Alles über Eva
»Fasten your seat belts. It's going to be a bumpy night.« Das Leben der meisten Menschen besteht weniger aus Handeln denn aus Reden. Kaum einer tut etwas; fast alle äußern sich nur – viele gerade auch darüber, daß etwas getan werden müßte. Joseph L. Mankiewicz gehört zu jenen (wenigen) Hollywood-Regisseuren, die diesem prägenden Umstand der modernen Existenz Rechnung tragen: In beinahe jedem seiner Filme tritt er den Beweis an, daß mit der pointierten Einrichtung eines geschliffenen Dialogs großer künstlerischer Staat zu machen ist. »All About Eve«, eines der eloquentesten Leinwandwerke überhaupt, spielt (gebührenderweise) in der Welt des (New Yorker) Theaters und erzählt von der brillanten, aber alternden (und dabei außerordentlich kindischen) Diva Margo Channing (Bette Davis), welcher Konkurrenz in Gestalt der, die (noch) unangefochtene grande dame (scheinbar) bewundernden, jugendfrischen (dennoch beinharten) Nachwuchsaktrice Eve Harrington (Anne Baxter) zuwächst. Um diese explosive Konstellation gruppieren sich: eine biestig-lebenskluge Zofe (Thelma Ritter), ein ambitionierter Dramatiker (Hugh Marlowe), dessen zunehmend verdrossene Gattin (Celeste Holm), ein jungenhaft-ungestümer Regisseur (Gary Merrill) sowie ein über seine restlose Verfallenheit an die Bühne zynisch gewordener Kritikerpapst (George Sanders). Mankiewicz beschreibt (alle) seine Protagonisten mit der gnadenlosen Liebe eines allmächtigen Schöpfers und legt ihnen – das ist der Unterschied zwischen dem Kino und der wirklichen Wirklichkeit – immer den passenden, zündenden, treffenden, manchmal auch (natürlich nur im übertragenen Sinne) tödlichen Satz in den Mund.
R Joseph L. Mankiewicz B Joseph L. Mankiewicz V Mary Orr K Milton Krasner M Alfred Newman A George W. Davis, Lyle R. Wheeler S Barbara McLean P Darryl F. Zanuck D Bette Davis, Anne Baxter, George Sanders, Celeste Holm, Gary Merrill, Marilyn Monroe | USA | 138 min | 1:1,37 | sw | 13. Oktober 1950
13.10.50
27.9.50
La ronde (Max Ophüls, 1950)
Der Reigen
»Où sommes-nous ici? Sur une scène? Dans un studio? Dans une rue? Ah … nous sommes à Vienne. 1900.« Der soignierte Conférencier (Adolf Wohlbrück), der die Mechanik der episodischen Handlung in Gang setzt, wird das folgende Ringelreihen der Begierde – von der Dirne zum Soldaten zum Stubenmädchen zum jungen Herrn zur verheirateten Frau zum Ehemann zum süßen Mädel zum Dichter zur Schauspielerin zum Grafen zurück zur Dirne – immer wieder ironisch kommentieren, es in verschiedenen Masken (als Kutscher, als Kellner, als Hausmeister) begleiten, es ab und zu sogar eingreifend lenken. Die erzählerische Kreisbewegung, von der die zehn Paarungen zusammengebunden werden, erscheint als (opulent ausgestattete) Allegorie der ewigen Wiederkehr von Lust und Enttäuschung, als (detailreich ausgemaltes) Gleichnis von der genußfreudigen Monotonie des Eros. Formale Entsprechungen findet diese Rotation der (schnell erkaltenden) Gefühle visuell im Motiv des endlos sich drehenden Karussells sowie musikalisch in der Melodie eines von Oscar Straus komponierten Walzers:» Tournent, tournent, mes personnages / La terre tourne jour et nuit.« Max Ophüls (der eigentliche Spielführer) entzaubert in »La ronde« nicht nur (darin Arthur Schnitzler, dem Autoren der Vorlage, folgend) mit melancholischem Spott und theatralischen Verfremdungseffekten die romantische Liebe – durch die Einführung eines neben und über dem Geschehen schwebenden meneur de jeu werden die Protagonisten (verkörpert unter anderem von Simone Signoret, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Serge Reggiani) darüber hinaus zu zweifachen Marionetten: ihres nicht zu unterdrückenden Verlangens und ihres unentrinnbaren Schicksals.
R Max Ophüls B Max Ophüls, Jacques Natanson V Arthur Schnitzler K Christian Matras M Oscar Straus A Jean d’Eaubonne S Léonide Azar P Ralph Baum, Sacha Gordine D Adolf Wohlbrück, Simone Signoret, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Serge Reggiani | F | 97 min | 1:1,37 | sw | 27. September 1950
»Où sommes-nous ici? Sur une scène? Dans un studio? Dans une rue? Ah … nous sommes à Vienne. 1900.« Der soignierte Conférencier (Adolf Wohlbrück), der die Mechanik der episodischen Handlung in Gang setzt, wird das folgende Ringelreihen der Begierde – von der Dirne zum Soldaten zum Stubenmädchen zum jungen Herrn zur verheirateten Frau zum Ehemann zum süßen Mädel zum Dichter zur Schauspielerin zum Grafen zurück zur Dirne – immer wieder ironisch kommentieren, es in verschiedenen Masken (als Kutscher, als Kellner, als Hausmeister) begleiten, es ab und zu sogar eingreifend lenken. Die erzählerische Kreisbewegung, von der die zehn Paarungen zusammengebunden werden, erscheint als (opulent ausgestattete) Allegorie der ewigen Wiederkehr von Lust und Enttäuschung, als (detailreich ausgemaltes) Gleichnis von der genußfreudigen Monotonie des Eros. Formale Entsprechungen findet diese Rotation der (schnell erkaltenden) Gefühle visuell im Motiv des endlos sich drehenden Karussells sowie musikalisch in der Melodie eines von Oscar Straus komponierten Walzers:» Tournent, tournent, mes personnages / La terre tourne jour et nuit.« Max Ophüls (der eigentliche Spielführer) entzaubert in »La ronde« nicht nur (darin Arthur Schnitzler, dem Autoren der Vorlage, folgend) mit melancholischem Spott und theatralischen Verfremdungseffekten die romantische Liebe – durch die Einführung eines neben und über dem Geschehen schwebenden meneur de jeu werden die Protagonisten (verkörpert unter anderem von Simone Signoret, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Serge Reggiani) darüber hinaus zu zweifachen Marionetten: ihres nicht zu unterdrückenden Verlangens und ihres unentrinnbaren Schicksals.
