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25.9.80

Stardust Memories (Woody Allen, 1980)

Stardust Memories 

»An homage? Not exactly. We just stole the idea outright.« – Allen goes Fellini. Und das gar nicht schlecht. Sehr gut sogar. Genau genommen brillant. Erzählt wird – à la »8½« – die fragmentarisch-elliptisch-assoziativ-(auto)biographische Geschichte des New Yorker Regisseurs Sandy Bates, der Schwierigkeiten mit seinen Produzenten (und seinen Fans) hat, weil er partout keine komischen Filme mehr drehen will. Anläßlich der Retrospektive seiner Werke gerät Sandy (= (?) Woody) unter hyänenhafte Cinéphile, nimmt seine (berufliche und private) Vergangenheit (und seine potentielle Zukunft) kritisch unter die Lupe, verliert sich im Gestrüpp der Erinnerungen an seine einstige große Liebe Dorrie (genial-psychotisch: Charlotte Rampling), bekommt die Beziehung zur seiner Derzeitigen (verzickt-normal: Marie-Christine Barrault) nicht so recht auf die Reihe und bändelt mit einer vielversprechenden Dritten an (kompliziert-zerbrechlich: Jessica Harper). Die elstermäßige Chuzpe, mit der sich Woody (beigestanden vom unkorrumpierbaren Gordon Willis hinter der Kamera) bei seinem Vorbild Federico bedient, ist erstaunlich wie effektiv: »Stardust Memories« verliert sich so lust- und frustvoll in Themen wie Selbstmitleid, Selbstzweifel, Selbstgerechtigkeit und Selbstbefriedigung, daß ein gewisser (Selbst-) Erkenntniswert auch für den unbeteiligten (und fachfremden) Zuschauer nicht ausbleibt. Ein monomanes Meisterwerk von allgemeiner Geltung. PS: »What do you think the Rolls Royce represented?« – »I think that represented his car.«

R Woody Allen B Woody Allen K Gordon Willis M diverse A Mel Bourne Ko Santo Loquasto S Susan E. Morse P Robert Greenhut D Woody Allen, Charlotte Rampling, Jessica Harper, Marie-Christine Barrault, Tony Roberts | USA | 89 min | 1:1,85 | sw | 25. September 1980

23.5.80

The Shining (Stanley Kubrick, 1980)

Shining

Overacting at the Overlook Hotel: Die feixende Grimassenschneiderei von Jack Nicholson (als blockierter Schriftsteller Jack Torrance) und das nölige Gewimmer von Shelley Duvall (als dessen beklommene Ehefrau Wendy Torrance) dominieren den parapsychologischen Haunted-House-Schrecken wie eine Axt das Holz – der Einzige, der nicht mit schauderbarer Penetranz des Wahnsinns fette Beute spielt, ist der sechsjährige Danny-Torrance-Darsteller Danny Lloyd. Doch weder reißerische Großschauspielerei noch visuelle Prachtentfaltung oder die recht vordergründige Masche, praktisch jeder Einstellung des Films durch den extensiven Einsatz moderner Musik (Bartok, Penderecki, Ligeti) einen Effekt von Beunruhigung oder Panik abgewinnen zu wollen, lassen echte Herzensangst aufkommen. Stanley Kubricks Strategien zur Emotionserzeugung haben allenfalls theoretische Wirkung, sein künstlerischer Kontrollzwang mündet immer wieder in aseptischem Perfektionismus. Die klinische Intellektualität des Regisseurs allerdings, sein eisig-ironischer Blick auf die Welt und die sie bevölkernden Zweibeiner, verwandeln das Genrestück in eine grotesk-brutale Zergliederung des Systems Vater-Mutter-Kind. Unter idealen Beobachtungsbedingungen, in winterlicher Isolation, unternimmt Kubrick eine höhnische Analyse kleinfamiliärer Verhältnisse und der ihnen innewohnenden Zerstörungskräfte. So überzeugt »The Shining« vielleicht nicht als Horrorschocker, triumphiert aber als sardonische Familienfarce – forever … and ever … and ever.

R Stanley Kubrick B Stanley Kubrick, Diane Johnson V Stephen King K John Alcott M diverse A Roy Walker Ko Milena Canonero S Ray Lovejoy P Stanley Kubrick D Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd, Scatman Crothers, Philip Stone | UK & USA | 119 min | 1:1,66 | sw | 23. Mai 1980

7.10.76

A Matter of Time (Vincente Minnelli, 1976)

