Liebe auf der Flucht
Que reste-t-il de nos amours? (3) Zurück bleibt Enttäuschung – in jeder Beziehung. Knapp zehn Jahre nach »Domicile conjugal« ist die Ehe von Antoine (Léaud) und Christine (Jade) gescheitert, nein, sie ist eher versickert, und sie wird in gegenseitigem Einvernehmen beendet wie ein interessantes, aber letztlich zweckloses Experiment. Antoine laviert sich weiter durch sein liebes Leben, jagt dem Gesicht auf einer zerrissenen Fotografie nach, schreibt ein Buch: »Les salades de l’amour«. Einen Salat richtet auch Truffaut an, indem er Dutzende von Sequenzen aus den früheren Doinel-Filmen (sowie anderen seiner Werke) herausschnibbelt und als Flashbacks unter den letzten Akt der fiktiv-autobiographischen Saga hebt. Nicht völlig mißglückt dieses heiter-besinnliche Resteessen, aber recht fad. Man hat chez François schon wesentlich besser gespeist.
R François Truffaut B François Truffaut, Marie-France Pisier, Jean Aurel, Suzanne Schiffman K Néstor Almendros M Georges Delerue A Jean-Pierre Kohut-Svelko S Martine Barraqué P François Truffaut D Jean-Pierre Léaud, Claude Jade, Marie-France Pisier, Dorothée, Dani | F | 94 min | 1:1,66 | f | 24. Januar 1979
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24.1.79
14.5.73
La nuit américaine (François Truffaut, 1973)
Die amerikanische Nacht
»Les films sont plus harmonieux que la vie.« Der große Liebesfilmregisseur François Truffaut erzählt seine große Liebesgeschichte mit dem Kino. In den Studios de la Victorine in Nizza (wo schon »Les enfants du paradis« von Carné und Prévert entstanden ist) wird ein Film gedreht: »Je vous présente Paméla« handelt von einem Mann, der sich in die Frau seines Sohne verliebt, oder von einer Frau, die sich in den Vater ihres Mannes verliebt, oder von einem Mann, dessen Frau sich in seinen Vater verliebt. Im Grunde ist die Fabel vollkommen gleichgültig, wichtig ist nur, daß dieser Film (der stellvertretend für alle Filme steht) gedreht wird, wichtig sind die Schauspieler, der alternde Beau und der launische Romantiker, die exaltierte Diva und der zerbrechliche weibliche Star, wichtig ist die Crew, das patente Scriptgirl und der vorlaute Requisiteur, der betriebsame Aufnahmeleiter und der joviale Produzent, nicht zu vergessen der Mann im Mittelpunkt, der Mann, dem ohne Unterlaß Fragen gestellt werden, Fragen, auf die er zumeist eine Antwort weiß, aber nicht immer: der Regisseur. Truffaut selbst spielt die Rolle des metteur en scène, der dazu bestimmt ist, in der Arbeit für das Kino sein eigentliches Lebensglück zu finden. Immer wieder eröffnet »La nuit américaine« Blicke hinter die Kulissen, zeigt den komplexen Herstellungsprozeß, betont geradezu die Künstlichkeit, das »Gemachte« eines Films. Wundersamerweise resultiert daraus keine Desillusion, ganz im Gegenteil: Indem er (natürlich nicht alle) seine Tricks enthüllt, bewahrt Truffaut die verführerische Zauberkraft des Mediums, dem er verfallen ist.