R Max Ophüls B Max Ophüls, Jacques Natanson V Arthur Schnitzler K Christian Matras M Oscar Straus A Jean d’Eaubonne S Léonide Azar P Ralph Baum, Sacha Gordine D Adolf Wohlbrück, Simone Signoret, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Serge Reggiani | F | 97 min | 1:1,37 | sw | 27. September 1950
18.9.50
Cronaca di un amore (Michelangelo Antonioni, 1950)
Chronik einer Liebe
Nein, es sei nicht die alte Geschichte, sagt der Chef einer Mailänder Auskunftei zu dem Mitarbeiter, den er auf die Spur einer attraktiven jungen Frau setzt, deren vermögender Gatte, nach Auffinden einiger alter Fotos, etwas über das Vorleben jener Paola erfahren möchte, die er sieben Jahre zuvor, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, Hals über Kopf geheiratet hat. Mit finsterer Ironie nutzt (und bricht) Michelangelo Antonioni im Folgenden visuelle und narrative Ingredienzen des Film noir, um das von der detektivischen Recherche (die auch nach Ferrara, die Heimatstadt des Regisseurs, führt) in Gang gesetzte Geschehen zu schildern, das eine lange erloschene Liebe hitzig wiederaufflammen läßt und im Tod des wißbegierigen Ehemannes gipfelt. Deutlich angelehnt an James L. Cains Thriller »The Postman Always Rings Twice«, dessen Erzählkern er variiert, indem er gutbürgerliche Kreise zum Schauplatz der Handlung macht, erzählt Antonioni in langen, sorgfältig arrangierten Einstellungen von den Schatten der Vergangenheit und einem Dreieck der Leidenschaft, von Eifersucht und Argwohn, Überdruß und Verachtung, spricht aber auch (und vor allem) von moralischer und emotionaler Indifferenz der Nachkriegszeit, von Eigensucht und Desillusion des beginnenden italienischen Wirtschaftswunders, zieht Parallelen zwischen winterlichen Straßen und verlassenen Plätze, die den inneren Zustand der Protagonisten spiegeln, und der leeren Welt der »weißen Telefone«, ihren teuren Roben, schnellen Autos, luxuriösen Wohnungen, portraitiert mit Lucia Bosè und Massimo Girotti (der eine vergleichbare Rolle zuvor in Luchino Viscontis Cain-Adaption »Ossessione« spielte) schon in seinem ersten Spielfilm ein Paar, das der Krankheit der Gefühle erliegt.
R Michelangelo Antonioni B Michelangelo Antonioni, Daniele D’Anza, Silvio Giovaninetti, Francesco Maselli, Piero Tellini K Enzo Serafin M Giovanni Fusco A Piero Filippone S Eraldo Da Roma P Franco Villani D Lucia Bosè, Massimo Girotti, Ferdinando Sarmi, Gino Rossi, Marika Rowsky | I | 98 min | 1:1,37 | sw | 18. September 1950
# 1157 | 19. April 2019
Nein, es sei nicht die alte Geschichte, sagt der Chef einer Mailänder Auskunftei zu dem Mitarbeiter, den er auf die Spur einer attraktiven jungen Frau setzt, deren vermögender Gatte, nach Auffinden einiger alter Fotos, etwas über das Vorleben jener Paola erfahren möchte, die er sieben Jahre zuvor, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, Hals über Kopf geheiratet hat. Mit finsterer Ironie nutzt (und bricht) Michelangelo Antonioni im Folgenden visuelle und narrative Ingredienzen des Film noir, um das von der detektivischen Recherche (die auch nach Ferrara, die Heimatstadt des Regisseurs, führt) in Gang gesetzte Geschehen zu schildern, das eine lange erloschene Liebe hitzig wiederaufflammen läßt und im Tod des wißbegierigen Ehemannes gipfelt. Deutlich angelehnt an James L. Cains Thriller »The Postman Always Rings Twice«, dessen Erzählkern er variiert, indem er gutbürgerliche Kreise zum Schauplatz der Handlung macht, erzählt Antonioni in langen, sorgfältig arrangierten Einstellungen von den Schatten der Vergangenheit und einem Dreieck der Leidenschaft, von Eifersucht und Argwohn, Überdruß und Verachtung, spricht aber auch (und vor allem) von moralischer und emotionaler Indifferenz der Nachkriegszeit, von Eigensucht und Desillusion des beginnenden italienischen Wirtschaftswunders, zieht Parallelen zwischen winterlichen Straßen und verlassenen Plätze, die den inneren Zustand der Protagonisten spiegeln, und der leeren Welt der »weißen Telefone«, ihren teuren Roben, schnellen Autos, luxuriösen Wohnungen, portraitiert mit Lucia Bosè und Massimo Girotti (der eine vergleichbare Rolle zuvor in Luchino Viscontis Cain-Adaption »Ossessione« spielte) schon in seinem ersten Spielfilm ein Paar, das der Krankheit der Gefühle erliegt.
R Michelangelo Antonioni B Michelangelo Antonioni, Daniele D’Anza, Silvio Giovaninetti, Francesco Maselli, Piero Tellini K Enzo Serafin M Giovanni Fusco A Piero Filippone S Eraldo Da Roma P Franco Villani D Lucia Bosè, Massimo Girotti, Ferdinando Sarmi, Gino Rossi, Marika Rowsky | I | 98 min | 1:1,37 | sw | 18. September 1950
# 1157 | 19. April 2019
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8.9.50
Familie Benthin (Slatan Dudow & Kurt Maetzig, 1950)
Zwei Familien zwischen Ost und West: Die Benthins – reiche Industrielle – und die Naumanns – einfache Leute – schlagen sich so hinterlistig bzw. so ehrlich, wie sie können, durch die bewegten Nachkriegsjahre. Eine ganze Kompanie von DDR-Staatsfilmern und -dichtern – Slatan Dudow und Kurt Maetzig, Johannes R. Becher (»Auferstanden aus Ruinen«) und Kuba (»Kantate auf Stalin«) – malt die harten Zeiten in holzschnittartigen Kontrasten: Im Osten wird aufgebaut – hier strahlt über temporären Problemen die Sonne der Zukunft, die schließlich auch den Verstockten heimleuchtet; im Westen wird demontiert – dort wartet auf die Gierig-Hoffnungsvollen nur die Schlafstelle im Massenquartier und am Ende der Tod in der Fremdenlegion; kurz: hüben die Schaffer und das Glück, drüben die Raffer und das Leid. Es ist viel betriebsblindes Wunschdenken in diesem Film, viel ideologischer Selbstbetrug, viel propagandistische Leier, aber auch so etwas wie ehrliche Verblendung, aufrichtiger Wahn, stolzer Trotz.
R Slatan Dudow, Kurt Maetzig B Johannes R. Becher, Kuba (= Kurt Barthel), Ehm Welk, Slatan Dudow K Robert Baberske, Karl Plintzner, Walter Roskopf M Ernst Roters, Werner Neumann A Erich Zander S Ilse Voigt P Adolf Fischer D Maly Delschaft, Charlotte Ander, Hans-Georg Rudolph, Werner Pledath, Ottokar Runze | DDR | 98 min | 1: 1,37 | sw | 8. September 1950
R Slatan Dudow, Kurt Maetzig B Johannes R. Becher, Kuba (= Kurt Barthel), Ehm Welk, Slatan Dudow K Robert Baberske, Karl Plintzner, Walter Roskopf M Ernst Roters, Werner Neumann A Erich Zander S Ilse Voigt P Adolf Fischer D Maly Delschaft, Charlotte Ander, Hans-Georg Rudolph, Werner Pledath, Ottokar Runze | DDR | 98 min | 1: 1,37 | sw | 8. September 1950
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7.9.50
Epilog (Helmut Käutner, 1950)
»Du bist Orplid, mein Land! Das ferne leuchtet.« Geschlossene Gesellschaft auf hoher See oder: Die Hölle, das sind wir alle … Indem der Reporter Peter Zabel (Horst Caspar) den mysteriösen Untergang der Luxusyacht ›Orplid‹ auf ihrer letzten Fahrt von Hamburg nach Schottland recherchiert, enthüllt er einen abgründigen Fall von politischen Ränken, wirtschaftlichen Machenschaften und allgemeiner sozialer Verwahrlosung: Eine angebliche Vergnügungstour (unternommen anläßlich einer eigens arrangierten Hochzeit) tarnt die dunklen Geschäfte eines Waffenschiebers, irgendwo im Schiffsrumpf tickt eine Bombe, der Countdown läuft, die illustre Reisegruppe (unter anderem Hans-Christian Blech, Peter van Eyck, Hilde Hildebrandt, Paul Hörbiger, Fritz Kortner, Irene von Meyendorff, Bettina Moissi, Carl Raddatz) zerfleischt sich in Erwartung des angekündigten Todes gegenseitig … Helmut Käutner zieht exaltiert, fast spöttisch alle stilistischen Register des Film noir: Off-Kommentare, Rückblenden, subjektive Kamera, schräge Perspektiven, flirrende Reflexe, Low-Key-Beleuchtung (Bildgestaltung: Werner Krien); »Epilog« (womit wohl nicht nur die Nachrede auf ein einzelnes spektakuläres Ereignis gemeint sein soll, sondern der Abgesang auf die Humanitas als solche) zeigt knallig-resignativ den Menschen als des Menschen Wolf. Ein kolportagig-fatalistischer B-Thriller – bald aufgebrachte Wahrheitssuche, bald moralphilosophischer Illustriertenroman, bald hysterische Gardinenpredigt – über die (äußerst fotogene) Schlechtigkeit der Welt im Zeitalter der Angst.
