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5.8.83

Vivement dimanche! (François Truffaut, 1983)

Auf Liebe und Tod

François Truffaut persi­fliert – unter Hinterlassung von fünf Leichen – sehr amüsant die ver­wickel­ten Plots des film noir, variiert spielerisch Hitchcock-Motive, zitiert sich freudvoll selbst, ohne der (mehr oder wenig überraschenden) Auflösung des ausgebreiteten Falls große Bedeutung beizumessen. Weniger interessant als die Identität des Mörders erscheint die Triebfeder seines Tuns – die Liebe zu den Frauen: »Les femmes sont magiques, alors je suis devenu magicien.« Nestor Almendros’ virtuos geführte Schwarzweiß-Kamera schaut auf Jean-Louis Trintignant (als aufbrausender Immobilienagent Julien Vercel) und Fanny Ardant (als für ihren Chef entflammte Sekretärin Barbara Becker) wie auf Bogart und Bacall, und das nächtlich-verregnete Städtchen an der Côte d’Azur ist – mit seinen Nachtclubs und Polizeistationen, Seitenstraßen und Hinterzimmern – ein (fast) ebenso dekorativer und abgründiger Schauplatz wie jeder klassische Asphaltdschungel. Mit diesem »gut gemachten«, durch und durch sympathischen Film, der sein letzter bleiben sollte, einer nostalgischen Hommage an ein längst vergangenes Kino (und an eine wunderbare starke Frau – die sich gleichwohl einige Ohrfeigen einfängt), ist Truffaut ironischerweise endgültig bei jenem cinéma de qualité angekommen, das er als zorniger junger Kritiker so heftig attackiert hatte.

R François Truffaut B François Truffaut, Suzanne Schiffman, Jean Aurel V Charles Williams K Nestor Almendros M Georges Delerue A Hilton McConnico Ko Michèle Cerf S Martine Barraqué P François Truffaut D Fanny Ardant, Jean-Louis Trintignant, Philippe Laudenbach, Philippe Morier-Genoud, Jean-Louis Richard | F | 111 min | 1:1,66 | sw | 5. August 1983

# 1025 | 10. September 2016

29.9.78

Death on the Nile (John Guillermin, 1978)

Tod auf dem Nil

Eine mondäne Flußkreuzfahrt, eine schöne, reiche, tote Frau, ein belgischer (!) Detektiv: Hercule Poirot (Peter Ustinov) ermittelt an Bord des Nildampfers ›Karnak‹ im Fall der erschossenen Millionärin Lillet Ridgeway (Lois Chiles), die selbstverständlich nicht das einzige Opfer bleibt. Genauso selbstverständlich hatten alle illustren Mitreisenden (gespielt unter anderem von Bette Davis, Maggie Smith, Angela Lansbury, George Kennedy, Jack Warden) jeweils ein starkes persönliches Interesse am Ableben der schnippischen Geldlady – insbesondere die überreizte Jacqueline (Mia Farrow), der die Ermordete kurz zuvor den stattlichen Verlobten ausgespannt hatte … Mit seiner hochkarätigen Besetzung und seinen luxuriösen Zwanziger-Jahre-Dekors, mit Jack Cardiffs delikater Fotografie, Nino Rotas schwelgerischer musikalischer Untermalung und John Guillermins gravitätischer Inszenierung präsentiert sich der Whodunit als großes Kino-Epos; die angedeuteten menschlichen und gesellschaftlichen Konflikte bleiben indes schmückendes Beiwerk in einem elegant-ironischen, bisweilen etwas langatmigen kriminalistischen Ratespiel.

R John Guillermin B Anthony Shaffer V Agatha Christie K Jack Cardiff M Nino Rota A Peter Murton S Malcolm Cooke P John Brabourne, Richard Goodwin D Peter Ustinov, David Niven, Bette Davis, Mia Farrow, Angela Lansbury | UK | 140 min | 1:1,85 | f | 29. September 1978

# 852 | 7. April 2014

8.8.75

Farewell, My Lovely (Dick Richards, 1975)

Fahr zur Hölle, Liebling

»What a world.« Er bräuchte einen Drink, er bräuchte eine Lebensversicherung, er bräuchte Urlaub ... und alles, was er hat, sind ein Mantel, ein Hut und eine Knarre. Dick Richards (zu Ruhm gekommen als Fotograf und Werbefilmer) nutzt Chandlers unerhört verwickelte Geschichte des (doppelten) Abschieds von einem Leben und von einer Liebe als Vorlage für eine melancholisch-süffisante (und ziemlich stylishe) Retro-Noir-Etüde, deren (alp-)traumhafte Stimmung sich vor allem einem sinnlich-coolen Jazz-Score (David Shire), den dunkel-nostalgischen Technicolor-Bildern (John A. Alonzo) und ihrem Hauptdarsteller verdankt: Robert Mitchum, legendärer Star schwarzer Kino-Klassiker wie »Out of the Past«, »Angel Face« oder »The Night of the Hunter«, wird in der Rolle des nicht minder legendären Hardboiled-Detektivs zum leibhaftigen Wiedergänger einer fernen Epoche, dessen Erscheinen die hochpolierte Pulpstory um eine verschwundene Perlenkette und eine verschwundene Frau in die Vision einer verschwundenen Welt verwandelt, die sich bei aller nostalgischen Verklärung als genau so korrupt und desolat erweist wie die Ära von Vietnam und Watergate. So wird Richards’ Adaption – trotz der wie in Dmytryks 1944er-Fassung vorgenommenen Simplifizierung der Vorlage – zu einer Art filmischem Doppelspiegel, der Stimmungen und Mentalitäten von Vergangenheit und Gegenwart zu einem irisierenden Bild zusammenfließen läßt. »I wished it was part of my nightmare, but it wasn’t.«

