30.8.56

Heute heiratet mein Mann (Kurt Hoffmann, 1956)

Kurt Hoffmann verlegt seine Adaption des Romans der exilierten Wienerin Annemarie Selinko aus dem Kopenhagen des Spätsommers 1939 ins Hamburg der Wirtschaftswunderjahre. Von den zeithistorischen Bezügen der Vorlage (Siegeszug des Nationalsozialismus, Beginn des Zweiten Weltkriegs) befreit, widmet sich die heitere Romanze mit bisweilen lubitschhafter Nonchalance den Liebeswirren zwischen der quirlig-unbekümmerten Modezeichnerin Thesi (Liselotte Pulver), die es fertigbringt, in einem winzigen Täschchen zwei Opernkarten zu verkramen, und dem väterlich-pedantischen Architekten Robert (Johannes Heersters), der die Dame(n) seines Herzens mit artiger Anzüglichkeit »Bumsi« zu nennen pflegt. Einige Zeit nach der einvernehmlichen Scheidung aufgrung wechselseitiger Enttäuschung erfährt Thesi – zufällig beim Zahnarzt – von Roberts neuerlichen Verlobung, bändelt flott mit eins, zwei, drei Herren an, von denen sie einen (Paul Hubschmid als gefälliger Diplomat) beinahe heiratet, bevor sie – nach einem sechswöchigen Scharlach-Intermezzo – erwartungsgemäß zu ihrem Ex zurückfindet. Wie die Heldin experimentiert Hoffmanns bundesdeutsche Variation einer »comedy of remarriage« kokett mit der Flatterhaftigkeit, um zu guter Letzt in den Hafen der Stabilität einzulaufen – nicht ohne nahezulegen, das, was sich in Partnerschaften abspielt, so leicht wie möglich zu nehmen, denn »in der Ehe bleibt man immer zwei Herzen und zwei Seelen«.

R Kurt Hoffmann B Johanna Sibelius, Eberhard Keindorff V Annemarie Selinko K Günther Anders M Hans-Martin Majewski A Robert Herlth S Gertrud Hinz P Georg Witt D Liselotte Pulver, Johannes Heesters, Paul Hubschmid, Charles Regnier, Gustav Knuth | BRD | 95 min | 1:1,37 | sw | 30. August 1956

# 1071 | 21. August 2017

24.8.56

Bob le flambeur (Jean-Pierre Melville, 1956)

Drei Uhr nachts

»Voici tel qu’on vous racontera à Montmartre, la très curieuse histoire de Bob le flambeur.« Nach Jacques Beckers »Touchez pas au grisbi« (1954) und Jules Dassins »Du rififi chez les hommes« (1955) inszeniert Jean-Pierre Melville 1956 den dritten großen heist film des französischen Nachkriegskinos. Während Becker das Geschehen nach einem Raubzug erzählt, Dassin sich dagegen fast vollständig auf den Ablauf eines Einbruches konzentriert, schildert »Bob le flambeur« die Vorgeschichte eines Überfalls – der letztendlich nicht stattfinden wird. Mehr noch als auf die konkreten Vorbereitungen der Tat richtet Melville sein (fast ethnographisches) Augenmerk dabei auf die handelnden Personen, auf ihre Beziehungen zueinander, auf das (zwielichtig-neonglänzende) Milieu, in dem sie gewinnen und verlieren, leben und sterben. Im Zentrum des filmischen Interesses steht Bob: fashionable, silberhaarig, ein (meist glückloser) Spieler, »un vieux jeune homme«; als die finale Pleite droht, plant er den Befreiungsschlag: den ganz großen Coup. In einer (formal stellenweise etwas grobgeschliffenen) Mischung aus genretypischer Stilisierung und impressionistisch-improvisatorischer Prä-Nouvelle-Vague-Ästhetik verbeugt sich Melville einerseits vor seinen amerikanischen Vorbildern, zeichnet zum anderen eine poetische Topographie der Stadt Paris (genauer gesagt: der Gegend von Pigalle) zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen, unternimmt eine intime Seelenschau der Parigot(e)s, folgt ihnen durch die Müdigkeit des Tages in die Leidenschaft(en) der Nacht, zeigt ihre Treubrüche und ihre Kameradschaft, ihre Gier und ihre Generosität. In einer ironischen Schlußpointe beschert Melville seinem Helden den ganz großen Gewinn – freilich nicht unbedingt den, auf welchen Bob, der alte junge Vabanquier, zuvor spekuliert hatte …

R Jean-Pierre Melville B Jean-Pierre Melville, Auguste Le Breton K Henri Decaë M Eddie Barclay, Jo Boyer A Claude Bouxin S Monique Bonnot P Jean-Pierre Melville, Serge Silberman D Roger Duchesne, Isabelle Corey, Daniel Cauchy, André Garet, Guy Decomble | F | 98 min | 1:1,37 | sw | 24. August 1956