R Helmut Käutner B Robert A. Stemmle, Helmut Käutner K Werner Krien M Bernhard Eichhorn A Emil Hasler S Johanna Meisel P Artur Brauner D Horst Caspar, Fritz Kortner, Carl Raddatz, Peter van Eyck, Bettina Moissi, O. E. Hasse | BRD | 91 min | 1:1,37 | sw | 7. September 1950
# 879 | 12. Juni 2014
R Helmut Käutner B Robert A. Stemmle, Helmut Käutner K Werner Krien M Bernhard Eichhorn A Emil Hasler S Johanna Meisel P Artur Brauner D Horst Caspar, Fritz Kortner, Carl Raddatz, Peter van Eyck, Bettina Moissi, O. E. Hasse | BRD | 91 min | 1:1,37 | sw | 7. September 1950
# 879 | 12. Juni 2014
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Schwarzwaldmädel (Hans Deppe, 1950)
»Aber es ist noch nicht aller Tage Abend. Plötzlich scheint wieder die Sonne, und es sieht alles wieder anders aus.« Fünf Jahre nach dem Krieg strahlt der (bundes-)deutsche Himmel wieder agfacolorblau, leuchten die Wiesen wieder saftig grün, blühen die Obstbäume wieder unschuldig weiß, kurz: es ist wieder Frühling, es lacht wieder das Leben. Mit der Liebe ist es wie eh und je etwas kompliziert, aber beim Walzer, den der Herr Domkapellmeister intoniert, finden zu guter Letzt alle Töpfe ihre Deckel: der fesche Kunstmaler (Rudolf Prack) und das süße Bärbele (Sonja Ziemann), der flotte Schauspieler und die kokette Soubrette, der tumbe Kraftknecht und die naive Wirtstochter. Und die Alten sitzen da, in gravitätischem Schwarz, sehen den Jungen zu, träumen ihnen nach, bei ihrem Tanz in die farbenfrohe Zukunft. Hans Deppes gnadenlose Wohlfühloperette negiert mit kämpferischem Frohsinn das Trümmergrau des Nachkriegs, die Gespenster der Vergangenheit, die Erinnerung an massenmörderische Verbrechen; »Schwarzwaldmädel« will nichts wissen von den Problemen der Zeit, setzt die penetrant gemütliche Enge eines innerlich und äußerlich unversehrten Dorfes inmitten idyllischer Landschaft als Fluchtpunkt aller Heile-Welt-Illusionen gegen die Verworrenheit einer erschütterten, herausfordernden, unwägbaren Gegenwart. Daß Deppe vielleicht nicht ganz so einfältig ist, wie die platte Gestaltung der musikalischen Klamotte nahelegt, lassen seine ständigen Hinweise auf Spiel und Lüge, auf Schwindel und Verstellung im Verhalten aller Beteiligten vermuten. Auch die Heimat, so scheint es, hat einen doppelten Boden. Der am Ende freilich sorgsam versiegelt wird. Wie das Gestern.
R Hans Deppe B Bobby E. Lüthge V August Neidhart K Kurt Schulz M Leon Jessel, Frank Fox A Gabriel Pellon S Margarete Steinborn P Kurt Ulrich D Sonja Ziemann, Rudolf Prack, Paul Hörbiger, Gretl Schörg, Walter Müller | BRD | 104 min | 1:1,37 | f | 7. September 1950
R Hans Deppe B Bobby E. Lüthge V August Neidhart K Kurt Schulz M Leon Jessel, Frank Fox A Gabriel Pellon S Margarete Steinborn P Kurt Ulrich D Sonja Ziemann, Rudolf Prack, Paul Hörbiger, Gretl Schörg, Walter Müller | BRD | 104 min | 1:1,37 | f | 7. September 1950
10.8.50
Sunset Blvd. (Billy Wilder, 1950)
Boulevard der Dämmerung
»Yes, this is Sunset Blvd., Los Angeles, California. It's about five o'clock in the morning …« 1950, gut ein halbes Jahrhundert, nachdem die Bilder laufen lernten – nach einer Epoche voller Glanz und Hysterie, nach einer Ära der strahlenden Erfolge und der ruinösen Abstürze, nach einem Zeitalter des gleißenden Lichtes und der tiefschwarzen Schatten –, zieht »Sunset Blvd.« eine, nein: die Bilanz des Systems ›Hollywood‹. Billy Wilder und Charles Brackett (deren letztes gemeinsames Werk dies sein sollte) verorten ihr höhnisch-selbstreferentielles Noir-Melodram sehr präzise und anschaulich beim eigenen Brötchengeber, den Paramount Pictures, wo sie drei archetypische Protagonisten zu-, mit- und gegeneinander in Stellung bringen: eine zeitlos-(selbst-)vergessene Diva of yesteryear (»I am big. It's the pictures that got small.« – Gloria Swanson), einen erfolglos-hungrigen Arbeiter im Weinberg der siebten Kunst (»He always wanted a pool.« – William Holden) und einen obsessiv-masochistischen Menschenschöpfer (»Madame is the greatest star of them all.« – Erich von Stroheim). Das kinematographische trio infernal wird vom schadenfrohen Schicksal im Spukhaus einer glorreichen filmischen Vergangenheit (10086 Sunset Blvd.) zusammengesperrt und verstrickt sich dortselbst in ein schäbig-prunkvolles Netz von Ehrgeiz und Verzweiflung, Ekel und Begehren, Ausbeutung und Korruption. Die Wände ihrer kleinen weiten Welt werden zur flickernden Projektionsfläche für Sehnsüchte (nach Erfolg, nach Bestätigung, nach Liebe) und Ängste (vor dem Fehlschlag, vor dem Vergessen, vor dem Alleinsein). Wirklichkeit, Traum und Lüge verschwimmen, und so schlittern die drei über die Fliesen, auf denen einst Valentino Tango tanzte, hinein in die Erfüllung ihrer Wünsche – denn zum ironisch-schaurigen Ende bekommen sie alle (in gnadenlosem Schwarzweiß und Academy ratio) das, was sie verdienen, und (schlimmer noch) das, was sie ersehnten: das letzte Kommando (»Action!«), das Bad im Pool, das definitive close-up: »There’s nothing else – just us and the cameras and those wonderful people out there in the dark …« Für »Sunset Blvd.«, soviel steht fest, wurde das Kino erfunden. PS: »Fabulous Hollywood / Celluloid Babylon / Bold and ambitious / And vicious and glamorous / Drama – a city full / Tragic and pitiful / Bunk, junk and genius …« (Don Blanding)
R Billy Wilder B Billy Wilder, Charles Brackett K John F. Seitz M Franz Waxman A Hans Dreier, John Meehan S Doane Harrison, Arthur P. Schmidt P Charles Brackett D William Holden, Gloria Swanson, Erich von Stroheim, Nancy Olsen, Jack Webb, Cecil B. DeMille | USA | 110 min | 1:1,37 | sw | 10. August 1950