R Dick Richards B David Zelag Goodman V Raymond Chandler K John A. Alonzo M David Shire A Dean Tavoularis S Joel Cox, Walter Thompson P Jerry Bruckheimer, George Pappas D Robert Mitchum, Charlotte Rampling, Jack O’Halloran, John Ireland, Sylvia Miles | USA | 95 min | 1:1,85 | f | 8. August 1975

# 1147 | 2. Februar 2019

24.11.74

Murder on the Orient Express (Sidney Lumet, 1974)

Mord im Orient-Expreß

Schon einmal, 17 Jahre zuvor, hatte Sidney Lumet Fragen von Verbrechen und Strafe auf begrenztem Raum verhandelt. In der Agatha-Christie-Adaption »Murder on the Orient Express« werden wiederum zwölf Personen zum Organ von Gerechtigkeit, nur handelt es sich diesmal nicht um eine Gruppe von zusammengewürfelten Geschworenen im tristen Hinterzimmer eines New Yorker Gerichtssaals sondern um eine (nicht ganz) zufällige Reisegesellschaft im exquisiten Ambiente eines europäischen Luxuszuges. Der Regisseur richtet sein Augenmerk diesmal allerdings erst ganz zum Schluß (dann aber mit horrender Drastik) auf die gruppendynamischen Prozesse, die sich aus dem Zusammentreffen von grundverschiedenen Menschen auf engster Spielfläche entwickeln; zuvor arrangiert er eine Revue mehr oder weniger amüsanter Soloauftritte prominenter Schauspieler, zusammengebunden durch die (mit Albert Finney wenig überzeugend besetzte) Figur des im zentralen Mordfall ermittelnden Meisterdetektivs Hercule Poirot. Der atemberaubende All-Star-Cast macht gleichzeitig Reiz und Langweile des Films aus: Aus den darstellerischen Kabinettstückchen entwickeln sich keine lebendigen Charaktere, kaum einmal plastische Typen. Immerhin bringt die betuliche Konventionalität von Lumets überlanger Inszenierung die lähmende Stimmung in einem eingeschneiten Zug beinahe körperhaft zum Ausdruck.

R Sidney Lumet B Paul Dehn V Agatha Christie K Geoffrey Unsworth M Richard Rodney Bennett A Tony Walton S Anne V. Coates P John Brabourne, Richard Goodwin D Albert Finney, Lauren Bacall, Martin Balsam, Ingrid Bergman, Jean-Pierre Cassel | UK | 128 min | 1:1,66 | f | 24. November 1974

20.11.74

Nuits rouges (Georges Franju, 1974)

Der Mann ohne Gesicht

Spielt »Nuits rouges« in einer unwahrscheinlichen Gegenwart oder in einer allgegenwärtigen Vergangenheit? Handelt es sich um einen entrückten Thriller oder um einen thrilleresken Alptraum? Nach einem Drehbuch des Feuillade-Enkels Jacques Champreux erzählt Georges Franju die wüste Geschichte eines skrupellosen Mannes ohne Gesicht, der, unterstützt von einer schönen Frau ohne Namen und einer Armee lobotomierter Sklaven, dem legendären Schatz der Templer nachjagt. Es ist die bedingungslose Lust an einem ebenso naiven wie überfeinerten Kino, an zugleich schlichten und rätselhaften Bilder, an kindischen Maskenspielen und kultivierten Mystifikationen, die die Macher umtreibt. »Nuits rouges«, die kondensiert-sprunghafte Spielfilmfassung eines Fernsehfeuilletons, ist anachronistischer Pulp, surreale Poesie, respektvolle Parodie auf »Fantômas« und seine Freunde: auf Dr. Mabuse, auf rote Teufel, auf reitende Leichen. Franju schließt das dunkle Mittelalter kurz mit der pittoresken Welt des Fotografen Atget und mit dem Zeitalter ferngelenkter Autos, stupider Videospiele, omnipräsenter Überwachung. Ein rechtschaffen verrückter Chirurg und ein gnadenlos schusseliger Detektiv, radioaktiv aufgeladenes Gold und vermummte Zombiekiller, Fehden rivalisierender Geheimbünde im Untergrund und tödliche Scharmützel auf nächtlichen Dachlandschaften – »Nuits rouges« nimmt dies alles wichtig und nichts davon ernst.

