Tristana
Toledo, Ende der 1920er Jahre. Nach dem Tod der Mutter kommt die 18jährige Vollwaise Tristana (Catherine Deneuve) unter die Obhut des alternden Don Lope (Fernando Rey). Der freigeistige Edelmann, ein ebenso großspuriger wie finanzschwacher Bonvivant mit dezidierten Einstellungen zu Religion (Aberglauben!) und Erwerbsarbeit (Niemals!), drängt seinem schönen Mündel, ohne lange zu zögern, die Rolle der Geliebten auf ... Mit frostiger Distanz beobachtet Luis Buñuel die gegensätzliche Entwicklung des ungleichen Paares: Während sich Tristana vom unschuldig-abhängigen Geschöpf, das dem Vormund die Pantoffeln nachträgt, schrittweise in eine erbittert-gebieterische Megäre verwandelt, schrumpft der anfangs so selbstüberzeute Don Lope zum fügsam-kränklichen Popanz, dessen letztes Vergnügen das Kakaoschlürfen im Kreise der einst geschmähten katholischen Priester ist – weder die eine noch der andere sind souveräne Gestalter des eigenen Schicksals, vielmehr bald lächerlich traurige, bald bemitleidenswert blinde Opfer erstarrter gesellschaftlicher Zustände. Toledo, die alte Hauptstadt Kastiliens und Hochburg des spanischen Katholizismus, in deren enge, verwinkelte Gassen Buñuel kaum je einen Sonnenstrahl dringen läßt, erscheint als idealer Schauplatz des sarkastischen Dramas.
R Luis Buñuel B Luis Buñuel, Julio Alejandro V Benito Pérez Galdós K José F. Aguayo A Enrique Alarcón S Pedro del Rey P Luis Buñuel, Robert Dorfmann D Catherine Deneuve, Fernando Rey, Franco Nero, Lola Gaos, Jesús Fernández | E & F & I | 100 min | 1:1,66 | f | 29. März 1970
# 1026 | 28. September 2016
29.3.70
Tristana (Luis Buñuel, 1970)
Labels:
20er Jahre,
Buñuel,
Deneuve,
Drama,
Ehe,
Gesellschaft,
Nero,
Religion,
Rey,
Toledo
20.3.70
Unter den Dächern von St. Pauli (Alfred Weidenmann, 1970)
»Beruf?« – »Machen Se einfach ’n Strich.« Grobkörnige 24-Stunden-Kiez-Kolportage, die mit trivialer Eleganz mehrere Handlungsstränge verknüpft: Ein Geschäftsmann erschießt seine Gattin, weil er es nicht erträgt, daß sie allabendlich vor geilem Publikum ihre Brüste schwingt; ein biederer Studienrat wird von seinen Schülern in die Falle des süßen Lebens gelockt; ein sanfter Bänkelsänger rächt den gewaltsamen Tod seiner Frau; ein rechtschaffener Vater findet seine erlebnishungrige Tochter (»Es war ihr in Flensburg einfach zu langweilig.«) als Striptiseuse in einem Reeperbahn-Etablissement wieder und treibt ungewollt (?) ihren Preis in die Höhe … Ein Vierteljahrhundert nach ihrer ersten Zusammenarbeit (»Junge Adler«) widmen sich Autor Herbert Reinecker und Regisseur Alfred Weidenmann einmal mehr ihrem großen Thema: der Darstellung des Verhältnisses von Jung und Alt unter besonderer Berücksichtigung der (varianten) Grundsätze ethischen Handelns. »Unter den Dächern von St. Pauli«, gleichermaßen schund-veristische Studie der Doppelmoral und lüstern-zwielichtiges On-location-Sittenbild, bietet dabei Raum für markante Darstellerleistungen: Jean-Claude Pascal als melancholischer Mörder, Joseph Offenbach als faunischer Philister, Werner Peters als feister Unterweltbaron. Und Hamburg, der rot illuminierte großstädtische Sündenpfuhl, wird zum Fegefeuer, das der Provinzler notwendigerweise zu durchlaufen hat – denn: »Lübeck muß vernichtet werden!« PS: Nicht zu vergessen die Namen, diese einmaligen Reinecker-Namen: Dr. Pasucha und Hausach, Dr. Himboldt und Egon Mills (nebst Tochter Agnes).
