28.9.54

The Barefoot Contessa (Joseph L. Mankiewicz, 1954)

Die barfüßige Gräfin 

»Che sarà, sarà.« Aufstieg, Ruhm und Tod der barfüßigen Tänzerin/Schauspielerin/Gräfin Maria Vargas alias Maria D’Amata (Ava Gardner) – erzählt von einem beruflich und privat angeschlagenen Regisseur (Humphrey Bogart), einem immer schwitzenden PR-Mann (Edmond O’Brien) und einem impotenten italie­ni­schen Adligen (Rosanno Brazzi). Sonstige Personen der düster-farbstarken Cinderella-Variation: ein selbstherrlicher Filmproduzent, der reichste Mann Südamerikas, ein König im Exil. Orte des Geschehens: Madrid und Rom, London und Holly­wood, Monte Carlo und Rapallo; Hinterhöfe und Nachtclubs, Studios und Yachten, Casinos und ein Schloß am Meer. Die melodramatische Starbiographie beginnt dort, wo alles endet: auf dem Friedhof. Während die Titelheldin im Regen zu Grabe getragen wird, erinnern sich die männlichen Protagonisten an Stationen ihres Lebens. (Das multiperspektivische Erzählen in Flashbacks, einst von Herman J. Mankiewicz für »Citizen Kane« erfunden, machte sich dessen Bruder Joseph L. schon bei »All About Eve« erfolgreich zu eigen.) Die Handlung, halb süffige Illustriertenstory, halb tragisches Kunstmärchen, ganz aus dem Geist der Traumfabrik geboren, kontrastiert mit ge­schliffenen Dialogen, die Mankiewicz’ ungetrübten Blick auf eben diese Traumfabrik – ihren falschen Glanz, ihre mitleidlose Härte – verraten. »The Barefoot Contessa«, die Geschichte einer Frau, die einen Prinzen (die Liebe, das Leben) sucht und nur Männer (die nackten Tatsachen, den Tod) findet, betreibt, wenn man so will, desillusionierte Illusionsproduktion. PS: »A script would’ve made so much more sense than life does.«

R Joseph L. Mankiewicz B Joseph L. Mankiewicz K Jack Cardiff M Mario Nascimbene A Arrigo Equini S William Hornbeck P Joseph L. Mankiewicz D Humphrey Bogart, Ava Gardner, Edmond O’Brien, Rosanno Brazzi, Valentina Cortese | USA | 128 min | 1:1,37 | f | 28. September 1954

6.9.54

La strada (Federico Fellini, 1954)

Das Lied der Straße

»Alles, was auf dieser Welt ist, ist zu irgendetwas nütze.« Federico Fellinis postneorealistisches Roadmovie erzählt von frostiger Einsamkeit und ratloser Liebe, von der Geworfenheit in die Welt und der Sehnsucht nach Erlösung. Der Schauplatz Italien gleicht der Szenerie eines Beckett-Stückes – öde, staubig, armselig: Tote Bäume säumen einsame Landstraßen, elende Kinder bevölkern die Gassen der Dörfer, resignierte Mütter verkaufen ihre Töchter für 10.000 Lire an fahrendes Volk. Der tumbe Kraftprotz Zampanò (Anthony Quinn), der todestrunkener Narr Matto (Richard Basehart), die heilige Einfalt Gelsomina (Giulietta Masina) – sie bilden die melodramatische Trinität eines Films, der das menschliche Dasein parabolisch als schäbigen Wanderzirkus präsentiert: Entwurzelung, Entblößung und (innere) Armut bestimmen die Schicksale der Gaukler, Spieler und Seiltänzer, die Fellini (ein Jahr nach Bergmans wesensverwandtem »Gycklarnas afton«) auf die große (Lebens-)Reise schickt. Ob Zampanò (der immer glaubte, ganz allein und nur für sich sein zu können) durch das tiefe kreatürliche Elend, in das er am Schluß der Fabel stürzt, eine Läuterung seiner kaputten Seele erfahren wird, bleibt offen … Höhere Einsicht hin oder her, »La strada«, dieses subproletarische Lumpenmärchen, gewinnt, soviel ist gewiß, seine bleibende Wirkung vor allem aus Nino Rotas unvergänglich-tränenziehendem Sound: »Dii-di-di-da-daa« – wenn Gelsomina, mit zerbeulter Melone auf dem struppigem Haarschopf, diese Töne aus der lädierten Trompete preßt, bleibt wohl nur ein Glasauge trocken.

R Federico Fellini B Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli K Otello Martelli M Nino Rota A Mario Ravasco S Leo Cattozzo P Dino De Laurentiis, Carlo Ponti D Anthony Quinn, Giulietta Masina, Richard Basehart, Aldo Silvani, Marcella Rovere | I | 108 min | 1:1,37 | sw | 6. September 1954

3.9.54

Senso (Luchino Visconti, 1954)

Sehnsucht

Luchino Visconti beginnt seine Adaption der Novelle von Camillo Boito programmatisch mit einer Aufführung im Teatro La Fenice. An einem Abend des Frühjahrs 1866 – Venedig steht (noch) unter österreichischer Herrschaft – wird Giuseppe Verdis »Troubadour« gegeben. Wichtiger als das Geschehen auf der Bühne sind die Vorgänge im Zuschauerraum: unter die weiß uniformierten Offiziere der Besatzungsarmee mischen sich schwarz gekleidete Zivilisten, italienische Patrioten, die Flugblätter und Blumengebinde in den Farben der Tricolore zur Verteilung bringen. Grüne, weiße, rote Papiere und Blüten fliegen durch den goldgeschmückten Saal – ein Konfettiregen des Widerstandes. Die Vorstellung endet im Tumult. Bei dieser Gelegenheit (kurz vor Ausbruch des Dritten Unabhängigkeitskrieges) begegnet die nationalstolze Contessa Livia Serpieri (Alida Valli), Gattin eines opportunistischen Aristokraten und geheime Unterstützerin des Risorgimento, dem feschen k. k. Leutnant Franz Mahler (Farley Granger). Die anfängliche Antipathie zwischen der gestrengen Gräfin und dem leichtlebigen Schönling wandelt sich bald schon in unkontrollierbare Leidenschaft, doch die gefährliche Liaison bringt in den Partnern das jeweils Schlechteste zum Vorschein ... Visconti inszeniert – in erlesenen tableaux vivants und eruptiven Ausbrüchen von Farbe, Bewegung, Emotion – ein vornehm-ungezügeltes Melodram von opernhafter Stilisierung: abgrundtiefe Gefühle, theatralische Posen, malerische Szenerien, spätromantische Untergangsstimmung in Arien, Duetten, Chören. Wenn Livia ihre Ideale verrät, wenn Franz an seiner Charakterschwäche zerbricht, gehen nicht nur zwei Menschen zugrunde, dann fällt eine ganze (schöne schlimme) Welt ins Dunkel.

R Luchino Visconti B Luchino Visconti, Suso Cecchi D’Amico V Camillo Boito K G.R. Aldo, Robert Krasker M Anton Bruckner, Giuseppe Verdi A Ottavio Scotti S Mario Serandrei P Domenico Forges Davanzati D Alida Valli, Farley Granger, Heinz Moog, Massimo Girotti, Rina Morelli | I | 118 min | 1:1,37 | f | 3. September 1954

# 1099 | 1. März 2018