Nina – Nur eine Frage der Zeit 

»No one dies unless we wish them to.« In seinen großen Tagen ließ Vincente Minnelli bei MGM die Puppen tanzen; um ein letztes Werk realisieren zu können, schloß der greise Meister einen Pakt mit dem »König des Low-Budget-Films«, Samuel Z. Arkoff, dessen Name nicht umsonst an Graf Zaroff, das Genie des Bösen, erinnert – »A Matter of Time«, vom Produzenten aufs Wüsteste verhackstückt, steht wie eine kurios-anrührende Ruine im Mondlicht der Kinogeschichte. Die Story kreist (besser gesagt: eiert) um die unbedarfte Nina (Liza Minnelli), die als Zimmermädchen in einem verlotterten römischen Luxushotel Freundschaft mit der betagten, geheimnisvoll-umnachteten Contessa Sanziani (Ingrid Bergman) schließt; die Alte entpuppt sich nicht nur als einstmals namhafte Kokotte, die zu ihrer Zeit die reichsten, klügsten und mächtigsten Männer ihrer Epoche um den kleinen Finger wickelte, sie weist dem jungen Ding auch den Weg zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und zum Ruhm als Filmstar… Neben Fragen der Identitätsfindung ist die Vergänglichkeit – der Schönheit, des Erfolges, des Glücks – das zentrale Thema des Films; in zwei, drei hochklassig-schrägen Momenten (etwa wenn die Sanziani schreiend durch ihr schäbiges Zimmer taumelt und es nicht fassen kann, in derart unwürdige Schrecknis geraten zu sein) bricht sich echte Tragik Bahn – ganz so, als sähe der Regisseur das eigene Schicksal im Schlamassel der zerrütteten Weltdame düster gespiegelt. PS: Neben Minnelli geben mit Charles Boyer und Amedeo Nazzari zwei weitere Ehrenmänner der Leinwand ihre Abschiedsvorstellung.

R Vincente Minnelli B John Gay V Maurice Druon K Geoffrey Unsworth M Nino Oliviero A Veniero Colasanti, John Moore S Peter Taylor P Samuel Z. Arkoff, Giulio Sbarigia D Liza Minnelli, Ingrid Bergman, Tina Aumont, Charles Boyer, Amedeo Nazzari | USA & I | 97 min | 1:1,85 | f | 7. Oktober 1976

12.5.76

Les magiciens (Claude Chabrol, 1976)

Die Schuldigen mit den sauberen Händen

Im Mittelpunkt von Claude Chabrols parapsychologischem Thrillerarrangement stehen die Umtriebe des reichen Nichtstuers Édouard (Jean Rochefort), der sich in einem tunesischen Ferienparadies den intriganten Jux machen will, die präkognitive Vorhersage des mit dem zweiten Gesicht begabten (oder gestraften) Bühnenmagiers Vestar (Gert Fröbe) Wirklichkeit werden zu lassen: ein Mord soll geschehen, am Strand, unter einem rot getupften Himmel. Unfreiwillige Versuchspersonen der Schicksalsmanipulation sind ein zwieträchtiges Ehepaar (Franco Nero und Stefania Sandrelli) sowie die unverhofft aufkreuzende Exgeliebte des Mannes ... Unter (eher oberflächlichem) Bezug auf einige Werke seines großen Vorbilds Fritz Lang betrachtet Chabrol (ohne wirklich tiefgehendes Interesse) den Destruktionstrieb der ennuyiert-genießenden Klasse und folgt (mit mäßiger Anteilnahme) den (mehr oder weniger verschlungenen) Wegen der Vorsehung (die sich nicht ins Handwerk pfuschen läßt – auch wenn das Ergebnis ihres Wirkens ein anderes als das erwartete sein mag).

R Claude Chabrol B Pierre Lesou, Paul Gégauff V Frédéric Dard K Jean Rabier A Jean Labussière S Monique Fardoulis P Tarak Ben Ammar, Jean Boujnah, Tablouti Temini D Jean Rochefort, Gert Fröbe, Franco Nero, Stefania Sandrelli, Gila von Weitershausen | F & I & BRD | 94 min | 1:1,66 | f | 12. Mai 1976

# 1110 | 12. Mai 2018

18.5.75

French Connection II (John Frankenheimer, 1975)

French Connection II

Drogencop ›Popeye‹ Doyle gerät unter die Froschfresser. John Frankenheimers Fish-out-of water-Thriller liefert zum einen die souveräne Fortsetzung von William Friedkins brillanter Vorgabe (der gleiche reportagehafte Zugriff auf die Handlung, die gleiche physische Präsenz der Akteure, die gleiche vibrierende Sensibilität für den Ort des Geschehens – in diesem Fall das sommerlich-abweisende Marseille), andererseits läßt »French Connection II« noch mehr Raum für die Persönlichkeitsstudie des obsessiven Protagonisten. Die Action tritt in den Hintergrund zugunsten der wahnsinnigen one man show von Gene Hackman, die in einer rund halbstündigen Sequenz gipfelt, in der ›Popeye‹ – von den Dealern gekidnappt – mit Heroin vollgespritzt wird, um anschließend von seinem französischen Kollegen (kantig: Bernard Fresson) auf den kalten Entzug geschickt zu werden. Fernando Rey gibt einmal mehr den vornehm-unterkühlten Widersacher, die fast 90jährige Cathleen Nesbitt imponiert in einer anrühend-geisterhaften Nebenrolle (›The Old Lady‹ – mit zerstochenen Armen). Der lapidare Schluß des Films schafft ohne jeden emotionalen Überschwang endgültige Fakten. Un point c’est tout.

