30.4.64

Die Gruft mit dem Rätselschloß (Franz Josef Gottlieb, 1964)

Eine junge Australierin wird nach London geladen, um das Erbe jenes Mannes anzutreten, der einst ihren Vater ruinierte und in den Selbstmord trieb. Es ist das schlechte Gewissen, das den greisen Mr. Real (Rudolf Forster) dazu veranlaßt, sein an manipulierten Spieltischen erworbenes Vermögen in unschuldige Hände zu geben. Der (Pest-)Geruch des Geldes lockt freilich auch andere: die ehemaligen Komplizen des Alten, die sich von ihrem früheren Chef übervorteilt fühlen … Verhängnisvolle Maschinerien stehen im Mittelpunkt des Films (und des (begrenzten) gestalterischen Interesses von Regisseur Franz Josef Gottlieb): das menschenfressende Mahlwerk einer Windmühle sowie ein unterirdischer Safe in Gestalt eines gigantischen Spielautomaten, der für die habgierigen Zocker allerlei tödliche Überraschungen bereithält. Der rettende Scotland-Yard-Inspektor spielt in diesem (erzählerisch eher inkonsequenten) Edgar-Wallace-Jeu ausnahmsweise nur eine Nebenrolle; zu dieser Besonderheit paßt die Figur des charmant-zwielichtigen Protagonisten (Harald Leipnitz), der schließlich – im Konflikt zwischen erotischen und pekuniären Ambitionen – seinen Einsatz verspielt.

R Franz Josef Gottlieb B Robert A. Stemmle, Franz Josef Gottlieb V Edgar Wallace K Richard Angst M Peter Thomas A Wilhelm Vorweg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Harald Leipnitz, Judith Dornys, Eddi Arent, Rudolf Forster, Werner Peters, Klaus Kinski | BRD | 89 min | 1:2,35 | sw | 30. April 1964

# 980 | 23. November 2015

23.4.64

Wartezimmer zum Jenseits (Alfred Vohrer, 1964)

Ein kühler, trister, fast schwermütiger Sonderling, dieser seltsam schöne Alfred-Vohrer-Film, ein leicht verschnittenes Krimi-Couture-Stück, weggehängt und vergessen zwischen geläufiger Wallace-Stangenware. James Hadley Chase lieferte die Vorlage: Es geht um ein Erpressersyndikat, das reichen Herren gegen Bezahlung das Leben läßt; Hildegard Knef spielt die unendlich traurige Organisatorin des Terrors, weltweit unterwegs im Auftrag eines gelähmten Hintermannes (erbarmungslos: Richard Münch), der als hochgeschätzter Marchese in einem Traumschloß an der Adria residiert; ein junger Mann (resolut: Götz George), dessen Onkel Opfer der Verbrecher wurde, will den Laden aufmischen … Es sind die Ultrascope-Bilder von ungerührter Klarheit (Kamera: Bruno Mondi), die melancholischen Klavierkaskaden (Musik: Martin Böttcher), die alabasterglänzenden Unterwelten (Bauten: Mathias Matthies & Ellen Schmidt), die dieses Ballett des Mißtrauens und des Verrats, diesen Thriller, der cool an der Grenze von rauhem Spät-Noir und barocker Mabuse-Phantastik wandelt, über den (deutschen) Genre-Durchschnitt heben – aber es ist die nicht erzählte Liebesgeschichte zwischen einer müden Frau und einem draufgängerischen Grünschnabel, die im Gedächtnis bleibt.

R Alfred Vohrer B Eberhard Keindorff, Johanna Sibelius V James Hadley Chase K Bruno Mondi M Martin Böttcher A Mathias Matthies, Ellen Schmidt S Hermann Haller P Horst Wendlandt D Hildegard Knef, Götz George, Richard Münch, Pinkas Braun, Klaus Kinski | BRD | 90 min | 1:2,35 | sw | 23. April 1964

20.4.64

La peau douce (François Truffaut, 1964)

