30.5.78

Fedora (Billy Wilder, 1978)

»Just a dream ago, when the world was young.« Die Frau im Sarg oder Das Geheimnis der weißen Handschuhe: Ein has-been Produzent am Abgrund der Pleite (William Holden) versucht, eine legendäre Hollywood-Diva (Marthe Keller – ?) noch einmal vor die Kamera locken, wobei er unwillentlich das Mysterium der Zeitlosigkeit von Stars ergründet. »The Snows of Yesteryear« heißt das Drehbuch, das Barry Detweiler verfilmen will, die x-te Adaption von »Anna Karenina«, ein üppiges costume drama, wie in den alten Tagen, die längst vergangen sind. (»It’s a whole different business now. The kids with beards have taken over.«) Fedora soll die Hauptrolle spielen, Fedora (»You are Fedora.« – »Yes, of course.«), »the star of all stars«, so groß wie Garbo, Dietrich, Harlow, Monroe zusammen, Fedora (»You are Fedora.« – »I was Fedora.«), die sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere von der Leinwand zurückzog. Ihr Domizil, die ›Villa Kalypso‹ (benannt nach jener Nymphe, die dem schiffbrüchigen Odysseus einst Unsterblichkeit und immerwährende Jugend versprach), auf einer winzigen Insel vor Korfu gelegen, gleicht einer Gruft, wo die Legende (»I am Fedora.«), in glanzvolle Vergangenheit eingemauert, ihre eigene Zeit überlebt. Doch: »You can’t cheat nature without paying the price.« Billy Wilder erzählt von der ewigen Wiederkehr falscher Hoffnungen, von Traum und Trug, von Glanz und Verhängnis. »Fedora« ist der Film eines alten Regisseurs über alte Menschen, die nicht wahrhaben wollen, daß sie nicht jung geblieben sind, ein elegisch-ironischer Abgesang auf (vermeintlich?) bessere Zeiten, ein letzter Walzer am späten Nachmittag, »when the light starts to go«. Das ist traurig, aber traurig schön, wie eine Beerdigung im Sommer, »wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht.«

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond V Tom Tryon K Gerry Fisher M Miklós Rózsa A Robert André S Stefab Arnsten, Fredric Steinkamp P Billy Wilder D William Holden, Marthe Keller, Hildegard Knef, José Ferrer, Frances Sternhagen, Mario Adorf | BRD & F | 116 min | 1:1,85 | f | 30. Mai 1978

19.5.78

Despair – Eine Reise ins Licht (Rainer Werner Fassbinder, 1978)

»Der perfekte Mord wäre der, der nie stattgefunden hat, aber dennoch verübt worden ist.« Berlin, um 1930 – Krise der Wirtschaft, Niedergang der Demokratie, Morgenröte der Nazis: Der russische Emigrant Hermann (disparat und desperat: Dirk Bogarde), »Sohn eines Deutschbalten und einer Rothschild«, bedrückt von den politischen Zeitumständen, von der ererbten Schokoladenfabrik, von seiner sinnlichen, aber hoffnungslos beschränkten Ehefrau Lydia (Andréa Ferréol), vor allem aber von der totalen Hohlheit der eigenen Existenz, sucht ein Entkommen aus seinem Dilemma – und findet es in einem Spiegelkabinett … »Sie wissen doch sicher, was ein Double ist?« fragt der vornehme Hermann den abgerissenen Felix (Klaus Löwitsch), den Mann, in dem er seinen Doppelgänger zu erkennen glaubt. »Nein«, sagt Felix. Darauf Hermann: »Aber Sie waren doch schon mal im Kino!?« Rainer Werner Fassbinders ultrakünstliche Adaption eines Romans von Vladimir Nabokov (nach einem Drehbuch des englischen Dramatikers Tom Stoppard) – ein metaphysisches Kriminalspiel, ein sperrig-luxuriöses, radikal überhöhtes Zeitbild, die psychopathologische Studie einer sich spaltenden Persönlichkeit – gleicht einem filmischen Labyrinth, das aus der hermetischen Art-Déco-Welt (Bauten: Rolf Zehetbauer) eines entwurzelten Ästheten ins schneeweiße Licht der erlösenden (Selbst-)Zerstörung führt: Verzweiflung als Chance, Wahnsinn als Weg.

R Rainer Werner Fassbinder B Tom Stoppard V Vladimir Nabokov K Michael Ballhaus M Peer Raben A Rolf Zehetbauer S Juliane Lorenz, Franz Walsch (= Rainer Werner Fassbinder) P Peter Märthesheimer D Dirk Bogarde, Andréa Ferréol, Klaus Löwitsch, Volker Spengler, Bernhard Wicki | BRD & F | 119 min | 1:1,66 | f | 19. Mai 1978

# 897 | 22. Juli 2014