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28.6.72

Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Rainer Werner Fassbinder, 1972)

»Der Mensch ist so gemacht, daß er den anderen Menschen braucht, doch hat er nicht gelernt, wie man zusammen ist.« Hochfrisiert-pelzkragenumbauschtes Edel-Melo-Kammerspiel im Appartement der kultivierten Petra von Kant (Margit Carstensen), die bislang nur lieben ließ und nun zum ersten Male selbst in die Verlegenheit kommt, ihr Herz zu verlieren. Rainer Werner Fassbinder bringt sein eigenes Theaterstück auf die Leinwand, ohne der Versuchung zu erliegen, den intimen Rahmen der Bühne aufzubrechen: In der drückenden Ausweglosigkeit des luft- und blickdichten Settings, halb Boudoir, halb Atelier, erlebt die Titelheldin den emotionalen Abstieg von der umhätschelten Prinzessin auf der Erbse zum besoffenen Wrack, das sich hysterisch auf dem Flokati wälzt und das Telefon anwimmert, endlich zu klingeln – an ihrer Seite: Hanna Schygulla als kalkulierend-lässige Geliebte sowie Irm Hermann als stumm-devote Dienerin. Synthetisch-eindringlich, aber auch nicht ganz ohne die Dialog-Häme eines Joseph L. Mankiewicz (an dessen Bitchiness-Studie »All About Eve« die zentrale Konstellation erinnert) veranschaulicht Fassbinder fatale Wechselwirkungen der Paarbeziehung: Verehrung und Demütigung, Abhängigkeit und Ausbeutung, Verlustangst und Distanzierung, Dominanz und Unterwerfung. Petra von Kant wird die Liebe dennoch überleben, denn wie sagt sie selbst: »Der Mensch ist schlimm. Letztlich erträgt er alles. Alles.«

R Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder V Rainer Werner Fassbinder K Michael Ballhaus M diverse A Kurt Raab S Thea Eymèsz P Rainer Werner Fassbinder D Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Irm Hermann, Katrin Schaake, Gisela Fackeldey | BRD | 124 min | 1:1,37 | f | 28. Juni 1972

22.12.54

Huis clos (Jacqueline Audry, 1954)

Geschlossene Gesellschaft

Die erste Frage des Neuankömmlings gilt den Folterwerkzeugen. Der joviale Hausdiener kann darüber nur lachen (er lacht überhaupt recht viel): In der Hölle benötigt man keine komplizierten Instrumente zur Marter der Verdammten. Es reichen ein intimer, leicht überheizter Salon style Napoléon III, geschlossene Türen und (jetzt wird es infam): zwei Mitbewohner. »Three’s a crowd«, sagt eine englische Redensart, ein französischer Dramatiker-Philosoph postuliert: »L’enfer c’est les autres« – und sperrt zum Beweis dieser These einen großsprecherisch-feigen Revoluzzer, ein reiches Flittchen sowie eine sarkastische Lesbe zusammen, die sich das (Nach-)Leben gegenseitig, man ahnt es: zur Hölle machen, indem sie Eigensucht und Selbstbetrug, Gier und Schuld der anderen mitleidlos enthüllen. Jacqueline Audrys Leinwand-Adaption des parabolischen Sartre-Stücks funktioniert immer dann, wenn sie die drei armen Teufel streiten, höhnen, zetern, heulen läßt – sobald der Film jedoch das geschmacklose Unterweltgemach verläßt, um in Flashbacks Vergangenheit und Charakter der Delinquenten zu illustrieren, verlieren sich mit der klaustrophobischen Enge des Settings auch die kammerspielhafte Konzentration und die gallig-ironische Härte des Befundes über die (ausweglose) menschliche Grundsituation.

R Jacqueline Audry B Pierre Laroche V Jean-Paul Sartre K Robert Juillard M Joseph Kosma A Maurice Colasson S Marguerite Beaugé P Edmond Ténoudji D Arletty, Franck Villard, Gaby Sylvia, Yves Deniaud, Nicole Courcel | F | 95 min | 1:1,37 | sw | 22. Dezember 1954

29.5.54

Dial M for Murder (Alfred Hitchcock, 1954)

Bei Anruf Mord

Dial M for Meisterstück. Mit seiner konzentrierten Verfilmung eines gutgebauten Bühnenthrillers will Alfred Hitchcock offenbar weder sich noch dem Publikum etwas beweisen: Eine straffe Regie ohne visuelle Pirouetten und ein erstklassiges Ensemble (Ray Milland als tödlicher Ehemann, Grace Kelly als wehrlose wife in distress, Robert Cummings als verliebter Amateurdetektiv, John Williams als erzkorrekter Chief Inspector, Anthony Dawson als verhinderter Täter und nützliches Opfer) variieren (mit viel Sinn für boulevardeske Pointierung) das Hitchcock’sche Lieblingsthema der Übertragung von Schuld – diesmal erzählt aus der Perspektive des kultivierten Schurken, verdichtet auf einen einzigen Set, dessen inszenatorische Möglichkeiten klug ausgeschöpft werden. Dazu ein Telefon, ein Paar Strümpfe, ein Brief, eine Schere, zwei Schlüssel – und fertig ist das (fast) perfekte Film-Verbrechen: »In stories things usually turn out the way the author wants them to; and in real life they don't … always.«

R Alfred Hitchcock B Frederick Knott V Frederick Knott K Robert Burks M Dimitri Tiomkin A Edward Carrere Ko Moss Mabry S Rudi Fehr P Alfred Hitchcock D Ray Milland, Grace Kelly, Robert Cummings, John Williams, Anthony Dawson | USA | 105 min | 1:1,37 | f | 29. Mai 1954