Die süße Haut 

Der (schwache) Mann, die (temperamentvolle) Frau, die (zwanglose) Geliebte. Die (eingefahrene) Ehe, die (kurze) Affäre, der (plötzliche) Tod. Die Liebe? Eher nicht. – Im Mittelpunkt: Pierre Lachenay (Jean Desailly), ein homme de lettres, der Vorträge hält über Balzac und das Geld oder über die letzten Tage von André Gide, verheiratet, ein Kind. Er schlittert in ein hektisches Verhältnis mit der blond-unkomplizierten Stewardess Nicole (Françoise Dorléac), zu deren sorgloser Frische er sich so wenig bekennen kann, wie er sich zur Trennung von seiner brünett-blutvollen Gattin (Nelly Benedetti) entschließen mag. Pierre ist – sein Nachname deutet es an – lâche (= feige), ein Typ ohne Courage, der sich vor Entscheidungen drückt, bis andere (die Frauen) für ihn (und damit für sich selbst) die befreienden Entschlüsse fassen. In der Anlage ein Ehebruchs- und Eifersuchtsdrama, verarbeitet François Truffaut das banale fait divers zu einer klinisch-distanzierten, in eine Vielzahl von kurzen Eindrücken zerlegte Studie einer wüstenhaften männlichen Gefühlslandschaft: »La peau douce« kon­statiert Symptome kommunikativer Impotenz bei gleichzeitig aufleuchtender intellektueller Brillanz, schildert das Nebeneinander von triebhafter Ziellosigkeit und dem Unvermögen, (eigene und fremde) Empfindungen zuzulassen oder zu begreifen. Das somnambule Leben des Protagonisten, für den ob seiner Indolenz keine Empathie, nicht einmal Mitleid, nur seelenkundliches Interesse aufkommt, endet gewaltsam beim Mittagessen im Restaurant – der finale Knalleffekt setzt den Schlußpunkt unter etwas, das nie wirklich begonnen hat.

R François Truffaut B François Truffaut, Jean-Louis Richard K Raoul Coutard M Georges Delerue S Claudine Bouché P François Truffaut D Jean Desailly, Françoise Dorléac, Nelly Benedetti, Daniel Ceccaldi, Laurence Badie | F | 119 min | 1:1,66 | sw | 20. April 1964

17.4.64

Černý Petr (Miloš Forman, 1964)

Der schwarze Peter

Für Petr (Ladislav Jakim), 17 Jahre alt, beginnt das Berufsleben in einem Lebensmittelgeschäft. Seine erste Aufgabe ist die Überwachung der hochgeschätzten, doch stets verdächtigen Kundschaft. Ein vermeintlicher Langfinger, den der Auszubildende durch die halbe Stadt verfolgt, erweist sich als guter Bekannter des Chefs, eine Diebin, die ihre Handtasche mit Bonbons füllt, läßt der Detektiv wider Willen gleichgültig laufen. Zuhause hält der rechthaberische Vater lange Vorträge über das Leben und wie es richtig zu leben sei, während die liebende Mutter mit passiv-repressiver Ausdauer die Forderung nach Gegenliebe erhebt. Miloš Forman zeigt die Welt, in die hineinzuwachsen jedermanns Bestimmung ist, als Bühne eines absurden Theaters, wo sich die Verunsicherung als Gewißheit tarnt und jede Hinwendung zum Vorwurf wird. Aber auch die Wirklichkeit der Jugendlichen – neben dem Protagonisten richtet Miloš Forman seinen Blick insbesondere auf Petrs Flamme Pavla sowie auf die beiden desorientiert-präpotenten Mauerlehrlinge Cenda und Zdenek – erscheint nicht als Himmel auf Erden, sondern als Sphäre der Verklemmung und der Aufschneiderei, der Unübersichtlichkeit und des (Selbst-)Zweifels. Ob im Schwimmbad oder auf der Sommerwiese, ob auf dem Tanzfest oder in der Wohnzimmergruft, überall zeigt Formans skizzenhafter Realismus – mit bissigem Witz und ironischer Anteilnahme –, wie schwer es fällt, sich nicht den schwarzen Peter zuschieben zu lassen.

R Miloš Forman B Miloš Forman, Jaroslav Papoušek K Jan Němeček M Jiří Šlitr A Karel Černý S Miroslav Hájek P Vladimír Bor, Jiří Šebor D Ladislav Jakim, Pavla Martínková, Jan Vostrčil, Božena Matušková, Vladimír Pucholt | CS | 85 min | 1:1,37 | sw | 17. April 1964

# 1172 | 18. August 2019

9.4.64

Die Tote von Beverly Hills (Michael Pfleghar, 1964)