»Yes, this is Sunset Blvd., Los Angeles, California. It's about five o'clock in the morning …« 1950, gut ein halbes Jahrhundert, nachdem die Bilder laufen lernten – nach einer Epoche voller Glanz und Hysterie, nach einer Ära der strahlenden Erfolge und der ruinösen Abstürze, nach einem Zeitalter des gleißenden Lichtes und der tiefschwarzen Schatten –, zieht »Sunset Blvd.« eine, nein: die Bilanz des Systems ›Hollywood‹. Billy Wilder und Charles Brackett (deren letztes gemeinsames Werk dies sein sollte) verorten ihr höhnisch-selbstreferentielles Noir-Melodram sehr präzise und anschaulich beim eigenen Brötchengeber, den Paramount Pictures, wo sie drei archetypische Protagonisten zu-, mit- und gegeneinander in Stellung bringen: eine zeitlos-(selbst-)vergessene Diva of yesteryear (»I am big. It's the pictures that got small.« – Gloria Swanson), einen erfolglos-hungrigen Arbeiter im Weinberg der siebten Kunst (»He always wanted a pool.« – William Holden) und einen obsessiv-masochistischen Menschenschöpfer (»Madame is the greatest star of them all.« – Erich von Stroheim). Das kinematographische trio infernal wird vom schadenfrohen Schicksal im Spukhaus einer glorreichen filmischen Vergangenheit (10086 Sunset Blvd.) zusammengesperrt und verstrickt sich dortselbst in ein schäbig-prunkvolles Netz von Ehrgeiz und Verzweiflung, Ekel und Begehren, Ausbeutung und Korruption. Die Wände ihrer kleinen weiten Welt werden zur flickernden Projektionsfläche für Sehnsüchte (nach Erfolg, nach Bestätigung, nach Liebe) und Ängste (vor dem Fehlschlag, vor dem Vergessen, vor dem Alleinsein). Wirklichkeit, Traum und Lüge verschwimmen, und so schlittern die drei über die Fliesen, auf denen einst Valentino Tango tanzte, hinein in die Erfüllung ihrer Wünsche – denn zum ironisch-schaurigen Ende bekommen sie alle (in gnadenlosem Schwarzweiß und Academy ratio) das, was sie verdienen, und (schlimmer noch) das, was sie ersehnten: das letzte Kommando (»Action!«), das Bad im Pool, das definitive close-up: »There’s nothing else – just us and the cameras and those wonderful people out there in the dark …« Für »Sunset Blvd.«, soviel steht fest, wurde das Kino erfunden. PS: »Fabulous Hollywood / Celluloid Babylon / Bold and ambitious / And vicious and glamorous / Drama – a city full / Tragic and pitiful / Bunk, junk and genius …« (Don Blanding)
R Billy Wilder B Billy Wilder, Charles Brackett K John F. Seitz M Franz Waxman A Hans Dreier, John Meehan S Doane Harrison, Arthur P. Schmidt P Charles Brackett D William Holden, Gloria Swanson, Erich von Stroheim, Nancy Olsen, Jack Webb, Cecil B. DeMille | USA | 110 min | 1:1,37 | sw | 10. August 1950
16.6.50
Father of the Bride (Vincente Minnelli, 1950)
Vater der Braut
Provinziell-behagliche Sittenkomödie über die Zurüstungen für den Tag »every girl dreams of« – betrachtet aus der Perspektive des brummigen, aber wachsweichen Familienoberhauptes. Vincente Minnelli vermeidet jeden MGM-Glanzeffekt, nur einmal erlaubt er sich einen formalen Ausbruch und gestaltet Pops’ böse Vorahnungen in der Nacht vor der Trauung als dalíesken Alptraum. Spencer Tracy (»I always used to think that marriages were a simple affair.«) muffelt sich väterlich-sympathisch durch die beruhigend vorhersehbare Handlung; die Besetzung der Brautrolle mit der appetitlichen Liz Taylor verrät hellseherische Ironie.
R Vincente Minnelli B Frances Goodrich, Albert Hackett V Edward Streeter K John Alton M Adolph Deutsch A Cedric Gibbons, Leonid Vasian S Ferris Webster P Pandro S. Berman D Spencer Tracy, Joan Bennett, Elizabeth Taylor, Don Taylor, Leo G. Carroll | USA | 92 min | 1:1,37 | sw | 16. Juni 1950
Provinziell-behagliche Sittenkomödie über die Zurüstungen für den Tag »every girl dreams of« – betrachtet aus der Perspektive des brummigen, aber wachsweichen Familienoberhauptes. Vincente Minnelli vermeidet jeden MGM-Glanzeffekt, nur einmal erlaubt er sich einen formalen Ausbruch und gestaltet Pops’ böse Vorahnungen in der Nacht vor der Trauung als dalíesken Alptraum. Spencer Tracy (»I always used to think that marriages were a simple affair.«) muffelt sich väterlich-sympathisch durch die beruhigend vorhersehbare Handlung; die Besetzung der Brautrolle mit der appetitlichen Liz Taylor verrät hellseherische Ironie.
R Vincente Minnelli B Frances Goodrich, Albert Hackett V Edward Streeter K John Alton M Adolph Deutsch A Cedric Gibbons, Leonid Vasian S Ferris Webster P Pandro S. Berman D Spencer Tracy, Joan Bennett, Elizabeth Taylor, Don Taylor, Leo G. Carroll | USA | 92 min | 1:1,37 | sw | 16. Juni 1950
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8.6.50
The Asphalt Jungle (John Huston, 1950)
Asphalt-Dschungel
»One way or another, we all work for our vice.« Nach sieben Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, plant »Doc« Riedenscheider (reserviert: Sam Jaffe) ohne Verzug den nächsten großen Coup, ein vermeintlich todsicheres Ding, den nächtlichen Einbruch in ein Juweliergeschäft. Die zu erwartende Beute: Diamanten im Wert von einer halben Million Dollar. Unterstützt von einem öligen Buchmacher und finanziert vom alerten Anwalt Alonzo Emmerich (katzenfreundlich: Louis Calhern) stellt der versierte Gauner sein Team zusammen: einen professionellen Schränker, einen buckligen Barmann als Fluchtfahrer und den »hooligan« Dix Handley (ruppig: Sterling Hayden) als Mann fürs Grobe. Mit sicherem Strich umreißt Regisseur (und Koautor) John Huston die lebensnahen Figuren, ihre Eigenarten, Beweggründe, Sehnsüchte – und ihre Schwächen, in denen das Scheitern des ambitionierten Unternehmens begründet liegt. Dem differenzierten Ausmalen des halbdunklen Gruppenporträts, der vorbehaltlosen Betrachtung menschlicher Stärken (wie Kompetenz und Loyalität) und Schwächen (wie Gier und Heimtücke) wird ebenso große Bedeutung beigemessen wie der packend-bildstarken Darstellung des kriminellen Manövers. Indem er sich eines moralischen Urteils enthält, indem er seinen (Anti-)Helden in ihren inneren und äußeren Konflikten anerkennenden Respekt zollt, beleuchtet Huston das Verbrechen als »left-handed form of human endeavor« und setzt zugleich weithin gültige Standards für das Subgenre des Heist-Thrillers.
