30.5.75

Faustrecht der Freiheit (Rainer Werner Fassbinder, 1975)

»Eine wunderschöne Romanze: der Unternehmer und die Lottokönigin.« Auf die Frage, was er tue, wenn er einen Menschen liebe, antwortet Bertolt Brechts Herr Keuner, er mache einen Entwurf von ihm und sorge dafür, daß er ihm ähnlich werde – der Mensch, nicht der Entwurf. In Rainer Werner Fassbinders »Faustrecht der Freiheit« geht der naiv-sensible Homoprolo Franz Bieberkopf, der durch einen Glückstreffer zu Reichtum kommt, noch einen Schritt weiter: Er macht einen Entwurf von der Liebe (Vertrauen, Solidarität, eine Prise gutmütiger Provokation) und unternimmt alles, damit ihm das Leben ähnlich werde. Der Versuch schlägt fehl – die Verhältnisse, sie sind nicht so. Großzügigkeit (in emotionalen wie finanziellen Angelegenheiten), so Prämisse und Erkenntnis dieser eigentümlichen Zweckehe von ironisch-trostlosem Lehrstück und opernhaft-schwulem Melodram, wird als ebenjene Dummheit, die sie in der kapitalistischen Gesellschaft nun einmal ist, verstanden und entsprechend (aus-)genutzt. Die überraschungsfreie Geradlinigkeit der Erzählung erscheint als Schwäche und Stärke gleichermaßen: Zu keinem Zeitpunkt des Geschehens kann am Ausgang der Moritat gezweifelt werden – Spannung bleibt mithin aus; genau dieser Umstand erlaubt jedoch das präzise topographische Studium einer Gefühlslandschaft, die sich von den scheinfriedlichen Tälern der Illusion bis zu den Gipfeln des ausbeuterischen Verrats erstreckt. PS: »Es gibt Leute, die sich waschen, und andere, die sind sauber.« – »Und dann gibt es wieder Leute, die stinken, obwohl sie sauber sind.«

R Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder, Christian Hohoff K Michael Ballhaus M Peer Raben A Kurt Raab S Thea Eymèsz P Rainer Werner Fassbinder D Rainer Werner Fassbinder, Peter Chatel, Karlheinz Böhm, Adrian Hoven, Ulla Jacobsson | BRD | 123 min | 1:1,37 | f | 30. Mai 1975

21.5.75

The Return of the Pink Panther (Blake Edwards, 1975)

Der rosarote Panther kehrt zurück

»To Catch a Thief« revisited: Wieder einmal wird der hochkarätige ›Pink Panther‹ entwendet; wieder einmal nimmt Inspektor Clouseau (ein Meister der grotesken Maske: Peter Sellers) die kriminalistische Fährte des ›Phantoms‹ auf, die (behäbig) durch den Mittleren Osten, an die Côte d’Azur, in die Schweizer Alpen mäandert; wieder einmal in Verdacht gerät Sir Charles Lytton (leider nicht von Grandseigneur David Niven sondern von Ersatz-Beau Christopher Plummer gespielt), der diese Unterstellung aus der Welt zu schaffen gedenkt, indem er den wahren Täter faßt; wieder einmal gehen zahllose Inneneinrichtungen zu Bruch, fliegen Fetzen, reißen Nerven. Zunehmend wichtiger als die (umständlich verdoppelte) Ermittlung wird jedoch das Geschehen auf dem Nebenkriegsschauplatz, wo Clouseaus haßerfüllt-mörderischer Vorgesetzter Dreyfus (mit irrem Lidflattern: Herbert Lom) seinem kreativ-destruktiven Untergebenen (erfolglos) nach dem Leben trachtet … Solange Blake Edwards sich auf die anarchische Präzision seines Hauptdarstellers verläßt, funktioniert »The Return of the Pink Panther« vorhersehbar gut, in den (viel zu breiten) erzählerischen Zwischenräumen herrschen indes komödiantischer Leerlauf und (gehobener) formaler Durchschnitt. PS: »Compared to Clouseau, Attila the Hun was a Red Cross volunteer!«

R Blake Edwards B Blake Edwards, Frank Waldman K Geoffrey Unsworth M Henry Mancini A Peter Mullins S Tom Priestley P Blake Edwards D Peter Sellers, Christopher Plummer, Catherine Schell, Herbert Lom, Burt Kwouk | UK | 113 min | 1:2,35 | f | 21. Mai 1975