R François Truffaut B François Truffaut, Jean-Louis Richard, Suzanne Schiffman K Pierre-William Glenn M Georges Delerue A Damien Lanfranchi S Yann Dedet, Martine Barraqué P FRançois Truffaut D François Truffaut, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Léaud, Jean-Pierre Aumont, Valentina Cortese, Nathalie Baye | F & I | 116 min | 1:1,66 | f | 14. Mai 1973
# 953 | 13. Juni 2015
»Les films sont plus harmonieux que la vie.« Der große Liebesfilmregisseur François Truffaut erzählt seine große Liebesgeschichte mit dem Kino. In den Studios de la Victorine in Nizza (wo schon »Les enfants du paradis« von Carné und Prévert entstanden ist) wird ein Film gedreht: »Je vous présente Paméla« handelt von einem Mann, der sich in die Frau seines Sohne verliebt, oder von einer Frau, die sich in den Vater ihres Mannes verliebt, oder von einem Mann, dessen Frau sich in seinen Vater verliebt. Im Grunde ist die Fabel vollkommen gleichgültig, wichtig ist nur, daß dieser Film (der stellvertretend für alle Filme steht) gedreht wird, wichtig sind die Schauspieler, der alternde Beau und der launische Romantiker, die exaltierte Diva und der zerbrechliche weibliche Star, wichtig ist die Crew, das patente Scriptgirl und der vorlaute Requisiteur, der betriebsame Aufnahmeleiter und der joviale Produzent, nicht zu vergessen der Mann im Mittelpunkt, der Mann, dem ohne Unterlaß Fragen gestellt werden, Fragen, auf die er zumeist eine Antwort weiß, aber nicht immer: der Regisseur. Truffaut selbst spielt die Rolle des metteur en scène, der dazu bestimmt ist, in der Arbeit für das Kino sein eigentliches Lebensglück zu finden. Immer wieder eröffnet »La nuit américaine« Blicke hinter die Kulissen, zeigt den komplexen Herstellungsprozeß, betont geradezu die Künstlichkeit, das »Gemachte« eines Films. Wundersamerweise resultiert daraus keine Desillusion, ganz im Gegenteil: Indem er (natürlich nicht alle) seine Tricks enthüllt, bewahrt Truffaut die verführerische Zauberkraft des Mediums, dem er verfallen ist.
R François Truffaut B François Truffaut, Jean-Louis Richard, Suzanne Schiffman K Pierre-William Glenn M Georges Delerue A Damien Lanfranchi S Yann Dedet, Martine Barraqué P FRançois Truffaut D François Truffaut, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Léaud, Jean-Pierre Aumont, Valentina Cortese, Nathalie Baye | F & I | 116 min | 1:1,66 | f | 14. Mai 1973
# 953 | 13. Juni 2015
1.9.70
Domicile conjugal (François Truffaut, 1970)
Tisch und Bett
Que reste-t-il de nos amours? (2) Ja, was bleibt von der Liebe? Vielleicht: eine Ehe. Oder auch: ein Kind. Auf jeden Fall: die Ankunft im Alltag. François Truffaut (»Das Paar ist keine Lösung. Aber es gibt keine anderen Lösungen.«) präsentiert, zwei Jahre nach den geraubten Küssen, das verwehende Glück von Monsieur und Madame Doinel – zärtlich eingebettet in eine hinreißende Typenkomödie, die mitten im schönsten Robert-Doisneau-Paris spielt: Da sind der schnoddrige Bistro-Wirt, die liebestolle Kellnerin, der dickköpfige Veteran, der unheimliche Nachbar (genannt der »Würger«) und – als exotischer Beigabe – die japanische Versucherin mit Hang zu Harakiri. Außerdem das Ehepaar nebenan: sie (mollig, gackernd und immer zu spät) und er (spitzmündig-schweigsam und notorisch ungeduldig), der ihr schon mal enerviert Pelzmantel und Handtasche vorauswirft. In diesem Milieu werden Antoine und Christine D. erwachsen (sie mehr als er), kriegen einen Sohn (über dessen Namen – Alphonse oder Ghislain? – sie sich fast zerstreiten) und versuchen, ihre gegenseitige, sehr zerbrechliche Hingabe zu bewahren. Am Ende des Films, der leichter tut, als er ist, – nach Aufs und Abs, nach Krise und Versöhnung – werden die Doinels zur Karikatur der verspielt-verzankten Eheleute d’à côté. Jetzt, so heißt es, lieben sie sich wirklich. Wirklich?
