24.6.66

La caza (Carlos Saura, 1966)

Die Jagd

José, Paco, Luis, drei alte Freunde, nein: drei alte Kameraden treffen sich, nach vielen Jahren, um gemeinsam zu jagen. Sie waren schon einmal gemeinsam auf der Jagd, damals allerdings nicht, um Kaninchen zu schießen. »La mejor caza es la caza del hombre«, sagt einer der Jäger, ohne daß deutlich würde, ob er seine Wort ernst meint oder sarkastisch: Die beste Jagd ist die Jagd auf Menschen. Ein sonnenglühender Tag, ein schattenloses Tal, nackter, narbiger Fels, von unzähligen Höhlen durchzogen, aus denen die Gespenster der Vergangenheit steigen. Gewalt liegt in der brennenden Luft, die Erinnerung an einen grausamen Krieg, an vielfachen Tod. Drei alte Kameraden auf der Jagd. Ein vierter Mann ist dabei, zum ersten Mal, ein Jüngerer, der vieles nicht versteht, dem wenig erklärt wird. In harten Schwarzweiß-Bildern, häufig im Wechsel zwischen Totalen der ausgedörrten Landschaft, deren Weite die Menschen verschlingt, und Großaufnahmen von angespannten Gesichtern sowie Details von mattglänzenden Waffen, entwickelt Carlos Saura die Konflikte zwischen seinen drei Protagonisten, einem verschuldeten Grundbesitzer, einem erfolgreichen Unternehmer, und einem Taugenichts, der sich in Alkohol und Science-Fiction-Geschichten flüchtet, der (auf deutsch!) Hemingway zitiert: »Moralisch ist, wonach man sich gut fühlt, und unmoralisch ist, wonach man sich schlecht fühlt.« Gemeinsame Schuld bricht auf wie eine nie verheilte Wunde, altes Unrecht kehrt wieder als Aggression, die sich explosionsartig entlädt … Sauras Erzählung gießt eine Allegorie auf den Zustand der spanischen Nach(bürger)kriegsgesellschaft in die Form eines visuell (und musikalisch) pronocierten, sich dynamisch zum blutigen Thriller zuspitzenden Psychodrams.

R Carlos Saura B Carlos Saura, Angelino Fons K Luis Cuadrado M Luis de Pablo A Carlos Ochoa S Pablo D. del Amo P Elias Querejeta D Alfredo Mayo, Ismael Merlo, José Maria Prada, Emilio Gutiérrez Caba, Fernando Sánchez Polack | E | 91 min | 1:1,66 | sw | 24. Juni 1966

# 831 | 22. Januar 2014

23.6.66

Playgirl (Will Tremper, 1966)

Ein deutscher Autorenfilm, durch und durch persönlich; nichts wird gefilmt, was den Autor nicht interessierte. Das Schöne aber: bevor er Filme machte, schrieb der Autor (Will Tremper – dem das deutsche Kino leider schon bald zu doof werden wird) Gerichtsreportagen und Serien für Illustrierte. Was ihn interessiert, ist das Vermischte, nicht der Kulturteil, sind Menschen, nicht Figuren. Eine beispielhafte Szene: Alexandra Borowski (Eva Renzi – die leider zu doof sein wird, sich zum wirklichen Star zu mausern), Mannequin, »Playgirl«, Heldin dieses deutschen, genauer gesagt: Westberliner Autorenfilms steht an der Mauer (der zwischen Ost und West), trägt eine schicke Kreation von Heinz Oestergaard und läßt sich für eine Modezeitschrift fotografieren. Passanten kommen vorbei, empören sich: Was es für eine Schweinerei sei, sich ausgerechnet hier, im Angesicht des Todes, in Pose zu werfen! Sie darauf patzig: »Gebt doch nicht so an mit eurer Mauer!« Auch wenn die provinzielle Grundierung der ausgestellten Weltläufigkeit nicht ganz zu übertünchen ist, atmet »Playgirl« eine gehörige Portion kinematographischer Freiheit: ein Autor schlendert (oder braust im Jaguar) durch seine Stadt und filmt ganz einfach das, was ihn dazu animiert, die Kamera laufen zu lassen: nachmittags schwimmen im Olympiastadion, nachts baden in einem Pool im Grunewald, zu Abend essen im »Kopenhagen« am Kurfürstendamm, die Baustelle vom Springer-Hochhaus besichtigen, zuhören wie Paul Kuhn Klavier spielt und singt, mit einem hübschen Mädchen tanzen gehen und danach ins Bett …

R Will Tremper B Will Tremper K Wolfgang Lührse, Benno Bellenbaum M Peter Thomas, Klaus Doldinger S Ursula Möhrle P Will Tremper D Eva Renzi, Harald Leipnitz, Paul Hubschmid, Umberto Orsini, Rudolf Schündler | BRD | 88 min | 1:1,66 | sw | 23. Juni 1966

17.6.66

Cul-de-sac (Roman Polanski, 1966)

Wenn Katelbach kommt ...