R John Frankenheimer B Alexander Jacobs, Robert Dillon, Laurie Dillon K Claude Renoir M Don Ellis A Jacques Saulnier S Tom Rolf P Robert L. Rosen D Gene Hackman, Fernando Rey, Bernard Fresson, Cathleen Nesbitt, Philippe Léotard | USA | 119 min | 1:1,85 | f | 18. Mai 1975

18.2.75

Professione: reporter (Michelangelo Antonioni, 1975)

Beruf: Reporter

»People disappear every day.« – »Every time they leave the room.« Die Handlung des Thrillers, behauptet Georg Seeßlen, sei eine umgekehrte Form der Befreiung, eine Befreiung, die erzwungen wird. Michelangelo Antonioni verfolgt in seiner Polit- und Paranoia-Thriller-Variation einen anderen Ansatz: nicht die Befreiung des Protagonisten wird erzwungen, sondern die Unmöglichkeit der Befreiung konstatiert. Der britische Journalist David Locke (Jack Nicholson), in der Sahara auf der glücklosen Jagd nach einer Story über den Kampf zwischen Rebellen und Regierungstruppen, nutzt die Gelegenheit, seiner ungeliebten Existenz zu entfliehen, indem er die Identität eines plötzlich verstorbenen Hotelnachbarn annimmt und Hinweisen im Taschenkalender des Mannes folgt, der, wie sich alsbald zeigt, als Waffenhändler im Auftrag der Freischärler tätig war. Antonioni und sein Autor Mark Peploe verarbeiten, freilich in beklemmender Zerdehnung, die klassischen Zutaten des Genres – illegale Geschäfte, verschwörerische Machenschaften, konspirative Treffen, heimliche Verfolgung –, und der Hauch einer Erinnerung an Alfred Hitchcocks »North by Northwest« schwebt über Lockes Nachforschung, Flucht, Passage, die ihn, in Begleitung einer mysteriösen Frau ohne Namen (Maria Schneider), aus der nordafrikanischen Wüste, über London, München und Barcelona, in ein karstiges Andalusien führt, das dem Ausgangspunkt dieser Reise ans Ende des Tages auf blendend-unheimliche Weise ähnelt. Weglaufen endet im Nichts, ein anderes Selbst bietet keine anderen Möglichkeiten, die Lösung eines Rätsel liegt jederzeit und allerorts in gleich weiter Ferne, so aussichtslos wie Befreiung erscheinen Erkenntnis und Verständigung: »Your question are much more revealing about yourself than my answer would be about me.«

R Michelangelo Antonioni B Mark Peploe, Michelangelo Antonioni, Peter Wollen K Luciano Tovoli A Piero Poletto S Michelangelo Antonioni, Franco Arcalli P Carlo Ponti D Jack Nicholson, Maria Schneider, Jenny Runacre, Ian Hendry, Stephen Berkoff | I & F & E | 126 min | 1:1,85 | f | 18. Februar 1975

# 1155 | 10. April 2019

24.9.74

And Then There Were None (Peter Collinson, 1974)

Ein Unbekannter rechnet ab

In dieser holprigen Adaption des altbewährten Agatha-Christie-Bühnenreißers (einer leicht verwässerten Fassung ihres Bestsellers »Ten Little Niggers«) werden die innewohnenden Themenkreise – Schuld und Sühne, Rache und Recht – allenfalls kursorisch behandelt. Das von Regisseur Peter Collinson an entlegenem iranischen Ort versammelte internationale Starensemble (Attenborough, Audran, Aznavour, Celi, Fröbe, Lom, Reed, Sommer) hat nicht viel mehr zu tun, als dekorativ zugegen zu sein und sich von einem unbekannten Hintermann peu à peu dezimieren zu lassen. Für einen gewissen Reiz sorgen allein die phantastischen Kulissen des Stücks: die zweieinhalbtausend Jahre alten Ruinen von Persepolis und das Farah-Diba-schicke Interieur eines gottverlassenen Luxushotels.

R Peter Collinson B Erich Kröhnke, Enrique Llovet, Peter Welbeck (= Harry Alan Towers) V Agatha Christie K Fernando Arribas M Bruno Nicolai A José María Tapiador S John Trumper P Alain Dahan, Peter Welbeck (= Harry Alan Towers) D Oliver Reed, Elke Sommer, Richard Attenborough, Gert Fröbe, Stéphane Audran | BRD & I & F & E | 92 min | 1:1,66 | f | 24. September 1974

# 1137 | 8. Dezember 2018

15.5.74

Stavisky … (Alain Resnais, 1974)

