20.1.54

Le blé en herbe (Claude Autant-Lara, 1954)

Erwachende Herzen

Es beginnt wie ein munterer Ferienfilm à la Jacques Tati: Ein sommerlicher Strand. Familien (die Garderobe verrät, daß »Le blé en herbe« in den 1920er Jahren spielt) sitzen in der Sonne. Kleine Waisenmädchen marschieren unter der Fuchtel gestrenger Erzieherinnen zum jährlichen Badespaß. Ein Strandkino wird (von Louis de Funès!) aufgebaut. Plötzlich zieht ein Sturm herauf. Hüte wirbeln durch die Luft. Drachen machen sich selbständig. Die Kinoleinwand bricht über dem Piano zusammen. Wellen schlagen hoch. Ein junger Mann kentert mit seinem Ruderboot, ruft panisch um Hilfe, säuft fast ab, kann sich gerade noch (splitterfasernackt) ans Ufer retten – mit einem herrenlosen Strohhut bedeckt er seine Blöße und eilt davon… Der schroffe Wechsel der Tonlage von heiter-skurril zu dramatisch-existenziell (und wieder zurück) antizipiert die ambivalente Stimmungslage der folgenden Erzählung um Aufbruch und Verlust nach einem (Entwicklungs- und Dreiecks-) Roman der Colette. Phil (der Ruderer) und Vinca, er 16, sie 15, verbringen seit ihrer Kindheit den Sommer gemeinsam (mit ihren jeweiligen Familien) in der Bretagne – aber: ihr vormalig geschwisterliches Verhältnis funktioniert nicht mehr, hat sich zu einer komplizierten Beziehung zwischen verwirrter Abstoßung und neckischer Anziehung, zwischen erbittertem Streit und verlangender Zärtlichkeit gewandelt. Sind sie ein Paar? Wollen sie überhaupt eines sein? Bevor es zur Entscheidung kommt, erlebt Phil eine Affäre mit einer belustigt-sehn­suchtsvollen Dame in Weiß (Edwige Feuillère), die seine Mutter sein könnte, die hinter sich hat, was ›Philévinca‹ noch vor sich haben, die für einen kurzen glücklichen Moment den zarten Hauch des längst Verlorenen atmen möchte. Am Ende der Ferien ist auch der – von Claude Autant-Lara diskret (und doch deutlich genug) in Szene gesetzte – Film zu Ende. Das Sommerhaus wird verriegelt. Phil und Vinca stehen, Hand in Hand, am nun schon herbstlich grauen Meer. Sie sind älter geworden.

R Claude Autant-Lara B Jean Aurenche, Pierre Bost, Claude Autant-Lara V Colette K Robert Lefebvre M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Louis Wipf D Edwige Feuillère, Pierre-Michel Beck, Nicole Berger, Renée Devillers, Charles Dechamps | F | 106 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1954

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