Aus dem Argot-Lexikon: ›suif‹ = Probleme, Skandal, Zank; ›dabe‹ = Vater, Chef, Bordellbesitzer … Joë (Gérard Blain – »un petit mec, trapu, costaud, dingue«) kommt aus dem Süden nach Paris. Er kommt mit seiner Bande und mit seiner geliebten Schwester Brigitte (Jeanne Valérie – »une blonde, longue, au regard absent, mince«). Joë kommt, um Stunk zu machen, um die Bosse das Zittern zu lehren, um die Ordnung in Stücke zu hauen. Joë kommt, um die ehrwürdigen Größen der Unterwelt zu mißhandeln, zu erpressen, abzufackeln, um sie noch als Tote auf dem Weg zum Friedhof unter Feuer zu nehmen. »Il n’y a que la haine pour rendre les gens intelligents«, zitiert eine belesene Nutte aus Albert Camus’ Drama »Caligula«: »Nur der Haß macht die Menschen klug.« Haßt Joë? Ist er klug? »On a faim«, sagt Joë zu einem Alten, den er soeben mit dem Schlagring bearbeitet hat: Wir haben Hunger. Und ihr werdet uns bezahlen. Weil wir Hunger haben. Und weil ihr euren alten Arsch retten wollt … José Bénazeraf verarbeitet Genre-Bausteine und Milieu-Klischees zu einer absurd-brutalen Gangsterfilm-Aufstellung, zur distanziert-tragischen, zerdehnt-komischen Schilderung eines Generationenkonflikts. (Manche kommen, um aufzubauen, manche kommen, um niederzureißen.) Joë ist Held einer nihilistischen Ermächtigungsphantasie, einer somnabulen (Selbst-)Zerstörungvision, einer inzestuösen Pulp-Romanze. (Manche kommen, um zu leben, manche kommen, um zu sterben.) Bénazeraf zelebriert eine Geschichte ohne moralischen Mehrwert, jederzeit bereit, innezuhalten, Situationen durchzukosten, abzuschweifen, seinem Interesse zu folgen, ob einem Striptease oder einem Catfight, ob einem vorbeifahrenden Güterzug oder einem nächtlichen Spaziergang durch Paris. (Manche kommen, um zuzuschauen.) PS: Kurz nach der Premiere wird »Joë Caligula« verboten – wegen der »sinnlosen Anhäufung« von »scènes de violence, de torture et d’érotisme«. Drei Jahre später kommt eine gekürzte Fassung in die Kinos.
R José Bénazeraf B Gérard Trion, José Bénazeraf K Etienne Becker M diverse S Francine Grubert P José Bénazeraf D Gérard Blain, Jeanne Valérie, Ginette Leclerc, Maria Vincent, Jean-Jacques Daubin | F | 85 min | 1:1,66 | sw | 24. April 1966 (8. Januar 1969)
# 811 | 2. Dezember 2013