R Georges Franju B Jacques Champreux K Guido Bertoni M diverse A Robert Luchaire S Gilbert Natot P Raymond Froment D Jacques Champreux, Gayle Hunnicutt, Gert Fröbe, Josephine Chaplin, Ugo Pagliai | F & I | 105 min | 1:1,66 | f | 20. November 1974

# 1029 | 9. Oktober 2016

20.6.74

Chinatown (Roman Polanski, 1974)

Chinatown

»Forget it, Jake. It’s Chinatown.« An Chandler und Hammett orientiertes Lumpenstück um politisch-wirtschaftliche Schweinereien und familiäre Abgründe im L.A. der 1930er Jahre: private eye J.J. (›Jake‹) Gittes (Jack Nicholson) wird von Autor Robert Towne in einen überaus komplexen Fall (concerning ›water and power‹) verwickelt und dabei in einen Gefühlsstrudel gezogen, der um eine gebrochen-fatale Frau (Faye Dunaway) kreist und an des Schnüfflers alte seelische Wunden rührt. »Chinatown« – der Titel bezeichnet weniger einen konkreten Handlungsort, sondern steht vielmehr (analog zu ›Watergate‹) als Metapher für Vertrauensverlust, Undurchschaubarkeit und Amoralität – schwelgt in nostalgischem Pessimismus: Jerry Goldsmiths mitternächtlicher Score und John Alonzos düster-geschmackvolle Fotografie sorgen für kultiviert-depressive Stimmung, während Roman Polanski die ausweglose Detektivgeschichte mit dem beherrschten, beinahe unpersönlichen Formgefühl eines contract directors der Studioära inszeniert. Der Clou des Films ist die Besetzung des väterlichen Schurken Noah Cross mit John Huston, jenem Regisseur, der mit »The Maltese Falcon« einst die Stilepoche des film noir einläutete: »You may think you know what you’re dealing with, but, believe me, you don’t.«

R Roman Polanski B Robert Towne K John A. Alonzo M Jerry Goldsmith A Richard Sylbert S Sam O’Steen P Robert Evans D Jack Nicholson, Faye Dunaway, John Huston, Perry Lopez, John Hillerman | USA | 130 min | 1:2,35 | f | 20. Juni 1974

7.3.73

The Long Goodbye (Robert Altman, 1973)

Der Tod kennt keine Wiederkehr

»There's a long goodbye,
 / And it happens every day.« Philip Marlowe ist ein Relikt. Er fährt einen 1948er Lincoln Continental. Er trägt einen schwarzen Anzug. Er legt nie die Krawatte ab. Er glaubt an Loyalität. Robert Altman, der Raymond Chandlers Roman aus dem Jahr 1953 mit spleenig-hellhöriger (Nach-)Lässigkeit inszeniert, verlegt das obskure Geschehen aus der Nachkriegszeit in die Gegenwart: Elliott Gould nuschelt sich in der Rolle des legendären private eye durch das Los Angeles der frühen siebziger Jahre. Amerika zwischen Hippie und Watergate erscheint im Auge von Vilmos Zsigmonds unaufhörlich bewegter Kamera wie ein Wachtraum, den sonderbare, zumeist (geld-)gierige Existenzen bevölkern: ausgebrannte Vollblutschriftsteller und intrigante Ehefrauen, dubiose Ärzte und bösartige Gangster, falsche Freunde und wählerische Katzen. Marlowe, der in einem luftigen Apartment neben einer Kommune von sexy Kerzenzieherinnen haust, kommentiert alle Absonderlichkeiten, die ihm zwischen Hollywood Hills, Malibu Colony und dem mexikanischen Nest Otatoclán begegnen, mit dem immergleichen abgeklärten: »That’s OK with me.« Nur in Bezug auf Vertrauensbruch versteht der Detektiv keinen Spaß: »Nobody cares but me.« – »Well, that's you, Marlowe. You'll never learn. You're a born loser.« Die Sch(l)ußpointe beweist so etwas wie das Gegenteil. Das Engagement einer Reihe von Hollywood-Veteranen erhebt Altmans brillante Thriller-Variation geradewegs in den Rang eines Neo-noir-Klassikers – Sterling Hayden, der den versoffenen Romancier Roger Wade spielt, Autorin Leigh Brackett, die schon (mit William Faulkner) das Drehbuch zu Howard Hawks’ Chandler-Adaption »The Big Sleep« verfaßte, Johnny Mercer, der den Text zu John Williams’ vielfältig variierter Titelmelodie beisteuert: »It's too late to try, / When a missed hello / Becomes the long goodbye.«

R Robert Altman B Leigh Brackett V Raymond Chandler K Vilmos Zsigmond M John Williams S Lou Lombardo P Jerry Bick D Eliott Gould, Nina van Pallandt, Sterling Hayden, Mark Rydell, Henry Gibson | USA | 112 min | 1:2,35 | f | 7. März 1973

# 945 | 20. Februar 2015

7.1.73

Tote Taube in der Beethovenstraße (Samuel Fuller, 1973)

In der Bonner Beethovenstraße wird ein Mann erschossen. Der Täter kann entkommen. Der Tote war ein amerikanischer Detektiv. Dessen Partner Sandy (Glenn Corbett) macht sich auf die Suche nach dem Mörder (mit dem schönen Namen Charlie Umlaut) und nach den Hintermännern des Verbrechens ... Samuel Fuller betreibt mit rücksichtsloser Nonchalance die Verwandlung des westdeutschen Fernsehkrimis in ein kapriziöses B-Movie über das zwölftälteste Gewerbe der Welt: Erpressung mit Schmuddelfotos. Der eigentliche Ermittler (WDR-Zollfahnder Kressin: Sieghard Rupp) wird schon nach wenigen Minuten außer Gefecht gesetzt, woraufhin der beherzte Sandy in die kriminellen Abgründe des Rheinlandes hinabsteigt; im Verlauf der kruden Angelegenheit treiben – bis zum melodramödiantischer Showdown – unter anderem eine verlebte Verführerin, ein durchgeknallter Scherge sowie ein virtuos fechtender Oberschurke ihr schändliches Unwesen. Daß er ausgerechnet die verschlafene Bundeshauptstadt zur Zentrale eines international tätigen Gangstersyndikats erkoren hat, mag Fullers rabiate Ironie ebenso belegen wie die bald traum-, bald lach-, immer aber sprunghafte Dramaturgie des absurd-karnevalesken Reißers.

