5.9.40

Jud Süß (Veit Harlan, 1940)

In der pseudo-historischen Schauermär um den brillanten jüdischen Geschäftsmann, der – inmitten von provinziellem Neid, protestantischer Bigotterie und politischen Intrigen – an seinem persönlichen Ehrgeiz und, entscheidender noch, an seinem sexuellen Appetit zugrunde geht (im indoktrinierenden Sinne des Films: zugrunde gehen muß), kann Veit Harlans sein unbestreitbares Talent, vulgär-erotomanischen Gefühlskitsch wirksam in Szene zu setzen, nachdrücklich zur Geltung bringen. Mit spürbarer Lust an darstellerischer Drastik läßt Harlan Heinrich George und Ferdinand Marian die prallen Schurkenrollen gestalten: den polternden Herzog von Württemberg, einen versoffenen Wüstling und prunksüchtigen Lebemann, den es nach einer Leibgarde, einem Ballett und einer Oper verlangt, und dessen alerten Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer, der seinem Souverän alle absolutistischen Wünsche mit fatalem finanziellen Genie erfüllt. Abgesehen von Anfang und Ende der Erzählung, die einen schleimig-schläfenlockigen beziehungsweise verwahrlost-jiddelnden Oppenheimer präsentieren, legt Marian die Titelrolle mit einer gehörigen Portion Strizzi-Schmäh als sinnlich-faszinierenden Lumpenhund an. Die traditionellen antisemitischen Hakennasen-Stereotypen bedient dagegen voll fragwürdiger Leidenschaft Werner Krauß (einst als Dr. Caligari zu Filmruhm gekommen), der gleich alle (fünf!) weiteren jüdischen Rollen des Stückes übernimmt; stammte »Jud Süß« nicht aus dem Jahre 1940, könnte Krauß’ Leistung als subversive Parodie rassistischer Klischeebilder durchgehen. Beinahe noch abstoßender agieren die renommierten »Staatsschauspieler« Eugen Klöpfer und Albert Florath sowie der junge Malte Jäger, die als inbrünstige Judenhasser das Leben und am besten noch die Seele (wenn er denn nach ihrer Lesart überhaupt eine haben könnte) dessen fordern, der blutsmäßig so ganz anders ist als sie (= du und ich). Veit Harlan inszeniert »Jud Süß« stringent, in den geschlechtlich aufgeladenen Szenen zwischen Oppenheimer und der von ihm, mit fast irrationaler Wucht, begehrten Dorothea Sturm (Kristina Söderbaum) läuft seine Regie gar zu großer exploitativer (und damit in diesem Falle eben auch: propagandistischer) Klasse auf. Sowohl die triebhafte Zudringlichkeit, mit der sich der dämonisch-dunkle Oppenheimer der jungen, blonden Frau nähert, als auch die extremen Mittel, die er anwendet, um sie zu gewinnen, würden ihn in einem x-beliebigen Psychodrama aus einem x-beliebigen Jahr zum aufregenden Schuft-you-love-to-hate erheben – in einem zwischen Nürnberger Gesetzen und Wannseekonferenz gedrehten großdeutschen Film machen sie »den Juden« zum infamen Inbegriff des Erzfeindes, zum Objekt einer unbedingt notwendigen Auslöschung. Hier trifft das Verdikt, das Thomas Harlan später über das Werk seines Vaters sprechen wird, ins Ziel: Zur Zeit seiner Entstehung und seiner massenhaften Verbreitung funktioniert »Jud Süß«, dieser »ganz große, geniale Wurf« (Joseph Goebbels), als – in jedem Falle: geistiges – Mordinstrument.

R Veit Harlan B Eberhard Wolfgang Möller, Ludwig Metzger, Veit Harlan K Bruno Mondi M Wolfgang Zeller A Otto Hunte, Karl Vollbrecht S Wolfgang Schleif, Friedrich Karl von Puttkammer P Otto Lehmann D Ferdinand Marian, Heinrich George, Kristina Söderbaum, Werner Krauß, Eugen Klöpfer | D | 98 min | 1:1,37 | sw | 5. September 1940