18.12.64

Das Verrätertor (Freddie Francis, 1964)

Ein trockenes heist movie, das sich von den üblichen Manierismen der Edgar-Wallace-Reihe bewußt absetzt. Zwar gibt Klaus Kinski einen preziösen Killer, zwar darf Eddi Arent als deutscher Tourist in London seinen Schabernack treiben, doch verzichtet die deutsch-britische Koproduktion gänzlich auf familiäre Intrigen, auf Erbinnen in Not, auf persönlich engagierte Inspektoren: Im Zentrum stehen die Aktivitäten einer hochorganisierten Bande, die sich unter Führung eines ehrenwerten Geschäftsmannes (Albert Lieven) anschickt, die Kronjuwelen ihrer Majestät zu stehlen. Die professionell coole Inszenierung von Freddie Francis (einem maßgeblichen Bildgestalter des Free Cinema) lädt nicht zur Identifikation mit Tätern oder Ermittlern ein; die Kamera (geführt von Denys Coop, einem weiteren Wegbereiter des kitchen sink realism der früher 1960er Jahre) beobachtet reserviert die Mechanik der minutiös geplanten Abläufe. Aufgrund seiner visuellen Qualitäten entwickelt »Das Verrätertor« spröde B-Film-Eleganz, auch wenn die Dramatik rein äußerlich, die Story sichtbar konstruiert, die Figuren gänzlich schablonenhaft bleiben und der Wechsel der erzählerischen Tonlagen gelegentlich eher atmosphärischen Dissonanzen als Spannung erzeugt.

R Freddie Francis B John Sansom (= Jimmy Sangster) V Edgar Wallace K Denys Coop M Peter Thomas A Tony Inglis S Oswald Hafenrichter P Horst Wendlandt D Albert Lieven, Margot Trooger, Gary Raymond, Eddi Arent, Klaus Kinski | BRD & UK | 87 min | 1:1,66 | sw | 18. Dezember 1964

# 821 | 4. Januar 2014

16.12.64

The Disorderly Orderly (Frank Tashlin, 1964)

Der Tölpel vom Dienst

»Don’t try so hard!« Weil Arztsohn Jerome Littlefield (Jerry Lewis) zu empathisch auf Krankheit und Leid reagiert, kann er selbst nicht Doktor werden; er schlägt sich (und andere) ersatzweise als Pfleger durch, wobei aus seiner psychischen Verklemmung ein geradezu apokalyptisches Helfersyndrom entspringt … Es dauert ein Weilchen, bis es Frank Tashlin gelingt, den Hauptdarsteller halbwegs zu disziplinieren, dessen hysterischen Hang zu ichsüchtiger Grimassenschneiderei sowie beliebigen Slapstickdarbietungen in den Griff zu bekommen, um so etwas wie Richtung und Rhythmus einer Story zu generieren, einer Story, die zunächst Blindheit und Hypochondrie, dann das Freimachen von zwanghaften Blockaden und den Aufbruch zu neuen (romantischen wie beruflichen) Ufern ins Bild setzt. Andererseits pfeift Tashlin selbst immer wieder fröhlich auf Erzähldisziplin, klopft Situationen nur allzugern auf ihre absurden filmischen Möglichkeiten ab: Fernsehschnee weht wie ein Blizzard durch ein Krankenzimmer, ein Ganzkörperverband erweist sich als leere Gipshülle, ein gebrochener Knöchel schwillt an wie ein Luftballon. Das wahnsinnige Finale vereint alle Beteiligten in einer furiosen Verfolgungsjagd, hügelauf und hügelab: Mediziner und Patienten, in Rettungsfahrzeugen und auf Rollbahren, Liebende und Geliebte, zwischen Mülltonnen, Einkaufswagen und Konservendosen.