Stavisky …

»Pour comprende Alex, il faut parfois oublier les dossiers. Il faut rêver de lui.« Alain Resnais’ Traum vom Hochstapler Alexandre Stavisky alias Serge Alexandre alias ›le beau Sacha‹ … Paris, Anfang der 1930er Jahre: Stavisky (mondän: Jean-Paul Belmondo), Sohn eines braven Zahnarztes aus der Ukraine, erfindet nicht nur sich selbst sondern auch das Geld, das er mit vollen Händen ausgibt. Der falsche Weltmann logiert im ›Claridge‹, hüllt seine Muse Arlette in weißen Zobel, finanziert Revuen und Staatsstreiche, diniert mit der crème de la crème aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Als seine finanziellen Luftnummern auffliegen, erschüttert der folgende Skandal die III. Republik bis ins Mark. Ein Film über die Verschwendung als Investition, über den Kredit als Illusion, auf der Imperien errichtet werden. »Un rôle de spectre peut me convenir«, sagt der Titelheld über sich, und tatsächlich schwebt Stavisky wie ein Geist (»Personne ne sais que je suis.«) durch die luxuriösen Kulissen des Spiels: Theaterbühnen, Casinos, Hotelhallen – Transiträume eines trügerischen Vergnügens – sind die Hauptschauplätze der betörend morbiden Zeitrevue. Der ergreifend schöne Nachruf auf eine so extravagante wie desolate Ära verbindet Stummfilmkolportage style Fantômas mit der überfeinerten Ästhetik einer Epochendämmerung à la Visconti, verknüpft den Abgesang auf den Finanzkapitalismus mit einem Seitenblick auf die gescheiterte Hoffnung der Revolution in der Person des exilierten Leo Trotzki. Selten nur werden historisch-politische Stoffe mit einem solchen Höchstmaß an erzählerischem Raffinement (Buch: Jorge Semprún) und visueller Delikatesse (Kamera: Sacha Vierny, Kostüme: Yves Saint-Laurent) dargeboten. Die phänomenale, fragil-nostalgische Musik von Stephen Sondheim und eine großartige Besetzung – Boyer, Duperey, Lonsdale, Périer, Rich – vervollkommnen Resnais’ bitter-süße Suche nach einer verlorenen Zeit.

R Alain Resnais B Jorge Semprún K Sacha Vierny M Stephen Sondheim A Jacques Saulnier S Albert Jurgenson P Jean-Paul Belmondo D Jean-Paul Belmondo, Charles Boyer, Anny Duperey, François Périer, Michael Lonsdale, Claude Rich | F & I | 120 min | 1:1,66 | f | 15. Mai 1974

20.9.73

L’emmerdeur (Edouard Molinaro, 1973)

Die Filzlaus

»On a toujours besoin d'un ami dans la vie.« Zwei Herren, Zimmernachbarn im fünften Stock eines südfranzösischen Mittelklassehotels: M. Pignon (Jacques Brel) wurde (wegen eines Psychiaters!) von seiner Frau verlassen und will sich darob das Leben nehmen, M. Milan (Lino Ventura) kennt keine Gefühle und hat einen tödlichen Job zu erledigen. Der Jammerlappen und der Profikiller werden von außergewöhlichen Umständen auf Gedeih und (insbesondere) Verderb aneinandergekettet. »L’emmerdeur« ist reines Schauspielerkino, vielmehr: Körperkino und Gesichterkino, kontrastiv und komparativ: der hypernervöse Schlacks und der massive Klotz, die aufgewühlte Pferdefresse und das gefrorene Steingesicht. Zwar benötigt Édouard Molinaro einen halben (kurzen) Film lang, um die Gegensätze effektiv in Stellung zu bringen, aber sobald es vollbracht ist, gibt es für Brel und Ventura kein kinematographisches Halten mehr. »Vous m'avez sauvé la vie. Je ne l'oublierai jamais.«

R Édouard Molinaro B Francis Veber V Francis Veber K Raoul Coutard M Jacques Brel, François Rauber A François de Lamothe S Monique Isnardon, Robert Isnardon P Jean Dancigers, Alexandre Mnouchkine D Lino Ventura, Jacques Brel, Nino Castelnuovo, Caroline Cellier, Jean-Pierre Darras | F & I | 85 min | 1:1,66 | f | 20. September 1973

# 850 | 15. März 2014

17.12.72

Avanti! (Billy Wilder, 1972)

Avanti, Avanti! 

Ein sittenstrenger Geschäftsmann (Jack Lemmon) muß erkennen, daß sein verstorbener sittenstrenger Vater regelmäßig Urlaub von den strengen Sitten nahm – und tut’s dem teuren Toten sodann mit der Tochter der (nicht zufälligerweise ebenfalls verstorbenen) langjährigen väterlichen Geliebten (Juliet Mills) fröhlich nach … In seinem mediterran-legeren Alterswerk reiht Billy Wilder einen italienischen Moment an den anderen und läßt seinen linden Hauch von Story zweieinhalb Stunden lang zart über den Betrachter hinstreichen – ohne daß zu irgend einem Zeitpunkt die liebenswürdige Spannung zwischen den Figuren nachließe oder der feingesponnene Erzählfaden durchhinge. Vergnügen (beinahe) senza fine.

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Samuel A. Taylor K Luigi Kuveiller M Carlo Rustichelli A Fernandino Scarfiotti S Ralph E. Winters P Billy Wilder D Jack Lemmon, Juliet Mills, Clive Revill, Edward Andrews, Gianfranco Barra | USA | 140 min | 1:1,85 | f | 17. Dezember 1972

9.3.72

What’s Up, Doc? (Peter Bogdanovich, 1972)

Is’ was, Doc?