»Tote sind auch nur Menschen.« Auf einem Hügel oberhalb von Los Angeles liegt eine junge Frau. Sie ist schön. Sie ist nackt. Sie wurde ermordet. Der Leichenfinder (Klausjürgen Wussow) und ein Detektiv (Wolfgang Neuss) gehen gemeinsam auf Mörderjagd. Aufschlüsse soll insbesondere das intime Tagebuch der Toten geben, das – im Gegensatz zum spröden Schwarzweiß der Krimi-Rahmenhandlung – als erotisch-verschnörkelter Lebensroman in Eastmancolor inszeniert ist: Lu (Heidelinde Weiss), als Halbwüchsige einem Wagner-Tenor verfallen, reifte, vom lüsternen Blick der Männer gleichermaßen verstört und erregt, zur koketten Nymphomanin, die einen schüchterne Seminaristen ebenso lässig um den Finger zu wickeln verstand wie einen betagten Altertumsforscher … Wollte sich Curt Goetz mit seinem (einzigen) Roman wohl vor allem einen (leicht onkelhaften) Jux auf schnulzige Bekenntnisliteratur und auf das Land seines (unfreiwilligen) Exils machen, liegt die Zielrichtung der Adaption restlos im Dunkeln: Michael Pfleghars überlange kalifornische Extravaganz wartet zwar mit einigen phantasmagorischen Show-Einfällen auf (ein Büro im luftigen Rohbau, eine mondäne Stehparty im Swimmingpool, Ausgrabungen mit dem Bulldozer), der (magere) filmische Witz beschränkt sich jedoch weitgehend auf Zeitraffer-Slapstick, Tricklinsen-Klimbim und furzkissenmäßige musikalische Kommentierung des Geschehens. Daß die Aufklärung des Verbrechens kaum interessiert, daß satirische Gesellschaftskritik nicht unbedingt auf der Agenda des eskapistischen Werks steht, mag zu verschmerzen sein, prekär erscheint allerdings die Ausstrahlung der Hauptdarstellerin, die bei allem Bemühen um sinnliche Fatalität eher an ein nett lächelndes ›Brigitte‹-Covergirl erinnert als an eine männerverhexende Lolita.

Die Tote von Beverly Hills | R Michael Pfleghar B Peter Laregh, Michael Pfleghar, Hansjürgen Pohland V Curt Goetz K Ernst Wild M Heinz Kiessling S Margot von Schlieffen P Hansjürgen Pohland D Heidelinde Weiss, Klausjürgen Wussow, Wolfgang Neuss, Ernst Fritz Fürbringer, Horst Frank | BRD | 110 min | 1:2,35 | sw & f | 9. April 1964

# 924 | 4. Dezember 2014

8.4.64

Paris – When It Sizzles (Richard Quine, 1964)

Zusammen in Paris

»It’s an action, suspense, romantic melodrama with lots of comedy, of course. And deep down underneath, a substrata of social comment.« In jenem glücklichen Paralleluniversum, wo die Filmproduzenten auf ihren Kostümfesten als Kaiser Nero auftreten, sehen die Drehbuchautoren aus wie Doubles von William Holden, schütten während ihrer »Arbeit« gallonenweise teure Spirituosen in sich hinein und leben nicht schlecht von der frechen Behauptung, schreiben zu können. Tippfräulein mit dem gefälligen Äußeren einer Audrey Hepburn bringen den stilvollen Unfug, der den vernebelten Hirnen der überbezahlten Szenaristen entspringt, übers Wochenende zu Papier – und anschließend wird der ganze Quatsch an den schönsten Orten dieser besseren Welt fröhlich auf Zelluloid gebannt. Die Hauptrollen solch angenehm nutzloser Werke spielen sympathische Säufer wie (richtig geraten!) William Holden und ewige Mädchen wie (wer sonst?) Audrey Hepburn; gut gelaunte Knallchargen wie Noël Coward und Tony Curtis tragen das ihre zum Gelingen solcher Unternehmungen bei, und Legenden wie Marlene Dietrich sind sich nicht zu schade, völlig grundlos durchs Bild zu stöckeln, solange man ihnen genug Geld hinterherwirft… »Paris – When It Sizzles« (ein Remake von Julien Duviviers flotter 14-juillet-Komödie »La fête à Henriette«) ist so ein blödsinniger Film – mit der Besonderheit vielleicht, daß er den Blödsinn nicht einfach abspult, sondern gleichzeitig selbstironisch und leichtherzig kommentiert.

R Richard Quine B George Axelrod K Charles Lang M Nelson Riddle A Jean d'Eaubonne S Archie Marshek P Richard Quine, George Axelrod D William Holden, Audrey Hepburn, Grégoire Aslan, Noël Coward, Tony Curtis, Marlene Dietrich | USA | 110 min | 1:1,85 | f | 8. April 1964