R Frank Tashlin B Frank Tashlin, Norm Liebman, Ed Haas K W. Wallace Kelley M Joseph J. Lilley A Hal Pereira, Tambi Larsen S John Woodcock P Paul Jones D Jerry Lewis, Glenda Farrell, Susan Oliver, Karen Sharp, Kathleen Freeman, Everett Sloane | USA | 89 min | 1:1,85 | f | 16. Dezember 1964

# 785 | 28. Oktober 2013

Kiss Me, Stupid (Billy Wilder, 1964)

Küß mich, Dummkopf

»If you’ve got what it takes, sooner or later, somebody will take what you’ve got.« Seit Jahren schreiben Orville J. Spooner und Barney Milsap, Klavierlehrer und Tankstellenbesitzer in Climax, Nevada, unverdrossen einen Schlager nach dem anderen (mit so vielversprechenden Titeln wie »Pretzels in the Moonlight« oder »Two Coins in the Fountain«), ohne daß sich der erhoffte Erfolg einstellen würde. Als eines Tages der berühmte Entertainer Dino (ölig: Dean Martin) auf dem Weg von Las Vegas nach Hollywood in ihrem abgelegenen Wüstenkaff strandet, beschließen Komponist und Textdichter, die einmalige Chance zu nutzen und dem saufgierigen Weiberhelden einen ebenso anregenden wie einbringlichen Aufenthalt zu bereiten: Ein (herzensgutes) leichtes Mädchen (Kim Novak als ›Polly the Pistol‹) wird aus dem örtlichen Amüsierschuppen »Belly Bottom« (»Drop in and get lost!«) herbeigeschafft, eine (ziemlich weltkluge) Ehefrau aus dem Haus expediert, dann nimmt das erfolgsgierige songwriting team den durchreisenden Star in die erotisch-musikalische Zange: »If I’m all agitato, / Every heartstring vibrato.« Billy Wilder betrachtet seine männlichen Protagonisten mit illusionslosem Wohlwissen, während er den weiblichen Figuren eine Art biestiger Zärtlichkeit angedeihen läßt. Trotz oder gerade wegen der unausgewogenen (und bemerkenswert kaltschnäuzigen) Inszenierung entwirft diese in schmuddelig-grauen Panavision-Bildern ausgerollte Vulgärromanze über Hingabe und Eifersucht, diese ätzende Sozialstudie über Angebot und Nachfrage ein Menschenbild von ungeschminkter Ehrlichkeit: »Every look passionato, / Who but you made me so?«

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Anna Bonacci K Joseph La Shelle M André Prévin, George Gershwin A Alexandre Trauner S Daniel Mandell P Billy Wilder D Dean Martin, Kim Novak, Ray Walston, Felicia Farr, Cliff Osmond | USA | 125 min | 1:2,35 | sw | 16. Dezember 1964

# 1078 | 11. Oktober 2017


15.12.64

Hush … Hush, Sweet Charlotte (Robert Aldrich, 1964)

Wiegenlied für eine Leiche

»You weep because you had a dream last night …« Zwei Jahre nach »What Ever Happened to Baby Jane?« wollte Robert Aldrich die Band wieder zusammenbringen, um in puncto Grand-Guignol-Grusel noch einen draufzusetzen. Leider warf Joan Crawford kurz nach Drehbeginn das Handtuch. Praktisch jeder abgelegte Star weiblichen Geschlechts wurde angebettelt, ihre Rolle zu übernehmen – bis sich Olivia de Havilland erbarmte … Bette Davis diesmal als verdatterte (und sehr reiche) alte Jungfer, deren – kurz vor der Hochzeit (von wem?) ermordeter – Verlobter sich 40 Jahre später überraschend aus dem Reich der Toten meldet. Aldrich mixt aus Familienintrigen, Südstaaten-Dekadenz, abgehackten Händen und wandelnden Wasserleichen einen noch hämischeren Gothic-Punch in noch härterem Schwarzweiß (Kamera: Joseh Biroc). Neben dem Duo infernal Davis / de Havilland tragen weitere namhafte has beens – brüchig: Mary Astor; zerlumpt: Agnes Moorehead; verlebt: Joseph Cotten – das Ihre zum wohligen Entsetzen bei.

