26.12.73

The Exorcist (William Friedkin, 1973)

Der Exorzist

Trotz stellenweise eher belustigender als schockierender Effekte (Stichwort: grüne Kotze) bemerkenswerte Studie einer dämonischen Inbesitznahme und ihrer Austreibung – vor allem weil das Unbehagen an greifbaren Orten in einem präzise gezeichneten Alltag unter psychologisch stimmigen Figuren entwickelt wird. Wie kaum einem anderen Mainstream-Regisseur der 1970er Jahre gelingt es William Friedkin, in seinen (stets außerordentlich spannenden) Genre-Erzählungen die Erosionsprozesse der westlichen Gesellschaft – das heißt: den tiefen Fall aus dem goldenen Nachkriegszeitalter der Prosperität, Ordnung und Selbstgewißheit in eine Ära der politischen, wirtschaftlichen, sozialen (und in der Folge auch individuellen) Depression – bildhaft zu machen. In »The Exorcist« sind es in erster Linie Owen Roizmans naturalistische Kamera, die reduziert-wirkungsvolle Tongestaltung (Chris Newman und Buzz Knudson) und das affektive Spiel der Darsteller – Ellen Burstyn als empört-verstörte Mutter, Lee J. Cobb als analytisch-blinder Ermittler sowie Jason Miller als einfühlsam-schuldbeladener Priester ragen heraus –, die Angst und Verunsicherung unmittelbar spürbar werden lassen, während Linda Blair als junge Besessene und Max von Sydow als alter Teufelsbeschwörer zumeist stereotypisch agieren (müssen). »The Exorcist« (entstanden im Jahr von Ölkrise, Watergate und Chile-Putsch) akzeptiert die Existenz des Bösen in der Welt als Realität – eine Realität, deren Überwindung (wenn überhaupt) nur durch Glauben und Opfer möglich ist. Den einen mag dies als Beweis für den reaktionäre Standpunkt des Films dienen, anderen gilt es vielleicht als Indiz für seine revolutionäre Gesinnung.

R William Friedkin B William Peter Blatty V William Peter Blatty K Owen Roizman A Bill Malley S Norman Gay, Evan Lottman P William Peter Blatty D Ellen Burstyn, Max von Sydow, Lee J. Cobb, Jason Miller, Linda Blair | USA | 122 min | 1:1,85 | f | 26. Dezember 1973

13.12.73

Amarcord (Federico Fellini, 1973)

Amarcord

Frühling, Sommer, Herbst, Winter und wieder Frühling – Federico Fellini erinnert sich an ein fiktiv-exemplarisches Jahr seiner Jugend in einem italienischen Provinznest der 1930er Jahre: man zetert und zankt, man lacht und träumt, man schwitzt und friert, man geht ins Kino und schwärmt für Gary Cooper, man wichst und geht danach zur Beichte, man hebt den Arm zum faschistischen Gruß und läßt hinterrücks vom Grammophon die ›Internationale‹ erschallen, man legt die deutschen Touristinnen flach, man trägt die Toten zu Grabe, man heiratet, man liebt, man lebt … Im Zentrum steht eine archetypische Familie: cholerischer Vater, hysterische Mutter, verzogene Söhne, nassauernder Onkel, lustgreiser Opa; dazu treten: der siebengescheite Anwalt, die vollbusige Tabakhändlerin, der kurzsichtige Priester, die mondäne Friseuse, der verrückte Oheim, die läufige Nutte, der aufschneiderische Straßenhändler und und und … In »Amarcord« rückt Fellini sein Kino ganz nah an die Rhetorik der Musik: Melodien, Klangfarben, Rhythmen, Tempi, Harmonien, Dissonanzen, Leitmotive sind allemal wichtiger als die Systematik der Erzählung. Mit besinnlicher Phantasie und ironischem Enthusiasmus dirigiert der maestro eine fulminant-undisziplinierte Sinfonie der Kleinstadt in Dur und Moll.

R Federico Fellini B Federico Fellini, Tonino Guerra K Giuseppe Rotunno M Nino Rota A Danilo Donato S Ruggero Mastroiannni P Franco Cristaldi D Pupella Maggio, Armando Brancia, Magali Noël, Bruno Zanin, Ciccio Ingrassia | I & F | 123 min | 1:1,85 | f | 13. Dezember 1973

7.12.73

Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (Alexander Kluge, 1973)

»Roswitha fühlt in sich eine ungeheure Kraft, und sie weiß aus Filmen, daß es diese Kraft auch wirklich gibt.« Ein halbes Jahr aus dem Leben der Frankfurter Familie Bronski: der herrische Franz (Bion Steinborn) konzentriert sich aufs Zweitstudium, die umtriebige Roswitha (Alexandra Kluge) kümmert sich nicht nur um Haushalt und Kinder, mit einer Abtreibungspraxis kommt sie außerdem für den Unterhalt der Ihren auf. Nach dem zwangsweisen Ende der – in wertfreier Deutlichkeit gezeigten – illegalen Tätigkeit (aufgrund der Denunzierung durch eine Konkurrentin) wendet sich Roswitha gesellschaftspolitischen Aktivitäten zu, studiert Lebensbedingungen, hinterfragt Meinungsbildungsprozesse, kämpft gegen Unternehmerwillkür. Alexander Kluge zeichnet das facettenreiche Portrait einer Frau, die fest an die Möglichkeit von Veränderung in einer hermetischen Männerwelt glaubt, wenn sie auch – aufgrund einer gewissen aktionistischen Planlosigkeit – eher als Partisanin des Gefühls denn als methodische Bewußtseinsarbeiterin erscheint. Am Ende des sozialsatirischen Lehrstücks eröffnet die Protagonistin eine konspirative Imbißbude in unmittelbarer Nähe einer großen Fabrik. Der Werkschutz hält Roswithas Würste (aus Gründen) für eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens: »Irgendeinen Sinn muß das haben. Aber welchen?«

R Alexander Kluge B Alexander Kluge K Thomas Mauch M diverse S Beate Mainka-Jellinghaus P Alexander Kluge D Alexandra Kluge, Franz Bronski (= Bion Steinborn), Silvia Gartmann, Traugott Buhre, Alfred Edel | BRD | 91 min | 1:1,37 | sw | 7. Dezember 1973

# 1188 | 9. Januar 2020