R Samuel Fuller B Samuel Fuller K Jerzy Lipman M Can A Lothar Kirchem S Liesgret Schmitt-Klink P Joachim von Mengershausen D Glenn Corbett, Christa Lang, Anton Diffring, Eric P. Caspar, Sieghardt Rupp, Stéphane Audran | BRD | 98 min | 1:1,37 | f | 7. Januar 1973

# 1037 | 12. Dezember 2016

29.10.70

The Private Life of Sherlock Holmes (Billy Wilder, 1970)

Das Privatleben des Sherlock Holmes

»We all have occasional failures.« Eine hilfsbedürftige Dame und ein weltberühmtes Ungeheuer, die sich jeweils als etwas völlig anderes erweisen, dazu sechs verschwundene Zwerge und eine Gruppe mysteriöser Trappisten, außerdem eine fortpflanzungswillige Primaballerina und eine sehr kleine Königin ... Mit sanfter Ironie und besinnlicher Romantik bereiten Billy Wilder und I. A. L. Diamond ein episch-stilvolles Sherlock-Holmes-Pastiche, das die – von Arthur Conan Doyle eher ausgesparten – Gefühlswelten des legendären, zu Anfällen von Schwermut neigenden Londoner Detektivs (empfindsam: Robert Stephens) ausforscht. Fünfzig Jahre nach dem Tod von Dr. Watson (robust: Colin Blakely) werden, so die Prämisse des Films, in einem Banksafe nicht nur Holmes’ Deerstalker und Pfeife gefunden, sondern auch die Aufzeichnungen zu einigen pikanten Abenteuern, die der treue Eckermann des kombinatorisches Genies mit gutem Grund unter Verschluß gehalten hat. Wilder, in diesem Fall seines ätzenden Spottes vollkommen abhold, ergeht sich in ausführlicher Figurenzeichnung und viktorianischer Stimmungsmalerei, ohne der in diesem Genre üblichen Spannungsentwicklung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Arthur Conan Doyle K Christopher Challis M Miklós Rózsa A Alexandre Trauner S Ernest Walter P Billy Wilder D Robert Stephens, Colin Blakely, Genieviève Page, Christopher Lee, Tamara Toumanova | UK & USA | 125 min | 1:2,35 | f | 29. Oktober 1970

# 1101 | 1. März 2018

18.6.69

La sirène du Mississipi (François Truffaut, 1969)

Das Geheimnis der falschen Braut

»Est-ce que l'amour fait mal?« – »Oui, l’amour fait mal.« Louis Mahé (Jean-Paul Belmondo), alleinstehender Zigarettenproduzent auf der Île de la Réunion im Indischen Ozean, trägt sich mit der Absicht, Julie Roussel zu heiraten, die er per Heiratsanzeige kennen- und brieflich schätzen gelernt hat. Die Frau, die mit dem Liniendampfer eintrifft, ist eine andere als diejenige auf dem Foto, das Louis in den Händen hält, aber da sie dem Bräutigam eine charmante Erklärung geben kann, und weil sie so aussieht wie Catherine Deneuve, wird planmäßig Hochzeit gefeiert … Ein Verbrechen, das steht bald fest, hat auf der ›Mississipi‹ stattgefunden, und als die so schöne wie falsche Braut Marion Bergamo mit dem Vermögen ihres Gatten auf und davon gegangen ist, beginnt die Suche nach einer gewerbsmäßigen Schwindlerin. Doch mit der Enttäuschung, mit dem Betrug kommen, so verschlungen ist der Pfad der Gefühle, auch die wahre Liebe, die große Leidenschaft. François Truffaut vereint Louis und Marion in Hingabe und Schuld, in Euphorie und Haß, in Freude und Schmerz: »C'est une joie et une souffrance.« Ihre Liebe, überbreit wie die Franscope-Bilder, in denen sie geschildert wird, geht über Sinn und Verstand, über Geld und auch über Leichen. Ihre gemeinsame Reise, die zur Flucht wird, führt aus der Hitze der Tropen an die Côte d’Azur, über Aix-en-Provence nach Lyon, bis in die winterlichen Alpen. Durch tiefen, reinweißen Schnee stapfen Marion und Louis in Richtung Grenze. Sie wissen nicht, wohin ihr Weg sie führt. Aber sie gehen ihn zu zweit. »Je vous aime.« – »Je te crois.«

R François Truffaut B François Truffaut V William Irish (= Cornell Woolrich) K Denys Clerval M Antoine Duhamel A Claude Pignot S Agnès Guillemot P François Truffaut D Jean-Paul Belmondo, Catherine Deneuve, Michel Bouquet, Marcel Berbert, Nelly Borgeaud | F & I | 123 min | 1:2,35 | f | 18. Juni 1969