18.5.75

French Connection II (John Frankenheimer, 1975)

French Connection II

Drogencop ›Popeye‹ Doyle gerät unter die Froschfresser. John Frankenheimers Fish-out-of water-Thriller liefert zum einen die souveräne Fortsetzung von William Friedkins brillanter Vorgabe (der gleiche reportagehafte Zugriff auf die Handlung, die gleiche physische Präsenz der Akteure, die gleiche vibrierende Sensibilität für den Ort des Geschehens – in diesem Fall das sommerlich-abweisende Marseille), andererseits läßt »French Connection II« noch mehr Raum für die Persönlichkeitsstudie des obsessiven Protagonisten. Die Action tritt in den Hintergrund zugunsten der wahnsinnigen one man show von Gene Hackman, die in einer rund halbstündigen Sequenz gipfelt, in der ›Popeye‹ – von den Dealern gekidnappt – mit Heroin vollgespritzt wird, um anschließend von seinem französischen Kollegen (kantig: Bernard Fresson) auf den kalten Entzug geschickt zu werden. Fernando Rey gibt einmal mehr den vornehm-unterkühlten Widersacher, die fast 90jährige Cathleen Nesbitt imponiert in einer anrühend-geisterhaften Nebenrolle (›The Old Lady‹ – mit zerstochenen Armen). Der lapidare Schluß des Films schafft ohne jeden emotionalen Überschwang endgültige Fakten. Un point c’est tout.

R John Frankenheimer B Alexander Jacobs, Robert Dillon, Laurie Dillon K Claude Renoir M Don Ellis A Jacques Saulnier S Tom Rolf P Robert L. Rosen D Gene Hackman, Fernando Rey, Bernard Fresson, Cathleen Nesbitt, Philippe Léotard | USA | 119 min | 1:1,85 | f | 18. Mai 1975

7.5.75

The Day of the Locust (John Schlesinger, 1975)

Der Tag der Heuschrecke

»I hope you'll be very happy here.« Hollywood in den späten 1930er Jahren: Eine falschblonde Komparsin (billig: Karen Black), ein abgehalfterter Komiker (schmuddelig: Burgess Meredith), ein verklemmter Buchhalter (explosiv: Donald Sutherland), ein hochfliegender Szenenbildassistent (eigenschafttslos: William Atherton) tragen ihr Talent (und ihre Haut) auf den Markt der Lügen, träumen vom (früheren oder kommenden) Erfolg, hoffen auf das Glück, auch wenn sie vorgeben, nicht (mehr) daran zu glauben. Für diese (und andere) Lohnarbeiter der Traumfabrik funkelt der Glamour nur in weiter Ferne, das Verhängnis aber wohnt im schäbigen Apartment nebenan … John Schlesinger erzählt (nach einem Roman von Nathanael West) keine straff durchorganisierte Geschichte, er beobachtet eine Vielzahl von einander nur äußerlich, fast widerstrebend berührenden (Einzel-)Schicksalen im Zeitalter der Massen(-Medien), arrangiert Vignetten, Intermezzi, Randnotizen zu einem brüchigen Epos des Talmi, verdichtet fast unmerklich die psychologische Spannung, bis sich die aufgestauten Emotionen in einer visionären Orgie der Zerstörung entladen: »Sunset Blvd.« meets »Zabriskie Point«. Conrad Halls delikate Bilder schimmern zunächst im warmen Sepiaton der Nostalgie, verdorren dann zum staubigen Braungrau der Desillusion, um im apokalyptischen Schlußkapitel endlich grell aufzuflammen. Die ungewöhnliche filmische Melange aus Groteske und Poesie, aus beklemmendem Naturalismus und surrealistischer Kritik des amerikanischen (Alp-)Traums sichern »The Day of the Locust« eine höchst achtbare Sonderstellung zwischen Mainstream und Experiment.

R John Schlesinger B Waldo Salt V Nathanael West K Conrad Hall M John Barry A Richard Macdonald S Jim Clark P Jerome Hellman D Donald Sutherland, Karen Black, Burgess Meredith, William Atherton, Geraldine Page | USA | 144 min | 1:1,85 | f | 7. Mai 1975