18.1.56

Marguerite de la nuit (Claude Autant-Lara, 1956)

Die Blume der Nacht

Claude Autant-Laras artifizielle Technicolor-Adaption des Fauststoffes verlegt das bekannte Geschehen ins Paris der 1920er Jahre: Nach einem Opernbesuch (auf dem Programm stand »Faust« von Charles Gounod!) wird der greise Doktor Georges Faust von einem auffällig hinkenden Elegant (Yves Montand) angesprochen, der den Alten (nicht ohne Hintergedanken) in einen Nachtclub lockt. Eine glühend rote Treppe führt hinab ins Reich des Vergnügens, wo Faust sogleich der elegisch-schönen Sängerin Marguerite (Michèle Morgan) verfällt, und für die Wiedergewinnung von Jugend und Schönheit dem Teufel seine Seele verkauft … Autant-Lara entkleidet (oder beraubt) die Legende aller metaphysischen Aspekte zugunsten der ihr innewohnenden melodramatischen Möglichkeiten: Sein Film erzählt die Geschichte einer großen, ultimativ bedrohten Liebe, derer sich eine Seite nicht würdig erweist und wegen Kleinmütigkeit zu einem einsamen, glücklosen Leben verdammt wird, während die andere für ihre übermenschliche Opferbereitschaft den ewigen Frieden gewinnt. Neben den unbestreitbaren sentimentalen Qualitäten der Fabel ist »Marguerite de la nuit« in erster Linie das Werk eines ehemaligen Bühnenbildners – Autant-Lara schuf Dekorationen für Jean Renoir, René Clair und Marcel L’Herbier –: Die ultrakünstlichen, an Revuekulissen ebenso wie an Stummfilmszenerien erinnernden Studiobauten von Max Douy präsentieren sich als eigentlicher Star dieser ambitionierten (und etwas zerdehnten) Stilübung.

R Claude Autant-Lara B Ghislaine Autant-Lara, Gabriel Arout V Pierre Mac Orlan K Jacques Natteau M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Léon Carré D Michèle Morgan, Yves Montand, Pierre Palau, Massimo Girotti, Jean-François Calvé | F | 125 min | 1:1,37 | f | 18. Januar 1956

5.1.56

Teufel in Seide (Rolf Hansen, 1956)

»Vorsicht, die Flut kommt!« Ein scheinbar vollkommen künstliches Melodram, das überdimensionale Gefühle in synthetischen (von Robert Herlth gebauten) Studioräumen ausstellt. Lilli Palmer spielt die Titelrolle, den »Teufel in Seide«, eine Frau von Welt (und Geld), die mit absoluter Ausschließlichkeit liebt, die dem begehrten Gegenüber im totalen Geben noch das Letzte nimmt, die der zerstörerischen Erfüllung ihrer Hingabe alles unterordnet, auch das eigene Leben. Curd Jürgens spielt das Objekt und Opfer dieser Liebe, einen redlichen (und, wie es sich gehört, brotlosen) Künstler, einen naiven Koloß, der unter dem massiven Beschuß von fataler Leidenschaft ins Wanken gerät. In präsenten Nebenrollen, dennoch fast zermahlen von der tödlichen Mechanik der Gefühle: Winnie Markus als Eule, die zur Nachtigall wird; Hilde Körber als Dienstmädchen, das die seelischen Klüfte der Herrschaft kennt; Adelheid Seeck als allwissende Schwester; Hans Nielsen als emphatischer Anwalt … Rolf Hansen verzahnt wirkungsvoll Schnulze und Krimi, Gewissensdrama und Gerichtsfilm, formt (basierend auf einem Roman von Gina Kaus) stilbewußt eine (beinahe) katastrophische Kolportage um Schuld und Gewissen, Berechnung und Mitleid, eine tragische Farce der (selbst-)mörderischen emotionalen Verstrickung. Nach wundersamer Entlastung in letzter Minute schließt der Film mit einer so frommen wie fragwürdigen Überzeugung: »Wenn man den Abgrund kennt, geht man sicherer.« Hier spricht wohl ein Volk, das eben noch klaren Sinnes in die Tiefe des Verderbens sprang, tröstend zu sich selbst.

R Rolf Hansen B Jochen Huth V Gina Kaus K Franz Weihmayr M Mark Lothar A Robert Herlth S Anna Höllering P Heinz Abel D Lilli Palmer, Curd Jürgens, Winnie Markus, Adelheid Seeck, Hilde Körber | BRD | 104 min | 1:1,66 | sw | 5. Januar 1956