R John Huston B Ben Maddow, John Huston V W. R. Burnett K Harold Rossen M Miklós Rózsa A Cedric Gibbons S George Boemler P Arthur Hornblow Jr. D Sterling Hayden, Louis Calhern, Sam Jaffe, Jean Hagen, Marc Lawrence, Marilyn Monroe | USA | 112 min | 1:1,37 | sw | 8. Juni 1950
# 1062 | 19. Juli 2017
»One way or another, we all work for our vice.« Nach sieben Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, plant »Doc« Riedenscheider (reserviert: Sam Jaffe) ohne Verzug den nächsten großen Coup, ein vermeintlich todsicheres Ding, den nächtlichen Einbruch in ein Juweliergeschäft. Die zu erwartende Beute: Diamanten im Wert von einer halben Million Dollar. Unterstützt von einem öligen Buchmacher und finanziert vom alerten Anwalt Alonzo Emmerich (katzenfreundlich: Louis Calhern) stellt der versierte Gauner sein Team zusammen: einen professionellen Schränker, einen buckligen Barmann als Fluchtfahrer und den »hooligan« Dix Handley (ruppig: Sterling Hayden) als Mann fürs Grobe. Mit sicherem Strich umreißt Regisseur (und Koautor) John Huston die lebensnahen Figuren, ihre Eigenarten, Beweggründe, Sehnsüchte – und ihre Schwächen, in denen das Scheitern des ambitionierten Unternehmens begründet liegt. Dem differenzierten Ausmalen des halbdunklen Gruppenporträts, der vorbehaltlosen Betrachtung menschlicher Stärken (wie Kompetenz und Loyalität) und Schwächen (wie Gier und Heimtücke) wird ebenso große Bedeutung beigemessen wie der packend-bildstarken Darstellung des kriminellen Manövers. Indem er sich eines moralischen Urteils enthält, indem er seinen (Anti-)Helden in ihren inneren und äußeren Konflikten anerkennenden Respekt zollt, beleuchtet Huston das Verbrechen als »left-handed form of human endeavor« und setzt zugleich weithin gültige Standards für das Subgenre des Heist-Thrillers.
R John Huston B Ben Maddow, John Huston V W. R. Burnett K Harold Rossen M Miklós Rózsa A Cedric Gibbons S George Boemler P Arthur Hornblow Jr. D Sterling Hayden, Louis Calhern, Sam Jaffe, Jean Hagen, Marc Lawrence, Marilyn Monroe | USA | 112 min | 1:1,37 | sw | 8. Juni 1950
# 1062 | 19. Juli 2017
17.5.50
In a Lonely Place (Nicholas Ray, 1950)
Ein einsamer Ort
»I was born when she kissed me. I died when she left me …« Ein melancholischer film noir über den einsamen Ort des Menschen in einer Welt des (sich selbst und anderen) Fremdseins und -bleibens. Der »lonely place« ist Hollywood: Die Fabrik der Träume, der Markt der Lügen, das Reich der popcorn seller liefert die metaphorische Szenerie umfassender Verlorenheit und zugleich die eloquent-distanzierten Dialoge, in denen die Isolation ihren Ausdruck findet. Hier wiegt Nicholas Ray die Angst gegen das Vertrauen, die Aggression gegen die Liebe, das Dunkle gegen das Helle … Am Anfang geschieht ein Mord. ›Dix‹ Steele (Humphrey Bogart), sophisticated maniac, hard-boiled writer, love sick loner, ist verdächtig – zunächst nur der Polizei, im Laufe der Erzählung mehr und mehr auch jenen, die ihm zugetan sind: der Frau (Gloria Grahame), die ihn liebt, und (nicht zuletzt) dem Zuschauer. Am Ende spielt es keine Rolle, ob er schuldig ist oder nicht – allein seine Befähigung zur Tat hat alles, was hätte gut werden können, zerstört. Die Auflösung des Falles kommt konsequenter weise zu spät: »… I lived a few weeks while you loved me. Goodbye, Dix.«
R Nicholas Ray B Andrew Solt, Edmund H. North K Burnett Guffey M George Antheil A Robert Peterson S Viola Lawrence P Robert Lord D Humphrey Bogart, Gloria Grahame, Frank Lovejoy, Carl Benton Reid, Art Smith | USA | 94 min | 1:1,37 | sw | 17. Mai 1950
»I was born when she kissed me. I died when she left me …« Ein melancholischer film noir über den einsamen Ort des Menschen in einer Welt des (sich selbst und anderen) Fremdseins und -bleibens. Der »lonely place« ist Hollywood: Die Fabrik der Träume, der Markt der Lügen, das Reich der popcorn seller liefert die metaphorische Szenerie umfassender Verlorenheit und zugleich die eloquent-distanzierten Dialoge, in denen die Isolation ihren Ausdruck findet. Hier wiegt Nicholas Ray die Angst gegen das Vertrauen, die Aggression gegen die Liebe, das Dunkle gegen das Helle … Am Anfang geschieht ein Mord. ›Dix‹ Steele (Humphrey Bogart), sophisticated maniac, hard-boiled writer, love sick loner, ist verdächtig – zunächst nur der Polizei, im Laufe der Erzählung mehr und mehr auch jenen, die ihm zugetan sind: der Frau (Gloria Grahame), die ihn liebt, und (nicht zuletzt) dem Zuschauer. Am Ende spielt es keine Rolle, ob er schuldig ist oder nicht – allein seine Befähigung zur Tat hat alles, was hätte gut werden können, zerstört. Die Auflösung des Falles kommt konsequenter weise zu spät: »… I lived a few weeks while you loved me. Goodbye, Dix.«
R Nicholas Ray B Andrew Solt, Edmund H. North K Burnett Guffey M George Antheil A Robert Peterson S Viola Lawrence P Robert Lord D Humphrey Bogart, Gloria Grahame, Frank Lovejoy, Carl Benton Reid, Art Smith | USA | 94 min | 1:1,37 | sw | 17. Mai 1950
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Los Angeles,
Melodram,
Nicholas Ray,
Noir,
Schriftsteller,
Thriller
15.4.50
Stage Fright (Alfred Hitchcock, 1950)
Die rote Lola
Hinter den Credits hebt sich langsam der Vorhang und gibt den Blick frei auf die Szene: London. Es könnte allerdings auch jeder andere Ort sein, denn Alfred Hitchcock macht (sich) erstaunlich wenig aus dem spezifischen Flair seiner Heimatstadt. Genausowenig Leidenschaft bringt er für das Milieu auf, in dem sein krimikomödiantischer Film spielt: Die Welt des Theaters bleibt flache Kulisse. Die Story – Schauspielschülerin Eve (Jane Wyman) schleicht sich als Garderobiere bei der Diva Charlotte Inwood (Marlene Dietrich) ein, um ihren guten Freund Jonathan (Richard Todd) vom Verdacht des Mordes am Ehemann des exaltiert-fragwürdigen Bühnenstars reinzuwaschen – spielt mit dem Motiv der Maskerade, der Verstellung, der (optischen) Täuschung, ohne dem Thema besondere Tiefe abzugewinnen. Kurioserweise tritt in »Stage Fright« Hitchcocks Desinteresse an Schauspielern (von denen er sagt, sie gehörten behandelt wie Vieh) besonders deutlich zu Tage: Jeder spielt für sich allein – Marlene Dietrich repetiert ihre, einst von Josef von Sternberg erfundene, Glamour-Performance, Jane Wyman gibt eine leicht ironisierte Hollywood-Vorstellung der grauen Maus, Richard Todd chargiert zwischen nervös-verfolgter Unschuld und starr-glotzender Psychopathie, Alastair Sim und Sybil Thorndike (als Eves verschrobene Eltern) führen eine erzbritische comedy of manners auf. Der dramatische Schlußeffekt des außerordentlich disparaten Stücks spiegelt die Anfangseinstellung, und »wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und keine Fragen offen.«