»Once upon a time, there was a plaid overnight case …« Aus einer einzelnen karierten Reisetasche ließe sich wohl keine Komödie zaubern, aber mit vier identischen Taschen, deren vier Besitzer vier benachbarte Zimmer in einem Hotel bewohnen, heißt es: »Anything Goes«. Eine Tasche enthält streng geheime Dokumente, eine andere kostbare Juwelen, die dritte Tasche enthält die Sammlung prähistorischen Eruptivgesteins des weltentrückten Musikologen Howard Bannister (Ryan O’Neal), die vierte die Unterwäsche von Bannisters willensstarker Nemesis Judy Maxwell (Barbra Streisand). Sicherlich geht es Peter Bogdanovich zunächst einmal darum, die filmischen Prinzipien der screwball comedy (à la »Bringing Up Baby«) durchzudeklinieren, die frotzelnden Rollenspiele und geräuschvollen Beziehungskrisen, die idiotischen Verwicklungen und absurden Verwechslungen, das gehetzte Tür auf und Tür zu, das panische Rein und Raus, ganz offenkundig macht er sich einen Mordsspaß daraus, seine Figuren den groben Körperlichkeiten des Slapstick wie auch dem galoppierenden Irrwitz der Warner Cartoons auszusetzen, bis hin zu einer fulminant inszenierten Verfolgungsjagd durch die Straßen und über die Hügel von San Francisco, aber recht eigentlich erzählt er von einem netten jungen Mann, der eine nette junge Frau trifft, und von dem Wahnsinn, den ein solch alltägliches Ereignis zur Folge hat: »This is a one way street!« – »We're only going one way.«

R Peter Bogdanovich B David Newman, Robert Benton, Buck Henry, Peter Bogdanovich K Laszlo Kovacs M Artie Butler A Polly Platt S Verna Fields P Peter Bogdanovich D Barbra Streisand, Ryan O’Neal, Madeline Kahn, Austin Pendleton, Kennth Mars, Michae Murphy | USA | 94 min | 1:1,85 | f | 9. März 1972

# 960 | 10. Juli 2015

26.11.71

Les lèvres rouges (Harry Kümel, 1971)

Blut an den Lippen

Eine dekorative Halluzination von Unsterblichkeit und lustvollem Tod. Das belgische Seebad Ostende im Winter, ein ausgestorbener Hotelpalast, die frisch vermählten Eheleute Stefan und Valerie auf der Durchreise. Weitere Gäste treffen ein: eine zeitlos (!) elegante Dame (Delphine Seyrig (die ›A‹ aus »L’année dernière à Marienbad«) spielt Elisabeth Báthory – auch bekannt als: ›die Blutgräfin‹) mit ihrer sinnlich-pagenköpfigen Begleiterin Ilona (Andrea Rau). Das ansehnliche (und reichlich triebhafte) Quartett variiert in wechselnden Paarungen das Spiel von der sexuellen (bzw. des ganzen Menschen) Hörigkeit – wobei sich die Zahl der Beteiligten nach und nach reduziert. Harry Kümel, der Regisseur dieses extravagant-somnambulen Vampirfilms, webt in seinen psychosexuell-parodistisch-manierierten Erzählteppich die Muster des Durstes nach Blut, des Hungers auf (Über-)Leben, der Sehnsucht nach unvergänglicher Liebe. »Love is stronger than death … even than life.«

R Harry Kümel B Harry Kümel, Pierre Drouot, Jean Ferry K Eduard van der Enden M François de Roubaix A Françoise Hardy S Denis, Bonan, August Verschueren P Paul Collet, Henry Lange, Luggi Waldleitner D Delphine Seyrig, John Karlen, Andrea Rau, Paul Esser, Fons Rademakers | B & F & BRD | 100 min | 1:1,66 | f | 26. November 1971

28.8.71

Warnung vor einer heiligen Nutte (Rainer Werner Fassbinder, 1971)

»Was wird denn das überhaupt für ein Film?« – »Du, das wird ein Film über Brutalität … Über was soll man denn sonst schon Filme machen?« Eine Filmequipe schlägt in einem Hotel am Meer die Zeit tot (indem – jeder gegen jeden – verbal sowie körperlich aufeinander eingedroschen wird), während finanzielle Schwierigkeiten und kreative Differenzen den Beginn der Dreharbeiten zu »Patria o muerte« (mit Eddie Constantine!) immer wieder verzögern. Rainer Werner Fassbinder wirft harte Schlaglichter auf gruppendynamische Prozesse, zeigt in Form einer satirisch-selbstreferentiellen (Wahl- und Qual-)Familienaufstellung komplementäre Abhängigkeiten und gegenseitige Ausnutzung: »Täter« und »Opfer« tauschen bei ihren Sex- und Machtspielchen immer wieder die Rollen. Doch die ständig wechselnden (von Michael Ballhaus immerhin stylisch fotografierten) Konstellationen erzeugen dumpfe Beliebigkeit, die (oft gebrüllten) Dialoge geraten zum redundanten Salbader. Im emotionalen Einerlei aus Unterwerfungsritualen und Freiheitsversprechen gleicht »Warnung vor einer heiligen Nutte« schließlich einem unaufhaltsam quellenden Brei aus gewalttätiger Sentimentalität und schmalzigem Gefühlsterror, einem filmischen Gericht ohne großen analytischen oder erzählerischen Nährwert.