# 959 | 6. Juli 2015

23.5.69

Detektive (Rudolf Thome, 1969)

Münchner Schule in schwarzweiß und Ultrascope. Ein helles Neubaubüro: ein schwarzer Schreibtisch, zwei Sessel, ein Aktenregal, eine Reiseschreibmaschine, ein Bett. Zwei Freunde, Andy Schubert (Marquard Bohm) und Sebastian West (Ulli Lommel), ziemlich entspannte Typen, lümmeln herum, spielen Detektiv – Philip Marlowe und Sam Spade lassen grüßen, Jean-Paul Belmondo und Alain Delon stehen Pate. Dazu die unvermeidliche Sekretärin: Micky (Uschi Obermeier), die ans Telefon geht, die Drinks mixt, die, wie man sehen wird, ein eigenes Süppchen kocht. Ihre Arbeit sehen die Detektive eher sportlich, fahren in offenen Wagen durch die Gegend, sind jederzeit bereit, ihre Auftraggeber zu hintergehen und sich mit den Zielpersonen zu solidarisieren, wenn sie nur hübsch genug sind, wie zum Beispiel Annabella (Iris Berben), die von einem gewissen Busse verfolgt und mit der Waffe bedroht wird. »Ich an deiner Stelle würde ihn ja heiraten«, sagt die pragmatische Micky zu Annabella, »so schnell findest du nicht wieder einen Mann, der auf dich schießt.« Nach und nach entwickelt sich aus dem Geplänkel eine Art Story, mindestens so kompliziert wie bei Raymond Chandler: Liebe, Eifersucht, Intrigen, Betrug, Doppelspiel, Entführung, Erpressung, Gift, Mord. Im Mittelpunkt steht Krüger (Walter Rilla), ein kultivierter alter Herr, der hat, was alle wollen: Geld. 100000 Mark Versicherungssumme sind bei Krügers Tod fällig, egal ob er im Bett stirbt oder einem Verbrechen zum Opfer fällt. Rudolf Thome und Max Zihlmann erzählen in ihrem nüchtern-skurrilen Film-noir-Pastiche keinen einfachen Generationenkonflikt, denn im Kampf um das Erbe der Väter zeigen die Jungen nicht den geringsten Gemeinschaftsgeist: Jeder ist sich selbst der nächste. Geschossen wird mit der gleichen kühlen Selbstverständlichkeit wie geküßt oder geschlafen, wie Whisky getrunken oder Steaks gebraten … Zeitgeist und Kinomythen, zusammengebunden von zwanglosen Bewegungen der Akteure und der Kamera, von vibrierendem Jazzrock und lapidaren Dialogen: »Ich habe auch einmal zu Hoffnungen Anlaß gegeben, ich konnte mich nur nie entscheiden, zu welchen.«

R Rudolf Thome B Max Zihlmann K Hubs Hagen, Niklaus Schilling M Kristian Schultze S Jutta Brandstaedter P Rudolf Thome, Carol Hellman D Marquard Bohm, Ulli Lommel, Chrissie Malberg (= Uschi Obermaier), Walter Rilla, Iris Berben, Elke Hart (= Elke Haltaufderheide) | BRD | 91 min | 1:2,35 | sw | 23. Mai 1969

20.11.68

Lady in Cement (Gordon Douglas, 1968)

Die Lady in Zement 

In seinem zweiten Fall stößt private detective Tony Rome (Sinatra) bei einem Tauchgang vor der Küste Floridas ganz zufällig auf eine »Lady in Zement«: Die Füße der schnittigen Blondine stecken in gewichtigen Schuhen, ihre Haare wogen lyrisch in der Strömung des Meeres. Obwohl der Fall, der sich daraus entwickelt (und (natürlich) weitere Opfer fordert), bis zur Auflösung (und darüber hinaus) völlig nebulös bleibt, erntet das (nach-) lässige Sequel die gleichen formalen Meriten wie sein Vorgänger. Zudem sorgen eine Reihe von schrulligen Charakteren (unter anderem Dan »Hoss Cartwright« Blocker als grober Klotz von einem Kleinganoven) und zahlreiche atmophärische Miniaturen (in diversen Nachtbars und Luxushotels Miamis) für vergnügliche Kurzweil. Raquel Welch bleibt dank explodierender Frisuren im Gedächtnis.

R Gordon Douglas B Marvin H. Albert, Jack Guss V Marvin H. Albert K Joseph Biroc M Hugo Montenegro A LeRoy Deane S Robert L. Simpson P Aaron Rosenberg D Frank Sinatra, Raquel Welch, Richard Conte, Martin Gabel, Dan Blocker | USA | 93 min | 1:2,35 | f | 20. November 1968

14.8.68

Baisers volés (François Truffaut, 1968)

Geraubte Küsse

Que reste-t-il de nos amours? Zum Beispiel ein Film. Zu dem eigentlich nichts zu sagen ist – außer vielleicht (am besten, vor einem Spiegel stehend, zu sich selbst laut ins Gesicht) Folgendes: Jean-Pierre Léaud! Claude Jade! Delphine Seyrig! François Truffaut! (Namen jeweils beliebig oft wiederholen.) Fernerhin sollte man zu Lob und Preis von »Baisers volés« ab und zu mal eine Coca-Cola im Foyer eines billigen Montmarte-Hotels trinken, mit einem sehr großen Mädchen ausgehen, einen Schuhkarton in Packpapier wickeln, zu einer Dame, die einem eine Tasse Kaffee reicht, »Merci, Monsieur!« sagen, einen Fernseher zerlegen, mit dem Freund oder der Freundin eine Flasche Wein aus dem Keller holen, einen Zwieback mit Butter bestreichen (Claude Jade verrät, wie es geht, ohne daß er zerbricht) und dazu ein Chanson von Charles Trénet hören. PS: Antoine Doinel! Antoine Doinel! Antoine Doinel!