R Alfred Hitchcock B Whitfield Cook, Alma Reville V Selwyn Jepson K Wilkie Cooper M Leighton Lucas A Terence Verity Ko Milo Anderson, Christian Dior S Edward B. Jarvis P Alfred Hitchcock D Jane Wyman, Marlene Dietrich, Richard Todd, Michael Wilding, Alastair Sim | UK | 110 min | 1:1,37 | sw | 15. April 1950
Hinter den Credits hebt sich langsam der Vorhang und gibt den Blick frei auf die Szene: London. Es könnte allerdings auch jeder andere Ort sein, denn Alfred Hitchcock macht (sich) erstaunlich wenig aus dem spezifischen Flair seiner Heimatstadt. Genausowenig Leidenschaft bringt er für das Milieu auf, in dem sein krimikomödiantischer Film spielt: Die Welt des Theaters bleibt flache Kulisse. Die Story – Schauspielschülerin Eve (Jane Wyman) schleicht sich als Garderobiere bei der Diva Charlotte Inwood (Marlene Dietrich) ein, um ihren guten Freund Jonathan (Richard Todd) vom Verdacht des Mordes am Ehemann des exaltiert-fragwürdigen Bühnenstars reinzuwaschen – spielt mit dem Motiv der Maskerade, der Verstellung, der (optischen) Täuschung, ohne dem Thema besondere Tiefe abzugewinnen. Kurioserweise tritt in »Stage Fright« Hitchcocks Desinteresse an Schauspielern (von denen er sagt, sie gehörten behandelt wie Vieh) besonders deutlich zu Tage: Jeder spielt für sich allein – Marlene Dietrich repetiert ihre, einst von Josef von Sternberg erfundene, Glamour-Performance, Jane Wyman gibt eine leicht ironisierte Hollywood-Vorstellung der grauen Maus, Richard Todd chargiert zwischen nervös-verfolgter Unschuld und starr-glotzender Psychopathie, Alastair Sim und Sybil Thorndike (als Eves verschrobene Eltern) führen eine erzbritische comedy of manners auf. Der dramatische Schlußeffekt des außerordentlich disparaten Stücks spiegelt die Anfangseinstellung, und »wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und keine Fragen offen.«
R Alfred Hitchcock B Whitfield Cook, Alma Reville V Selwyn Jepson K Wilkie Cooper M Leighton Lucas A Terence Verity Ko Milo Anderson, Christian Dior S Edward B. Jarvis P Alfred Hitchcock D Jane Wyman, Marlene Dietrich, Richard Todd, Michael Wilding, Alastair Sim | UK | 110 min | 1:1,37 | sw | 15. April 1950
25.3.50
House by the River (Fritz Lang, 1950)
Das Todeshaus am Fluß
Ein Haus am Fluß, im Garten ein Pavillon mit Blick über das gemächlich dahinziehende Wasser. Das Idyll trügt: Schon in der allerersten Sequenz treibt ein Rinderkadaver auf dem Strom vorbei. »I hate this river«, ruft eine Anrainerin aus. »It’s people you should be blaming for the filth, not the river«, entgegnet ihr Nachbar Stephen Byrne, ein erfolg- und (wie sich erweisen wird) ziemlich gewissenloser Schriftsteller, der kurz darauf im alkoholisierten Affekt sein Hausmädchen erwürgen wird. Stephens seriöser (und verkrüppelter) Bruder John hilft, höchst unwillig, die Leiche im Fluß zu versenken. Er tut es im Grunde nur, um seine Schwägerin Marjorie, die er heimlich liebt, vor Kummer zu bewahren – und gerät selbst unter Mordverdacht … Angesiedelt in einem spätviktorianischen Irgendwo voller flackernder Kerzen und wehender Vorhänge, inszeniert Fritz Lang »House by the River« als Melange aus gothic melodrama, Noir-Groschenheft und thrillereskem Künstlerroman mit Kain-und-Abel-Unterton, schildert, nicht ohne Malice, wie ein bislang kreativ gehemmter Romancier (Louis Hayward) durch eine böse Tat und ihre Folgen zu sich selbst, will sagen: zum ureigenen schöpferischen Ausdruck findet. Einige krude Symbolismen, die bühnenhaften Dekors sowie das bisweilen marionettenartige Spiel der B-Film-Akteure verleihen der filmischen Hybride einen zusätzlichen, irrealen Reiz.
R Fritz Lang B Mel Dinelli V A. P. Herbert K Edward Cronjager M George Antheil A Boris Leven S Arthur Hilton P Howard Welsch D Louis Hayward, Lee Bowman, Jane Wyatt, Ann Shoemaker, Jody Gilbert | USA | 88 min | 1:1,37 | sw | 25. März 1950
Ein Haus am Fluß, im Garten ein Pavillon mit Blick über das gemächlich dahinziehende Wasser. Das Idyll trügt: Schon in der allerersten Sequenz treibt ein Rinderkadaver auf dem Strom vorbei. »I hate this river«, ruft eine Anrainerin aus. »It’s people you should be blaming for the filth, not the river«, entgegnet ihr Nachbar Stephen Byrne, ein erfolg- und (wie sich erweisen wird) ziemlich gewissenloser Schriftsteller, der kurz darauf im alkoholisierten Affekt sein Hausmädchen erwürgen wird. Stephens seriöser (und verkrüppelter) Bruder John hilft, höchst unwillig, die Leiche im Fluß zu versenken. Er tut es im Grunde nur, um seine Schwägerin Marjorie, die er heimlich liebt, vor Kummer zu bewahren – und gerät selbst unter Mordverdacht … Angesiedelt in einem spätviktorianischen Irgendwo voller flackernder Kerzen und wehender Vorhänge, inszeniert Fritz Lang »House by the River« als Melange aus gothic melodrama, Noir-Groschenheft und thrillereskem Künstlerroman mit Kain-und-Abel-Unterton, schildert, nicht ohne Malice, wie ein bislang kreativ gehemmter Romancier (Louis Hayward) durch eine böse Tat und ihre Folgen zu sich selbst, will sagen: zum ureigenen schöpferischen Ausdruck findet. Einige krude Symbolismen, die bühnenhaften Dekors sowie das bisweilen marionettenartige Spiel der B-Film-Akteure verleihen der filmischen Hybride einen zusätzlichen, irrealen Reiz.