R François Truffaut B François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon K Néstor Almendros M Antoine Duhamel A Jean Mandaroux S Agnès Guillemot P François Truffaut, Marcel Berbert D Jean-Pierre Léaud, Claude Jade, Hiroko Berghauer, Barbara Laage, Daniel Ceccaldi | F & I | 100 min | 1:1,66 | f | 1. September 1970
Que reste-t-il de nos amours? (2) Ja, was bleibt von der Liebe? Vielleicht: eine Ehe. Oder auch: ein Kind. Auf jeden Fall: die Ankunft im Alltag. François Truffaut (»Das Paar ist keine Lösung. Aber es gibt keine anderen Lösungen.«) präsentiert, zwei Jahre nach den geraubten Küssen, das verwehende Glück von Monsieur und Madame Doinel – zärtlich eingebettet in eine hinreißende Typenkomödie, die mitten im schönsten Robert-Doisneau-Paris spielt: Da sind der schnoddrige Bistro-Wirt, die liebestolle Kellnerin, der dickköpfige Veteran, der unheimliche Nachbar (genannt der »Würger«) und – als exotischer Beigabe – die japanische Versucherin mit Hang zu Harakiri. Außerdem das Ehepaar nebenan: sie (mollig, gackernd und immer zu spät) und er (spitzmündig-schweigsam und notorisch ungeduldig), der ihr schon mal enerviert Pelzmantel und Handtasche vorauswirft. In diesem Milieu werden Antoine und Christine D. erwachsen (sie mehr als er), kriegen einen Sohn (über dessen Namen – Alphonse oder Ghislain? – sie sich fast zerstreiten) und versuchen, ihre gegenseitige, sehr zerbrechliche Hingabe zu bewahren. Am Ende des Films, der leichter tut, als er ist, – nach Aufs und Abs, nach Krise und Versöhnung – werden die Doinels zur Karikatur der verspielt-verzankten Eheleute d’à côté. Jetzt, so heißt es, lieben sie sich wirklich. Wirklich?
R François Truffaut B François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon K Néstor Almendros M Antoine Duhamel A Jean Mandaroux S Agnès Guillemot P François Truffaut, Marcel Berbert D Jean-Pierre Léaud, Claude Jade, Hiroko Berghauer, Barbara Laage, Daniel Ceccaldi | F & I | 100 min | 1:1,66 | f | 1. September 1970
14.8.68
Baisers volés (François Truffaut, 1968)
Geraubte Küsse
Que reste-t-il de nos amours? Zum Beispiel ein Film. Zu dem eigentlich nichts zu sagen ist – außer vielleicht (am besten, vor einem Spiegel stehend, zu sich selbst laut ins Gesicht) Folgendes: Jean-Pierre Léaud! Claude Jade! Delphine Seyrig! François Truffaut! (Namen jeweils beliebig oft wiederholen.) Fernerhin sollte man zu Lob und Preis von »Baisers volés« ab und zu mal eine Coca-Cola im Foyer eines billigen Montmarte-Hotels trinken, mit einem sehr großen Mädchen ausgehen, einen Schuhkarton in Packpapier wickeln, zu einer Dame, die einem eine Tasse Kaffee reicht, »Merci, Monsieur!« sagen, einen Fernseher zerlegen, mit dem Freund oder der Freundin eine Flasche Wein aus dem Keller holen, einen Zwieback mit Butter bestreichen (Claude Jade verrät, wie es geht, ohne daß er zerbricht) und dazu ein Chanson von Charles Trénet hören. PS: Antoine Doinel! Antoine Doinel! Antoine Doinel!
R François Truffaut B François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon K Denys Clerval M Antoine Duhamel A Claude Pignot S Agnès Guillemot P François Truffaut, Marcel Berbert D Jean-Pierre Léaud, Claude Jade, Delphine Seyrig, Michael Lonsdale, Harry-Max | F | 90 min | 1:1,66 | f | 14. August 1968
Que reste-t-il de nos amours? Zum Beispiel ein Film. Zu dem eigentlich nichts zu sagen ist – außer vielleicht (am besten, vor einem Spiegel stehend, zu sich selbst laut ins Gesicht) Folgendes: Jean-Pierre Léaud! Claude Jade! Delphine Seyrig! François Truffaut! (Namen jeweils beliebig oft wiederholen.) Fernerhin sollte man zu Lob und Preis von »Baisers volés« ab und zu mal eine Coca-Cola im Foyer eines billigen Montmarte-Hotels trinken, mit einem sehr großen Mädchen ausgehen, einen Schuhkarton in Packpapier wickeln, zu einer Dame, die einem eine Tasse Kaffee reicht, »Merci, Monsieur!« sagen, einen Fernseher zerlegen, mit dem Freund oder der Freundin eine Flasche Wein aus dem Keller holen, einen Zwieback mit Butter bestreichen (Claude Jade verrät, wie es geht, ohne daß er zerbricht) und dazu ein Chanson von Charles Trénet hören. PS: Antoine Doinel! Antoine Doinel! Antoine Doinel!