R François Truffaut B François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon K Denys Clerval M Antoine Duhamel A Claude Pignot S Agnès Guillemot P François Truffaut, Marcel Berbert D Jean-Pierre Léaud, Claude Jade, Delphine Seyrig, Michael Lonsdale, Harry-Max | F | 90 min | 1:1,66 | f | 14. August 1968

10.11.67

Tony Rome (Gordon Douglas, 1967)

Der Schnüffler

Locker-leichte Late-60s-Variation der verwinkelten Chandler-Plots: Frank Sinatra, arch-crooner und leader of the (rat) pack, ermittelt als Tony Rome (Privatdetektiv mit starkem Hang zu Pferdewetten) in einer unübersichtlichen Familienangelegenheit, in der es unter anderem um teuren Schmuck, Erpressung sowie Bigamie geht, und stolpert dabei über eine stattliche Zahl von Leichen. Ort des Geschehens ist Miami Beach (»20 miles of sand looking for a city.«), die Stimmung ist groovy, die Ladies – Lyon, Rowlands, St. John – haben Bond-appeal. Gordon Douglas inszeniert mit unspektakulärem Formgefühl, Joseph Biroc fotografiert in glasklarem Sunny-noir-Stil, Nancy Sinatra steuert den Titelsong bei: »Love is for those who have the time to / Rome is for those who are inclined to.«

R Gordon Douglas B Richard Breen V Marvin H. Albert K Joseph Biroc M Billy May A Jack Martin Smith, Jim Roth S Robert L. Simpson P Aaron Rosenberg D Frank Sinatra, Jill St. John, Richard Conte, Gena Rowlands, Simon Oakland | USA | 110 min | 1:2,35 | f | 10. November 1967

1.8.65

The Alphabet Murders (Frank Tashlin, 1965)

Die Morde des Herrn ABC

»This is London. Nothing is going to happen.« Eigentlich ist der belgische (!) Meister­detektiv Hercule Poirot nur an die Themse gereist, um seinen Schneider aufzusuchen, doch die nach Aufklärung schreienden Mordtaten lassen (natürlich) nicht lange auf sich warten. Albert Aachen, Betty Bernard, Sir Carmichael Clarke, Duncan Doncaster heißen die Opfer, die mit vergifteten Pfeilen abgeschossen werden – offenbar von einer alphabetfixierten Psychotikerin (Anita Ekberg als schöne, große, blonde und völlig verrückte (?) Serienkillerin Amanda Beatrice Cross) … Mit parodistischem Gusto, cartoonesken Bilderfindungen sowie einer absolut überzeugenden Fehlbesetzung der Hauptrolle (wie aus dem Ei gepellt: Tony Randall) stellt Frank Tashlin seine absurd-vergnügliche, cool-klamaukige Kriminalfarce in die Tradition der 1960er Miss-Marple-Adaptionen (insbesondere hörbar gemacht durch den Komponisten Ron Goodwin) und geht zugleich einen Schritt über die altjüngferlichen Verbrecherjagden hinaus. Eine dysfunktionale Familie und ein großes Vermögen, atemberaubende Schlußfolgerungen des kombinatorischen Genies und polizeiliche Blindheit, ein Labyrinth falscher Spuren und ein Club voller Exzentriker – »The Alphabet Murders« ist verarschende Huldigung und respektvolle Dekonstruktion erzbritischer Whodunit-Stereotypen in einem filmischen Atemzug. Robert Morley als schnaufender Poirot-Sidekick Captain Hastings gibt der aparten Genrepersiflage den fetten Rest.

R Frank Tashlin B David Pursall, Jack Seddon V Agatha Christie K Desmond Dickinson M Ron Goodwin A William C. Andrews S John Victor-Smith P Lawrence P. Bachmann D Tony Randall, Anita Ekberg, Robert Morley, Maurice Denham, Guy Rolfe | UK | 90 min | 1:1,66 | sw | 1. August 1965

9.4.64

Die Tote von Beverly Hills (Michael Pfleghar, 1964)