16.8.56

Der Hauptmann von Köpenick (Helmut Käutner, 1956)

»Nu lach doch nich immer, dit is doch ernst!« Ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung, ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit – ein »deutsches Märchen« über den Teufelskreis von Korrektheit und Gesetz: »Bei uns geht Recht und Ordnung über alles.« Und darüber steht die Uniform … Die Kritik an Untertanengeist und Gleichschritt (in Zeiten der west- und ostdeutschen Wiederbewaffnung) bleibt in Helmut Käutners beschaulicher Adaption der ewigen wilhelminischen Militärposse um den gebeutelten Schuster Wilhelm Voigt (Heinz Rühmann), den erst der Offiziersrock zum Menschen macht, indes recht dekorativ (die illusionistischen Dekorationen schufen Herbert Kirchhoff und Albrecht Becker) – der sarkastische Beiklang im sentimentalen Berliner Schnodderton liegt wohl weder dem rheinischen Regisseur noch dem Essener Hauptdarsteller im Blut. Bevor die Entlarvung von subalterner Gesinnung schallend weggelacht wird (»Dit is ja unmöchlich!«), darf allerdings eine ganze Kompanie ausgezeichneter Nebendarsteller – unter anderem: Friedrich Domin (als säbelrasselnder Gefängnisdirektor), Walter Giller (als ungerader Schneidersohn), Edith Hancke (als tuberkulöse Untermieterin), Martin Held (als unterwürfiger Oberbürgermeister), Willy A. Kleinau (als kreuzbrave Beamtenseele), Siegfried Lowitz (als serviler Stadtkämmerer), Wolfgang Neuss (als unbelehrbarer Zuchthäusler), Erich Schellow (als reinrassiger Hauptmann) – aufmarschieren und in pointierten Darbietungen mannigfach Talent entfalten.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner, Carl Zuckmayer V Carl Zuckmayer K Albert Benitz M Bernhard Eichhorn A Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker S Klaus Dudenhöfer P Walter Koppel D Heinz Rühmann, Martin Held, Hannelore Schroth, Erich Schellow, Willy A. Kleinau | BRD | 93 min | 1:1,37 | f | 16. August 1956

2.8.56

Bigger Than Life (Nicholas Ray, 1956)

Eine Handvoll Hoffnung

»God was wrong!« Irgendwo in den 1950er Jahren: Ed Avery (James Mason) ist Lehrer, ein bißchen überheblich und ziemlich unterbezahlt. Mit Frau und Sohn lebt er das Leben, das die Wohlstandsgesellschaft ihm und seinesgleichen gewährt: ein Haus in suburbia, Plakate von unerreichbaren Orten an den Wänden, Bridge-Abende mit sogenannten Freunden – und täglich grüßt der Milchmann. »Let’s face it, we’re dull.« Dann wird Ed krank, todkrank. Nur ein Wundermittel (es handelt sich um Cortison – doch das ist im Grunde nebensächlich) kann ihm helfen – und es hilft. Ed geht es plötzlich besser denn je, er fühlt sich »ten feet tall«. Aber er übertreibt es, schluckt weit mehr als die empfohlene Dosis, entwickelt eine Psychose mit manischen Schüben. Das Grauen, das sich nun Bahn bricht, liegt nicht darin begründet, daß Ed ein anderer würde – nein, er wird er selbst. Das latente Gefühl, etwas Besseres zu sein, zerbricht das fragile Gerüst der Selbstkontrolle: Es läßt Ed nicht nur Dior-Kleider für seine Frau kaufen, es führt ihn bis an jenen Punkt, wo er den eigenen Sohn auf dem Altar seiner Ideale zu opfern bereit ist … Nicholas Ray gibt ein knackscharfes Röntgenbild des real-existierenden Konsumismus – auch damit daß er harmlos-banale Alltagsobjekte (einen Football, einen Milchkrug, einen Fernseher) zu Symbolen des home made terror stilisiert, und so die Nachtschatten hinter der lichten Fassade des (nicht nur) american way of life bloßlegt. PS: Aus seinem Alptraum erwacht Ed übrigens mit den Worten: »Turn out the sun!« – nicht gerade das rundeste happy ending der Filmgeschichte.

R Nicholas Ray B Cyril Hume, Richard Maibaum V Burton Roueche K Joseph MacDonald M David Raksin A Jack Martin Smith, Lyle R. Wheeler S Louis R. Loeffler P James Mason D James Mason, Barbara Rush, Walter Matthau, Christopher Olsen, Robert F. Simon | USA | 95 min | 1:2,55 | f | 2. August 1956