R Robert Aldrich B Lukas Heller, Henry Farrell K Joseph Biroc M Frank De Vol A William Glasgow S Michael Luciano P Robert Aldrich D Bette Davis, Olivia de Havilland, Joseph Cotten, Agnes Moorehead, Mary Astor | USA | 133 min | 1:1,66 | sw | 15. Dezember 1964

10.12.64

Les barbouzes (Georges Lautner, 1964)

Mordrezepte der Barbouzes 

Der internationale Waffenhändler Benar Shah stirbt à la Félix Faure in einem Pariser Bordell. Ohne Einhaltung der Trauerfrist bemühen sich Nachrichtendienstler diverser Nationen bei der hübschen jungen Witwe Amaranthe (Mireille Darc) um die explosive Hinterlassenschaft des Verblichenen: Patente für Massenvernichtungswaffen der Marken A, B, C und H. Natürlich hat in einem französischen Film der sympathisch-kantige »barbouze« Francis Lagneau (Lino Ventura), der so sprechende Aliasnamen trägt wie ›Petit Marquis‹ oder ›Belles Manières‹ oder ›Bazooka‹ oder ›La Praline‹, die Nase vorn – während der blutrünstig-wahrheitssuchende Deutsche (genannt ›le bon docteur‹), der ungestüm-ästhetische Sowjet (bekannt als ›Trinitrotoluène‹), der scholastisch-neutrale Schweizer Mystizist (Bernard Blier), der amerikanische Scheckbuch-Agent mit dem kleinkarierten Hütchen (Jess Hahn) und Dutzende von kampfschreienden Abziehbild-Chinesen das Nachsehen haben … Georges Lautner (Regie) und Michel Audiard (Dialoge) veräppeln mit sarkastischem Charme das zweitälteste Gewerbe der Welt, machen sich lustig über das brettharte Getue und den bigotten Nationalismus der verbissen konkurrierenden und doch denkbar ähnlich gestrickten (Kino-)Geheimagenten aller Provenienz, dieser sonderbaren Spezies, die sich durch eine »faszinierende Synthese von Gehirn und Muskeln« auszeichnet.

R Georges Lautner B Michel Audiard, Albert Simonin K Maurice Fellous M Michel Magne A Jacques D’Ovidio S Michelle David P Alain Poiré D Lino Ventura, Bernard Blier, Mireille Darc, Jess Hahn, Noël Roquevert | F & I | 109 min | 1:1,66 | sw | 10. Dezember 1964

4.12.64

Une femme mariée (Jean-Luc Godard, 1964)

Eine verheiratete Frau

»Je ne sais pas.« (Hände finden zueinander.) ... Madame Bovary im Zeitalter des Nylons. Fragmente eines Film, gedreht in Paris im Jahr 1964: Teile von Körpern, Splitter von Gedanken, Anflüge von Empfindungen. Ein Ausschnitt aus dem Leben von Charlotte (Macha Méril): sie trifft sich mit ihrem Liebhaber (in dessen Wohnung), sie verbringt die Nacht mit ihrem Mann (zuhause), sie trifft sich mit ihrem Liebhaber (im Flughafenhotel); dazwischen: hektische Fluchtmanöver (Charlotte fühlt sich verfolgt), Schmökern in Magazinen (Charlotte mißt sich an Idealfiguren), ein Besuch beim Frauenarzt (Charlotte fragt nach der Verbindung von Liebe, Empfängnis und Vergnügen). Am Bespiel seiner (fremdgängerischen) Protagonistin reflektiert Jean-Luc Godard über Gedächtnisverlust, S(t)imulation und Fernsteuerung in der Konsumgesellschaft: Charlotte lebt (nur allzu gerne) in einer hermetisch-materialistischen Gegenwart der stilvollen Oberflächen, der systematischen Manipulation, der mentalen Gleichschaltung. Godards Ekel vor diesem Zustand offenbart sich in der gewagten Parallelisierung der von ihm konstatierten (Selbst-)Demontage des Individuums zugunsten vorfabrizierter Wunschbilder, Verhaltensmuster und Denkschablonen mit der Vernichtungslogik der Konzentrationslager. Ein Trost zum Schluß: Umdenken (Befreiung durch Verzicht) scheint immerhin möglich ... (Hände lösen sich voneinander.) »C’est fini.«

R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard K Raoul Coutard M Ludwig van Beethoven, Claude Nougaro A Henri Nogaret S Agnès Guillemot, Françoise Collin P Philippe Dussart, Maurice Urbain D Macha Méril, Bernard Noël, Philippe Leroy, Roger Leenhardt, Rita Maiden | F | 96 min | 1:1,37 | sw | 4. Dezember 1964

# 1191 | 18. Januar 2020