R François Truffaut B François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon K Denys Clerval M Antoine Duhamel A Claude Pignot S Agnès Guillemot P François Truffaut, Marcel Berbert D Jean-Pierre Léaud, Claude Jade, Delphine Seyrig, Michael Lonsdale, Harry-Max | F | 90 min | 1:1,66 | f | 14. August 1968
3.8.67
La chinoise (Jean-Luc Godard, 1967)
Die Chinesin
Ein Jahr vor 1968 nimmt Jean-Luc Godard in einem spröden Lehrstück Hoffnungen, Verzettelung und Scheitern der Revolte vorweg. Auf der Bühne eines gutbürgerlichen Pariser Appartements führt eine Clique von fünf Akteuren (neben Jean-Pierre Léaud und Juliette Berto auch Anne Wiazemsky, die zweite Mme Godard) das ewige Theater der Linken auf: ihr weltfernes Theoretisieren, ihre nervtötende Besserwisserei, ihre selbstzerstörerischen Fraktionsbildungen, ihren nonchalanten Umgang mit anderer Leute Leben, ihr uneinsichtiges Selbstmitleid am Morgen nach dem historischen Fehlschlag. »La chinoise«: ein prophetisches Zeitdokument.
R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard K Raoul Coutard S Agnès Guillemot, Delphine Desfons P Philippe Dussart D Anne Wiazemsky, Jean-Pierre Léaud, Juliette Berto, Michel Semeniako, Lex de Bruijn | F | 96 min | 1:1,37 | f | 3. August 1967
Ein Jahr vor 1968 nimmt Jean-Luc Godard in einem spröden Lehrstück Hoffnungen, Verzettelung und Scheitern der Revolte vorweg. Auf der Bühne eines gutbürgerlichen Pariser Appartements führt eine Clique von fünf Akteuren (neben Jean-Pierre Léaud und Juliette Berto auch Anne Wiazemsky, die zweite Mme Godard) das ewige Theater der Linken auf: ihr weltfernes Theoretisieren, ihre nervtötende Besserwisserei, ihre selbstzerstörerischen Fraktionsbildungen, ihren nonchalanten Umgang mit anderer Leute Leben, ihr uneinsichtiges Selbstmitleid am Morgen nach dem historischen Fehlschlag. »La chinoise«: ein prophetisches Zeitdokument.
