18.9.70

Engel, die ihre Flügel verbrennen (Zbynek Brynych, 1970)

Die erzählerischen Leitmotive (und Lebensthemen) Herbert Reineckers, dieses Trivial-Boccaccio der wohlstandssatten Bundesrepublik – das unschuldig Schuldigwerden und die Schwierigkeiten junger Menschen, ihren Platz in einer (wahlweise: verlotterten, gefühllosen, feindlichen) Gesellschaft zu finden –, explodieren in der hypnotisch-hektischen Sicht des durchgeknallten Tschechen Zbynek Brynych zu einem Zinnober der Ausweglosigkeit, zu einem optisch-akustischen Rausch der Linsenfahrten und Kamerawischer, der Verkantungen und Verzerrungen, der zermürbenden musikalischen Reprisen und der Dialoge, die stets anmuten wie Selbstgespräche zu mehreren. »Engel, die ihre Flügel verbrennen« kolportiert die Welt der Erwachsenen als (High-Society-) Kindergarten der Indolenz, der Triebhaftigkeit, des Selbstekels, kurz: der tiefen menschlich-moralischen Korruption; die Farce, die die Alten (im huis clos eines luxuriösen Münchner Apartment-Hochhauses) aufführen, wiederholt sich in der Tragödie der Kinder, die dem Treiben ihrer Eltern nichts entgegenzusetzen haben als wütenden Totschlag und Abflug in den Selbstmord. Brynych läßt die Puppen tanzen (das heißt vor allem: ihre Haare werfen) und bringt Reineckers bizarre Namensschöpfungen zum Klingen: Moni Dingeldey (tödlich-naiv: Susanne Uhlen), Hilde Susmeit (sinnlich-lasziv: Nadja Tiller), Elvira Schramm, Kirr, Krüss … Peter Thomas rundet die konsequent antinaturalistische Krimi-Melo-Groteske mit rhythmischer Fickmusik ab und setzt sich in seiner launig-lyrischen Pop-Klage »Angels Who Burn Their Wings« selbst ein (wohl-) tönendes Denkmal.

»Engel, die ihre Flügel verbrennen« R Zbynek Brynych B Herbert Reinecker K Josef Vanis M Peter Thomas A Leo Karen S Sophie Mikorey P Walter Tjaden D Nadja Tiller, Susanne Uhlen, Jan Koester, Jochen Busse, Siegfried Rauch | BRD | 93 min | 1: 1,66 | f | 18. September 1970

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen