21.9.60

Comment qu’elle est (Bernard Borderie, 1960)

Eddie geht aufs Ganze

»Pour un agent secret il vous trouve un peu … bruyant.« Auftakt an der place Pigalle: Lemmy Caution (wie immer: Eddie Constantine) mischt (wie immer: feixend) das Personal eines (wie immer: zweitklassigen) Bumslokals auf; sein guter Grund: Er bestellte Whisky und bekam Champagner. Solchermaßen eingestimmt verfolgt der FBI-Agent die Spur des ominösen Spions und Nachrichtenhändlers Varlay. Leere Flaschen und zerbeulte Nasen pflastern Lemmys Weg durch schummrige Pariser Nachtbars (mit verlockenden Namen wie ›Chat Botté‹ oder ›Pomme d’Amour‹) und deren schalldichte Hinterzimmer, durch stille Vorortvillen, in denen der schnelle Tod lauert, bis in eine Galerie für abstrakte Malerei, wo der eher am Figurativen (insbesondere an der von Françoise Prévost verkörperten Kunsthändlerin) interessierte Ermittler schließlich (mit Hilfe des Dichters Rimbaud) das große Geheimnis dechiffriert: »A noir, E blanc, I rouge, U vert, O bleu: voyelles …« Den doppelgesichtigen Schurken zur Strecke zu bringen, ist anschließend reine Form- und Faustsache. Bernard Borderie serviert das x-te Abenteuer des stereotypen Serienhelden mit jenem erquicklichen Mangel an Seriosität, der Lemmy (= Eddie) so (um­werfend) liebenswert macht.

R Bernard Borderie B Bernard Borderie, Marc-Gilbert Sauvajon V Peter Cheney K Robert Juillard M Paul Misraki A René Moulaert S Christian Gaudin P Raymond Borderie, Charles Borderie D Eddie Constantin, Françoise Brion, Alfred Adam, Renaud Mary, Françoise Prévost | F | 91 min | 1:1,66 | sw | 21. September 1960

16.9.60

The Apartment (Billy Wilder, 1960)

Das Appartement 

»The Apartment« könnte ebensogut »The Key« heißen: Der Angestellte C. C. Baxter (Jack Lemmon als archetypisches Dutzendgesicht) verleiht den Schlüssel zu seiner Junggesellenwohnung an Vorgesetzte (die Herren Dobisch, Kirkeby, Vanderhoff, Eichelberger und Sheldrake – was für Namen!), die einen verschwiegenen Ort für dieses und jenes benötigen; als Gegenleistung erhält einen anderen Schlüssel – den zum ›executive washroom‹, Symbol für seine Erlösung aus der Anonymität des galeerenartigen Großraumbüros. »Some people take, some people get took«, weiß die Fahrstuhlführerin Fran Kubelik (Shirley MacLaine als weinender Clown), die sich mit Auf-(und Ab-)stiegen auskennt. Buddy-boy Baxter will einer sein, der nimmt – so wie sein oberster Boß (Fred MacMurray als Wolf unter Hunden), der glaubt, wenn jeder an sich denkt, sei an alle gedacht. »Be a mensch!« mahnt dagegen Doktor Dreyfuss (Jack Kruschen als guter Mann von nebenan). Baxter folgt schließlich dieser Aufforderung und hält den Schlüssel zum Glück in den Händen – vielleicht … Billy Wilder klebt an seine traurig-böse Komödie über die Welt, in der wir leben, eines der unwahrscheinlichsten (und deshalb umso tröstlicheren) happy endings der Kinogeschichte. Danke dafür. PS: »Shut up and deal.«

R Billy Wilder B Billy Wilder, I. A. L. Diamond K Joseph LaShelle M Adolph Deutsch A Alexandre Trauner S Daniel Mandell P Billy Wilder D Jack Lemmon, Shirley MacLaine, Fred MacMurray, Jack Kruschen, Ray Walston | USA | 125 min | 1:2,35 | sw | 16. September 1960

14.9.60

Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (Fritz Lang, 1960)

Knapp 30 Jahre und einen massenmörderischen Weltkrieg nach dessen letztem Auftritt schickt Fritz Lang (angestiftet vom Berliner Produzenten Artur ›Atze‹ Brauner) seinen mythisch-brillanten Super-Verbrecher wieder auf die Leinwand: Die dritte Dr.-Mabuse-Variation ist die »Inszenierung einer Inszenierung« – der große Plan des gemeingefährlichen Genies beruht auf totaler Überwachung und zerstörerischer Manipulation der Ausgeforschten. Schauplatz ist das Hotel Luxor, dessen Grundstein noch die Nazis legten: eine gebaute Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit, die – unbemerkt hinter den Kulissen spukend – ihren Schatten auf Gegenwart und Zukunft werfen. Die Intrigen des mysteriösen Strippenziehers werden allerdings mehr besprochen denn gezeigt, auch macht Langs Faszination für labyrinthische Strukturen – in erzählerischer und architekturaler Hinsicht – eher den Eindruck eines (wenn auch eleganten) Selbstzitats. Dennoch sind »Die 1000 Augen des Dr. Mabuse« sehens- und bemerkenswert: wegen Gert Fröbes flapsiger Performance als Kommissar Kras, wegen des Auftritts von Howard Vernon als Killer, der seinen Opfern per Luftgewehr tödliche Stilette injiziert, wegen der Nonchalance, mit der Peter van Eyck mal eben ein paar Atomkraftwerke kauft, wegen des abgefeimten Maskenspiels von Wolfgang Preiss, und nicht zuletzt weil Mabuses Wahlspruch – »Sinn des Verbrechens ist die Herrschaft des Verbrechens!« – immer noch als Motto aller die gesellschaftliche Integrität bedrohenden destruktiven Energien dienen könnte, mag es sich um Terrorismus handeln oder um eine andere jener autoaggressiven Kräfte, die jedes soziale Gefüge früher oder später zu entwickeln scheint.

R
Fritz Lang B Heinz Oskar Wuttig, Fritz Lang V Norbert Jacques K Karl Löb M Bert Grund, Werner Müller A Erich Kettelhut, Johannes Ott S Walter Wischniewsky, Waltraud Wischniewsky P Artur Brauner D Dawn Addams, Peter van Eyck, Wolfgang Preiss, Gert Fröbe, Werner Peters | BRD & F & I | 103 min | 1:1,66 | sw | 14. September 1960

13.9.60

The Criminal (Joseph Losey, 1960)

Die Spur führt ins Nichts 

»All my sadness, all my joy / Came from loving a thieving boy.« First-rate B-movie über den Ganoven Johnny Bannion (Stanley Baker), der im Knast eine große Nummer ist, aber nach seiner Entlassung erfahren muß, daß sich die Dinge geändert haben. Individualistisches Mackertum (»He’s a dazzling wonder«, heißt es einmal über den reizbaren (Anti-)Helden) ist nicht mehr gefragt: »With us it’s a team. It’s business, and your sort doesn’t fit into an organisation.« Joseph Losey kümmert sich nur sehr am Rande um das Erzählen einer stringenten Story – vieles hängt in der Luft, manches bleibt im Dunkeln, der zentrale Überfall, um den sich alles dreht, wird gar nicht erst gezeigt –, immer wieder verschiebt er die Betonung, weg von der Handlungsmotorik, hin zu den entscheidenden Momenten zwischen dem äußeren Geschehen. Akustisch und optisch forciert von John Dankworth’ lyrisch-nervösem Jazz-Score und Robert Kraskers kontrastreicher Schwarzweiß-Fotografie, verwandelt »The Criminal« die Genre-Elemente in eine rhythmische Etüde über den Einzelnen und das Kollektiv, über Vertrauen und Verrat, über die Welt als Gefängnis.

R Joseph Losey B Alun Owen K Robert Krasker M John Dankworth A Richard Macdonald S Reginald Mills P Jack Greenwood D Stanley Baker, Sam Wanamaker, Grégoire Aslan, Margit Saad, Patrick Magee | UK | 97 min | 1:1,66 | sw | 13. September 1960

2.9.60

Schachnovelle

Das Schicksal eines Wiener Aristokraten, der den Nazis nicht zu Diensten sein will: Werner von Basil (Curd Jürgens) half der katholischen Kirche, Kunstschätze in Sicherheit zu bringen, Kostbarkeiten, auf die sich nach dem »Anschluß« das besondere Interesse der neuen Machthaber richtet. Einer von ihnen ist der platinblonde Gestapo-Karrierist Hans Berger (Hansjörg Felmy), der die Persönlichkeit des stolzen Basil zu brechen gedenkt, indem er ihn in strenge Einzelhaft sperrt: kein Gespräch, kein gedrucktes Wort, keinerlei geistige Anregung – Bedingungen, unter denen ein Kulturwesen die Willenskraft früher oder später verlieren muß … Gerd Oswald, als Jugendlicher aus der Heimat vertrieben, hat Entwurzelung und Unmenschlichkeit am eigenen Leib erlebt: Sicherlich auch aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen gelingt ihm das eindringliche Porträt eines zwangsweisen Widerständlers, dem ein zufällig ergattertes Schach-Lehrbuch (»150 Meisterpartien«) den isolierten Intellekt einerseits vor Austrocknung bewahrt, andererseits vollends zu zerrütten droht. Das Schachbrett wird für den Gefangenen gleichermaßen zum erlösenden Freiraum wie zum beschränkenden Gitternetz, aus dem er sich kaum mehr zu retten weiß. Indem er Stefan Zweigs Erzählung um eine ambivalente Frauenfigur bereichert, die zwischen den rivalisierenden Männern steht, verschiebt Oswald die poltisch-ideelle Thematik zusehends ins Melodramatische und beschert dem harten Kampf von Schwarz und Weiß eine eher zuckrige Auflösung.

R Gerd Oswald B Harold Medford, Herbert Reinecker, Gerd Oswald V Stefan Zweig K Günther Senftleben M Hans-Martin Majewski A Wolf Englert, Ernst Richter S Klaus M. Eckstein P Luggi Waldleitner D Curd Jürgens, Mario Adorf, Hansjörg Felmy, Claire Bloom, Albert Lieven | BRD | 104 min | 1:1,37 | sw | 2. September 1960

# 942 | 7. Februar 2015

Gino (Ottomar Domnick, 1960)

Bundesdeutsche Nierentisch-Avantgarde vom Stuttgarter Nervenarzt, Kunstsammler, Autonarr und Gelegenheitsfilmschöpfer Ottomar Domnick: Das prekäre Dreieck zwischen einem stieseligen schwäbischen Unternehmer, seiner Exfrau, einer spröden Schriftstellerin, und dem einfältigen 16jährigen Gastarbeiter Gino (Jörg Plewa) versinnbildlicht die Störung (wenn nicht gar Unmöglichkeit) von Kommunikation in der modernen Gesellschaft. Die Protagonisten werden über ihre jeweilige Umwelt – Betrieb, Apartment, Baracke – und Sprache – Geschäftsslang, Literatur, radegebrochenes Deutsch – definiert und als widerstreitende Prinzipienträger gegeneinander in Stellung gebracht; die ambitionierte Kamera (Andor von Barsy) verbindet dabei geschickt grafische Stilisierung und dokumentarisches Interesse. Mit seinen drei parallel geführten Ebenen Wirklichkeit, Fiktion und Traum scheint »Gino« formal und erzählerisch stark von Werken wie »Hiroshima mon amour« inspiriert zu sein – von der inszenatorischen Klasse eines Alain Resnais ist der talentierte kinematographische Dilettant Domnick allerdings ein paar Stufen entfernt.

R Ottomar Domnick B Ottomar Domnick K Andor von Barsy M Wilhelm Killmayer, Johann Sebastian Bach S Gertrud Petermann P Ottomar Domnick D Jörg Pleva, Eleonore van Hoogstraten, Kurt Haars | BRD | 83 min | 1:1,37 | sw | 2. September 1960