R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard K Raoul Coutard S Agnès Guillemot, Delphine Desfons P Philippe Dussart D Anne Wiazemsky, Jean-Pierre Léaud, Juliette Berto, Michel Semeniako, Lex de Bruijn | F | 96 min | 1:1,37 | f | 3. August 1967
Labels:
Gesellschaft,
Godard,
Jugend,
Kommunismus,
Léaud,
Paris,
Politik,
Revolution
22.6.62
Antoine et Colette (L’amour à vingt ans) (François Truffaut, 1962)
Antoine und Colette (Liebe mit zwanzig)
Nachdem sich François Truffaut mit »Les 400 coups« nicht ohne Bitterkeit an der eigenen freudlosen Kindheit abgearbeitet hatte, läßt er (im Rahmen eines internationalen film à sketches) sein zweites Ich Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) als Hauptfigur einer liebenswürdigen, keineswegs oberflächlichen Etüde zum Thema »L’amour à vingt ans« wiederauferstehen: Antoine, nun 16 Jahre alt, lebt alleine, preßt tagsüber bei Philips Schallplatten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen; abends besucht er regelmäßig die Konzerte der Jeunesses Musicales, wo er Colette (Marie-France Pisier) begegnet, in die er sich verliebt. Bald schon ist er regelmäßiger (und – für ihn besonders wichtig – gerngesehener) Gast bei ihr zu Hause; sie scheint ihn auch zu mögen, sieht in ihm letztlich aber nicht mehr als einen guten Kumpel … »Antoine et Colette« (der Titel evoziert, sicherlich nicht ganz zufällig, die Erinnerung an Jacques Beckers ausgelassene Pariser Beziehungsfilme »Antoine et Antoinette« und »Edouard et Caroline«) verweigert seinem Protagonisten zwar (ironisch) die Erfüllung der ersten großen Liebe, schenkt ihm aber – auch nicht zu verachten – Selbstwertgefühl und persönliche Freiheit: Wenn Antoine morgens zu den Klängen von Bach und den Zügen der Frühstückszigarette die Fenster seines Hotelzimmers öffnet, liegt ihm die ganze Welt (in Gestalt der belebten place Clichy) zu Füßen. Das einzige Manko dieser frischen, gekonnt aus dem Handgelenk geschüttelten Improvisation ist ihre allzu kurze Laufzeit – Truffaut, der sich hier wohl auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Potenz befindet, hätte mit einem Langfilm über Antoines salade de l’amour möglicherweise sein Meisterwerk gedreht.
R François Truffaut B François Truffaut K Raoul Coutard M Georges Delerue S Claudine Bouché P Pierre Roustang D Jean-Pierre Léaud, Marie-France Pisier, Patrick Auffay, Rosy Varte, François Darbon | F (& I & JP & PL & BRD) | 29 (120) min | 1:2,35 | sw | 22. Juni 1962
Nachdem sich François Truffaut mit »Les 400 coups« nicht ohne Bitterkeit an der eigenen freudlosen Kindheit abgearbeitet hatte, läßt er (im Rahmen eines internationalen film à sketches) sein zweites Ich Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) als Hauptfigur einer liebenswürdigen, keineswegs oberflächlichen Etüde zum Thema »L’amour à vingt ans« wiederauferstehen: Antoine, nun 16 Jahre alt, lebt alleine, preßt tagsüber bei Philips Schallplatten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen; abends besucht er regelmäßig die Konzerte der Jeunesses Musicales, wo er Colette (Marie-France Pisier) begegnet, in die er sich verliebt. Bald schon ist er regelmäßiger (und – für ihn besonders wichtig – gerngesehener) Gast bei ihr zu Hause; sie scheint ihn auch zu mögen, sieht in ihm letztlich aber nicht mehr als einen guten Kumpel … »Antoine et Colette« (der Titel evoziert, sicherlich nicht ganz zufällig, die Erinnerung an Jacques Beckers ausgelassene Pariser Beziehungsfilme »Antoine et Antoinette« und »Edouard et Caroline«) verweigert seinem Protagonisten zwar (ironisch) die Erfüllung der ersten großen Liebe, schenkt ihm aber – auch nicht zu verachten – Selbstwertgefühl und persönliche Freiheit: Wenn Antoine morgens zu den Klängen von Bach und den Zügen der Frühstückszigarette die Fenster seines Hotelzimmers öffnet, liegt ihm die ganze Welt (in Gestalt der belebten place Clichy) zu Füßen. Das einzige Manko dieser frischen, gekonnt aus dem Handgelenk geschüttelten Improvisation ist ihre allzu kurze Laufzeit – Truffaut, der sich hier wohl auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Potenz befindet, hätte mit einem Langfilm über Antoines salade de l’amour möglicherweise sein Meisterwerk gedreht.