R
Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder K Michael Ballhaus M Peer Raben A Kurt Raab S Franz Walsch (= Rainer Werner Fassbinder ), Thea Eymèsz P Peter Berling D Lou Castel, Eddie Constantine, Hanna Schygulla, Marquard Bohm, Rainer Werner Fassbinder | BRD & I | 103 min | 1:1,37 | f | 28. August 1971

28.4.71

Le souffle au cœur (Louis Malle, 1971)

Herzflimmern

Dijon, Frühjahr 1954. Im Mittelpunkt der Szenen aus dem Provinzleben steht der 15jährige Gymnasiast Laurent Chevalier (frühreif: Benoît Ferreux), jüngster Sohn eines großbürgerlichen Gynäkologen (schmerzfrei: Daniel Gélin), der nach der Schule Geld für die Verwundeten von Dien Bien Phu sammelt, dem das Camus’sche Problem des Selbstmords zu denken gibt, der sich von seinen älteren Brüdern piesacken lassen muß, dem die temperamentvolle italienische Mama (verführerisch: Lea Massari) alles durchgehen läßt, der Platten des verehrten Charlie Parker klaut, dem der katholische Lehrer an den muskulösen Schenkel geht, der bei einer netten Nutte fast seine Unschuld verliert, den plötzlich auftretende Herzrhythmusstörungen zu einem längeren Kuraufenthalt in mütterlicher Begleitung zwingen. Louis Malles (partiell autobiographische) Erzählung verbindet Weltgeschehen und Intimsphäre zu einer éducation sentimentale ganz ohne Schwere und Gefühlsduselei: Während im fernen Indochina die Totenglocke für den französischen Kolonialismus läutet, sieht sich der halbwüchsige Protagonist mit den existenziellen Nöten (und beiläufigen Freuden) des Erwachsenwerdens konfrontiert. Die Subversion der federleichten (doch keineswegs leichtgewichtigen) Sittenkomödie besteht in erster Linie darin, den skandalösesten Tabubruch (Inzest!) ganz einfach wegzulachen und im Alltäglichen aufzulösen

R Louis Malle B Louis Malle K Ricardo Aronovich M diverse A Jean-Jacques Caziot S Suzanne Baron P Vincent Malle, Claude Nedjar D Benoît Ferreux, Lea Massari, Daniel Gélin, Michael Lonsdale, Ave Ninchi, Gila von Weitershausen | F & I & BRD | 120 min | 1:1,66 | f | 28. April 1971

# 1194 | 7. Juni 2020

31.3.71

Die Tote aus der Themse (Harald Philipp, 1971)

Eine sexy Ballettratte, die nebenberuflich Drogen schmuggelte, dann aber für die Polizei arbeitete, wird in einer Londoner Absteige erschossen, ist aber gar nicht tot. Oder vielleicht doch? Wie auch immer – die beherzte Schwester (Uschi ›Schätzchen‹ Glas) der (halb-)kriminellen Tänzerin folgt zusammen mit der Polizei (Hansjörg Felmy als staubtrockener Inspektor Craig sowie Siegfried Schürenberg als kauziger Scotland-Yard-Chef Sir John) der Spur der mutmaßlich Verblichenen, deren Leichnam sich auf wundersame Weise aus dem (Heroin-)Staub machte … An und für sich bietet »Die Tote aus der Themse« viel Schönes: ein famoses Trio böser Herren im besten Alter (Friedrich Schönfelder, Werner Peters, Ivan Desny), das nacheinander per Kopfschuß aus dem Geschehen ausscheidet, dazu stimmungsvolle Settings wie einen Schlachthof, in dem nicht nur Schweine gemeuchelt werden, außerdem einen quirligen Peter-Thomas-Score und eine abseitig-plausible Auflösung – doch Regisseur Harald Philipp fehlt (trotz einiger wippender Busen) die schmierige Leichtfüßig- und -sinnigkeit eines Alfred Vohrer; seine Inszenierung ist über weite Strecken so steif, so fad, so unoriginell wie die Ermittlungsarbeit eines Schreibtischkriminalisten.

R Harald Philipp B Harald Philipp, Horst Wendlandt V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Johannes Ott S Alfred Srp P Horst Wendlandt D Uschi Glas, Hansjörg Felmy, Werner Peters, Harry Riebauer, Siegfried Schürenberg | BRD | 89 min | 1:1,85 | f | 31. März 1971

9.10.70

Der amerikanische Soldat (Rainer Werner Fassbinder, 1970)

