25.4.74

Dorotheas Rache (Peter Fleischmann, 1974)

Ein Festival der Liebe oder: Was Sie noch nie über Sex wissen wollten ... Peter Fleischmanns Rache am deutschen Report-Film (Schulmädchen, Krankenschwestern, Hausfrauen e tutti quanti) schickt die frühreife Tochter eines Hamburger Lachsack-Produzenten quer durch St. Pauli auf die Suche nach Liebe in den Zeiten der sexuellen Revolution. Um etwas über die große Himmelsmacht zu erfahren, treibt es Dorothea (schnutig: Anna Henkel) mit »künstlerischen Fotografen«, empfängt sie Freier in der tristen Sauberkeit des ›Eros-Center‹, besucht sie Fick-Shows in schmuddligen Etablissements, trifft sie abgelöschte Dominas und flehentliche Masochisten (die schon mal, kopfüber hängend, Rilke zitieren: »Du bist der Anfang, der sich groß ergießt, / ich bin das langsame und bange Amen, 
/ das deine Schönheit scheu beschließt.«); Co-Autor Jean-Claude Carrière bringt einige buñueleske Motive in die Stationenposse ein, zum Beispiel den Auftritt des Heilands, der salbungsvoll empfiehlt, mit Kindern und Narren zu schlafen, um glücklich zu werden. Fleischmanns boshaft-kruder Lagebericht aus der Frühgeschichte der Pornographisierung des Abendlandes kombiniert künstlerische Ausdrucksmittel wie Laientheater und home movie, Kiezfolklore und Schlagerrevue (von Jürgen Marcus bis Marianne Rosenberg), um in der Utopie freier Liebe auf dem Lande zu gipfeln. Die bleibende Schockwirkung des Streifens dürfte weniger in der drastisch ausgestellten full-frontal nudity liegen, sondern vielmehr im Anblick des allerorten üppigst sprießenden Haupt-, Brust- und Schamhaars – nie war so viel Pelz wie in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. PS: »So, Freunde des Sexualsports, das war’s mal wieder für heute. Bis zur nächsten Show noch etwas Unterhaltungsmusik von Johnny Tripper und den Syphilisten.«

R Peter Fleischmann B Peter Fleischmann, Jean-Claude Carrière K Jean-Jacques Flori, Klaus Müller-Laue M Philippe Sarde S Robert Polak, Maria Heidemann, Ernst Witzel P Peter Fleischmann D Anna Henkel, Gunter Thiedeke, Régis Genger, Elisabeth Potchanski, Alexander von Paczensky | BRD & F | 92 min | 1:1,37 | f | 25. April 1974

7.4.74

The Conversation (Francis Ford Coppola, 1974)

Der Dialog

»He’d kill us if he got the chance.« Francis Ford Coppolas minimalistischer Paranoia-Thriller reflektiert über Akustik, Hören, Geräusche, Zwischentöne – und liefert zugleich einen lyrischen Kommentar zur Überwachungsgesellschaft. Harry Caul (präzise, unsympathisch, eindringlich: Gene Hackmann) ist ein Abhörspezialist, dem in seinem Leben schon so viel zu Ohren gekommen ist, daß er selbst nur noch schweigen kann. Die Verwicklung in eine undurchsichtige (= undurchhörbare) Intrige läßt ihn – eher ungewollt – aus der Rolle des professionell-unbeteiligten Lauschers ausbrechen; dennoch kann er nicht verhindern, daß ein Verbrechen geschieht (das er hört, aber nicht sieht). Erst danach wird Caul (und mit ihm dem Publikum) klar, daß es einen Unterschied gibt zwischen Tönen und Betonung – und daß auch totale Information keine Erkenntnis garantiert.

R Francis Ford Coppola B Francis Ford Coppola K Bill Butler, Haskell Wexler M David Shire A Dean Tavoularis S Richard Chew P Francis Ford Coppola D Gene Hackman, John Cazale, Allen Garfield, Frederick Forrest, Cindy Williams | USA | 113 min | 1:1,85 | f | 7. April 1974

4.4.74

Der nackte Mann auf dem Sportplatz (Konrad Wolf, 1974)

Szenen aus dem Leben eines Bildhauers im real-existierenden Sozialismus: Kemmel (gleichermaßen weich und kantig: Kurt Böwe) lebt mit Frau und Sohn am Rand der großen Stadt Berlin und sucht (s)einen Weg als Künstler zwischen gesellschaftlicher Erwartung und persönlicher Perspektive. Regisseur Konrad Wolf und Autor Wolfgang Kohlhaase erzählen betont distanziert, bewußt elliptisch, zerlegen das Geschehen in präzise beobachtete Momentaufnahmen von melancholischer Emotionalität und/oder spröder Ironie. Der dokumentarische Gestus der Gestaltung (Kamera: Werner Bergmann) erweist sich dabei als überaus sorgfältiges filmische Arrangement, in der jede scheinbare Augenblicksinspiration, jede noch so beiläufig anmutende Situationsbeschreibung ihren exakt festgelegten Platz im großen Ganzen hat. PS: Die urste Besetzung gleicht einem Who’s Who des DDR-Schauspiels: Gerhard Bienert, Elsa Grube-Deister, Rolf Hoppe, Ursula Karrusseit, Marga Legal, Dieter Mann, Dieter Montag, Vera Oelschlegel, Günter Schubert, Jaecki Schwarz, Katharina Thalbach.

R Konrad Wolf B Wolfgang Kohlhaase, Konrad Wolf K Werner Bergmann M Karl-Ernst Sasse A Alfred Hirschmeier S Evelyn Carow P Herbert Ehler D Kurt Böwe, Ursula Karusseit, Martin Trettau, Else Grube-Deister, Marga Legal | DDR | 101 min | 1:1,66 | f | 4. April 1974