28.8.74

Contes immoraux (Walerian Borowczyk, 1974)

Unmoralische Geschichten

Walerian Borowczyk, der sich nicht entscheiden wollte, entweder surreal-kafkaesker Cinéast oder kultivierter Mösenfilmer zu sein (und ganz einfach beides war), erzählt in »Contes immoraux« vier Geschichten ohne Moral, was zunächst und vor allem bedeutet, daß er nicht urteilt, sondern einfach nur zeigt – ganz egal, ob ein Mädchen mit einer Gurke schläft oder mit ihrem Vater (der zufälligerweise auch noch Papst ist), ob es vom Blut erblühender Jungfrauen umspült wird oder (während eines Blowjobs) von der Gischt des Meeres. Seine Herkunft als Trickfilmer kann der Erotomane Borowczyk nicht verleugnen, erscheinen seine Protagonisten doch weniger als lebendige Menschen denn als ferngesteuerte Geschöpfe eines auktorialen Animators, der mit Themen wie Verlangen und Hingabe, Experimentierfreude und Reulosigkeit seine verbastelt-detailverliebten, ironisch-kulinarischen Spielchen treibt. In der vielleicht besten Episode des Films verkörpert die leblos-schöne Paloma Picasso die ungarische Blutgräfin Erzsebet Báthory, die über Land reitet und persönlich die Fleischbeschau ihrer rosig-zarten weiblichen Opfer vornimmt, um nach erfrischendem Bad (worin wohl?) schlußendlich von ihrer androgynen Liebhaberin (und Hofschlächterin) an die Häscher des Königs verraten zu werden. Erotik kennt eben keine Moral.

R
Walerian Borowczyk B Walerian Borowczyk K Bernard Daillencourt, Guy Durban, Noël Véry, Michel Zolat M Maurice Leroux A Walerian Borowczyk S Walerian Borowczyk P Anatole Dauman D Lise Danvers, Fabrice Luchini, Paloma Picasso, Jacopo Berinizi, Florence Bellamy | F | 103 min | 1:1,66 | f | 28. August 1974

14.8.74

Bring Me the Head of Alfredo Garcia (Sam Peckinpah, 1974)

Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia

»I’ve killed people ... and worse, a whole lot worse.« Es war einmal in Mexico: El Jefe bietet eine Million Dollar für den Kopf des Mannes, der seine Tochter schwängerte. Ein Konsortium von Killern (unter ihnen Robert Webber und Gig Young) schwärmt aus, das Haupt des Stechers herbeizuschaffen. Auch der in Mexico gestrandete Ex-G.I. Bernie, der sich als Klimperer in einem Amüsierschuppen für Touristen verdingt (nie ohne Sonnenbrille: Warren Oates), geht – in Begleitung seiner rassigen Geliebten – mit auf die Kopfjagd, wohlwissend, daß der Gesuchte zwischenzeitlich bei einem Unfall ums Leben kam und in seinem Heimatkaff unter die Erde gebracht wurde ... »Der Mensch ist ungefähr in dem Maß human, als das Huhn fliegt«, schrieb Louis-Ferdinand Céline, Verfasser der »Reise ans Ende der Nacht«, und auch Sam Peckinpah gibt sich keinen Illusionen über die Natur der von ihm betrachteten Spezies hin. »Bring Me the Head of Alfredo Garcia«, bizarre Melange aus Roadmovie und Thriller, schwarzer Komödie und Melodram, rohe (gelegentlich etwas redselige) Phantasie über den Schmutz, das Geld und den Tod, gleicht einem grotesken Höllenritt über staubige Straßen und armselige Friedhöfe, durch verwanzte Betten und schäbige Dörfer, wobei die größten (moralischen) Dreckhaufen nicht unten in der Gosse liegen, sondern in den Büros von Geschäftsleuten und in den Häusern der Reichen. »Nobody loses all the time«, glaubt Bernie, doch schließlich, wenn ihm als letzter Freund nur der Kopf eines Toten bleibt, erkennt auch er, daß der Preis des Sieges allemal höher ist als der anfallende Gewinn.

R Sam Peckinpah B Sam Peckinpah, Gordon Dawson K Alex Phillips Jr. M Jerry Fielding A Agustín Ituarte S Dennis E. Dolan, Sergio Ortega, Robbe Robert P Martin Baum D Warren Oates, Isela Vega, Robert Webber, Gig Young, Emilio Fernández, Kris Kristofferson | USA & MEX | 112 min | 1:1,85 | f | 14. August 1974

# 1056 | 8. Juni 2017