischer Ritter (Max von Sydow) und sein neunmalkluger Knappe (Gunnar Björnstrand) kehren aus dem Heiligen Land zurück in ihre von der Pest heimgesuchte Heimat; der Tod erscheint, den Ritter zu holen, läßt sich aber zu einer Schachpartie beschwatzen (der Schnitter spielt Schwarz – was sonst?) und gewährt Aufschub, solange das Match nicht entschieden ist. Auf ihrem weiteren Weg erleben der traurige Herr und sein wackerer Begleiter die Gefangenschaft der Menschen in existentieller Furcht vor dem großen Nichts, eine Furcht, die sich als moralische Verwesung, religiöser Wahn oder oberflächliche Sinnenlust manifestiert. Nur in der Gesellschaft eines naiven Gauklers, seiner treuherzigen Frau und ihres kleinen Sohnes – eine sympathische Travestie der heiligen Familie! – findet der Ritter Momente von Ruhe und Frieden. Das Idyll mit Lauten spiel, frisch gemolkener Milch und wilden Erdbeeren ist freilich nicht von Dauer, denn gegen den Tod ist à la longue kein Spiel zu gewinnen… Ingmar Bergmans danse macabre nutzt die dunkle Epoche als Folie einer, in stilisierten Tableaus (Kamera: Gunnar Fischer) ausgemalten, Sinn-(= Gott-)suche, die einmal mehr ohne greifbares Ergebnis bleibt: Das Schweigen des Schöpfers schallt stumm durch die Tiefe der Zeit.
R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Lennart Wallén P Allan Ekelund D Max von Sydow, Gunnar Björnstrand, Nils Poppe, Bibi Andersson, Bengt Ekerot | S | 96 min | 1:1,37 | sw | 16. Februar 1957
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Bibi Andersson,
Drama,
Ingmar Bergman,
Legende,
Mittelalter,
Religion,
Tod,
von Sydow
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