24.2.69

The Prime of Miss Jean Brodie (Ronald Neame, 1969)

Die besten Jahre der Miss Jean Brodie

»Give me a girl at an impressionable age and she is mine for life.« Edinburgh in den 1930er Jahren: Miss Jean Brodie, Lehrerin an der Marcia Blaine School for Girls, widmet ihre besten Jahre (»I am truly in my prime.«) voller Leidenschaft (»I am a teacher! First, last, always!«) der Erziehung der ihr anbefohlenen Schülerinnen, von denen sie Großes erwartet (»All my pupils are the crème de la crème.«) ... Maggie Smith in der Titelrolle der unkonventionellen Pädagogin verwandelt Ronald Neames Romanadaption in eine kurzweilige One-Woman-Show, wobei die von Muriel Spark erfundene, faszinierend widersprüchliche Figur – ihr theatralischer Snobismus und ihre erotische Einbildungskraft, ihr überspannter Enthusiasmus und ihre Anfälligkeit für faschistische Ideen, ihr sinnenhaftes Schwanken zwischen Kunst (Mr. Lloyd) und Musik (Mr. Lowther) – letztlich zur mal kuriosen, mal grotesken jüngferlich-schwärmerischen Neurotikerin reduziert erscheint, die versäumte Chancen nachträglich im Leben ihrer Zöglinge zu realisieren trachtet. Wichtige Motive dieser Darstellung einer tragikomischen Existenzverfehlung – Liebe und Sex, Führung und Gefolgschaft, Vertrauen und Verrat – finden sich in Jay Presson Allens Bearbeitung zwar wieder, doch Sparks elegant strukturierte Erzählung mit ihren permanenten Zeitsprüngen und ständigen Perspektivwechseln wird umstandslos auf linearen Kurs gebracht, während entscheidende religiöse Aspekte gleich ganz unter den Tisch fallen.

R Ronald Neame B Jay Presson Allen V Muriel Spark K Ted Moore M Rod McKuen A John Howell S Norman Savage P Robert Fryer D Maggie Smith, Robert Stephens, Gordon Jackson, Celia Johnson, Pamela Franklin | UK & USA | 116 min | 1:1,85 | f | 24. Februar 1969

# 1048 | 20. Februar 2017

21.2.69

Der Mann mit dem Glasauge (Alfred Vohrer, 1969)

Fast scheint es, als hätte Alfred Vohrer gewußt, daß er mit dieser kruden Rachegeschichte um Drogen- und Mädchenhandel seinen Edgar-Wallace-Abschied gibt – so spielerisch wirft er die Prämissen der Reihe über den Haufen, so souverän ignoriert er etwaige Erwartungshaltungen. Keine verwinkelten Herrenhäuser, kein wabernder Nebel, kein dämonischer Kinski, kein hochanständiger Fuchsberger. Statt dessen jede Menge schwuler Anzüglichkeiten und Dutzende schwingender Mädchenbeine, viel frivoles Artistenmilieu und wüste Farbexzesse (Kamera: Karl Löb). Die subgenretypische Mischung aus Gemetzel und Klamauk funktioniert (nicht zuletzt Dank ›Hubsi‹ von Meyerinck in der Rolle des hitzig-verkalkten Scotland-Yard-Chefs Sir Arthur) so gut wie selten zuvor; zudem bietet »Der Mann mit dem Glasauge« eine der vielleicht bösesten Mutterfiguren der Filmgeschichte: Die von Friedel Schuster eindrucksvoll gespielte Lady Sharringham (deren eiserne Damenhaftigkeit wie eine unheimliche Vorausblende auf Margaret Thatcher wirkt) kann es durchaus aufnehmen mit matriarchalen Monstren vom Schlage einer Mrs. Iselin oder einer Mrs. Bates selig.

R Alfred Vohrer B Paul Hengge V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Wilhelm Vorweg, Walter Kutz S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Horst Tappert, Karin Hübner, Hubert von Meyerinck, Fritz Wepper, Friedel Schuster | BRD | 87 min | 1:1,85 | f | 21. Februar 1969

11.2.69

Model Shop (Jacques Demy, 1969)

Das Fotomodell

Die Liebe des Auswärtigen, des Besuchers zu einer Stadt ist grundsätzlich anders als die des Einheimischen, des Bewohners: Ohne Erinnerungen, frei von Sehgewohnheiten, gesegnet mit dem unverbrauchten Blick des Fremden, kann sich der Durchreisende, der Gast, der Gestrandete fessellos treiben lassen, kann Oberflächenreize erkunden, kann Erscheinungen studieren. So macht es Jacques Demy, großes Kind, naiv Liebender, mit Los Angeles, dem Objekt seiner amerikanischen Begierde: »Model Shop« ist pure Phänomenologie. Die Figuren des Films – George (zugereist aus San Francisco – Gary Lockwood), ein junger Architekt, der mit seinem Leben gerade nicht besonders viel anzufangen weiß, und Lola (die eigentlich Cécile heißt und aus dem fernen Nantes stammt – Anouk Aimée), die unglückliche, rätselhaft-schöne Französin, der er nachstellt – sind nichts als Katalysatoren, die das neugierige Erkunden der Stadt ermöglichen. Ein Mann, der bald schon in den (Vietnam-)Krieg ziehen muß, eine Frau, die so bald wie möglich in die Heimat zurückkehren will, begegnen sich, verfolgen sich, beäugen sich, finden sich, verlassen sich. 24 Stunden in einer Stadt, die viele für häßlich halten, die aber in der Wirklichkeit des Kinos nur eines ist: reine Poesie. Eine kleine Ewigkeit in einer Stadt, die geschaffen scheint für endlose Fahrten im offenenen Wagen: über vermeintlich monotone Boulevards, vorbei an leuchtenden billboards, entlang des grafischen Liniengewirrs der Stromleitungen, hinauf in die Hügel – von denen sich das grandiose Panorama öffnet auf die magische Geometrie eines urbanen Happenings.

R Jacques Demy B Jacques Demy K Michel Hugo M Spirit A Kenneth A. Reid S Walter Thompson P Jacques Demy D Gary Lockwood, Anouk Aimée, Alexandra Hay, Carole Cole, Tom Holland | USA & F | 95 min | 1:1,85 | f | 11. Februar 1969