R François Truffaut B François Truffaut K Raoul Coutard M Georges Delerue S Claudine Bouché P Pierre Roustang D Jean-Pierre Léaud, Marie-France Pisier, Patrick Auffay, Rosy Varte, François Darbon | F (& I & JP & PL & BRD) | 29 (120) min | 1:2,35 | sw | 22. Juni 1962
Labels:
Antoine Doinel,
Jugend,
Léaud,
Musik,
Nouvelle Vague,
Paris,
Romanze,
Truffaut
4.5.59
Les 400 coups (François Truffaut, 1959)
Sie küßten und sie schlugen ihn
François Truffauts semiautobiographische Abrechnung mit den Autoritäten seiner Jugend: Als sei er selbst noch einmal 12½, stellt der Regisseur sein Alter Ego, den halbwüchsigen Antoine Doinel (intensiv: Jean-Pierre Léaud), frontal einem verständnislos-unverständlichen Milieu gegenüber, das mit dem Tunnelblick der Pubertät betrachtet wird: Die Mutter ist ein garstiges Flittchen, der (Stief-)Vater ein überforderter Schlappschwanz, die Lehrer erscheinen als bösartige Witzfiguren; Momente der Freundlichkeit, gar des Verstehens zwischen den Generationen (= Fronten) sind trügerisch, werden im nächsten Augenblick schon wieder von gefühlskalten Böen hinfortgeweht. Alle gegen einen – einer gegen alle: Dem ungeliebten Antoine, der seine Liebe Balzac und dem Kino schenkt, bleibt nichts als die Flucht aus der Gemeinheit – in die Matineen und auf den Rummel, in die Bücher und in die Pariser Nacht –, ein (mitunter kleinkrimineller) Freiheitsdrang, der von den elterlichen, schulischen, schließlich auch polizeilichen Gewalten nur als Renitenz gedeutet werden kann, die gebrochen werden muß. Durch die konsequente filmische Verabsolutierung der Perspektive des ungestüm-bevormundeten Helden verzichtet Truffaut zwar (willentlich) auf eine differenzierte Beschreibung des eng(herzig)en Kosmos seines Entwicklungsromans, führt (und trifft) aber auf diese Weise mitten hinein in die problematische Seelenwelt seines so melancholischen wie couragierten Protagonisten.
R François Truffaut B François Truffaut, Marcel Moussy K Henri Decaë M Jean Constantin A Bernard Evein S Marie-Josèphe Yoyotte P François Truffaut D Jean-Pierre Léaud, Claire Maurier, Albert Rémy, Guy Decomble, Patrick Auffay | F | 99 min | 1:2,35 | sw | 4. Mai 1959
François Truffauts semiautobiographische Abrechnung mit den Autoritäten seiner Jugend: Als sei er selbst noch einmal 12½, stellt der Regisseur sein Alter Ego, den halbwüchsigen Antoine Doinel (intensiv: Jean-Pierre Léaud), frontal einem verständnislos-unverständlichen Milieu gegenüber, das mit dem Tunnelblick der Pubertät betrachtet wird: Die Mutter ist ein garstiges Flittchen, der (Stief-)Vater ein überforderter Schlappschwanz, die Lehrer erscheinen als bösartige Witzfiguren; Momente der Freundlichkeit, gar des Verstehens zwischen den Generationen (= Fronten) sind trügerisch, werden im nächsten Augenblick schon wieder von gefühlskalten Böen hinfortgeweht. Alle gegen einen – einer gegen alle: Dem ungeliebten Antoine, der seine Liebe Balzac und dem Kino schenkt, bleibt nichts als die Flucht aus der Gemeinheit – in die Matineen und auf den Rummel, in die Bücher und in die Pariser Nacht –, ein (mitunter kleinkrimineller) Freiheitsdrang, der von den elterlichen, schulischen, schließlich auch polizeilichen Gewalten nur als Renitenz gedeutet werden kann, die gebrochen werden muß. Durch die konsequente filmische Verabsolutierung der Perspektive des ungestüm-bevormundeten Helden verzichtet Truffaut zwar (willentlich) auf eine differenzierte Beschreibung des eng(herzig)en Kosmos seines Entwicklungsromans, führt (und trifft) aber auf diese Weise mitten hinein in die problematische Seelenwelt seines so melancholischen wie couragierten Protagonisten.
R François Truffaut B François Truffaut, Marcel Moussy K Henri Decaë M Jean Constantin A Bernard Evein S Marie-Josèphe Yoyotte P François Truffaut D Jean-Pierre Léaud, Claire Maurier, Albert Rémy, Guy Decomble, Patrick Auffay | F | 99 min | 1:2,35 | sw | 4. Mai 1959
Labels:
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