12.4.73

Les noces rouges (Claude Chabrol, 1973)

Blutige Hochzeit

Ein kleine Stadt, irgendwo im Herzen Frankreichs, drei Autostunden entfernt von Paris. Die Verhältnisse scheinen geordnet, doch sie sind es (wie immer und überall) nur äußerlich. Lucienne (Stéphane Audran), die sexuell unterforderte Gattin des Bürgermeisters, und dessen unglücklich verheirateter Stellvertreter Pierre (Michel Piccoli) verfallen einander in rasender Leidenschaft. Zwei Menschen müssen sterben, damit dieser amour fou gelebt werden kann: die notorisch kränkelnde Frau des Stellvertreters und der allzeit kregle Bürgermeister (Claude Piéplu), der aus der heimlichen Affäre ganz persönliches (politisches und finanzielles) Kapital schlagen will … Fast folgerichtig erscheint unter Claude Chabrols (und Jean Rabiers) forschenden Blicken der Weg der Liebenden ins Verbrechen, das ihnen freilich statt der ersehnten Befreiung die endgültige Trennung bringt. Mit melancholischem Sarkasmus bestellt Chabrol in seiner abgründigen Verarbeitung eines wahren Kriminalfalles aus der zentralfranzösischen Provinz ausgerechnet Luciennes wohlmeinende Tochter zum unwillentlichen Werkzeug der Gerechtigkeit: »Je voudrais tant que tu sois enfin heureuse.«

R Claude Chabrol B Claude Chabrol K Jean Rabier M Pierre Jansen A Guy Littaye S Jacques Gaillard P André Génovès D Michel Piccoli, Stéphane Audran, Claude Piéplu, Eliana de Santis, Clotilde Joano | F & I | 95 min | 1:1,66 | f | 12. April 1973

# 996 | 6. Mai 2016

11.4.73

Scorpio (Michael Winner, 1973)

Scorpio, der Killer

Der Spionage-Thriller ist eines der Schlüsselgenres der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die »Landschaft der Verrats« findet ihre eindrücklichste Widerspiegelung im Agentenfilm, und so haben auch halbgare Exemplare der Gattung zumeist ihre Meriten. Die besseren Momente von »Scorpio« etwa beschäftigen sich mit der Auseinandersetzung zwischen altgewordenen Idealisten (verkörpert von Burt Lancaster und Paul Scofield) sowie nachwachsenden Technokraten und karrieristischen Söldnern (porträtiert von Alain Delon); der Krieg der Ideologien ist in einen Krieg der »Dienste« übergegangen, deren Glaubensinhalt im Professionalismus liegt: »The only rule is to stay in the game.« Hauptschauplatz des Geschehens ist Wien, das statt blauer Donau nur braungraue Fassaden zeigt und mit der U-Bahn-Baustelle am Karlsplatz die Kulisse für eine halbwegs dramatische unterirdische Ver­folgungsjagd liefert. Leise zitternde Erinnerungen an »The Third Man« kommen auf, doch Regisseur Michael Winner fällt inszenatorisch nicht viel mehr ein, als die Erwartungen des Zuschauers immer wieder dadurch zu unterlaufen, daß er in die Totale schneidet, wenn mit einer Großaufnahne zu rechnen gewesen wäre (oder umgekehrt).

R Michael Winner B David W. Rintels, Gerald Wilson K Robert Paynter M Jerry Fielding A Herbert Westbrook S Michael Winner P Walter Mirisch D Burt Lancaster, Alain Delon, Paul Scofield, John Colicos, Gayle Hunnicutt | USA | 114 min | 1:1,85 | f | 11. April 1973

5.4.73

Theatre of Blood (Douglas Hickox, 1973)

Theater des Grauens

»Will you ever again ruin the reputation of an honest man?« Jeder, der schon einmal schlechte Kritiken bekam, hat sich vermutlich ausgemalt, wie er die feindlichen Rezensenten genüßlich meucheln könnte. Der oft und boshaft verrissene Shakespeare-Mime Edward Lionheart (somewhere over the top: Vincent Price) tut sich keinen Zwang an, er schreitet zur Tat. Kritiker, so heißt es, sind keine Besserkönner sondern Besserwisser. Lionheart (»He can never be destroyed, never!«) beweist, daß Angehörige dieses völlig überflüssigen Berufsstandes (mit ätzender Häme persifliert von Jack Hawkins, Robert Morley, Coral Browne, Harry Andrews, Michael Hordern) zumindest eines besser können: sterben.

R Douglas Hickox B Anthony Greville-Bell K Wolfgang Suchitzky M Michael J. Lewis A Michael Seymour S Malcolm Cooke P John Kohn, Stanley Mann D Vincent Price, Diana Rigg, Ian Hendry, Harry Andrews, Coral Browne | UK | 104 min | 1:1,66 | f | 5. April 1973