»Alone you start my friend, / Alone is now an end.« Richard ›Ricky‹ von Rezzori (Karl Scheydt), gebürtiger Münchner, als US-Soldat im Vietnamkrieg aktiv (»Wie war es?« – »Laut.«), kehrt in seine Heimatstadt zurück: als Killer, der von drei Polizisten angeheuert wird, ein paar nicht zu belangende Kriminelle abzuschießen … Eine vollsynthetische Gangsterfilmaufstellung, Klischees im Spiegel im Spiegel im Spiegel: coole Männer mit Anzügen und Hüten, Frauen als dekoratives oder störendes Beiwerk; Freundschaft, Betrug, Geschäft, Verzweiflung, unterdrückte Leidenschaft, leidenschaftliche Unterdrückung; der Spieltisch, das Polizeirevier, das Hotel, die Bar, das Auto, der Bahnhof. Rainer Werner Fassbinder schickt seinen einsilbigen Protagonisten auf eine absurde Reise ins Herz der Finsternis, und läßt ihn auf seinem Weg jenen absonderlichen Nebenfiguren begegnen, ohne die kein seriöser (oder unseriöser) Genrebeitrag auskommt: Da sind ein schwuler Zigeuner (Ulli Lommel), eine versoffene Informantin (Katrin Schaake), ein verzweifelt bruderliebender Bruder (Kurt Raab), eine leidgefrorene Mutter (Eva Ingeborg Scholz), eine blauäugige Nutte (»Ich mag ihn.« – »Den Killer?« – »Der ist lieb.«) (Elga Sorbas als ›Rosa von Praunheim‹), ein desperates Zimmermädchen (Margarethe von Trotta), das – als Vorahnung eines kommenden Fassbinder-Films – die Geschichte einer 60jährigen Putzfrau und ihrer tragischen Liebe zu einem jüngeren Türken erzählt: »Das Glück ist nicht immer lustig.« Und das Unglück, so scheint es, ist nicht immer traurig.

R Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder K Dietrich Lohmann M Peer Raben A Kurt Raab S Thea Eymèsz P Rainer Werner Fassbinder D Karl Scheydt, Jan George, Elga Sorbas, Margarethe von Trotta, Eva Ingeborg Scholz | BRD | 80 min | 1:1,37 | sw | 9. Oktober 1970

# 894 | 9. Juli 2014

26.8.70

La rupture (Claude Chabrol, 1970)

Der Riß

Hélène (Stéphane Audran als Jeanne d’Arc der Mittelklasse) flieht vor ihrem irren Mann Charles, Sproß aus reichem (= bösen) Hause, der im Wahn den gemeinsamen Sohn töten wollte. Charles’ Vater (Michel Bouquet als distinguierte Kanaille) hetzt der verachteten Schwiegertochter den Schergen Paul (Jean-Pierre Cassel als aasiger Söldner des Kapitals) auf den Hals, der mit allen notwendigen Mitteln Hélènes Ruf zerstören soll – auf daß man ihr das Kind nehmen könne und sie zugrunde gerichtet werde. Claude Chabrols bourgeoiser Grand Guignol schwelgt in schmierigen Intrigen, berauscht sich an gnadenlos überzeichneten Figuren, knallt eine Welt auf die melodramatische Bühne (eine pension de famille – welche Ironie!), die stinkt vor Geld und Sex und Schnaps. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch: Das Schicksal in Gestalt dreier kartenspielender alter Weiber (unter ihnen Margo Lion, das Idol von Marlene Dietrich) und der liebe Gott in Person eines Luftballonverkäufers stehen der engelhaft schimmernden Hélène zur Seite in ihrem Kampf gegen die gutbürgerlichen Mächte der Zerstörung.

R Claude Chabrol B Claude Chabrol V Charlotte Armstrong K Jean Rabier M Pierre Jansen A Guy Littaye S Jacques Gaillard P André Genovès D Stéphane Audran, Jean-Pierre Cassel, Michel Bouquet, Michel Duchaussoy, Annie Cordie | F & I & B | 124 min | 1:1,66 | f | 26. August 1970

22.2.68

Negresco**** – Eine tödliche Affäre (Klaus Lemke, 1968)

Der mittelmäßige Fotograf Roger (Gérard Blain) erhält in Berlin rein zufällig vage Hinweise auf ein möglicherweise profitables Geheimnis und folgt dessen mondäner Trägerin Laura Parrish (It-Lady Ira von Fürstenberg) durch teure Hotels und prächtige Villen, an die (sonnige) Côte d’Azur und weiter ins (tödliche) Engadin. In seinem zweiten Spiel-Film kokettiert Klaus Lemke wiederum schaulustig-eskapistisch mit bekannten Kinomotiven (verbotene Liebe, dunkle Geschäfte, undurchschaubare Ränke), schießt kolportagehafte Momentaufnahmen aus der großen, weiten Illustriertenwelt der reichen Männer und schönen Frauen, der flotten Boote und schnellen Schlitten, des heißen Geldes und gefährlichen (Zu-viel-)Wissens. Die flüchtig-spekulativen, nicht immer ganz scharfen Paparazzoblicke fügen sich kaum zu einer schlüssigen Story, reihen sich vielmehr assoziativ aneinander wie eine Folge von leicht verdruckten Bildern in einem Regenbogenblatt. Die berühmte Nizzaner Luxusabsteige, die dem Werk den wohlklingenden Titel leiht, und die exklusive Jet-Set-Hauptdarstellerin stehen emblematisch für jene mystische Society-Sphäre, die ein ehrgeiziger Arrivist zwar vorübergehend betreten aber in Wahrheit nicht erreichen kann.