»Tote sind auch nur Menschen.« Auf einem Hügel oberhalb von Los Angeles liegt eine junge Frau. Sie ist schön. Sie ist nackt. Sie wurde ermordet. Der Leichenfinder (Klausjürgen Wussow) und ein Detektiv (Wolfgang Neuss) gehen gemeinsam auf Mörderjagd. Aufschlüsse soll insbesondere das intime Tagebuch der Toten geben, das – im Gegensatz zum spröden Schwarzweiß der Krimi-Rahmenhandlung – als erotisch-verschnörkelter Lebensroman in Eastmancolor inszeniert ist: Lu (Heidelinde Weiss), als Halbwüchsige einem Wagner-Tenor verfallen, reifte, vom lüsternen Blick der Männer gleichermaßen verstört und erregt, zur koketten Nymphomanin, die einen schüchterne Seminaristen ebenso lässig um den Finger zu wickeln verstand wie einen betagten Altertumsforscher … Wollte sich Curt Goetz mit seinem (einzigen) Roman wohl vor allem einen (leicht onkelhaften) Jux auf schnulzige Bekenntnisliteratur und auf das Land seines (unfreiwilligen) Exils machen, liegt die Zielrichtung der Adaption restlos im Dunkeln: Michael Pfleghars überlange kalifornische Extravaganz wartet zwar mit einigen phantasmagorischen Show-Einfällen auf (ein Büro im luftigen Rohbau, eine mondäne Stehparty im Swimmingpool, Ausgrabungen mit dem Bulldozer), der (magere) filmische Witz beschränkt sich jedoch weitgehend auf Zeitraffer-Slapstick, Tricklinsen-Klimbim und furzkissenmäßige musikalische Kommentierung des Geschehens. Daß die Aufklärung des Verbrechens kaum interessiert, daß satirische Gesellschaftskritik nicht unbedingt auf der Agenda des eskapistischen Werks steht, mag zu verschmerzen sein, prekär erscheint allerdings die Ausstrahlung der Hauptdarstellerin, die bei allem Bemühen um sinnliche Fatalität eher an ein nett lächelndes ›Brigitte‹-Covergirl erinnert als an eine männerverhexende Lolita.

Die Tote von Beverly Hills | R Michael Pfleghar B Peter Laregh, Michael Pfleghar, Hansjürgen Pohland V Curt Goetz K Ernst Wild M Heinz Kiessling S Margot von Schlieffen P Hansjürgen Pohland D Heidelinde Weiss, Klausjürgen Wussow, Wolfgang Neuss, Ernst Fritz Fürbringer, Horst Frank | BRD | 110 min | 1:2,35 | sw & f | 9. April 1964

# 924 | 4. Dezember 2014

21.11.62

It’s Only Money (Frank Tashlin, 1962)

Geld spielt keine Rolle 

Kurz vor dem ersten Todestag des Elektronik-Tycoons Charles P. Albright (»referred to as the ›father of television‹«) ist dessen vor 25 Jahren verlorengegangener Sohn noch immer abhanden. Es bleibt nur mehr eine Woche, um dem Erben des riesigen Vermögens auf die Spur zu kommen, bevor das Geld an die Schwester des Verewigten (Mae »Boop-Oop-a-Doop« Questel) fällt, die eine Belohnung von 100.000 Dollar für die Auffindung ihres Neffen ausgesetzt hat ... Lester March (Jerry Lewis), ehemaliger Waisenhauszögling, Technikfreak, Betreiber eines Fernsehreperaturdienstes (Nachtigall, man hört dich trapsen) – und: begeisterter Leser von Kriminalromanen (»Kiss the Blood Off My Neck«, »The Case of the Homicidal Homing Pigeon«, »Death Takes a Coffee Break«) – macht sich als Assistent eines Privatdetektivs auf die Jagd nach dem Gesuchten. Frank Tashlin schickt dem unbedarft-entschlossenen Amateurermittler einen geldgierigen Anwalt (oberschurkisch: Zachary Scott), einen mordlustigen Butler (»president of the Peter Lorre fan club«: Jack Weston), eine Armada von automatischen Rasenmähern sowie eine liebende Krankenschwester (blond: Joan O’Brien) in die Quere, und würzt die, von W. Wallace Kelley in kristallklarem Schwarzweiß fotografierte, aberwitzige Noirpersiflage mit ingeniösen Bilderfindungen. Einen skurrilen Glanzpunkt tashlinesker Komik bildet (neben der Visualisierung eines stereophonischen Eisenbahngeräuschs) jene Szene, in der Lester das Gemälde des vollbärtigen Patriarchen Albright rasiert, um zu beweisen, daß er selbst kein anderer als der vermißte Abkömmling ist: »Try ›Junior‹. I like that.«

R Frank Tashlin B John Fenton Murray K W. Wallace Kelley M Walter Scharf A Hal Pereira, Tambi Larsen S Arthur P. Schmidt P Paul Jones D Jerry Lewis, Zachary Scott, Mae Questel, Joan O’Brien, Jack Weston | USA | 83 min | 1:1,85 | sw | 21. November 1962

# | 8. September 2017

9.5.58

Vertigo (Alfred Hitchcock, 1958)