»Well, here we are.« – »Where?« – »In the shit.« Zwei Gangster, der angeschossene Dickie (bullig: Lionel Stander) und der schwerverletzte Albie (schrullig: Jack MacGowran), entern nach einem (offenbar mißglückten) Coup das entlegene Anwesen des retirierten Geschäftsmannes George (clownesk: Donald Pleasence) und seiner jungen (zweiten) Gattin Teresa (begehrlich: Françoise Dorléac). Der burgartige Felsenbau auf einer kleinen Gezeiteninsel, die bei Flut vollständig vom Meer umgeben ist, wird zum Schauplatz einer absurd-brutalen Komödie der Herrschafts- und Geschlechterbeziehungen. In wechselnden Figurenkonstellationen läßt Roman Polanski die kleine geschlossene Gesellschaft (gelegentlich aufgestört durch ungebetene Gäste) immer neue Muster von Macht und Knechtschaft, von Anziehung und Abstoßung, von Verlangen und Impotenz durchdeklinieren. Gilbert Taylors tiefenscharfe, kontrastreiche Schwarzweißbilder zeigen die fortgesetzten körperlichen, intellektuellen und klassenmäßigen Auseinandersetzungen bald mit kühler Distanz, bald in boshafter Verzerrung, und auch eine metaphysische Komponente spielt in die makabre Psychofarce hinein: Der von den festsitzenden Verbrechern telefonisch zur Hilfe gerufene Boß Katelbach bleibt so abwesend wie Samuel Becketts Godot. Seine letzte Botschaft an die Gestrandeten lautet: »You’re on your own.«

R Roman Polanski B Roman Polanski, Gérard Brach K Gilbert Taylor M Krzysztof Komeda A Voytek (= Wojciech Szendzikowski) S Alastair McIntyre P Gene Gutowski D Donald Pleasence, Françoise Dorléac, Lionel Stander, Jack MacGowran, Jacqueline Bisset | UK | 112 min | 1:1,66 | sw | 17. Juni 1966

# 1019 | 18. August 2016

15.6.66

Spur der Steine (Frank Beyer, 1966)

»Mit Ihnen würde ich mir sogar ’nen DEFA-Film angucken.« Kabale und Liebe, Parteibürokratie und sozialistische Moral, Planwahn und Selbsthelfertum auf der fiktiven DDR-Großbaustelle Schkona (≈ Schkopau + Leuna) Anfang der 1960er Jahre, dargeboten in kraftvoll-schwarzweißen Totalvision-Bildern. Im Kern die Dreiecksgeschichte zwischen dem beruflich kämpferischen, privat hasenherzigen Parteisekretär Horrath (Eberhard Esche), dem äußerlich aufmüpfigen, innerlich untadeligen Brigadier Balla (Manfred Krug) und der herb-zarten, idealistisch-pragmatischen Ingenieurin Katie Klee (Krystyna Stypułkowska), irisiert Frank Beyers Adaption des gleichnamigen Aufbau-, Bildungs- und Erziehungsromans von Erik Neutsch zwischen lebensnahem Arbeiterwestern und ideologischem Thesenstück, zwischen sachlicher Romanze und deftigem Sittenpanorama … Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen postulierte der spitzbärtige Generalsekretär der Einheitspartei, unter anderem: »Du sollst sauber und anständig leben.« Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Es irrt der Mensch, solang er strebt – auch wenn über ihm die rote Fahne weht. »Spur der Steine« gelingt das Kunststück, die kindliche Wunschvorstellung von der unerschütterlich linientreuen sozialistischen Persönlichkeit zu desavouieren und dennoch nicht den betonfesten Glauben an die unvermeidliche Verbesserung der Menschheit zu verlieren. Horrath, Balla, Klee mögen dabei wegen ihrer selbstkritischen Fehlbarkeit mutmachende Beispiele abgeben – doch am Ende werden es mediokre Figuren wie der von SED-Apparatschik Hans-Peter Minetti verkörperte SED-Apparatschik Bleibtreu sein, die bellend den Ton angeben, die nimmermüde den Marsch blasen, die ein theoretisches Modell gegen jede Wirklichkeit und gegen alle Projektierungsfehler für real-existierend erklären.

R Frank Beyer B Karl Georg Egel, Frank Beyer V Erik Neutsch K Günter Marczinkowsky M Wolfram Heicking A Harald Horn S Hildegard Conrad P Dieter Dormeier D Manfred Krug, Eberhard Esche, Krystyna Stypułkowska, Johannes Wieke, Walter Jupé | DDR | 139 min | 1:2,35 | sw | 15. Juni 1966

9.6.66

The Glass Bottom Boat (Frank Tashlin, 1966)

Spion in Spitzenhöschen

»She’s a pretty strange acting female.« Space Race, Schwerelosigkeit, Spionage und die Formel zur Koordination von Mars und Venus; aus den Tiefen des Pazifik vor der Insel Santa Catalina, durch eine vollautomatische Küche, hoch hinauf in den (siebten) Himmel … Frank Tashlin inszeniert (Meer-)Jungfrau Doris Day als vorgebliche Mata Hari der Pop-Moderne – ihr wahnsinniges Ungeschick, ihre platinblonde Schlichtheit, ihre fundamentalistische Hausfrauenhaftigkeit erscheinen im Vergleich zur vertrottelten Paranoia der sie umgebenden Männer (Dom De Louise als linkischer Agent wider Willen, Paul Lynde als beschränkter Sicherheitsmann im Fummel, Edward Andrews als mißtrauisch-lüsterner NASA-General) und zur Künstlichkeit der Welt, die diese Männer geschaffen haben, geradezu erschreckend normal, vernünftig, liebenswert. Kein Wunder also, daß Raumfahrt-Tycoon Rod Taylor dieser ziemlich seltsam agierenden Frau mit Haut und Haaren verfällt … Tashlin bringt Days blitzsauberes Image zielstrebig (und kinematographisch fruchtbar) auf den Punkt, ironisiert es in einem Screwball-Ballett der konsequenten Fehltritte. Verwechslung und Verstellung, Slapstick und Romantik – »soft as the starlight in the sky«.

R Frank Tashlin B Everett Freeman K Leon Shamroy M Frank De Vol A Edward C. Carfagno, George W. Davis S John McSweeney P Everett Freeman, Martin Melcher D Doris Day, Rod Taylor, Arthur Godfrey, Paul Lynde, Dom DeLouise | USA | 110 min | 1:2,35 | f | 9. Juni 1966

# 783 | 21. Oktober 2013