R Fritz Lang B Mel Dinelli V A. P. Herbert K Edward Cronjager M George Antheil A Boris Leven S Arthur Hilton P Howard Welsch D Louis Hayward, Lee Bowman, Jane Wyatt, Ann Shoemaker, Jody Gilbert | USA | 88 min | 1:1,37 | sw | 25. März 1950
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Schriftsteller,
Thriller,
Villa
16.3.50
La beauté du diable (René Clair, 1950)
Der Pakt mit dem Teufel
»Le véritable enfer existe sur la terre. C’est la misère, la solitude, la méchanceté des hommes.« René Clairs sehr freie Adaption des Faust-Stoffes spiegelt den (alten) wissensdurstigen Gelehrten in seinem (jungen) satanischen Versucher, stellt die beiden einander als Doppelgänger im Geiste gegenüber, als Herzensfeinde auf der Jagd nach dem irdischen Paradies, das in Trugbildern von ewiger Jugend, Geld, Macht und Fortschritt aufflackert. Durch den schlagenden Einfall, die Kontrahenten ihre Körper tauschen zu lassen, verwischt »La beauté du diable« nicht nur die Grenze von Gut und Böse, der Film bereitet auch – für den Betrachter höchst vergnüglich – seinen Hauptdarstellern eine große Bühne: Gérard Philipe, leichtfüßig-romantisch, und Michel Simon, höhnisch-derb, spielen sich, mal als Faust, mal als Mephisto, gegenseitig die Seele aus dem Leib. Für Clair, der seine Version der Legende in einer imaginären Zwischenzeit von alchimistischem Spätmittelalter, beginnender Industrialisierung und Nuklearepoche (Ausstattung: Léon Barsacq) ansiedelt, führen der menschliche (teuflische) Erkenntnisdrang, der starke Wille, die Welt mit Hilfe der Wissenschaft zu verändern, der Materie ihr Geheimnis zu entreißen, die Energie noch des letzten Staubkorns zu entfesseln, zwangsläufig in die Katastrophe: Das Streben nach Glück endet in der Hölle auf Erden. Der (ein wenig hilflos wirkende) konservative Moralismus der Erzählung (die auf ein fragwürdiges Happy End hinausläuft) wird bekömmlich durch die Beweglichkeit der zirzensischen Inszenierung, die Träume, Visionen und Chimären kunstfertig zusammen bindet.
R René Clair B René Clair, Armand Salacrou K Michel Kelber M Roman Vlad A Léon Barsacq S James Cuenet P Salvo D’Angelo D Michel Simon, Gérard Philipe, Nicole Besnard, Simon Valère, Carlo Ninchi | F & I | 96 min | 1:1,37 | sw | 16. März 1950
»Le véritable enfer existe sur la terre. C’est la misère, la solitude, la méchanceté des hommes.« René Clairs sehr freie Adaption des Faust-Stoffes spiegelt den (alten) wissensdurstigen Gelehrten in seinem (jungen) satanischen Versucher, stellt die beiden einander als Doppelgänger im Geiste gegenüber, als Herzensfeinde auf der Jagd nach dem irdischen Paradies, das in Trugbildern von ewiger Jugend, Geld, Macht und Fortschritt aufflackert. Durch den schlagenden Einfall, die Kontrahenten ihre Körper tauschen zu lassen, verwischt »La beauté du diable« nicht nur die Grenze von Gut und Böse, der Film bereitet auch – für den Betrachter höchst vergnüglich – seinen Hauptdarstellern eine große Bühne: Gérard Philipe, leichtfüßig-romantisch, und Michel Simon, höhnisch-derb, spielen sich, mal als Faust, mal als Mephisto, gegenseitig die Seele aus dem Leib. Für Clair, der seine Version der Legende in einer imaginären Zwischenzeit von alchimistischem Spätmittelalter, beginnender Industrialisierung und Nuklearepoche (Ausstattung: Léon Barsacq) ansiedelt, führen der menschliche (teuflische) Erkenntnisdrang, der starke Wille, die Welt mit Hilfe der Wissenschaft zu verändern, der Materie ihr Geheimnis zu entreißen, die Energie noch des letzten Staubkorns zu entfesseln, zwangsläufig in die Katastrophe: Das Streben nach Glück endet in der Hölle auf Erden. Der (ein wenig hilflos wirkende) konservative Moralismus der Erzählung (die auf ein fragwürdiges Happy End hinausläuft) wird bekömmlich durch die Beweglichkeit der zirzensischen Inszenierung, die Träume, Visionen und Chimären kunstfertig zusammen bindet.
R René Clair B René Clair, Armand Salacrou K Michel Kelber M Roman Vlad A Léon Barsacq S James Cuenet P Salvo D’Angelo D Michel Simon, Gérard Philipe, Nicole Besnard, Simon Valère, Carlo Ninchi | F & I | 96 min | 1:1,37 | sw | 16. März 1950
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Drama,
Gesellschaft,
Legende,
Michel Simon,
Phantastik,
Philipe,
Teufel,
Wissenschaft
1.3.50
Orphée (Jean Cocteau, 1950)
Orpheus
L'amour à mort ... Der antike Mythos, gesehen durch die Brille eines künstlerischen Tausendsassas – Jean Cocteau hat Esprit, Geschmack, Fantasie genug, den legendären Dichter der griechischen Sagenwelt plausibel und originell in eine pariserisch anmutende Nachkriegsgegenwart (samt dekorativer Trümmerszenerien und existentialistischer Literatenbohème) zu versetzen. Clou der kinematographischen Adaption: Der hochfahrend-selbstgewisse Poet (Jean Marais in der Titelrolle) gerät in einen gefühlsmäßigen Zwiespalt zwischen der beabsichtigten Rückführung der geliebten (wenn auch bisweilen vernachlässigten) Gattin Eurydike (Marie Déa) aus der Unterwelt – wo ein kafkaesker Gerichtshof nach unerforschlichem Ratschluß über das Schicksal der Verstorbenen (wie auch der Lebenden) befindet – und der amourösen Verfallenheit an den Tod selbst, den die aparte Maria Casarès mit feurig-dunkler Faszinationskraft verkörpert. Cocteaus Stärke als Cinéast liegt insbesondere in der Verwendung ebenso einfacher wie kostbarer filmischer Mittel: Zeitlupen und rückwärts laufende Aufnahmen, negative Bilder und quecksilbrige Spiegeltricks transformieren scheinbare Alltäglichkeiten in außerordentliche Phänomene und lassen die literarische Illusion zur greifbaren Realität werden.
R Jean Cocteau B Jean Cocteau K Nicolas Hayer M Georges Auric A Jean d’Eaubonne S Jacqueline Sadoul P André Paulvé D Jean Marais, Maria Casares, François Périer, Maria Déa, Juliette Gréco | F | 95 min | 1:1,37 | sw | 1. März 1950
# 1032 | 18. November 2016
L'amour à mort ... Der antike Mythos, gesehen durch die Brille eines künstlerischen Tausendsassas – Jean Cocteau hat Esprit, Geschmack, Fantasie genug, den legendären Dichter der griechischen Sagenwelt plausibel und originell in eine pariserisch anmutende Nachkriegsgegenwart (samt dekorativer Trümmerszenerien und existentialistischer Literatenbohème) zu versetzen. Clou der kinematographischen Adaption: Der hochfahrend-selbstgewisse Poet (Jean Marais in der Titelrolle) gerät in einen gefühlsmäßigen Zwiespalt zwischen der beabsichtigten Rückführung der geliebten (wenn auch bisweilen vernachlässigten) Gattin Eurydike (Marie Déa) aus der Unterwelt – wo ein kafkaesker Gerichtshof nach unerforschlichem Ratschluß über das Schicksal der Verstorbenen (wie auch der Lebenden) befindet – und der amourösen Verfallenheit an den Tod selbst, den die aparte Maria Casarès mit feurig-dunkler Faszinationskraft verkörpert. Cocteaus Stärke als Cinéast liegt insbesondere in der Verwendung ebenso einfacher wie kostbarer filmischer Mittel: Zeitlupen und rückwärts laufende Aufnahmen, negative Bilder und quecksilbrige Spiegeltricks transformieren scheinbare Alltäglichkeiten in außerordentliche Phänomene und lassen die literarische Illusion zur greifbaren Realität werden.