R Klaus Lemke B Max Zihlmann, Klaus Lemke, Ingo Hermes K Michael Marszalek M Klaus Doldinger S Renate Willeg P Peter Berling D Gérard Blain, Ira von Fürstenberg, Paul Hubschmid, Serge Marquand, Ricky Cooper | BRD | 95 min | 1:1,66 | f | 22. Februar 1968

18.1.68

Der Hund von Blackwood Castle (Alfred Vohrer, 1968)

Eine filmische Ode an die Berliner Pfaueninsel: das »preußische Paradies« als englische Idealszenerie und adäquate Edgar-Wallace-Kulisse. Inmitten der herbstlich-idyllischen Parklandschaft, zwischen nebligem Gehölz und hungrigem Sumpf, geschehen gräßliche Dinge: Diverse Spaziergänger (allesamt Gäste des rustikalen, von Lady Agathy Beverton (Agnes Windeck) (groß-)mütterlich geleiteten Gasthofes »Old Inn«) sterben an den Bissen einer mordgierigen Bestie. Zentrum des Schreckens: Blackwood Castle, das vom kürzlich verstorbenen Schloßherrn seiner lange negierten Tochter (Karin Baal) vermacht wurde. Nach dem Tod des Besitzers wird der alte, spinnverwebte Kasten unversehens von einer Schar zwielichtiger Interessenten (Hans Söhnker, Heinz Drache, Horst Tappert und andere) umlagert, die hinter den morschen Mauern schlummernde Reichtümer vermuten … Alfred Vohrer arrangiert ein gewitztes Katz-und-Maus-, besser gesagt: Hund-und-Mensch-Spiel, verrührt die hergebrachten Zutaten der Endlosserie zu einer amüsanten Thrillerfarce, antwortet auf jede Sinnfrage mit einem billigen Schaueffekt. Den Fall, der deutliche Anleihen bei Arthur Conan Doyles »The Hound of the Baskervilles« und bei Stanley Donens »Charade« nimmt, untersucht Scotland-Yard-Chef Sir John (Siegfried Schürenberg) höchstpersönlich, assistiert von seiner pfiffigen Assistentin Miss Finley (Ilse Pagé) – die Ermittler stoßen unter anderem auf einen gepolsterten Sarg für lebende Tote und Schachfiguren, die als Fernsteuerung dienen, auf schatzhütende Schlangen und einen ausgestopften Bären mit Funkanschluß …

R Alfred Vohrer B Axel Berg (= Herbert Reinecker) V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Wilhelm Vorwerg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Heinz Drache, Horst Tappert, Karin Baal, Agnes Windeck, Siegfried Schürenberg | BRD | 92 min | 1:1,66 | f | 18. Januar 1968

29.6.67

Alle Jahre wieder (Ulrich Schamoni, 1967)

»Entweder regnet’s hier, oder die Glocken läuten, oder es wird mal wieder ’ne Kneipe eröffnet.« ›Hier‹, das ist Münster, wohin alljährlich zu Weihnachten Hannes Lücke (Hans Dieter Schwarze) zurückkehrt, der schon seit Jahren als erfolgreicher Werbetexter in Frankfurt lebt, um mit Frau Lore (Ulla Jacobsson) und Kindern die Feiertage zu verbringen – und um sich im Kreise alter Saufkumpane einen (oder zwei oder drei) hinter die Binde zu gießen. Erstmals kommt Hannes nicht allein, sondern in Begleitung seiner jungen Freundin Inge (Sabine Sinjen); ihre hellhörig-kritische Außenseiterperspektive auf Sitten und Bräuche der westfälischen Kapitale machen sich auch die Erzähler zu eigen, die gleichwohl über eine intime Kennerschaft des geschilderten Milieus verfügen: Ulrich Schamoni (Regie) und Michael Lentz (Buch) wuchsen in Münster auf, sind der Stadt und ihren Bewohnern in zärtlich-bissiger Haßliebe verbunden. »Alle Jahre wieder« beschreibt, in scheinbar beiläufigen Beobachtungen, eine Gesellschaft, deren moralische Normen und überkommene Etiketteregeln nur mehr als historische Fassade aufrecht erhalten werden, zugleich zeichnet der Film das ironisch-trostlose Bild einer arrivierten und doch verlorenen (Männer-)Generation. »Wir sind vierzig geworden« lautet der Titel eines melancholischen Gedichts, das einer von Hannes’ Zechbrüdern vorträgt: »Ihr habt recht, wenn ihr denkt / der Rest unserer Träume / schmücke die Weihnachtsbäume. / Ja, alle Hoffnungen trügen. / Warum sollen wir lügen?« Die antibürgerlichen Sehnsüchte der ehemaligen Flakhelfer, aus denen Notare oder Bauunternehmer oder Steuerberater wurden (sie erinnern trotz ihrer gehobenen sozialen Stellung an Fellinis desorientierte »Vitelloni«), ertrinken im ritualisierten Rausch. »Jetzt singen sie wieder«, spottet eine ernüchterte Ehefrau, »da kann’s nicht mehr lange dauern.« Ein Jahr später wird in Berlin das Springer-Hochhaus brennen. In Münster bleibt es weitgehend ruhig.

R Ulrich Schamoni B Michael Lentz, Ulrich Schamoni K Wolfgang Treu M Hans Posegga S Heidi Genée P Peter Schamoni D Hans Dieter Schwarze, Sabine Sinjen, Ulla Jacobsson, Johannes Schaaf, Hans Posegga | BRD | 91 min | 1:1,66 | sw | 29. Juni 1967