Aus dem Reich der Toten

»Here I was born. And there I died.« … »Vertigo«, Alfred Hitchcocks lyrische Spiralfahrt durch »der Seelen wunderliches Bergwerk«, eine hypnotische Meditation über Liebe, Zeit und Tod, über ruhelose Wanderschaft, innere Unfreiheit und die Illusion der zweiten Chance, über fahles Grün, leuchtendes Rot und die Erotik grauer Schneiderkostüme, schwingt sich als Thriller irgendwo zwischen slow motion und Somnambulismus ein; als Melodram dringt das wohl morbideste Werk des Regisseurs in nachtmahrische Grenzbereiche des Genres vor: Hier bekommt (außer dem bösen Strippenzieher) wirklich keiner, was er begehrt … John ›Scottie‹ Ferguson (James Stewart), ein unter Höhenangst leidender Expolizist, spürt im Auftrag eines alten Bekannten dessen psychotisch in die Vergangenheit driftender, suizidaler Ehefrau (Kim Novak) nach, um auf seiner ungesunden Mission durch (das frühere und gegenwärtige) San Francisco diesem archetypischen Modell einer Hitchcock-Blondine rettungslos zu verfallen. Halb Orpheus, der seiner (toten) Geliebten in die Unterwelt folgt, um sie ins Leben zurückzurufen, halb Pygmalion, der sich ein weibliches Idealbild erschafft und seiner Kunstfigur untertan wird, verliert sich ›Scottie‹ in einer schwindelerregenden Sehnsucht, die letztendlich keinem Gegenüber mehr zu gelten scheint, sondern dem Unmöglichen, dem Verlangen selbst. So wird die Liebe zur jenseitigen Fiktion, die Kontinuität der Zeit zerfällt zu einem ewigen »too late«, und der Tod zieht als glänzender Nebel herauf, der alles silbrig verschluckt … »The gentleman seems to know what he wants«, heißt es einmal über ›Scottie‹, als er sein verlorenes Traumgeschöpf mit fetischistischer Energie zu rekonstruieren versucht – dieser Satz trifft ebenfalls auf Hitchcock zu, der in »Vertigo« nichts dem Zufall überläßt: Mit seinem pathologisch-romantischen Helden teilt er sowohl die emotionale (und künstlerische) Besessenheit als auch die schicksalhafte Gefangenschaft in der eigenen, unerreichbaren Vision … »An Totes zu denken, ist süß, / so Entfernte, / man hört die Stimme reiner, / fühlt die Küsse, / die flüchtigen und die tiefen – / doch du irrend bei den Schatten!«

R Alfred Hitchcock B Samuel A. Taylor, Alex Coppel V Pierre Boileau, Thomas Narcejac K Robert Burks M Bernard Herrmann A Henry Bumstead, Hal Pereira Ko Edith Head S George Tomasini P Alfred Hitchcock D James Stewart, Kim Novak, Barbara Bel Geddes, Tom Helmore, Henry Jones | USA | 128 min | 1:1,85 | f | 9. Mai 1958

30.6.57

Love in the Afternoon (Billy Wilder, 1957)

Ariane – Liebe am Nachmittag

»How would Lubitsch do it?« Kaum je ist Billy Wilder einer befriedigenden Antwort auf diese Frage nähergekommen als mit »Love in the Afternoon«, seiner märchenhaft-ironischen Pariser Romanze um Ariane Chavasse (Audrey Hepburn), die erblühende Tochter eines cleveren Privatdetektivs (Maurice Chevalier), die sich in das abenteuerliche Dossier des notorischen Frauenhelden Frank Flanagan (Gary Cooper) verliebt, denselben zunächst vor den Nachstellungen eines gehörnten Ehemannes schützt und sodann unter Vorspiegelung eigener einschlägiger Erfahrungen ihrerseits zu verführen trachtet … Wilder umschifft nonchalant erzählerische Eindeutigkeiten, spielt filmisch gleichsam über Bande, indem er einfallsreich mit Symbolen und Metaphern, Andeutungen und Zwischentönen arbeitet (Glanzpunkte bilden hierbei die wiederholten, zwischen »Hot Paprika« und »Fascination« changierenden, Auftritte einer Zigeunerkapelle), um den gereiften Playboy, dessen Liebesleben eine endlose Folge von Begegnungen zwischen den Flügen, zwischen den Zügen, zwischen den Akten darstellt, und das schwärmerische »thin girl« peu à peu zueinanderfinden zu lassen. Dadurch ist es auch zu verschmerzen, daß hin und wieder die scharfen Falten im Gesicht des bejahrten Hauptdarstellers den Zauber der graziösen Lovestory zerschneiden.

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Claude Anet K William Mellor M Franz Waxman A Alexandre Trauner S Léonide Azar P Billy Wilder D Gary Cooper, Audrey Hepburn, Maurice Chevalier, John McGiver, Van Doude | USA | 130 min | 1:1,85 | sw | 30. Juni 1957

18.5.55

Kiss Me Deadly (Robert Aldrich, 1955)

Rattennest

»Don’t open the box!« Robert Aldrichs ins Surreale kippende farce noire um Sado-Detektiv Mike Hammer (Ralph Meeker) führt direkt ins Herz der Finsternis, die in diesem Fall ein stechender Lichtblitz ist. Ein halbes Dutzend schräger Vögel versucht, ein unbenanntes (nur bedrohlich umschriebenes: »Manhattan Project, Los Alamos, Trinity«) Geheimnis zu ergründen, ein anderes halbes Dutzend müht sich, es unter dem Deckel zu halten. Dabei hat irgendjemand die verhängnisvolle Box schon lange vor »Kiss Me Deadly« geöffnet: »Va-va-voom!«

R Robert Aldrich B A. I. Bezzerides V Mickey Spillane K Ernest Laszlo M Frank De Vol A William Glasgow S Michael Luciano P Robert Aldrich D Ralph Meeker, Albert Dekker, Paul Stewart, Wesley Addy, Cloris Leachman | USA | 104 min | 1:1,66 | sw | 18. Mai 1955