R Jean Cocteau B Jean Cocteau K Nicolas Hayer M Georges Auric A Jean d’Eaubonne S Jacqueline Sadoul P André Paulvé D Jean Marais, Maria Casares, François Périer, Maria Déa, Juliette Gréco | F | 95 min | 1:1,37 | sw | 1. März 1950
# 1032 | 18. November 2016
20.1.50
Gun Crazy (Joseph H. Lewis, 1950)
Gefährliche Leidenschaft
»Shoot! Why don't you shoot?« Die rasante Geschichte eines explosiven amour fou: ein Mann und eine Frau finden zusammen wie Waffe und Munition ... Bereits als kleiner Junge hegt Bart ein krankhaft gesteigertes Verlangen nach Gewehren und Pistolen, Schießen ist seine Leidenschaft, die einzige Tätigkeit, die er wirklich beherrscht – auch wenn es ihm nach dem traumatischen Abschuß eines Kükens unmöglich ist, auf lebende Wesen zu feuern. Nach langen Jahren in Erziehungsanstalt und Armee, trifft er Annie, die sich auf dem Rummelplatz als Scharfschützin verdingt. Schon die erste Begegnung des Paares, ein Wettschießen auf offener Bühne, gleicht einem fetischistischen Geschlechtsakt, und nur wenig später driften die beiden (»like a couple of wild animals«: Peggy Cummins und John Dahl) wie weiland Bonnie Parker und Clyde Barrow gesetzbrecherisch durch die amerikanische Provinz. Geschickt kontrastiert Joseph H. Lewis Barts liebestrunkene Skrupulosität mit Annies, an Lady Macbeth erinnernde, fatale Zielstrebigkeit (»I want a lot of things – big things!«) – ein spannungsvoller Gegensatz, der sich auf inszenatorischer Ebene in der irritierenden Mischung aus kühlem On-location-Realismus (ein Banküberfall, als Plansequenz in Echtzeit und am Originalschauplatz, von der Rückbank des Fluchtfahrzeugs aus gedreht) und spätexpressionistischer Kulissenhaftigkeit (Barts Einbruch in ein Waffengeschäft zu Beginn des Films oder die finale Menschenjagd durch nebliges Sumpfgelände) wiederfindet. »Gun Crazy« – ein liebenswahnsinniger Gangsterfilm über Verführung und Bereitschaft: »Let’s finish it the way we started it: on the level.«
R Joseph H. Lewis B Dalton Trumbo, MacKinlay Kantor V MacKinlay Kantor K Russell Harlan M Victor Young A Gordon Wiles S Harry Gerstad P Frank King, Maurice King D John Dahl, Peggy Cummins, Berry Kroeger, Nedrick Young, Russ Tamblyn | USA | 87 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1950
# 1083 | 5. Dezember 2017
»Shoot! Why don't you shoot?« Die rasante Geschichte eines explosiven amour fou: ein Mann und eine Frau finden zusammen wie Waffe und Munition ... Bereits als kleiner Junge hegt Bart ein krankhaft gesteigertes Verlangen nach Gewehren und Pistolen, Schießen ist seine Leidenschaft, die einzige Tätigkeit, die er wirklich beherrscht – auch wenn es ihm nach dem traumatischen Abschuß eines Kükens unmöglich ist, auf lebende Wesen zu feuern. Nach langen Jahren in Erziehungsanstalt und Armee, trifft er Annie, die sich auf dem Rummelplatz als Scharfschützin verdingt. Schon die erste Begegnung des Paares, ein Wettschießen auf offener Bühne, gleicht einem fetischistischen Geschlechtsakt, und nur wenig später driften die beiden (»like a couple of wild animals«: Peggy Cummins und John Dahl) wie weiland Bonnie Parker und Clyde Barrow gesetzbrecherisch durch die amerikanische Provinz. Geschickt kontrastiert Joseph H. Lewis Barts liebestrunkene Skrupulosität mit Annies, an Lady Macbeth erinnernde, fatale Zielstrebigkeit (»I want a lot of things – big things!«) – ein spannungsvoller Gegensatz, der sich auf inszenatorischer Ebene in der irritierenden Mischung aus kühlem On-location-Realismus (ein Banküberfall, als Plansequenz in Echtzeit und am Originalschauplatz, von der Rückbank des Fluchtfahrzeugs aus gedreht) und spätexpressionistischer Kulissenhaftigkeit (Barts Einbruch in ein Waffengeschäft zu Beginn des Films oder die finale Menschenjagd durch nebliges Sumpfgelände) wiederfindet. »Gun Crazy« – ein liebenswahnsinniger Gangsterfilm über Verführung und Bereitschaft: »Let’s finish it the way we started it: on the level.«
R Joseph H. Lewis B Dalton Trumbo, MacKinlay Kantor V MacKinlay Kantor K Russell Harlan M Victor Young A Gordon Wiles S Harry Gerstad P Frank King, Maurice King D John Dahl, Peggy Cummins, Berry Kroeger, Nedrick Young, Russ Tamblyn | USA | 87 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1950
# 1083 | 5. Dezember 2017
Königskinder (Helmut Käutner, 1950)
Der unstandesgemäßen Liaison von Trümmerfilm und screwball comedy entsprang dieser charmante Bankert aus der jämmerlich-schönen Besatzungszeit: Ende des Krieges flieht Prinzessin Ulrike von Brandenburg (Jenny Jugo), Verlobte des Thronfolgers von Thessalien, in Begleitung eines Oheims und zweier vornehmer Hofdamen von den schlesischen Besitztümern gen Westen, erreicht (nach Verlust sämtlicher Juwelen) das ruinöse Stammschloß der herrschaftlichen Sippschaft, erlebt den Einzug der Amerikaner, verguckt sich in Paul (Peter van Eyck), einen attraktiven Schlawiner, der den lieben Gott einen guten Mann sein läßt und sein Schärflein (Zigaretten, Schnaps, Dollars) jederzeit ins Trockene zu bringen weiß … Helmut Käutner ignoriert schnippisch die Schwere der Zeitläufte, macht sich lustig über das Leiden am (letztlich selbstverschuldeten) Verlust und die blühende (von obsoleten moralischen Bedenken unterfütterte) Geschäftstüchtigkeit nach dem totalen Zusammenbruch: Selbstredend führt das hochwohlgeborene Fräulein die zahlungswilligen Neugierigen persönlich durch den pittoresken Familiensitz (oder das, was davon übrig ist), wenn nur die Kasse stimmt, und auch Freiin von Bockh (Hedwig Wangel), die züchtige Wahrerin der Etikette, bringt Adelsstolz und business in ergiebigen Einklang. Wen wundert es da, daß die »Königskinder«, die einander so lieb haben, (nach den genreüblichen Verwicklungen) fröhlich zusammenkommen können – die Wasser sind gar nicht so tief, wenn man sie nur mit etwas Schutt auffüllt, um trockenen Fußes darüberzugehen …
R Helmut Käutner B Emil Burri, Herbert Witt, Helmut Käutner K Reimar Kuntze M Bernhard Eichhorn A Hermann Warm, Bruno Monden S Wolfgang Wehrum P Eberhard Klagemann D Jenny Jugo, Peter van Eyck, Friedrich Schönfelder, Hedwig Wangel, Erika von Thellmann | BRD | 95 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1950
# 872 | 1. Juni 2014
R Helmut Käutner B Emil Burri, Herbert Witt, Helmut Käutner K Reimar Kuntze M Bernhard Eichhorn A Hermann Warm, Bruno Monden S Wolfgang Wehrum P Eberhard Klagemann D Jenny Jugo, Peter van Eyck, Friedrich Schönfelder, Hedwig Wangel, Erika von Thellmann | BRD | 95 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1950
# 872 | 1. Juni 2014
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