R Alfred Weidenmann B Herbert Reinecker K Karl Löb M Peter Thomas A Horst Dotzauer S Walter von Bonhorst P Reginald Puhl D Jean-Claude Pascal, Joseph Offenbach, Werner Peters, Ralf Schermuly, Inger Zielke | BRD | 88 min | 1:1,66 | f | 20. März 1970
R Alfred Weidenmann B Herbert Reinecker K Karl Löb M Peter Thomas A Horst Dotzauer S Walter von Bonhorst P Reginald Puhl D Jean-Claude Pascal, Joseph Offenbach, Werner Peters, Ralf Schermuly, Inger Zielke | BRD | 88 min | 1:1,66 | f | 20. März 1970
13.3.70
Les choses de la vie (Claude Sautet, 1970)
Die Dinge des Lebens
(Bemittelten) Menschen beim Leben (und Sterben) zugucken – so könnte man das ebenso banale wie aufregende filmische Programm von Claude Sautet zusammenfassen. »Les choses de la vie« (man beachte den herausfordernd gewöhnlichen Titel) erzählt – nach einem Szenario von Jean-Loup Dabadie – von Pierre (Michel Piccoli), einem Architekten, der seinem früheren Leben mit Catherine (Lea Massari) nachträumt, während er doch eigentlich ein neues mit Hélène (Romy Schneider) beginnen möchte. Ein Autounfall mit einem silbernen Alfa Romeo Giulietta Sprint (so viel Stil muß sein) läßt all seine irdischen Hoffnungen und Zweifel obsolet werden. Wenige Regisseure haben den kindischen Willen zur Größe und das erbärmliche Gefühl der Leere, aber auch den sympathischen Hang zur Schönheit und die elementare Lust am guten Leben, die der verdammten, trivial-erlesenen wohlstandsbürgerlichen Existenz innewohnen, so hin- und mitreißend, so teilnehmend (selbst-)kritisch ins Kino getragen wie eben Sautet. »Je regarde le soir tomber dans les miroirs. C'est la vie.«
R Claude Sautet B Jean-Loup Dabadie, Paul Guimard, Claude Sautet V Paul Guimard K Jean Boffety M Philippe Sarde A André Piltant S Jacqueline Thiédot P Jean Bolvary, Raymond Danon, Roland Girard D Michel Piccoli, Romy Scheider, Lea Massari, Jean Bouise, Bobby Lapointe | F & I & CH | 89 min | 1:1,66 | f | 13. März 1970
(Bemittelten) Menschen beim Leben (und Sterben) zugucken – so könnte man das ebenso banale wie aufregende filmische Programm von Claude Sautet zusammenfassen. »Les choses de la vie« (man beachte den herausfordernd gewöhnlichen Titel) erzählt – nach einem Szenario von Jean-Loup Dabadie – von Pierre (Michel Piccoli), einem Architekten, der seinem früheren Leben mit Catherine (Lea Massari) nachträumt, während er doch eigentlich ein neues mit Hélène (Romy Schneider) beginnen möchte. Ein Autounfall mit einem silbernen Alfa Romeo Giulietta Sprint (so viel Stil muß sein) läßt all seine irdischen Hoffnungen und Zweifel obsolet werden. Wenige Regisseure haben den kindischen Willen zur Größe und das erbärmliche Gefühl der Leere, aber auch den sympathischen Hang zur Schönheit und die elementare Lust am guten Leben, die der verdammten, trivial-erlesenen wohlstandsbürgerlichen Existenz innewohnen, so hin- und mitreißend, so teilnehmend (selbst-)kritisch ins Kino getragen wie eben Sautet. »Je regarde le soir tomber dans les miroirs. C'est la vie.«
R Claude Sautet B Jean-Loup Dabadie, Paul Guimard, Claude Sautet V Paul Guimard K Jean Boffety M Philippe Sarde A André Piltant S Jacqueline Thiédot P Jean Bolvary, Raymond Danon, Roland Girard D Michel Piccoli, Romy Scheider, Lea Massari, Jean Bouise, Bobby Lapointe | F & I & CH | 89 min | 1:1,66 | f | 13. März 1970
12.3.70
Die Herren mit der weißen Weste (Wolfgang Staudte, 1970)
Die Katze läßt das Mausen nicht: Der pensionierte Oberlandesgerichtsrat Zänker (Martin Held) spannt eine Reihe von alten (und sehr alten) Freunden ein, um das zu bewerkstelligen, was ihm nicht gelang, als er noch in Amt und Würden war: den Gauner ›Dandy‹ Stiegler (Mario Adorf) hinter Schloß und Riegel zu bringen. Die rüstigen Senioren (u. a. Heinz Erhardt, Rudolf Platte, Rudolf Schündler und die bezaubernd-harthörige Agnes Windeck) nehmen dabei, in vergnügter Ignoranz der gerade statthabenden 68er-Revolte, die Gelegenheit wahr, der jüngeren Generation zu zeigen, was eine Harke ist. Das von Wolfgang Staudte mit krimikomödiantischer Beschaulichkeit ins Bild gesetzte (West-) Berlin kennt denn auch weder Teach-in noch Springer-Demo, sondern nur fröhlich bejubelte Alliierten-Parade und Fußball im Olympiastadion (Hertha BSC schlägt Juventus Turin 3:1); wenigstens darf Hannelore Elsner als flatterhaftes Gangsterliebchen ein paar modisch schrille Fummel spazierentragen.
R Wolfgang Staudte B H. O. Gregor (= Horst Wendlandt) K Karl Löb M Peter Thomas A Christoph Hertling S Jane Seitz P Horst Wendlandt D Martin Held, Mario Adorf, Walter Giller, Heinz Erhardt, Agnes Windeck | BRD | 91 min | 1:1,66 | f | 12. März 1970
R Wolfgang Staudte B H. O. Gregor (= Horst Wendlandt) K Karl Löb M Peter Thomas A Christoph Hertling S Jane Seitz P Horst Wendlandt D Martin Held, Mario Adorf, Walter Giller, Heinz Erhardt, Agnes Windeck | BRD | 91 min | 1:1,66 | f | 12. März 1970
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