20.1.50

Gun Crazy (Joseph H. Lewis, 1950)

Gefährliche Leidenschaft

»Shoot! Why don't you shoot?« Die rasante Geschichte eines explosiven amour fou: ein Mann und eine Frau finden zusammen wie Waffe und Munition ... Bereits als kleiner Junge hegt Bart ein krankhaft gesteigertes Verlangen nach Gewehren und Pistolen, Schießen ist seine Leidenschaft, die einzige Tätigkeit, die er wirklich beherrscht – auch wenn es ihm nach dem traumatischen Abschuß eines Kükens unmöglich ist, auf lebende Wesen zu feuern. Nach langen Jahren in Erziehungsanstalt und Armee, trifft er Annie, die sich auf dem Rummelplatz als Scharfschützin verdingt. Schon die erste Begegnung des Paares, ein Wettschießen auf offener Bühne, gleicht einem fetischistischen Geschlechtsakt, und nur wenig später driften die beiden (»like a couple of wild animals«: Peggy Cummins und John Dahl) wie weiland Bonnie Parker und Clyde Barrow gesetzbrecherisch durch die amerikanische Provinz. Geschickt kontrastiert Joseph H. Lewis Barts liebestrunkene Skrupulosität mit Annies, an Lady Macbeth erinnernde, fatale Zielstrebigkeit (»I want a lot of things – big things!«) – ein spannungsvoller Gegensatz, der sich auf inszenatorischer Ebene in der irritierenden Mischung aus kühlem On-location-Realismus (ein Banküberfall, als Plansequenz in Echtzeit und am Originalschauplatz, von der Rückbank des Fluchtfahrzeugs aus gedreht) und spätexpressionistischer Kulissenhaftigkeit (Barts Einbruch in ein Waffengeschäft zu Beginn des Films oder die finale Menschenjagd durch nebliges Sumpfgelände) wiederfindet. »Gun Crazy« – ein liebenswahnsinniger Gangsterfilm über Verführung und Bereitschaft: »Let’s finish it the way we started it: on the level.«

R Joseph H. Lewis B Dalton Trumbo, MacKinlay Kantor V MacKinlay Kantor K Russell Harlan M Victor Young A Gordon Wiles S Harry Gerstad P Frank King, Maurice King D John Dahl, Peggy Cummins, Berry Kroeger, Nedrick Young, Russ Tamblyn | USA | 87 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1950

# 1083 | 5. Dezember 2017

Königskinder (Helmut Käutner, 1950)

Der unstandesgemäßen Liaison von Trümmerfilm und screwball comedy entsprang dieser charmante Bankert aus der jämmerlich-schönen Besatzungszeit: Ende des Krieges flieht Prinzessin Ulrike von Brandenburg (Jenny Jugo), Verlobte des Thronfolgers von Thessalien, in Begleitung eines Oheims und zweier vornehmer Hofdamen von den schlesischen Besitztümern gen Westen, erreicht (nach Verlust sämtlicher Juwelen) das ruinöse Stammschloß der herrschaftlichen Sippschaft, erlebt den Einzug der Amerikaner, verguckt sich in Paul (Peter van Eyck), einen attraktiven Schlawiner, der den lieben Gott einen guten Mann sein läßt und sein Schärflein (Zigaretten, Schnaps, Dollars) jederzeit ins Trockene zu bringen weiß … Helmut Käutner ignoriert schnippisch die Schwere der Zeitläufte, macht sich lustig über das Leiden am (letztlich selbstverschuldeten) Verlust und die blühende (von obsoleten moralischen Bedenken unterfütterte) Geschäftstüchtigkeit nach dem totalen Zusammenbruch: Selbstredend führt das hochwohlgeborene Fräulein die zahlungswilligen Neugierigen persönlich durch den pittoresken Familiensitz (oder das, was davon übrig ist), wenn nur die Kasse stimmt, und auch Freiin von Bockh (Hedwig Wangel), die züchtige Wahrerin der Etikette, bringt Adelsstolz und business in ergiebigen Einklang. Wen wundert es da, daß die »Königskinder«, die einander so lieb haben, (nach den genreüblichen Verwicklungen) fröhlich zusammenkommen können – die Wasser sind gar nicht so tief, wenn man sie nur mit etwas Schutt auffüllt, um trockenen Fußes darüberzugehen …

R Helmut Käutner B Emil Burri, Herbert Witt, Helmut Käutner K Reimar Kuntze M Bernhard Eichhorn A Hermann Warm, Bruno Monden S Wolfgang Wehrum P Eberhard Klagemann D Jenny Jugo, Peter van Eyck, Friedrich Schönfelder, Hedwig Wangel, Erika von Thellmann | BRD | 95 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1950

# 872 | 1. Juni 2014